Der immer gleiche Tanz der Empörung

Die unverwüstliche Maschine der Betroffenheitsrhetorik

Da war er wieder, der Satz. Mit dem monotonen Schwung einer Pendeluhr, die ihren Läuten nicht müde wird. „Ich bin es leid“, sprach der Bundeskanzler, das Gesicht ernst, die Worte scharf wie ein Küchenmesser, das auf einem nassen Brotlaib gleitet. Es ist eine Formel, eine jener rituellen Äußerungen, die Politiker aus der untersten Schublade ihrer rhetorischen Hausapotheke ziehen, sobald das Land wieder einmal von einer Gewalttat erschüttert wird, deren Brutalität sich nur noch mit der Abgestumpftheit der offiziellen Reaktionen messen kann.

Natürlich, niemand erwartet, dass ein Kanzler bei jeder Tragödie das Rad der Sprache neu erfindet, geschweige denn, dass er spontan zu lyrischen Höhenflügen ansetzt. Aber dass ausgerechnet der Mann, der sich einst als „Scholzomat“ etablierte, mit der hölzernen Präzision einer schlecht programmierten KI in solchen Momenten immer wieder dieselbe Platte auflegt, ist beinahe eine Parodie auf sich selbst. Die Empörung scheint automatisiert, das Mitgefühl vorgefertigt, die Betroffenheit dergestalt routiniert, dass man sich fragt, ob sie inzwischen per E-Mail an die Presseagenturen versendet wird: Betreff: Mord in Aschaffenburg. Textbaustein: „Ich bin es leid.“

Die Bevölkerung, dieses kollektive Gesicht des Zorns

Und dann ist da „die Bevölkerung“, jenes sagenumwobene Konstrukt, das mit unverhohlener Häme in sozialen Netzwerken das Schweigen durchbricht. „Ich bin es leid“, tönt es zurück, diesmal nicht aus den glatten Kehlen der Macht, sondern aus den rauen Lungen der Frustrierten. Ein Zynismus, der ebenso alt ist wie berechtigt: Es ist das Lied derer, die sich längst nicht mehr in den Floskeln der Regierenden wiederfinden, weil diese so beliebig und austauschbar geworden sind wie die Kalenderblätter im Jahr.

Die Bevölkerung ist in ihrer Frustration durchaus kreativ. Sie dichtet, sie spottet, sie teilt Memes und macht sich lustig. Aber sie ist auch müde. Müde, weil die Welt eine Kirmes des Grauens ist, auf der die Karussells der Gewalt immer schneller drehen. Und wenn dann der Kanzler mit staatsmännischer Gravitas seinen Satz in die Welt schleudert, klingt es, als habe man einen Tropfen Essig in einen Ozean geschüttet und erwarte nun, dass die Wasserqualität messbar schlechter wird.

Das unsichtbare Theater der Konsequenzen

„Ich bin es leid“ ist nicht nur ein Satz, es ist eine Absage. Eine Kapitulation. Ein Eingeständnis, dass man im Angesicht wiederkehrender Tragödien sprachlich und möglicherweise auch politisch blankgezogen wurde. Doch was folgt daraus? Wo bleibt der berühmte Satz, der einst Menschen mobilisierte: „So kann es nicht weitergehen!“? Stattdessen bleibt nur der Verweis auf bestehende Maßnahmen, die irgendwo zwischen Schreibtisch und Aktenschrank verdämmern.

Und ja, es wäre billig, hier ein umfassendes Maßnahmenpaket zu fordern, als könnten Bürokratie und Gesetzgebung das Übel an der Wurzel packen. Aber wie wäre es wenigstens mit dem Hauch eines ehrlichen Versuches? Mit einer Sprache, die die Menschen ernst nimmt, die betroffen ist, die mehr ist als eine semantische Wiederverwertung der immer gleichen Sätze? Die Realität verlangt nicht nach Floskeln, sondern nach Mut. Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, Verantwortung zu übernehmen und – jetzt halten Sie sich fest – tatsächlich zu handeln.

Satire ist, wenn man trotzdem lacht

Doch was bleibt uns, dem Publikum dieses grotesken Schauspiels? Wir könnten resignieren, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und unser Vertrauen in das politische System vollends verlieren. Oder wir könnten lachen. Lachen über die Absurdität, lachen über die Hohlheit der Worte, lachen über die groteske Tragikomödie, die sich Tag für Tag vor unseren Augen abspielt.

Denn, Hand aufs Herz, was bleibt uns anderes übrig? Womöglich ist Lachen die ehrlichste Form der Rebellion in einer Welt, die sich im Kreislauf von Gewalt, Betroffenheit und Passivität auflöst. Wir lachen nicht, weil es lustig ist, sondern weil die Alternative ein heilloses Schluchzen wäre. Und wenn wir den Kanzler das nächste Mal sagen hören, er sei es leid, könnten wir ihm mit einem Augenzwinkern zurufen: „Wir auch, Olaf. Wir auch.“

Die WHO, der kranke Mann der UNO

Diagnose einer Institution in Schieflage

Die Weltgesundheitsorganisation, liebe Leserinnen und Leser, jener angeblich omnipotente Wächter über das Wohl der Menschheit, taumelt seit Jahren wie ein Hypochonder in der Selbsthilfegruppe für gescheiterte Ideale. Einst ein stolzer Löwe im Dschungel der globalen Gesundheit, verkommt sie zusehends zu einem hechelnden Schoßhund, der sich zwischen den Füßen mächtiger Geldgeber windet, auf der Suche nach dem nächsten Leckerli – sei es in Form von großzügigen Spenden oder politischen Zugeständnissen. Einst gegründet, um der Welt Heilung und Hoffnung zu bringen, wirkt die WHO heute wie ein alternder Mediziner, der seine eigene Rezeptpflichtigkeit vergessen hat.

Die Bürokratie: Wenn Heilung an Formularen scheitert

Man stelle sich vor, ein internationaler Notfall bricht aus – eine Pandemie, sagen wir. Die WHO wird gerufen, ein Gremium, das, wenn man den Eigenbeschreibungen glauben darf, stets bereit ist, „umgehend zu handeln“. Doch was geschieht? Zuerst wird ein Notfallkomitee einberufen, das wiederum einen Unterausschuss bildet, der seinerseits eine Risikoanalyse anfertigen lässt. Bis die endgültige Entscheidung fällt, ob man das Ganze überhaupt als Notfall definieren will, sind bereits zigtausende Menschen gestorben, und ein Land hat sich selbst auf den Mond evakuiert. Doch keine Sorge: Die WHO veröffentlicht eine Pressemitteilung, in der sie „tiefe Besorgnis“ äußert und dazu aufruft, weiterhin „Vorsicht walten zu lassen“. Ein Akt der Weltrettung, minutiös protokolliert – in dreifacher Ausfertigung.

Die WHO-Bürokratie ist das Gesundheitssystem unter den Gesundheitssystemen: kostspielig, ineffizient und stets darauf bedacht, Symptome zu verwalten, anstatt Ursachen zu bekämpfen. Dabei gibt sie sich selbst den Anstrich von technokratischer Perfektion, während sie in Wirklichkeit kaum mehr ist als ein Flickenteppich aus regionalen Interessen, nationalen Egoismen und der Angst vor Verantwortung.

Finanzierung: Mit Zuckerbrot und Diktat

Was wäre eine internationale Organisation ohne ihre Gönner? Nichts weiter als ein zahnloser Tiger im Zoo der geopolitischen Machtspiele. Die WHO hat jedoch nicht nur die Zähne verloren – sie hat sie freiwillig abgegeben. Ihr jährliches Budget gleicht dem einer mittelgroßen Stadtverwaltung, ihre Abhängigkeit von privaten Spenden und den Launen mächtiger Staaten ist geradezu grotesk. In einer Welt, in der der Milliardär mit der größten Brieftasche mehr Einfluss auf globale Gesundheitsentscheidungen hat als die Generaldirektion, wird schnell klar: Die WHO ist keine unabhängige Institution, sondern ein Marionettentheater, bei dem die Strippen in Washington, Peking oder bei der Gates Foundation gezogen werden.

Man fragt sich: Ist es nicht geradezu zynisch, wenn die Organisation, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, für die Gesundheit der Ärmsten zu kämpfen, ausgerechnet von den Reichsten alimentiert wird? Die WHO mag dies als „Public-Private-Partnership“ bezeichnen; Kritiker hingegen könnten es treffender als „Public-Panhandling“ bezeichnen.

Krisenmanagement: Die Kunst, im entscheidenden Moment zu versagen

Es heißt, man solle niemals eine Krise ungenutzt verstreichen lassen. Die WHO hat diesen Satz offenbar so interpretiert, dass sie jede Krise zur Perfektion ignoriert. Ob es nun um Ebola, SARS oder COVID-19 geht – die Organisation hat eine bemerkenswerte Fähigkeit bewiesen, stets hinter den Ereignissen herzulaufen, anstatt sie aktiv zu gestalten. Ihre Reisehinweise während der Pandemie waren so präzise wie die Wettervorhersage einer Glaskugel, ihre Empfehlungen wechselten schneller als der Kurs des Bitcoins, und ihre Kommunikationsstrategie glich einer Mischung aus Phrasendrescherei und beschwichtigendem Schulterzucken.

Doch das eigentliche Meisterstück der WHO ist ihr Umgang mit autoritären Regimen. Anstatt Fehlverhalten offen zu kritisieren, übt sie sich in einer geradezu beängstigenden Kunst der diplomatischen Unterwerfung. Dass China bei der COVID-19-Pandemie monatelang kritische Informationen zurückgehalten hat, wurde von der WHO mit einem höflichen Nicken quittiert. Kein Wunder, denn wer beißt schon die Hand, die einen (mehr oder weniger) füttert?

Das Narrativ: Die Mär vom globalen Wächter

Die WHO liebt es, sich als moralische Instanz darzustellen – ein Leuchtturm in stürmischen Zeiten, ein Bollwerk gegen die Unvernunft. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine Organisation, die längst ihren eigenen Idealen entfremdet ist. Sie fordert von der Weltbevölkerung, die Wissenschaft zu respektieren, während sie selbst wissenschaftliche Standards immer wieder dem politischen Opportunismus opfert. Sie spricht von Transparenz, während sie selbst ein Labyrinth aus internen Machtkämpfen und verschlossenen Türen ist.

Die Wahrheit ist: Die WHO ist kein globaler Wächter, sondern ein Getriebener – von Geld, Macht und dem verzweifelten Versuch, relevant zu bleiben. Und wie alle Getriebenen verliert sie dabei das Ziel aus den Augen.

Der Patient braucht eine Therapie

Was bleibt also zu sagen über die WHO, den kranken Mann der UNO? Vielleicht dies: Sie ist weder Heilsbringer noch Teufel, sondern eine tragische Figur – gefangen in einem System, das sie selbst nicht mehr versteht. Doch während wir die Schwächen der WHO kritisieren, sollten wir nicht vergessen, dass sie auch ein Spiegel unserer Welt ist: einer Welt, die lieber Symptome lindert, als Ursachen zu beseitigen; die lieber redet, als handelt; und die lieber Schuldige sucht, als Verantwortung übernimmt.

Die WHO braucht eine Therapie, keine Schönheitsoperation. Ob sie diese Therapie je erhalten wird, hängt jedoch nicht von ihr allein ab. Es hängt von uns ab, den Bewohnern dieses kränkelnden Planeten, der sich einst anmaßte, das Zeitalter der Aufklärung eingeläutet zu haben – nur um dann vor den Herausforderungen seiner eigenen Ideen zu kapitulieren.

Naziland 2.0

Die Kunst, sich in moralischer Selbstgefälligkeit zu suhlen

Es war ein Satz, der in seiner Einfalt bestechend war, und doch hallte er durch die Medienlandschaft wie der Donner eines Sommergewitters, das plötzlich aus heiterem Himmel losbricht: „Es ist wieder so, dass wir das Naziland sind.“ Reinhard Fendrich, einst gefeierter Sänger und selbsternannter Kommentator des Zeitgeschehens, ließ diesen verbalen Molotowcocktail im Kontext eines Interviews über Österreichs politischen Zustand fallen. Was folgte, war erwartbar: Empörung, Zuspruch und vor allem die wiederkehrende Frage, die so oft im Raum steht, wenn sich Prominente zu politischen Themen äußern: Warum zur Hölle sagt er so etwas?

Der Vergleich, der keiner ist

Beginnen wir mit der ersten und offensichtlichsten Kritik: der Begriff „Naziland“. Es ist eine semantische Granate, die Fendrich hier wirft, eine bewusste Zuspitzung, die in ihrer groben Vereinfachung nicht nur die historischen Dimensionen des Nationalsozialismus missachtet, sondern auch den mühsamen Weg der Aufarbeitung ignoriert, den Länder wie Österreich – wenn auch widerwillig und oft schleppend – seit 1945 beschritten haben. Die 90er Jahre, auf die er sich bezieht, waren sicherlich geprägt von Fremdenfeindlichkeit, populistischem Aufwind und skandalträchtigen Politikern, die im Nachhinein eher als Karikaturen denn als ernstzunehmende Führungsfiguren erscheinen. Doch Naziland? Wirklich?

Der Begriff impliziert, dass die systematische Vernichtung von Millionen Menschen, die Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen und die Errichtung eines totalitären Terrorregimes mit den zeitgenössischen Missständen gleichzusetzen seien. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern auch moralisch fragwürdig. Wer das Leid der Opfer der Shoah auf diese Weise relativiert, begibt sich auf gefährliches Terrain. Und nein, Herr Fendrich, der Verweis darauf, dass Sie es „ja nicht so gemeint haben“, reicht hier nicht. Wer mit solchen Worten jongliert, muss auch bereit sein, die Konsequenzen ihrer Bedeutung zu tragen.

Die Pseudo-Moral der Empörung

Doch warum tut er es? Warum spricht jemand wie Reinhard Fendrich, der zweifellos kein dummer Mann ist, mit solcher Verbitterung? Die Antwort liegt in der Versuchung des Moralisierens. Es ist ein süßer Nektar, diese moralische Überlegenheit, die man spürt, wenn man sich als Verteidiger der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit, ja, der Demokratie selbst in Szene setzt. In einer Welt, die zunehmend von Unsicherheiten und Ambivalenzen geprägt ist, bietet der Vergleich mit dem Nationalsozialismus eine scheinbare Klarheit. Es gibt die Guten – und das sind selbstverständlich wir – und die Bösen, die irgendwo da draußen lauern, hinter Stammtischen und Wahlurnen. Ein solcher Vergleich, so infam er auch sein mag, erzeugt Aufmerksamkeit und erlaubt es, sich selbst auf die Seite der moralischen Sieger zu schlagen.

Doch genau hierin liegt die eigentliche Gefahr: die Inflation der Begriffe. Wenn alles, was uns heute nicht passt – ob das nun die Politik der FPÖ, der Klimawandel oder die schlechte Laune eines Nachbarn ist – mit dem Nationalsozialismus verglichen wird, entwerten wir nicht nur die Einzigartigkeit dieses historischen Verbrechens, sondern auch die Ernsthaftigkeit unserer eigenen Argumente. Es wird zum rhetorischen Bumerang, der schneller zurückkommt, als man ihn geworfen hat.

Humor und die Abgründe der Zynik

Aber, seien wir ehrlich, es gibt auch eine humorvolle Seite an der ganzen Sache. Der Gedanke, dass ausgerechnet Österreich – das Land, das sich jahrzehntelang damit abmühte, seinen Status als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ zu verteidigen, obwohl die historische Realität eine ganz andere Sprache spricht – nun plötzlich wieder zum „Naziland“ mutiert sein soll, hat eine gewisse absurde Komik. Man stellt sich vor, wie die Alpen plötzlich mit Hakenkreuzen übersät sind, Kühe „Sieg Heil“ muhen und die Sachertorten im Café Demel in Form von Swastikas serviert werden. Es ist eine groteske Karikatur, die Fendrich hier skizziert – vielleicht unfreiwillig, aber doch von einer schrägen Theatralik geprägt.

Die Verhöhnung der Opfer

Doch der Humor endet dort, wo die Opfer des Nationalsozialismus ins Spiel kommen. Denn jeder Satz wie dieser ist eine Ohrfeige für jene, die den Holocaust überlebt haben, für die Nachfahren derer, die in Auschwitz, Sobibor oder Buchenwald ermordet wurden, und für jene, die heute noch mit den Traumata ihrer Familiengeschichte kämpfen. Es ist eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber der Schwere dieser Verbrechen, die in solchen Äußerungen zum Vorschein kommt. Und es ist bezeichnend für eine Gesellschaft, die, so scheint es, den moralischen Kompass im Diskurs zunehmend verliert.

Ein Aufruf zur Präzision

Es wäre zu einfach, Fendrich nur zu verurteilen. Seine Aussage ist ein Symptom einer größeren Krise: der Krise des öffentlichen Diskurses. Wir leben in einer Zeit, in der Worte immer weniger wiegen und Vergleiche immer lauter werden. Es ist ein Zeitalter der Übertreibung, der Hyperbole, in dem man glaubt, nur noch mit der Keule gehört zu werden. Doch gerade deshalb ist es wichtiger denn je, sprachliche Präzision einzufordern. Wenn wir alles, was uns nicht passt, mit dem schlimmsten Kapitel unserer Geschichte gleichsetzen, berauben wir uns der Möglichkeit, die tatsächlichen Probleme zu benennen und zu lösen.

Das letzte Wort

Lieber Reinhard Fendrich, vielleicht war Ihr Satz gut gemeint, ein Appell an die Menschlichkeit, eine Warnung vor dem Abdriften in autoritäre Strukturen. Doch die Geschichte lehrt uns, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Mögen Ihre Worte ein Weckruf sein – nicht vor dem „Naziland“, sondern vor der Gefahr, dass wir durch solche Vergleiche die Fundamente unserer Diskussionskultur und unserer Erinnerungskultur untergraben. Ein bisschen weniger Pathos und ein bisschen mehr Nachdenken würden uns allen guttun. Oder, um es in Ihren eigenen Worten zu sagen: „Es lebe der Sport!“ Aber vielleicht gilt das auch für den intellektuellen Muskel.

Der Vergleich macht sie sicher

Das Land der Hymnensinger und der Maskenverweigerer

Es ist ein Bild, das uns Deutschen schwer zu begreifen scheint: Zwei Politiker aus verschiedenen Lagern, die sich gegenseitig die politische Existenz ruinieren wollen, stehen nebeneinander und singen die Nationalhymne. Keine Kinnlade klappt herunter, keine Twitter-Debatte bricht los, keine Schlagzeile titelt: „Skandal! Gemeinsam gesungen – Verrat am Wähler!“ Nein, das ist Alltag. Das nennt man Demokratie in ihrer postpubertären Phase. Und dann gibt es uns: das Land, in dem Friedrich Merz Alice Weidel nicht einmal grüßt, weil er befürchtet, ein einziges mürrisches Nicken könnte ihm die letzten Reste des politischen Anstands kosten, den er ohnehin nur noch als Ruine mit sich herumträgt.

In Deutschland sind wir keine Demokratie, wir sind ein Drama. Wir sind eine Netflix-Serie, deren Plot sich permanent überschlägt, ohne je zur Pointe zu kommen. Jeder zweite Deutsche glaubt, Demokratie sei kein Prozess, sondern eine emotionale Zerreißprobe. Wie Kinder, die das Spiel „Ich hab dich mehr lieb!“ mit einer nationalen Grundordnung verwechseln. Man feiert die moralische Überlegenheit wie andere den Abschluss eines Yoga-Kurses, verwechselte Prinzipientreue mit Selbstmord aus Angst vor dem Tod und bricht sich dabei vor lauter Reflexion permanent selbst das Rückgrat. Das ist keine Demokratie. Das ist eine Seifenoper in Sandalen.

Friedrich Merz, Alice Weidel und die Kunst der Nicht-Begegnung

Man stelle sich das vor: Friedrich Merz, jener Mann, der so aussieht, als hätte er als einziger Mensch der Welt einen Vertrag mit dem Thermomix über den Ausdruck von Emotionen abgeschlossen, trifft Alice Weidel, jene Personifikation von passiv-aggressivem Sarkasmus in Menschengestalt. Er sieht sie, sie sieht ihn, und statt eines simplen „Hallo“ bricht in Merz’ Kopf der interne Alarm los: „Was, wenn jemand denkt, ich stimme ihr zu?“ Dieser Gedanke ist der Todfeind jeder deutschen Debatte: Nicht, was du sagst, ist entscheidend, sondern was irgendwer glauben könnte, was du meinen könntest, wenn du nicht das sagst, was du hättest sagen sollen.

Das Ergebnis: In Deutschland ist politische Interaktion keine Debatte, sondern eine moralingetränkte Paranoia-Performance. Der Raum für Zwischentöne existiert nicht, weil wir ihn systematisch ausradiert haben. In den USA hingegen kann sich ein republikanischer Senator mit einem demokratischen Kollegen streiten, als gäbe es kein Morgen, und am Abend zusammen Whiskey trinken, als wäre es nie passiert. Hierzulande? Eine Einladung zum Essen mit jemandem aus der anderen Fraktion könnte eine Karriere beenden. Der Deutsche lebt politisch gesehen in permanenter Angst vor sozialer Kontamination.

Vom Prinzipienreiten und moralischen Exorzismen

Man könnte ja meinen, der Hang zu melodramatischen Prinzipienreitereien sei ein Symptom einer besonders reifen, ach so gewissenhaften Gesellschaft. Doch weit gefehlt! Prinzipien, die in anderen Ländern eine Stütze sind, werden hier zur Waffe. Es ist, als hätte der deutsche Michel einen moralischen Exorzisten in sich wohnen, der bei jeder Gelegenheit „Reinheit!“ schreit, sobald er meint, einen Anflug von Kompromiss oder, Gott bewahre, Menschlichkeit zu wittern.

Was Friedrich Merz also wirklich denkt, wenn er Alice Weidel nicht grüßt, ist nicht: „Ich lehne ihre Positionen ab.“ Es ist viel schlimmer. Er denkt: „Ich kann mir nicht leisten, dass irgendjemand glaubt, ich könnte ihre Existenz tolerieren.“ Diese Art von Reife hat nichts mit Demokratie zu tun. Das ist die politische Version einer toxischen Beziehung, in der beide Partner ständig so tun, als sei der andere gar nicht im Raum, während sie insgeheim jeden Satz des anderen aufschreiben, um ihn später bei einer Fernsehdiskussion als Waffe zu verwenden.

Demokratie als hysterische Selbstdarstellung

Woher kommt das, fragt man sich? Warum sind wir ein Volk, das demokratische Selbstbehauptung mit einem hysterischen Selbstdarstellungsdrama verwechselt? Vielleicht ist es die historische Schuld. Vielleicht ist es das Trauma, so lange keine Demokratie gehabt zu haben, dass wir uns jetzt nicht trauen, ihr zu vertrauen. Aber womöglich ist es noch simpler: Wir sind einfach ein Volk, das Drama liebt.

Nehmen wir den durchschnittlichen politischen Skandal in Deutschland. Es muss nichts Großes passieren. Ein falsch gesetztes Gendersternchen, ein unbedachtes Lächeln auf einem Foto mit der falschen Person – und schon ist die halbe Republik in Aufruhr. Auf Twitter tobt der Mob, in Talkshows wird geschwafelt, und im Bundestag rollen Köpfe, metaphorisch gesprochen. In einer reifen Demokratie würde man einfach sagen: „Fehler gemacht, weiter geht’s.“ In Deutschland sagt man: „Das ist das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen!“

Die Hymne als Lackmustest

Was also macht den Unterschied aus? Warum kann man in einem Land gemeinsam die Hymne singen, während man sich politisch an die Gurgel geht, und im anderen nicht einmal denselben Raum betreten? Die Antwort ist einfach und schmerzhaft: Vertrauen. Eine reife Demokratie vertraut darauf, dass ihre Institutionen stärker sind als ihre Schwächen. Eine hysterische Demokratie vertraut darauf, dass sie bei der kleinsten Berührung in sich zusammenfällt.

Der Deutsche glaubt, dass die Demokratie ein Kartenhaus ist, das jede Sekunde einstürzen könnte. Der Amerikaner, der Franzose, der Brite? Die wissen, dass sie eine Burg haben. Und so singen sie ihre Hymnen, streiten lautstark und gehen dann nach Hause. Und wir? Wir reden weiter darüber, ob Friedrich Merz Alice Weidel je grüßen wird. Was für eine Tragödie. Aber hey, wenigstens haben wir dabei unsere Prinzipien.

Die Absurdität der Verhältnismäßigkeit

Das große Märchen von der westlichen Moral

Die westliche Welt, jenes viel gerühmte Bollwerk der Vernunft, der Rechtsstaatlichkeit und der moralischen Überlegenheit, scheint keine Mühen zu scheuen, sich in regelmäßigen Abständen selbst zu demontieren. Ein jüngstes Paradebeispiel für die groteske Hybris und die selektive Empathie, die sich im Umgang mit Israel manifestiert, ist der skandalös unausgewogene Austausch von 1.890(!) – ja, Sie haben richtig gelesen – Verbrechern, darunter nicht selten unbelehrbare Wiederholungstäter und fanatische Extremisten, gegen 33 unschuldige Geiseln. Wobei das Wort „unschuldig“ hier fast schon wie ein Hohn klingt, da diese Menschen in der westlichen Diskussion weniger als Individuen, sondern vielmehr als kalkulierte Spielfiguren betrachtet werden, deren Wert bestenfalls in Symbolik gemessen wird.

Man könnte meinen, die Frage nach der Lebensfähigkeit einer moralischen Ordnung, die solche „Deals“ als akzeptabel erachtet, würde wenigstens ein mageres Fünkchen Skepsis hervorrufen. Doch weit gefehlt. Stattdessen beklatscht ein Chor aus wohlmeinenden Bessermenschen, flankiert von einer chronisch inkompetenten politischen Elite, diese Farce als „humanitären Triumph“. Applaus für die Täuschung – das ist die Devise.

Der Zynismus des Tauschhandels

Man stelle sich eine ähnliche Situation in einem anderen Kontext vor. Wäre es vorstellbar, dass beispielsweise ein europäischer Staat 1.890 Mörder, Vergewaltiger und Terroristen freilässt, um 33 Bürger zurückzubekommen, deren Überleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal garantiert ist? Nein, natürlich nicht. Ein solches Szenario würde in Europa als skandalöser Präzedenzfall gelten, als Einladung zur Anarchie, als Kapitulation vor krimineller Erpressung. Aber für Israel gelten – wie so oft – andere Maßstäbe.

Israel, jenes Land, das scheinbar dazu verdammt ist, als moralisches und militärisches Versuchskaninchen der Weltgemeinschaft herzuhalten, soll sich nicht nur mit der geopolitischen Realität umgeben von Feinden abfinden, sondern dabei auch noch die schwerfälligen, naiven Ideale der „zivilisierten Welt“ exekutieren. Dass diese Welt jedoch selbst weder zivilisiert noch konsequent in ihren Werten ist, wird an diesem grotesken Austausch besonders deutlich.

Ein Land wie Israel, das täglich mit dem realen Risiko terroristischer Angriffe lebt, wird von den gleichen Stimmen, die es ansonsten zur Zurückhaltung mahnen, nun dazu gedrängt, eine geradezu masochistische Form von „Verhältnismäßigkeit“ an den Tag zu legen. Die Opfer des Terrors? Sicherlich bedauernswert, aber die Täter? Oh, die verdienen selbstverständlich eine zweite Chance – oder vielleicht eine dritte oder vierte, solange sich die Schuldfrage in den Konferenzräumen der westlichen Diplomatie angenehm theoretisch hält.

Die selektive Empathie der westlichen Moralapostel

Es ist fast schon belustigend, wie inkonsequent die moralischen Maßstäbe der selbsternannten Bessermenschen zur Anwendung kommen. Dieselben Stimmen, die sich für die Freilassung tausender palästinensischer Häftlinge starkmachen – ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was diese Personen im Namen ihrer Ideologie angerichtet haben –, finden es völlig unproblematisch, Israel für jeden Schlagabtausch mit der Hisbollah oder der Hamas zu dämonisieren.

Dabei wird stets betont, dass „Gewalt niemals die Lösung“ sei. Gewalt ist in diesem Diskurs allerdings nur dann moralisch verwerflich, wenn sie von israelischer Seite ausgeht. Bombenanschläge auf Busse, Raketenangriffe auf Wohngebiete oder Messerattacken auf Zivilisten? Tragisch, sicherlich, aber bitte verstehen Sie doch: Das hat „strukturelle Ursachen“. Was sind schon ein paar zerfetzte Körper in Tel Aviv gegen die abstrakten, postkolonialistisch durchtränkten Theorien, die sich in den klimatisierten Büros westlicher Universitäten so angenehm formulieren lassen?

Die Geiseln, deren Freilassung hier angeblich ausgehandelt wird, sind in der westlichen Wahrnehmung keine Menschen aus Fleisch und Blut. Sie sind Symbole, Platzhalter, bestenfalls Kollateralschäden einer politischen Debatte, die längst nicht mehr um das Schicksal von Individuen kreist, sondern nur noch um die Frage, wie weit man Israel delegitimieren kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

Das Prinzip der moralischen Erpressung

Der eigentliche Skandal jedoch ist nicht nur der Austausch selbst, sondern das Prinzip, das dahintersteht: die institutionalisierte moralische Erpressung. Es ist ein Spiel, dessen Regeln Israel von Anfang an aufgezwungen wurden. Denn es ist nicht so, dass die westliche Welt wirklich glaubt, dass ein solcher Deal „fair“ oder „gerecht“ sei. Vielmehr ist es ein Mittel zum Zweck, ein weiterer Versuch, Israel in die Schranken zu weisen und es gleichzeitig zur Einhaltung von Standards zu zwingen, die für kein anderes Land dieser Welt gelten.

Man könnte fast meinen, die moralische Überlegenheit der westlichen Welt speist sich aus ihrer Bereitschaft, Israel systematisch an die Wand zu stellen. Die Logik dahinter? Je schwächer Israel erscheint, desto größer fühlt sich die moralische Befriedigung seiner Kritiker an. Dass dabei jedoch das Recht der Israelis auf ein sicheres Leben in Frieden und Würde konsequent mit Füßen getreten wird, interessiert kaum jemanden.

Eine Farce mit Ansage – und ein Blick in den Abgrund

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass in der westlichen Wahrnehmung jede Grausamkeit, jeder Kompromiss und jede Erniedrigung gerechtfertigt wird, solange sie mit dem vermeintlichen Ziel der „Deeskalation“ geschieht. Doch was für eine Welt hinterlässt diese Haltung? Eine, in der das Leben eines Terroristen am Ende mehr zählt als das eines unschuldigen Kindes in Israel? Eine, in der moralische Prinzipien nach Belieben gebogen werden, solange es der „richtigen“ Sache dient?

Israel mag sich an diesen grotesken Austausch gewöhnt haben, aber der Preis ist hoch. Jeder dieser Deals untergräbt die Prinzipien, die die internationale Gemeinschaft angeblich verteidigen will. Die wahre Frage ist jedoch: Wann wird die westliche Welt erkennen, dass ihre Doppelstandards nicht nur Israel, sondern auch sie selbst ruinieren?

Denn wer Gerechtigkeit in Relation zu politischer Opportunität setzt, verliert am Ende jede Glaubwürdigkeit. Und was bleibt dann noch? Ein zynisches Lächeln vielleicht – aber keine Moral.

So beginnen Genozide

Der erste Tropfen auf dem heißen Stein der Unmenschlichkeit

Es beginnt immer harmlos. Ein kleiner Tropfen im Ozean der scheinbaren Normalität, kaum wahrnehmbar, ein Flüstern in den Wäldern des gesellschaftlichen Diskurses. Tampons – unscheinbar, hygienisch, winzig – verschwinden aus den Männertoiletten. Zunächst nimmt niemand Notiz davon. Warum auch? Schließlich, so das Narrativ der ewig-gestrigen Pragmatiker, „brauchen Männer keine Tampons.“ Ein Satz, so gefährlich einfach, dass er geradezu nach einem Orwell’schen Newspeak-Dekret riecht. Denn hinter dieser harmlos wirkenden Feststellung lauert das Monstrum der Dehumanisierung, des Ausschlusses und der schleichenden Zerstörung jener Brücken, die uns zu einer menschlichen Gemeinschaft machen.

Der Angriff auf die Tampons in Männertoiletten ist kein logistisches Missverständnis, sondern die erste Salve einer ideologischen Kriegserklärung. Es ist ein Signal an jene, die anders sind, die sich nicht in die festgezurrten Raster einer rigiden, binären Ordnung pressen lassen wollen: „Du bist hier nicht willkommen.“

Warum Kleinigkeiten große Dramen erzeugen

Tampons sind mehr als nur Wattestäbchen mit PR-Strategie. Sie sind ein Symbol für Inklusion, Verständnis und die Fähigkeit einer Gesellschaft, den komplexen Realitäten des menschlichen Körpers mit Würde und Respekt zu begegnen. Das Entfernen von Tampons aus Männertoiletten ist daher keine Frage der Logistik, sondern ein Statement. Ein Statement, das ungefähr so klingt: „Deine Realität ist uns egal. Deine Bedürfnisse sind irrelevant. Passe dich an oder gehe.“

Man stelle sich vor, jemand würde die Seife aus öffentlichen Waschräumen entfernen, mit der Begründung, dass die meisten Menschen eh Handsanitizer benutzen. Der Aufschrei wäre universell. Und doch scheint das Verschwinden von Tampons, einem Produkt, das einen spezifischen Teil der Bevölkerung betrifft, mit einem Schulterzucken quittiert zu werden. Ist das die Tragödie oder der Witz der modernen Welt?

Natürlich bleibt uns der humorvolle Blick auf die Absurdität dieser Argumentation. Es ist, als würde man sagen, dass Rollstuhlrampen in öffentlichen Gebäuden überflüssig sind, weil die Mehrheit der Menschen ja problemlos Treppen steigen kann. Die Logik ist dieselbe – nur versteckt hinter dem dünnen Schleier der scheinbaren Vernunft, der immer dann besonders modisch ist, wenn es darum geht, die Privilegierten in ihren Komfortzonen zu belassen.

Von kleinen Gesten zum Abgrund der Barbarei

Manche werden jetzt argumentieren, dass dies doch alles übertrieben sei. Dass das Fehlen von Tampons in Männertoiletten wohl kaum der Vorbote eines Genozids sein könne. Doch die Geschichte zeigt uns, dass der Weg zur Hölle stets mit kleinen, unscheinbaren Schritten gepflastert ist. Die ersten Dekrete der Entrechtung kommen nie in Form von Massenhinrichtungen daher. Sie beginnen mit einer subtilen Verschiebung der Grenzen des Akzeptablen.

Es ist die Logik der kleinen Schritte, des schleichenden Normalisierens von Diskriminierung. Heute sind es Tampons. Morgen sind es geschlechtsneutrale Toiletten. Übermorgen vielleicht die schlichte Existenzberechtigung derjenigen, die aus dem Rahmen fallen.

Die historische Kontinuität des Hasses ist stets gepflastert mit vermeintlichen Petitessen. Und wer denkt, die Tampons in Männertoiletten seien ein unbedeutendes Detail, der hat die Dynamik der Ausgrenzung nicht verstanden.

Der Zynismus des Fortschritts und das Lächeln des Zerstörers

Natürlich könnte man das Ganze auch mit einem Augenzwinkern betrachten. Schließlich ist es fast schon grotesk, dass ausgerechnet Tampons, diese winzigen, unscheinbaren Hilfsmittel des Alltags, zur politischen Kampfzone geworden sind. Man stelle sich den stillen Triumph eines bürokratischen Apparatschiks vor, der mit ernster Miene und einem Hauch von Selbstzufriedenheit den Antrag unterschreibt: „Entfernung von Tampons aus Männertoiletten – Begründung: Unnötige Ausgaben.“

Die Komik liegt in der Tragik verborgen, und der Zynismus dieser Entscheidung offenbart sich in ihrer Absurdität. Denn es geht nicht um Geld. Es geht nicht um Platzmangel. Es geht nicht einmal um die Tampons selbst. Es geht um Macht, um Kontrolle, um die Botschaft, dass die Bedürfnisse einer Minderheit nicht zählen. Es ist ein Lächeln, das sagt: „Wir können es uns leisten, euch zu ignorieren.“

Der Weg aus der Toilette führt ins Herz der Menschlichkeit

Die Frage, ob Tampons in Männertoiletten notwendig sind, ist nicht nur eine Frage der Hygiene. Sie ist eine Frage der Gesellschaft, der Werte, der Menschlichkeit. Es geht darum, ob wir bereit sind, die Welt nicht nur durch unsere eigenen Augen zu sehen, sondern durch die Augen derer, die anders sind.

Wenn wir zulassen, dass die kleinen Zeichen der Inklusion verschwinden, dann öffnen wir die Tür für größere Ungerechtigkeiten. Die Tampons in Männertoiletten sind keine Nebensache. Sie sind ein Symbol. Ein Symbol dafür, dass jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Identität oder Biologie, das Recht hat, gesehen, gehört und respektiert zu werden.

So beginnt ein Genozid: Nicht mit Gewehren, sondern mit Ignoranz. Nicht mit Hass, sondern mit Gleichgültigkeit. Und vielleicht, nur vielleicht, beginnt die Rettung unserer Menschlichkeit dort, wo wir am wenigsten damit rechnen – auf den stillen Örtchen der Welt.

Das ungekrönte Haupt der Gerechtigkeit

Die Kunst, sich lächerlich zu machen

Man muss schon sagen, Wolfgang Mazal versteht es, die Kunst des intellektuellen Feuerwerks mit der Präzision eines unermüdlichen Feuerwehrmanns zu löschen. Kaum hat die Öffentlichkeit Luft geholt nach der Empörung über sein unrichtiges Gutachten zur Indexierung der Kinderbeihilfen – einem beispiellosen Akt juristischer Verrenkungen, der wie ein gymnastisches Meisterstück wirken sollte, aber eher an einen misslungenen Purzelbaum erinnerte –, da setzt der Herr Arbeitsrechtler und Familieninstitutsvorstand noch einen drauf. Diesmal, mit einem Vorschlag, der so kühn ist, dass man fast vergisst, wie absurd er ist: Eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten. Der Grund? Sie haben es gewagt, zu wenige Kinder in die Welt zu setzen. Ja, Sie haben richtig gehört: Die Generation, die jahrzehntelang einbruchsicher in die Sozialversicherung einzahlte, soll jetzt die Rechnung für die demografischen Versäumnisse begleichen.

Ein Geniestreich der Umverteilung

In Mazals Gedankenwelt, die man sich wie einen Kafkaesken Traum mit gelegentlichen Einschüben von Monty Python vorstellen kann, ist Gerechtigkeit nicht etwa eine universelle Idee, sondern ein formbares Konzept, das sich wie Knetmasse an die jeweilige politische Agenda anpasst. Man fragt sich unweigerlich, ob dieser Mann in seiner Freizeit vielleicht den „Rechtsstaat“ als Kunstprojekt versteht und ihn mit einem Vorschlaghammer modelliert.

Sein Argument: Pensionisten hätten während ihrer Erwerbsjahre weniger Kinder bekommen und daher weniger zur Bevölkerungsreproduktion beigetragen. Das bedeutet, sie haben – jetzt halten Sie sich fest – mehr von ihrem Einkommen für sich selbst behalten! Welch skandalöse Vorstellung: Menschen, die sich anmaßen, ihre Lebensführung selbst zu bestimmen, statt sie dem heiligen Altar der demografischen Statistiken zu opfern. Mazal scheint hier die Art von Denker zu sein, die nachts wachliegt und sich fragt, wie viele Kinder wohl Aristoteles gehabt hätte, um seinen Beitrag zur antiken Rentenkasse zu leisten.

Die Logik eines Taschenrechners mit Kurzschluss

Die Polemik des Vorschlags ist nicht nur intellektuell beleidigend, sondern auch frappierend unsinnig. Wenn wir Mazals Argument ernst nehmen – was wir nicht sollten, aber für den Spaß der Sache einmal tun –, dann müsste jede Frau, die keine fünf Kinder zur Welt bringt, künftig auch ein separates CO₂-Ausgleichsformular ausfüllen. Schließlich tragen sie durch den Mangel an zukünftigen Arbeitnehmern mehr zur Klimabelastung bei, weil es weniger junge Menschen gibt, die für den Umstieg auf grüne Energie arbeiten können. Klingt lächerlich? Willkommen in der Welt des Mazalismus.

Abgesehen davon blendet der Vorschlag eine entscheidende Tatsache aus: Es ist nicht die Aufgabe von Pensionisten, dem Staat „Kindernachschub“ zu garantieren, sondern die des Staates, ein System zu schaffen, das diese Nachschubfrage durch vernünftige Sozial- und Wirtschaftspolitik löst. Aber warum Lösungen suchen, wenn Schuldzuweisungen so viel mehr Spaß machen?

Die Pensionisten als Staatsfeinde

In Mazals Universum scheinen Pensionisten ohnehin die natürlichen Feinde der Gesellschaft zu sein. Sie sind nicht nur dafür verantwortlich, dass die Rentenkassen leer sind, sondern offenbar auch für die allgemeine Schieflage der Welt. Hätte es sie nicht gegeben, wäre alles besser. Doch bevor wir den Seniorenverbänden empfehlen, sich schon mal auf die Fahndungslisten zu setzen, sollten wir uns fragen: Wer hat eigentlich diese Generation erzogen? Oh, das waren die Vorgänger, die offenbar noch mehr Kinder hatten. Mit anderen Worten: Mazals Logik ist ein Möbiusband, das sich so lange um sich selbst dreht, bis der Unsinn als Geniestreich verkauft wird.

Satire oder traurige Realität?

Die eigentliche Frage ist jedoch: Glaubt Mazal selbst, was er sagt, oder ist er nur ein besonders zynischer Karrierist, der weiß, wie man die öffentliche Debatte mit absurden Vorschlägen so sehr anheizt, dass niemand mehr merkt, wie ungerecht die Ausgangslage ist? Wenn ja, dann könnte man fast Respekt für die Dreistigkeit aufbringen. Aber nur fast. Denn in einem Punkt irrt Herr Mazal gewaltig: Zynismus allein ist noch keine Gerechtigkeit, und Polemik ersetzt keine Argumente.

Am Ende bleibt nur ein schaler Nachgeschmack. Der Gedanke, dass jemand wie Mazal als ernstzunehmender Experte gilt, ist nicht nur eine Beleidigung für jeden echten Arbeitsrechtler, sondern auch ein bitterer Spiegel für eine Gesellschaft, die bereit ist, die Schwächsten immer wieder zur Kasse zu bitten. Doch immerhin hat er uns eines bewiesen: Satire ist überflüssig, wenn die Realität so schamlos absurd ist.

Kürzungen im Sozialbereich

Ein Triumph der Empathielosigkeit

Es ist wieder einmal so weit: Die Botschaft hallt aus den Hallen des Elfenbeinturms der Ökonomie herab, herab auf jene Erdenschicht, in der sich die meisten Menschen mühselig durch ihren Alltag wühlen. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat der künftigen deutschen Regierung geraten, im Sozialbereich zu kürzen. Diese Aussage hat die Eleganz eines chirurgischen Schnitts, doch mit der Präzision eines Holzfällers, der sich an einem Bonsai-Baum versucht. Ach, wie treffend, wie wohlkalkuliert – oder eben doch nur das nächste Kapitel im Märchenbuch des neoliberalen Wirtschaftsglaubens, in dem der Markt allwissend, allgütig und allmächtig ist.

Fuest denkt auch an „Erleichterungen für Unternehmen“, jenen tapferen Titanen, die unter der unbarmherzigen Last von Steuern, Regulierung und einem Minimum an sozialer Verantwortung ächzen. Doch sind es nicht dieselben Unternehmen, die seit Jahren Steuererleichterungen genießen, die gern Subventionen annehmen, aber beim kleinsten Hauch von Solidarität in Ohnmacht fallen? Es ist fast rührend, wie selbstlos diese Profitmaximierer in den Mittelpunkt der ökonomischen Diskussion gerückt werden, während jene, die die eigentliche Arbeit leisten, im Schatten stehen gelassen werden, um nicht die glänzende Fassade der Märkte zu stören.

Wem dient der Sozialstaat? Spoiler: Nicht der Wirtschaft

Kürzen im Sozialbereich – das klingt so pragmatisch, so rational, so … notwendig. Das sind die Worte, die uns Fuest und seinesgleichen einreden, mit einem Lächeln, das so viel Wärme ausstrahlt wie die Steuerabteilung eines Großkonzerns. Doch was steckt hinter dieser Logik? Es ist die Annahme, dass der Sozialstaat in erster Linie ein Hindernis für das Wirtschaftswachstum sei, ein Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt. Dass der Sozialstaat kein Selbstzweck ist, sondern ein Instrument, um das Leben der Menschen zu verbessern, scheint in der Logik der Marktjünger keine Rolle zu spielen. Nein, der Mensch wird hier nicht als Bürger gesehen, nicht als Träger von Rechten, sondern als Arbeitskraft, als Kostenstelle, als etwas, das optimiert werden muss.

Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass gerade ein starker Sozialstaat die Grundlage für eine stabile Wirtschaft ist. Wer sich nicht sorgen muss, wie er die nächste Miete bezahlt, wer Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung hat, der kann innovativ sein, der kann Risiken eingehen, der kann … oh, Moment, das klingt fast wie das Idealbild eines Unternehmers. Aber dieser Gedanke passt natürlich nicht in das Weltbild derjenigen, die den Sozialstaat als Bürde betrachten, als unnötigen Luxus in einer Welt, in der Profit das einzige Maß aller Dinge ist.

Die Wirtschaft als Krone der Schöpfung

„Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut“, heißt es. Aber wer ist „die Wirtschaft“? Ist es der Kleinunternehmer, der jeden Tag ums Überleben kämpft? Oder sind es die Konzerne, deren Vorstände Boni in Millionenhöhe kassieren, während sie Arbeitsplätze abbauen und Steueroasen nutzen? Wenn von „der Wirtschaft“ die Rede ist, dann scheint es stets um diese Letzteren zu gehen, jene abstrakten Entitäten, die weder Mitgefühl noch Moral kennen und deren einziges Ziel die Steigerung des Shareholder Value ist.

Doch was passiert, wenn man „die Wirtschaft“ auf Kosten des Sozialstaats stärkt? Man bekommt ein System, in dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Ein System, in dem soziale Mobilität ein Relikt aus einer besseren Vergangenheit ist. Ein System, in dem die Menschen nicht mehr nach oben schauen, weil sie aufsteigen wollen, sondern weil sie die nächste Hiobsbotschaft erwarten, die auf sie herabregnet.

Und dennoch wird uns dieser Satz immer wieder vorgebetet, wie ein religiöses Mantra. Es ist eine Glaubensfrage, kein ökonomischer Fakt. Denn in Wahrheit geht es der Wirtschaft nicht dann gut, wenn es uns allen gut geht, sondern wenn die Profite sprudeln – ganz gleich, wie es den Menschen dahinter geht. Und hier liegt der Kern des Problems: Die Wirtschaft dient nicht dem Menschen, sondern der Mensch der Wirtschaft. Und das ist der eigentliche Skandal.

Eine Polemik mit einem Augenzwinkern

Nun könnte man sagen, dass all diese Gedanken reichlich zynisch sind. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn man auf Vorschläge wie die von Herrn Fuest blickt? Es ist doch geradezu grotesk, wie unverblümt hier suggeriert wird, dass die Lösung für alle wirtschaftlichen Probleme darin besteht, die Schwächsten noch weiter zu belasten. Es ist, als würde man einem Mann, der im Regen steht, den Schirm wegnehmen, damit er lernt, härter zu arbeiten. Doch der Witz ist: Man erwartet gar nicht, dass er härter arbeitet. Man erwartet nur, dass er still leidet.

Am Ende bleibt uns nur der Humor, um dieser Absurdität zu begegnen. Vielleicht sollten wir Herrn Fuest vorschlagen, nicht nur den Sozialbereich zu kürzen, sondern gleich alle sozialen Errungenschaften der letzten 150 Jahre abzuschaffen. Warum nicht gleich das Kinderarbeitsschutzgesetz aufheben? Das könnte doch die Produktivität steigern! Und wenn wir schon dabei sind, wie wäre es mit der Wiedereinführung des Zehnten? Schließlich muss ja irgendjemand die Steuerlast tragen, wenn die Unternehmen sie nicht mehr tun.

Ein Scherbenhaufen als Zukunftsmodell

Es ist leicht, polemisch zu sein, wenn man solche Vorschläge hört, und schwer, es nicht zu sein. Denn hinter der sachlich klingenden Forderung nach Kürzungen im Sozialbereich steckt nichts weniger als eine Bankrotterklärung der Solidarität. Es ist der Versuch, die soziale Frage mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen – auf Kosten jener, die ohnehin schon am meisten zu kämpfen haben.

Doch vielleicht ist dies der Punkt, an dem wir anfangen sollten, die Dinge umzudrehen. Vielleicht sollten wir nicht länger fragen, wie wir die Wirtschaft entlasten können, sondern wie die Wirtschaft die Menschen entlasten kann. Vielleicht sollten wir nicht länger darauf warten, dass die Segnungen des Marktes zu uns herabregnen, sondern selbst entscheiden, wie wir in einer gerechten Gesellschaft leben wollen.

Bis dahin bleibt uns nur, Herrn Fuest für seinen „mutigen“ Vorschlag zu danken – und ihn höflich, aber bestimmt in die Mottenkiste der Ideen zu befördern, die besser niemals umgesetzt werden. Denn eines ist sicher: Kürzungen im Sozialbereich mögen der Wirtschaft kurzfristig helfen, aber sie schaden langfristig uns allen. Und das ist weder pragmatisch noch rational – das ist einfach nur kurzsichtig.

Reisschalen und Kohlekraftwerke

Die Welt retten mit Robert Habeck

Beginnen wir mit einer unromantischen Tatsache: Jeden Tag müssen in China und Indien zusammen über 2,8 Milliarden Menschen essen. Und nein, es handelt sich hierbei nicht um eine abstrakte Zahl, die sich auf einem grünen Parteitag in eine PowerPoint-Präsentation kleben lässt. Nein, das sind echte Menschen – mit echten Mägen, die echte Nahrung verlangen. Dabei reden wir nicht von fair gehandelten Bio-Bananen aus Lateinamerika, die im Zero-Waste-Laden für fünf Euro pro Stück erworben werden können. Es geht um Reis. Brot. Dal. Öl. Dinge, die sättigen, und zwar jetzt.

Doch weil es sich um die Zukunft der Menschheit handelt, gibt es immer einen moralisch hoch erhobenen Zeigefinger aus dem globalen Norden, der die Frage stellt: Muss es wirklich Reis sein? Wäre nicht Quinoa eine klimafreundlichere Option? Vielleicht, aber der durchschnittliche Reisfarmer aus Uttar Pradesh hat wenig Zeit, sich die Unterschiede zwischen einer Erbse und einer Pseudogetreidepflanze zu ergoogeln, während er mit einer Spitzhacke und 40 Grad Hitze gegen Erosion kämpft.

Der deutsche Mann als Weltretter – Ein Exportschlager

Und hier kommt er ins Spiel: Robert Habeck, der selbsternannte Erzähler der Zukunft, Autor zahlreicher Kinderbücher, die so erfolgreich sind wie die deutsche Energiewende. Habeck, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jedem Land auf der Welt zu erklären, wie Klimapolitik „richtig“ geht, weil Deutschland es ja schließlich auch geschafft hat, seine Energiepreise auf ein Niveau zu bringen, bei dem die meisten Inder eher glauben, es handle sich um das Bruttoinlandsprodukt eines Kleinstaates.

Es ist ein faszinierendes Spektakel: Ein Mann aus einem Land mit weniger Einwohnern als der Großraum Peking erklärt einem Land wie Indien, warum Kohlekraftwerke abgeschafft gehören. Der gleiche Mann, wohlgemerkt, der daheim auf Flüssiggas aus Katar zurückgreift, weil der moralische Imperativ endet, wenn es um die Heizkosten der Mittelschicht geht. Aber das versteht der Inder natürlich nicht, denn er lebt ja – wie der Deutsche gern glaubt – irgendwo in einem exotischen Bollywood-Traum, umgeben von Spiritualität, Yoga und Kühen. Wer denkt da schon an Strom?

Das koloniale Erbe der gut gemeinten Ratschläge

Ironischerweise erinnern die moralinsauren Appelle an Indien und China an die besten Zeiten europäischer Missionsarbeit. Damals kamen die Kolonialherren nicht nur mit Bibeln, sondern auch mit der Gewissheit, dass der weiße Mann den braunen Menschen unbedingt beibringen müsse, wie man zivilisiert lebt. Heute ist die Bibel durch die 1,5-Grad-Grenze ersetzt worden, aber die Arroganz bleibt die gleiche: Wie könnt ihr es wagen, die gleichen Fehler zu wiederholen, die wir gemacht haben?

Die Antwort aus Indien und China, hätte sie die sprachliche Eleganz eines Goethe, könnte lauten: „Wir wiederholen nicht eure Fehler, wir lernen aus ihnen. Wir wollen nicht mit einem ineffizienten Energiesystem enden, das weder die Wirtschaft ankurbelt noch die Bevölkerung ernährt.“ Doch meistens fällt die Antwort kürzer aus: „Danke für die Sorge, aber wir haben Wichtigeres zu tun.“

Die unangenehme Wahrheit über Moral und Magen

Das Problem mit der europäischen Klimamoral ist ihre selektive Blindheit. Sie blendet aus, dass Entwicklungsländer nicht aus Spaß Kohlekraftwerke bauen, sondern weil sie funktionieren. Kohle mag schmutzig sein, aber sie ist zuverlässig, billig und – vor allem – reichlich vorhanden. Was sollte die Alternative sein? Solarpanele, die im Monsunregen versagen? Windräder, die bei Flaute stillstehen? Atomkraft? Oh, pardon, das wäre dann ja wieder unethisch.

Das eigentliche Problem ist, dass der Westen gerne so tut, als ginge es bei Klimapolitik ausschließlich um Ethik. Dabei ist sie ein gnadenlos pragmatisches Geschäft, bei dem es darum geht, den Laden am Laufen zu halten – oder eben nicht. Und während Europa über Dekarbonisierung philosophiert, macht China Nägel mit Köpfen und baut nicht nur Kohlekraftwerke, sondern auch die Infrastruktur für Solar, Wind und Atom. Nicht, weil sie eine Wahl haben, sondern weil sie keine Wahl haben.

Vom Wert eines guten Schweigens

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Europa, und insbesondere seine lautesten Politiker, einmal innehalten. Nicht, um die nächste Apokalypse zu predigen, sondern um zuzuhören. Denn es könnte sein, dass Länder wie Indien und China längst Lösungen erarbeiten, die weniger moralisch, dafür aber realistischer sind. Es könnte sein, dass man von ihnen lernen kann.

Doch das würde bedeuten, das Ego hintanzustellen – und das ist eine Disziplin, die der westliche Weltretter nicht beherrscht. Stattdessen gibt es Sonntagsreden, Flugreisen zu UN-Klimakonferenzen und das Versprechen, dass wir „die Welt retten können“, wenn alle nur bereit sind, ein bisschen Verzicht zu üben. Kleiner Hinweis: Für jemanden, der mit zwei Dollar am Tag überleben muss, klingt „Verzicht“ eher wie ein schlechter Witz.

Reis und Respekt statt Ratschläge

Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Länder wie China und Indien ihre Bevölkerung ernähren und mit Energie versorgen müssen – mit oder ohne europäische Belehrungen. Und vielleicht sollten wir uns darauf konzentrieren, erst einmal unsere eigenen Hausaufgaben zu machen, bevor wir anderen die ihren erklären. Denn die Moral von der Geschichte ist so simpel wie der Reis in einer Schale: Es ist leicht, von oben herab über Ethik zu sprechen, wenn der eigene Magen voll ist.

Alle Jahre wieder Davos

Eine Stadt im Ausnahmezustand

Es ist wieder soweit: Das idyllische Bergdorf Davos verwandelt sich in eine Festung aus Blaulichtern, gepanzerten Limousinen und temporären Helikopterlandeplätzen. Die Straßen, sonst der Inbegriff alpiner Beschaulichkeit, mutieren zu einem schillernden Laufsteg der Globalisierung, auf dem milliardenschwere CEOs, technokratische Visionäre und politisch Verantwortliche Schulter an Schulter mit Influencern und Lobbyisten flanieren – stets unter dem dezenten Geleit diverser Sicherheitskräfte.

Doch die wahre Magie liegt nicht in den greifbaren Dingen. Nein, sie schwebt wie ein unsichtbarer Duft aus Privatchampagner über dem Kongresszentrum. Es ist das Versprechen, dass hier nicht weniger als die Zukunft der Menschheit diskutiert wird – oder zumindest die Zukunft jener, die sich eine Karte für den inneren Zirkel leisten können.

Eine oxymoronische Liebesgeschichte

Das diesjährige Motto, „Zusammenarbeit für das Zeitalter der Intelligenz“, mutet an wie der Klappentext eines schlecht verkauften Science-Fiction-Romans. Zusammenarbeit? Ja, natürlich, aber nur, solange der andere zuerst kooperiert. Intelligenz? Unbedingt, aber bitte ausschließlich im Sinne einer KI-gestützten Maximierung von Renditen.

Was hier auf Hochglanzfolien mit Buzzwords wie „nachhaltige Innovation“ oder „resiliente Lieferketten“ daherkommt, übersetzt sich in der Praxis oft in: „Wie können wir gemeinsam die besten Steueroasen optimieren?“ Oder: „Welche Algorithmen sorgen dafür, dass der Konsument nie merkt, wie wenig Wert wir ihm tatsächlich zurückgeben?“ Es ist eine beeindruckende Leistung der semantischen Gymnastik, dass sich aus diesen Prämissen immer wieder neue Narrative für die Pressekonferenz destillieren lassen.

Das inoffizielle Rahmenprogramm

Während tagsüber Panels zur Frage stattfinden, wie man die globale Armut bekämpft, geben die Abende eine andere Antwort: Man umgeht sie elegant, indem man sich mit Gleichgesinnten in Private Lounges zurückzieht – und dort ungestört über steigende Gewinnmargen plaudert.

Die vielleicht ehrlichste Branche, die sich zum WEF in Davos einfindet, bleibt dabei die der Escort-Dienstleistungen. Die schillernde Hypokrisie des Forums zeigt sich nirgends deutlicher als hier: Auf den Panels wird über Frauenrechte und Inklusion referiert, während abends dasselbe Publikum in luxuriösen Chalets diskrete Besuche empfängt. Der Umsatz? Bis zu zehn Millionen Dollar – das Zehnfache dessen, was vermutlich in den Workshops zur Armutsbekämpfung realistisch veranschlagt wird.

Dabei haben die Escort-Damen eine unschätzbare Funktion: Sie bieten den Gästen ein Ventil für den Druck, der sich zwangsläufig aufbaut, wenn man tagsüber so viel über das Gemeinwohl reden muss. Man könnte fast sagen: Sie sind das emotionale Backup-System der globalen Elite.

Der Elefant im Raum trägt Prada

Doch natürlich geht es nicht nur um persönliche Eskapaden. Die wahren Dramen spielen sich auf der Bühne der globalen Machtpolitik ab. Der Klimawandel? Dringend! Aber bitte erst, nachdem die neuen Pipelines genehmigt wurden. Künstliche Intelligenz? Bahnbrechend! Allerdings nur, wenn sie die Profitabilität erhöht. Soziale Gerechtigkeit? Unbedingt! Aber nur bis zur Grenze dessen, was Aktionäre tolerieren können.

Es ist ein Schauspiel, in dem niemand wirklich etwas ändern möchte, außer vielleicht die eigene Machtposition. Und so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Davos weniger ein Forum der Lösungen als ein hochdotierter Therapieclub für die Spitzen der Nahrungskette ist.

Eine zynische, aber notwendige Schlussfolgerung

Natürlich wird auch 2025 Davos mit einer wohlformulierten Abschlusserklärung enden, die Worte wie „Hoffnung“, „Verantwortung“ und „Innovation“ wie Bonbons verteilt. Doch wer hinter die Kulissen blickt, erkennt die wahren Mechanismen: Ein globaler Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem gute Absichten mit kalter Effizienz monetarisiert werden.

Man könnte das alles als zutiefst zynisch abtun. Aber ist es nicht auch ein wenig bewundernswert? Diese unverhohlene Fähigkeit, selbst die schwersten globalen Herausforderungen in eine PR-Strategie zu verwandeln? Vielleicht ist das die eigentliche Intelligenz des 21. Jahrhunderts: Die Kunst, sich selbst treu zu bleiben, während man so tut, als wäre man dabei, die Welt zu retten.

In diesem Sinne: Willkommen in Davos.

Polenböller

Wenn Panzerabwehrminen IKEA besuchen

Manchmal hat man das Gefühl, die Welt würde von einem absurden Theaterstück dirigiert, geschrieben von einem kafkaesken Dramatiker, der zu viele Vodka-infused Gurken gegessen hat. Anders lässt sich das Geschehen im Sommer 2024 kaum erklären, als die polnische Armee das Undenkbare schaffte: Sie vergaß 240 Panzerabwehrminen, als sie ihre hochmodernen Gerätschaften aus einem Zug entlud. Nicht ein, zwei oder drei – was man als „peinliches Missgeschick“ hätte verbuchen können. Nein, es waren zwei-hundert-vierzig Minen, die, mit einer gemeinsamen Sprengkraft von etwa 2,2 Tonnen, genug Energie hatten, um „zwei Wolkenkratzer zu zerstören“. Oder – wenn man schon zynisch rechnet – ein IKEA Möbellager zu sprengen, das ironischerweise ihr Endziel wurde.

Natürlich stellt sich die naheliegende Frage: Wie? Wie in aller Welt verliert man eine derart tödliche Fracht? Vergesslichkeit ist menschlich, ja. Ein Schlüsselbund, eine Sonnenbrille, meinetwegen auch mal ein Koffer. Aber ein ganzes Arsenal? Ist die polnische Armee etwa ein Ensemble von zerstreuten Professoren in Uniform? Oder gehört es zur militärischen Doktrin, dass „unauffälliges Zurücklassen“ eine Tarnstrategie sein könnte?

Die Odyssee der Todesmaschinen – Eine Reise durch Polen

Die Minen, deren offizieller Auftrag vermutlich war, feindliche Panzer und nicht die Geduld der Zivilbevölkerung zu zermalmen, begaben sich nach ihrer Vergessens-Taufe auf eine höchst abenteuerliche Zugfahrt quer durch Polen. Von Szczecin aus, jener beschaulichen Stadt nahe der deutschen Grenze, rollten sie gemütlich in die polnische Provinz. Niemand bemerkte den blinden Passagier – ein beeindruckendes Statement zur Sicherheit des Schienennetzes.

Vielleicht hielten einige Bahnangestellte das Gewicht für einen besonders sperrigen Vorrat an Pierogi. Vielleicht waren sie zu sehr damit beschäftigt, Tickets zu kontrollieren, als dass sie sich für eine bedrohliche Metallkiste interessierten, die augenscheinlich keinen Fahrschein gelöst hatte. Irgendwie landeten die Minen schließlich in einem IKEA Möbellager. Ein tragikomisches Ziel, wenn man bedenkt, dass sich hier tausende Menschen tagtäglich mit kämpferischer Entschlossenheit durch labyrinthartige Möbelaufbauten kämpfen – mit der Sprengkraft der eigenen Frustration über die Unlesbarkeit von Aufbauanleitungen.

Wenn Minen auf Billy treffen – Ein (un)erwartetes Crossover

Es ist eine bemerkenswerte Ironie der modernen Welt, dass Panzerabwehrminen und IKEA-Möbel am selben Ort zusammentrafen. Hier ein Symbol der Zerstörung, dort ein Synonym für den Aufbau. Die einen töten Panzer, die anderen Beziehungen. Die Vorstellung, dass 240 Minen diskret zwischen Kallax-Regalen und Fjällbo-TV-Ständern verstaut wurden, hätte selbst Kafka zum Lachen gebracht. Man könnte sagen, die Minen fanden hier endlich ihre wahre Berufung: Als abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn logistische Albträume Wirklichkeit werden.

Ein halbes Jahr Stille – Der mediale Minentanz

Doch der eigentliche Skandal ist nicht der Verlust der Minen selbst – immerhin lebt man in einer Welt, in der Politiker ganze Wirtschaftssysteme in Vergessenheit geraten lassen. Nein, der wahre Hohn liegt in der Tatsache, dass dieser Vorfall ein halbes Jahr lang unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt wurde. Es brauchte journalistische Detektive, um das Geschehen ans Tageslicht zu zerren, während sich die Verantwortlichen in verschämtem Schweigen übten.

Natürlich stellt sich die Frage, wer in dieser Zeit die Minen bewachte. Wurde ein Praktikant abgestellt, um sicherzustellen, dass sie nicht spontan explodierten? Oder saßen sie einsam im Möbellager, wo sie möglicherweise mehr Emotionen weckten als der neueste Lackvitrinenschrank?

Die Moral von der Geschichte – Ein satirisches Epilog

Es gibt Geschichten, die gleichzeitig lachhaft und erschütternd sind. Die verlorenen Minen von Stettin gehören zweifellos dazu. Sie erzählen von institutioneller Fahrlässigkeit, von der absurden Komik bürokratischer Missstände und von der unfreiwilligen Poesie, die entsteht, wenn Zerstörung und Möbeldesign in unerwarteter Harmonie koexistieren.

Vielleicht ist dies ein Weckruf. Nicht nur für die polnische Armee, sondern für uns alle. Manchmal, so scheint es, braucht es 240 verlorene Panzerabwehrminen, um zu erkennen, wie fragil die Ordnung ist, auf die wir uns verlassen. Vielleicht sollten wir uns öfter fragen, ob unsere „Sicherheitskonzepte“ nicht ebenso löchrig sind wie ein IKEA-Werkzeugschlüssel. Denn eins ist klar: In einer Welt, in der Minen IKEA besuchen, ist nichts mehr unmöglich.

Kranksein, das verkannte Potenzial der Freizeitgestaltung

Ein Hoch auf die Effizienz:

Es ist doch wirklich zu bedauern, wie sehr wir die großartigen Möglichkeiten des Krankseins verkennen. Sie werden krank? Und was tun Sie? Sie rufen beim Arbeitgeber an, murmeln ein paar leidige Worte über Fieber, Husten und die Unmöglichkeit, heute produktiv zu sein. Und schon beginnt der absurde Kreislauf: Arztbesuch, Krankschreibung, Bettlägerigkeit. Warum so umständlich? Warum nicht gleich das naheliegende tun: Urlaub beantragen! Denn Hand aufs Herz, wer bitte braucht Urlaub dringender als jemand, der krank ist?

Urlaub als Heilmittel: Eine unternehmerfreundliche Utopie

Die Logik dahinter ist doch bestechend: Statt einer staubtrockenen Krankschreibung, die ohnehin nur Papierkram für alle Beteiligten bedeutet, gönnen Sie sich einfach ein paar Tage offiziell als „Urlaub“. Der Arbeitgeber? Zufrieden, weil Sie seine Personalplanung nicht durcheinanderbringen. Sie selbst? Glücklich, weil Sie die ultimative Work-Life-Balance erreicht haben – und das ohne schlechtes Gewissen. Eine Win-Win-Situation, die uns alle nach vorne bringt! Denn, so ehrlich müssen wir sein: Der Arbeitgeber kann doch wirklich nichts dafür, dass Sie krank sind. Warum also sollte er darunter leiden? Schließlich ist das Krankwerden eine rein persönliche Angelegenheit, die mit der betrieblichen Effizienz nicht das Geringste zu tun hat.

Kranksein ist der neue Wellness-Trend

Betrachten wir das Kranksein doch einmal aus einem anderen Blickwinkel. Was ist es anderes als eine Art ungebetener, aber nicht minder intensiver Wellnesskur? Sie verbringen Tage, manchmal Wochen, im Bett. Das klingt nach erstklassigem Home-Office ohne Office. Statt Zoom-Meetings: Serien-Marathons. Statt Excel-Tabellen: Hühnersuppe. Wer braucht da noch teure Spa-Hotels, wenn die eigene Couch denselben Erholungseffekt bietet? Und das Beste daran: Sie haben endlich Zeit für all die Podcasts und Bücher, die sonst immer nur auf der To-Do-Liste verstauben. Warum sollte diese Zeit nicht als offizieller Urlaub anerkannt werden?

Ein tragisches Opfer kollektiver Verantwortungslosigkeit

Ah, der arme Arbeitgeber. Immer der Leidtragende in dieser Geschichte. Während Sie daheim mit Ihrer Erkältung ringen, steht er vor einer Misere epischen Ausmaßes: Wer übernimmt Ihre Aufgaben? Wer hält das Rad am Laufen? Und überhaupt, wie kann man von ihm verlangen, für etwas aufzukommen, das weder in seiner noch in Ihrer Macht steht? Es ist, als würde man einem Bäcker vorwerfen, dass die Sonne aufgeht, oder einem Installateur, dass es regnet. Absurd! Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass der Arbeitgeber mit genau solchen Eventualitäten rechnen müsste, schließlich gehört das zu den kalkulierbaren Risiken des Unternehmertums. Aber so ein Argument ist doch nichts anderes als blanker Sozialismus!

Überbewertet und antiquiert

Die Vorstellung, dass jeder Mensch ein unveräußerliches Recht darauf hat, bei Krankheit zuhause zu bleiben, ist nicht nur antiquiert, sondern geradezu dekadent. Es setzt voraus, dass der Mensch an sich ein Wesen von Wert ist, auch dann, wenn er gerade nichts zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Welch absurder Gedanke in unserer durchökonomisierten Welt! Warum nicht stattdessen den Krankenstand als ein veraltetes Relikt abschaffen und durch flexiblere Modelle ersetzen? Zum Beispiel könnte jeder Arbeitnehmer pro Jahr eine bestimmte Anzahl an „Krankheitsurlaubstagen“ erhalten, die er dann bei Bedarf einsetzt. Gehen die Tage aus? Nun ja, dann ist es eben Pech, oder, wie der moderne Manager sagen würde: Eigenverantwortung.

In diesem Sinne: Gute Besserung! Und denken Sie daran: Der nächste Urlaub ist nur ein Schnupfen entfernt.

Die gute Nachricht: Kein Frieden am ersten Tag

Es gibt Sätze, die bleiben einem im Gedächtnis haften wie Kaugummi unter der Schuhsohle. Nicht, weil sie von unermesslicher Tiefe oder brillanter Eloquenz wären, sondern weil sie ein Vakuum hinterlassen, in dem man die Hoffnung, den Glauben und manchmal auch die Vernunft sucht. Elmar Theveßens jüngste Einlassung bei Maybrit Illner fällt zweifellos in diese Kategorie. „Die gute Nachricht ist, es wird nicht schon am ersten Tag der Frieden ausbrechen, in dieser Region.“ Ein Satz, der so verstörend wie rätselhaft wirkt – eine sprachliche Eselsbrücke, die ins Nirgendwo führt. Man könnte ihn als Scherz auffassen, hätte nicht die deutsche Journalismus-Elite jenes traurige Pokerface perfektioniert, das jeden Ansatz von Ironie im Keim erstickt.

Man fragt sich unweigerlich: War das ein rhetorischer Unfall oder kalkulierte Provokation? Und wenn es das Letztere war – wem sollte damit geholfen sein? Vielleicht war es auch ein unfreiwilliger Blick in den trüben Abgrund unserer gegenwärtigen Medienlogik, die mit dem Zynismus der Alltagspolitik längst ein Liebesverhältnis eingegangen ist. Willkommen im Jahr 2025, wo „gute Nachrichten“ scheinbar bedeuten, dass es wenigstens nicht gleich die Apokalypse gibt. Noch nicht.

Die Kunst des destruktiven Optimismus

Es gibt verschiedene Arten, eine Botschaft zu übermitteln. Manche sprechen Klartext, andere tarnen sich in dichterischen Metaphern. Und dann gibt es jene, die in scheinbar beiläufiger Manier das eigentliche Problem enthüllen, während sie vorgeben, Hoffnung zu verbreiten. Theveßen, man muss es ihm lassen, beherrscht diese letzte Disziplin wie ein Virtuose. Man stelle sich nur den hypothetischen Zuschauer vor, der in seiner Couch versunken diesen Satz hört. Die Stirn kräuselt sich, die Augen werden schmal, und spätestens nach drei Sekunden setzt das große Grübeln ein: „Habe ich das richtig verstanden?“ Ja, lieber Zuschauer, hast du. Die Botschaft ist so klar wie deprimierend: Der Krieg wird weitergehen, und das ist, nun ja, besser, als wenn er nicht weiterginge.

Natürlich ist es unfair, sich allein an Theveßens unfreiwillig grotesker Formulierung abzuarbeiten. Vielleicht wollte er ja nur ausdrücken, dass Trump 2.0 nicht sofort mit dem Zauberstab die Ukraine in ein russisches Protektorat verwandeln wird. Vielleicht war es eine versteckte Spitze gegen die oft naive Vorstellung, dass ein einzelner Mann – sei er Orange oder nicht – den Lauf der Geschichte über Nacht ändern kann. Aber selbst, wenn man dem Satz diese wohlwollende Interpretation zugesteht, bleibt doch der Nachgeschmack einer bitteren Wahrheit: Wir haben uns an den Zynismus gewöhnt, so sehr, dass wir ihn mit „guter Nachricht“ verwechseln.

Die Ukraine als Kulisse für westliche Befindlichkeiten

Ein weiteres Problem des Theveßenschen Bonmots liegt darin, dass es – ohne es auszusprechen – die Ukraine zu einer Art Statistenrolle degradiert. Der Krieg in der Ukraine ist in dieser Lesart weniger eine humanitäre Katastrophe, weniger ein Angriff auf die Grundlagen der europäischen Friedensordnung, sondern vielmehr ein Prüfstein für die geopolitischen Schachzüge eines Donald Trump. Die Ukrainer, so könnte man zynisch formulieren, dürfen in diesem Narrativ weiter leiden, damit wir hier im Westen darüber spekulieren können, was das für die nächste US-Wahl bedeutet. Die eigentlichen Opfer des Konflikts werden zu Schachfiguren, zu Variablen in einem strategischen Planspiel, das mit jedem Tag grotesker wirkt.

Natürlich ist diese Perspektive nicht neu. Sie ist Teil des westlichen Diskurses, der es hervorragend versteht, moralische Entrüstung und strategisches Kalkül miteinander zu verknüpfen, ohne jemals die innere Widersprüchlichkeit zu thematisieren. Wir liefern Panzer, aber keine Jets. Wir sprechen von Prinzipien, aber bitte nicht zu laut, wenn es um Gasimporte geht. Und jetzt also diese „gute Nachricht“, die impliziert, dass wir uns irgendwie mit dem Krieg arrangiert haben, solange er uns nicht zu direkt betrifft.

Der tiefe Fall der Hoffnung

Es ist bezeichnend für den Zustand unserer Zeit, dass selbst die Hoffnung zur Ware geworden ist. Gute Nachrichten sind kein Ausdruck einer besseren Zukunft mehr, sondern eine taktische Durchhalteparole. Sie bedeuten nicht, dass sich etwas zum Positiven wendet, sondern nur, dass es nicht noch schlimmer wird – jedenfalls nicht sofort.

Elmar Theveßen hat das vielleicht gar nicht bewusst so gemeint, aber sein Satz könnte als Lehrbeispiel für die schleichende Erosion unserer Maßstäbe herhalten. Wo einst Visionäre und Optimisten über Frieden und Gerechtigkeit philosophierten, analysieren wir heute nüchtern, wie lange ein Krieg noch dauern könnte, bevor er „geopolitisch relevant“ wird. Das ist keine Kritik an Theveßen allein, sondern an einer gesamten Klasse von Kommentatoren, die sich irgendwo zwischen Expertenmeinung und Boulevard-Alarmismus eingerichtet haben.

Zwischen Ironie und Tragik

Am Ende bleibt nur die Frage, ob man über all das lachen oder weinen sollte. Vielleicht ist Theveßens Satz genau deshalb so verstörend, weil er die Absurdität unserer Lage in aller Kürze zusammenfasst. Vielleicht ist es aber auch genau das, was ihn zu einer unfreiwilligen Satire auf unsere eigene Hilflosigkeit macht.

Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in den Worten des großen Kurt Tucholsky Trost zu suchen: „Satire darf alles.“ Sogar gute Nachrichten über einen nicht eintretenden Frieden.

Doppelmoral – Weil Moral Alleine Nicht Genügt

Die tugendhafte Chimäre unserer Zeit

Man sagt, der Mensch sei ein moralisches Wesen. Doch wie oft zeigt sich, dass seine Moral eine geradezu erstaunliche Fähigkeit hat, sich den Gegebenheiten anzupassen – wie ein Chamäleon, das je nach Bedarf seine Farbe wechselt. Diese Fähigkeit ist jedoch keine biologische Notwendigkeit, sondern ein geistiges Kunststück, das unsere Spezies perfektioniert hat. Der Fachbegriff dafür lautet: Doppelmoral. Sie ist kein unglücklicher Betriebsunfall der Ethik, sondern vielmehr eine unverzichtbare Lebensstrategie, die uns den Spagat zwischen hehrem Anspruch und schmutziger Wirklichkeit ermöglicht. Ohne sie stünden wir nämlich völlig nackt da, bloßgestellt in unserer profanen Widersprüchlichkeit. Das wäre – Hand aufs Herz – doch zutiefst unangenehm, nicht wahr?

Moral als Statussymbol: Heucheln mit Stil

Die moderne Moral hat sich längst zu einem Accessoire gemausert. Früher trugen die Aristokraten Perücken und Kniestrümpfe, heute trägt man moralische Überzeugungen – und zwar vorzugsweise solche, die glänzen wie frisch poliertes Silberbesteck. Moral ist nicht mehr bloß ein Leitfaden für das Handeln, sondern ein Distinktionsmerkmal. Wer sich moralisch korrekt verhält, erhebt sich über den Durchschnitt – zumindest nach außen hin. Doch da stellt sich die Frage: Wie moralisch muss ich wirklich sein, damit es noch gut aussieht, ohne dabei unbequem zu werden?

Das ist die Kunst: Die Doppelmoral erlaubt es uns, die glänzende Fassade zu wahren, während wir hinter verschlossenen Türen nach Lust und Laune sündigen. Wir posten unser veganes Frühstück auf Instagram, während wir abends heimlich Steaks futtern. Wir prangern Online-Shopping an und tippen dennoch nachts um zwei eine Bestellung bei Amazon. Moralische Konsistenz ist so anstrengend – und Doppelmoral bietet die perfekte Ausrede.

Ökologisches Engagement: Rettet die Welt, aber nicht zu meinen Lasten

Kein Thema zeigt die Absurdität der Doppelmoral so deutlich wie der Umweltschutz. In einer Zeit, in der die Erde förmlich vor sich hin brutzelt, ist es ein Muss, sich als umweltbewusster Bürger zu inszenieren. Aber was genau bedeutet das? Nun, es heißt, die richtige Symbolik zu bedienen: Jutebeutel statt Plastiktüten, ein Hybridauto in der Garage und ab und zu ein Foto mit einem selbst gepflanzten Baum. Das reicht.

Doch wehe, jemand wagt es, uns auf die Widersprüche hinzuweisen! „Wie? Du fliegst nach Bali und nennst dich Klimaschützer?“ – solche Angriffe können die fragile Fassade der Tugendhaftigkeit ernsthaft gefährden. Hier setzt die Doppelmoral zu einem ihrer elegantesten Kunststücke an: Die Reise wird nicht als Urlaubsvergnügen, sondern als „Selbstfindung“ deklariert. Schließlich ist Bali ja nicht nur eine Touristenfalle, sondern ein spirituelles Zentrum, nicht wahr? Und für Spiritualität darf man auch mal CO₂ ausstoßen. Das ist schließlich Teil der menschlichen Suche nach Sinn. Oder so ähnlich.

Wie ich lernte, mir meine Widersprüche zu leisten

Der Konsum ist die Königsdisziplin der Doppelmoral. In keiner anderen Sphäre wird so schamlos fröhlich gegen die eigenen Prinzipien verstoßen. Die Modeindustrie ist ein Paradebeispiel: Man empört sich über die Arbeitsbedingungen in asiatischen Textilfabriken, während man gleichzeitig für 7,99 Euro ein T-Shirt kauft, das nicht einmal ein Praktikant in Europa zusammennähen könnte. Aber hey, immerhin sind wir moralisch empört, oder?

Hier greift eine weitere Grundregel der Doppelmoral: Die Empörung über andere legitimiert den eigenen Fehltritt. Wer lautstark die großen Konzerne kritisiert, kann sich guten Gewissens eine neue Designerhandtasche leisten. Schließlich muss man ja gut aussehen, wenn man demonstrieren geht. Und überhaupt, „es ist doch die Gesellschaft, die mich zwingt, so zu handeln“. Das ist der Trick: Schuld ist immer das System – nie der Einzelne.

Wohltätigkeit auf Instagram

Auch die soziale Gerechtigkeit ist ein Feld, auf dem die Doppelmoral in voller Blüte steht. Wir alle möchten uns als aufgeschlossene, gerechte und solidarische Menschen präsentieren. Deshalb posten wir fleißig Hashtags, teilen Petitionen und „liken“ die Beiträge von NGOs. Aber wenn es darauf ankommt, wirklich zu helfen – etwa, indem wir unseren Steuerberater nicht nach Schlupflöchern fragen oder das billige Reinigungsangebot einer unterbezahlten Putzfrau ausschlagen –, hört der Spaß auf.

Das gilt auch für die Flüchtlingsdebatte. Natürlich sind wir alle für offene Grenzen – zumindest, solange die Betroffenen weit weg bleiben. Sobald aber die Möglichkeit besteht, dass das Asylbewerberheim direkt nebenan errichtet wird, entdecken viele die Liebe zu ihrem „kulturellen Erbe“ und machen sich Sorgen um die „soziale Balance“. Der Spagat zwischen Mitgefühl und Egoismus ist beeindruckend. Es ist fast eine sportliche Disziplin, wie wir es schaffen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und gleichzeitig keinerlei persönlichen Verzicht üben zu müssen.

Warum Doppelmoral unverzichtbar ist

Man könnte meinen, diese Analyse sei eine Abrechnung mit der Doppelmoral. Doch das wäre zu kurz gedacht. Vielmehr sollten wir ihre Existenz anerkennen – ja, feiern! Denn sie ist nicht nur ein Zeichen unserer Unzulänglichkeit, sondern auch unseres Einfallsreichtums. Sie erlaubt uns, mit unseren Widersprüchen zu leben, ohne daran zu zerbrechen. Sie bewahrt uns vor der radikalen Ehrlichkeit, die zwar bewundernswert, aber schlicht unpraktisch wäre.

Am Ende des Tages ist Doppelmoral keine Schwäche, sondern ein Überlebensmechanismus. Ohne sie wären wir entweder heilige Märtyrer oder schamlose Zyniker – und beides wäre doch unerträglich langweilig. Die Doppelmoral hingegen bietet uns die Möglichkeit, beides zu sein: ein bisschen Heiligenschein und ein bisschen Teufelshörner. Denn wer will schon einseitig sein? Moral alleine genügt eben nicht – wir brauchen die Doppelmoral, um uns vollständig auszudrücken. Und wenn das nicht menschlich ist, was dann?

Frau Nancy F.

Die Demokratie ist heute der Feind aller aufrechten Demokraten

Es gibt sie, diese Gestalten, die als obskure Fußnote in die Geschichtsbücher eingehen werden, wenn überhaupt. Frau Nancy F., ihres Zeichens Verwaltungsfurie und selbsterklärte Wächterin des demokratischen Anstands, hat jedoch eine beeindruckende Fähigkeit entwickelt: Sie verwandelt das klare Licht der Vernunft in ein durch Vorzimmer und Paragrafendschungel zerstreutes Irrlicht. Man fragt sich, ob sie je einen Gedanken zu Ende gedacht hat, oder ob ihre Reden und Handlungen nicht vielmehr das Produkt einer politischen Nebelmaschine sind, die sich selbständig gemacht hat.

Frau F., die in ihren gestärkten Blusen und akkurat gebügelten Hosenanzügen so aussieht, als sei sie von einem Handbuch für Verwaltungsästhetik inspiriert, liebt es, von der „Gefahr für die Demokratie“ zu sprechen. Aber wehe dem, der diese Phrase zu analysieren wagt. In ihren Händen wird „Demokratie“ zu einer hohlen Vokabel, die nach Belieben gedehnt, gestaucht und verdreht wird, bis nichts mehr übrig bleibt als eine amorphe Masse aus politischen Floskeln und moralischen Appellen. Das ist die wahre Kunst von Frau F.: Sie spricht nicht, um zu kommunizieren, sondern um zu verhindern, dass irgendjemand auf die Idee kommt, sie könne möglicherweise selbst das Problem sein.

Die Kunst der empörten Beliebigkeit

Man muss Frau Nancy F. jedoch eines lassen: Ihre Empörung ist von nahezu mathematischer Präzision. Egal ob es um „antidemokratische Tendenzen“ geht (was immer das sein mag) oder um „die Spaltung der Gesellschaft“ (ein Begriff, so dehnbar wie ein Gummiband aus der Kreidezeit) – Frau F. findet stets den genauen Punkt, an dem die öffentliche Aufmerksamkeit am größten und die intellektuelle Durchdringung am kleinsten ist.

So stand sie neulich wieder auf einer dieser unzähligen Pressekonferenzen, die sich nur durch die Farbe des Hintergrundbanners und die Marke der angebotenen Kekse unterscheiden lassen, und erklärte mit ernster Miene, dass „die Demokratie heute gefährdeter ist als je zuvor“. Kein Journalist fragte nach, warum das eigentlich so ist. Und das ist auch gut so, denn die Antwort hätte wahrscheinlich länger gedauert als die durchschnittliche Amtszeit einer demokratisch gewählten Regierung.

Frau F. hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle, die nicht ihrer Meinung sind, als „Gefährder“ abzustempeln. Dass dies ironischerweise genau das autoritäre Verhalten ist, das sie angeblich bekämpft, scheint ihr nicht aufzufallen – oder es ist ihr schlichtweg egal. Vielleicht liegt darin ihre wahre Genialität: eine Art politischer Zen-Meisterschaft, die darin besteht, Widersprüche so konsequent zu ignorieren, dass sie sich in Luft auflösen.

Demokratie als Selbstzerstörungsmechanismus

Was ist Demokratie, wenn nicht die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk? Doch in der Welt von Frau Nancy F. wird dieser uralte Grundsatz auf den Kopf gestellt. Hier regiert nicht das Volk, sondern eine kleine Clique von Funktionären, die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit davon überzeugt sind, besser zu wissen, was das Volk braucht, als dieses Volk selbst.

Die Ironie daran ist nicht zu übersehen: Während Frau F. in Sonntagsreden die Demokratie verteidigt, arbeitet sie werktags fleißig daran, jede Form echter Mitbestimmung zu sabotieren. Bürgerentscheide? Zu kompliziert. Direkte Demokratie? Zu gefährlich. Transparenz? Zu anstrengend. Stattdessen setzt sie auf eine Mischung aus wohlklingenden Phrasen und inhaltsleeren Gesetzesentwürfen, die in ihrer Unverständlichkeit nur noch von den dazugehörigen Pressemitteilungen übertroffen werden.

Das Theater der Demokratieverteidiger

Natürlich ist Frau F. nicht allein. Sie ist Teil eines größeren Ensembles, eines Theaters der Selbstgerechtigkeit, in dem jeder eine Rolle spielt, aber niemand Verantwortung übernimmt. In diesem absurden Stück ist die Demokratie keine lebendige Idee mehr, sondern ein Dekorationsgegenstand, der je nach Bedarf zurechtgerückt wird.

Die Zuschauer, also wir, das Volk, dürfen derweil applaudieren oder buhen, aber bloß nicht zu laut, denn sonst könnten wir als „demokratiefeindlich“ gelten. Und so schauen wir zu, wie Frau F. und ihre Mitstreiter mit ernsten Gesichtern über die Bühne stolpern, während sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und dabei immer wieder betonen, wie wichtig ihre Arbeit für den Fortbestand unserer Gesellschaft ist.

Ein Augenzwinkern für die Demokratie

Man könnte meinen, das alles sei zum Verzweifeln. Aber vielleicht ist es genau das, was Frau F. und Konsorten uns lehren wollen: dass Demokratie keine ernste Angelegenheit mehr ist, sondern ein absurdes Schauspiel, in dem die größten Narren die lautesten Applaudierenden sind.

Vielleicht sollten wir uns also nicht ärgern, sondern lachen – nicht aus Zynismus, sondern aus einer Art liebevoller Verzweiflung. Denn am Ende sind wir alle Teil dieses seltsamen Spiels, ob wir wollen oder nicht. Und vielleicht, nur vielleicht, liegt genau darin die wahre Stärke der Demokratie: dass sie selbst dann überlebt, wenn Menschen wie Frau Nancy F. sie zu verteidigen versuchen.

Sparen gegen den „kleinen Mann“

Budgetpolitik und die systematische Disziplinierung der breiten Masse

Wenn die Regierungsbank das Wort „Sparen“ in den Mund nimmt, tönt es wie das entfernte Läuten einer Alarmglocke – gedämpft, aber unüberhörbar, und stets mit dem moralischen Nachdruck versehen, als sei dies der einzige Weg, die fragile Fassade unserer Zivilisation zu retten. Sparen ist der Flirt mit dem Chaos, sagen sie, ein ehrenwertes Opfer zugunsten des „großen Ganzen“. Doch während die Machtelite im maßgeschneiderten Zwirn diese Botschaft verkündet, bleibt der eigentliche Adressat dieses rigiden Dogmas unverhohlen klar: der „kleine Mann“. Der werktägliche Malocher, die alleinerziehende Mutter, der alte Rentner mit dem dicken Pullover auf dem schmalen Balkon. Sie sollen das Tafelsilber polieren, während die oberen Ränge sich das Dessert servieren lassen.

Es ist bemerkenswert, wie konsequent die politisch Verantwortlichen das Wort „Sparen“ immer dann in den Diskurs werfen, wenn es um Sozialleistungen geht, aber wie unnachgiebig still sie werden, sobald man in den Sphären der Unternehmensbesteuerung oder der vermögensbasierten Abgaben nachfragt. Denn Sparen ist nicht gleich Sparen. Hier spart der Staat nicht etwa, um seine Effizienz zu steigern oder um langfristig Investitionen zu finanzieren – nein, Sparen dient der symbolischen Disziplinierung der unteren Klassen. Eine Art staatlich orchestrierte Askese, während im Hintergrund die Champagnerkorken knallen.

Die unendliche Geschichte des Generationenkriegs

Man kennt das Mantra: „Die Pensionssysteme sind nicht nachhaltig.“ Diese Phrase wird mit der gleichen mechanischen Präzision wiederholt wie ein Wetterbericht im Hochsommer. Die Demografie ist schuld, heißt es. Menschen werden älter, die Jungen zu wenige, und ohnehin hätte die Nachkriegsgeneration ohnehin viel zu großzügige Vereinbarungen getroffen. All das klingt auf den ersten Blick plausibel – bis man genauer hinsieht.

Warum wird bei jeder Rentenreform fast ausschließlich an den Bezügen der unteren und mittleren Einkommensgruppen geschraubt? Warum bleibt die staatlich geförderte Kapitalrente der Besserverdienenden unangetastet? Und warum ist es ein Tabu, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auch nur anzusprechen? Die Antwort ist simpel: Sparen im Pensionssystem ist weniger ein ökonomisches Problem als ein ideologisches Werkzeug. Es geht um die Aufrechterhaltung eines Narrativs, das da lautet: Ihr habt zu viel, wir müssen euch zügeln. Dabei verschleiern die Verantwortlichen, dass die Rentenlücke eine Folge politischer Entscheidungen ist – und nicht das Werk eines unbarmherzigen Schicksals.

Wo der Markt regiert, stirbt der Mensch

Das Gesundheitssystem ist ein Paradebeispiel dafür, wie man aus einem öffentlichen Gut ein ökonomisches Schlachtfeld machen kann. Auf der einen Seite stehen die Bürger, die sich die Frage stellen, ob sie sich eine notwendige Behandlung leisten können. Auf der anderen Seite stehen die Lobbyisten der Pharmaindustrie und privater Krankenhäuser, die sich längst daran gewöhnt haben, dass Gesundheit ein Geschäft und kein Menschenrecht ist.

Das Mantra des Sparens hier ist nicht nur zynisch, sondern brandgefährlich. Wenn Betten abgebaut werden, medizinisches Personal überlastet ist und Patienten wochenlang auf Behandlungen warten, dann hat dies nichts mit Effizienz zu tun. Es ist der gezielte Abbau der Solidarität im Namen des Profits. Und während der „kleine Mann“ seine eigenen Pillen abstottert, triumphieren die Aktionäre in den Vorstandsetagen über Rekordgewinne. Der Markt hat gewonnen, der Mensch verloren.

Der langsame Tod der Chancengleichheit

„Bildung ist die Zukunft“, hört man aus dem Mund der Politiker, während sie mit der anderen Hand die Budgets für Schulen und Universitäten kürzen. Es ist eine merkwürdige Art von Zukunftsorientierung, die da propagiert wird. Bildung wird nicht mehr als gesellschaftliche Investition betrachtet, sondern als Kostenstelle, die man möglichst effizient betreiben muss.

Das Sparen im Bildungssektor trifft dabei nicht nur die Schüler und Studenten, sondern auch die Lehrkräfte, die in maroden Gebäuden unterrichten, mit veralteten Lehrmitteln arbeiten und für ihre Mühen selten angemessen entlohnt werden. Es ist ein System, das gezielt darauf abzielt, soziale Mobilität zu blockieren. Wer reich geboren wird, bleibt reich, und wer arm ist, bleibt arm. Denn die Bildungssysteme der Oberschicht – private Schulen, Eliteuniversitäten – bleiben von diesen Sparmaßnahmen selbstverständlich unberührt.

Die moralische Erpressung der Bedürftigen

Die Kürzung von Sozialleistungen ist der Höhepunkt der Sparpolitik gegen den „kleinen Mann“. Hier wird der Schwächste zum Sündenbock gemacht, zum faulen Nutznießer des Systems, der angeblich die fleißige Mitte belastet. Dabei verschweigen dieselben Politiker, dass die eigentlichen Kosten nicht durch Sozialtransfers entstehen, sondern durch Steuervermeidung, unfaire Subventionen und ein entfesseltes Finanzsystem.

Man spart nicht nur Geld, man spart auch an Menschlichkeit. Wer Hilfe braucht, wird in bürokratischen Mühlen zerrieben, in Hartz-IV-ähnlichen Maßnahmen gedemütigt und mit Almosen abgespeist. Gleichzeitig wird die Gesellschaft darauf konditioniert, die Armen als Gegner zu betrachten, nicht als Mitmenschen.

Ein zynisches Ritual

Sparen gegen den „kleinen Mann“ ist keine Notwendigkeit, es ist ein Ritual. Es ist das Eingeständnis, dass die Mächtigen weder den Willen noch die Kreativität besitzen, um gerechtere Alternativen zu schaffen. Stattdessen wird ein Narrativ aufrechterhalten, das den Status quo zementiert.

Aber wehe, jemand schlägt vor, bei den wirklich großen Posten zu sparen: bei Subventionen für Großkonzerne, bei Steuererleichterungen für die Superreichen, bei den absurden Kosten des Militärapparates. Dann heißt es plötzlich, dies sei „unrealistisch“, „wirtschaftsfeindlich“ oder gar „populistisch“. Der kleine Mann darf sparen – die großen Jungs spielen weiter.

Vielleicht sollten wir alle den Gürtel enger schnallen – nicht aus finanziellen, sondern aus moralischen Gründen. Denn die Luft, die man mit diesem System atmet, wird immer dünner.