„Plan Z“ – ohne Wiederkehr

Prolog der Aussichtslosigkeit

Es gehört zu den stillen Ironien unserer Epoche, dass Menschen, die sich für rational halten, regelmäßig an den Absprungpunkten ihrer eigenen Vernunft scheitern. Man könnte sagen, dass wir – als Zivilisation, als Gesellschaft, als verunsicherte Primaten mit Touchscreen-Abhängigkeit – schon lange im Stadium eines schlingernden Gedankenfahrzeugs unterwegs sind, dessen Bremsen quietschen und dessen Lenkrad verdächtig locker sitzt. Und dennoch fahren wir weiter, unbeirrbar und mit blitzender Selbstgewissheit, als hätten wir im Handschuhfach einen geheimen Masterplan verstaut, der uns aus dem unvermeidlichen Trümmerfeld herausführen wird.

Doch wir haben keinen Masterplan. Wir haben nur: Plan Z.

Der letzte Buchstabe des Alphabets, das post-heroische Rückzugsmanöver, die Option nach allen Optionen – und wahrscheinlich jene fatale Abkürzung, die man wählt, wenn man ahnt, dass sämtliche Abzweigungen davor in Sackgassen führten.

Ein „Plan Z“ ohne Wiederkehr, wohlgemerkt. Denn wer sich auf den letzten Buchstaben beruft, hat keine Absicht mehr, umzukehren; er hat bereits resigniert, aber auf eine so grandios entschlossene Art, dass sie fast beeindruckend wirkt – wie ein Untergang mit Choreografie, ein Finale, das die Pyrotechnik des Scheiterns zur hohen Kunst erhebt.

Vom Mythos der letzten Rettung

Der Mensch liebt bekanntlich das Narrativ der letzten Chance, jenes rührselige Drehbuch, in dem sich kurz vor dem Abspann eine jähe Wendung ereignet: Die Rakete zündet, der Held erkennt seinen Irrtum, die romantische Geste rettet die Beziehung, und das globale Chaos löst sich plötzlich in Wohlgefallen auf – als hätte die Welt nur auf den richtigen Filmmoment gewartet.

Doch „Plan Z“ verweigert sich strikt dieser dramaturgischen Trope.

Er ist das Anti-Happy-End, die Absage an den deus ex machina, die kalte Dusche für alle, die hoffen, dass sich der Lauf der Dinge irgendwie, irgendwo, irgendwann schon wieder einrenken werde.

Denn „Plan Z“ ist nicht die letzte Chance. Nein, er ist die erste akzeptierte Einsicht, dass Chancen überschätzt werden. Was uns bleibt, ist das lakonische Schulterzucken derer, die zwar noch wissen, wie man ein Ideal buchstabiert, aber sich nicht mehr erinnern können, weshalb man es ursprünglich tat.

Vielleicht liegt darin der wahre Kern dieser Endzeitromantik: Wir sehnen uns nach dem Schlussakkord, weil die Strophen davor so chaotisch waren, dass uns ein abruptes Ende fast wie Erlösung erscheint. Und vermutlich ist dies die einzige Funktion, die „Plan Z“ noch erfüllt – er ist weniger ein Plan als vielmehr eine tröstliche Etikette, ein Name für die Phase des endgültigen Nichts-tut-mehr-weh-Weil-Es-Ohnehin-Keine-Lösung-Gibt.

Die technokratische Kapitulation

Natürlich gibt es Menschen, die behaupten, „Plan Z“ sei in Wahrheit ein Listensystem, ein finales Protokoll, das unsere kollektive Selbstentzivilisierung ordnungsgemäß abwickeln soll. Bürokraten des Abgrunds, die in Tabellenkalkulationen das Ende strukturieren, während sie sich selbst auf die Schulter klopfen, weil immerhin ihr Formular fristgerecht ausgefüllt wurde.

Doch lassen wir uns hier keine Illusionen machen: Hinter der Sturheit dieser Technokraten verbirgt sich weniger Überzeugung als reine Höflichkeit gegenüber dem Chaos – ein Versuch, dem Untergang wenigstens die Würde einer letzten Signatur zu verleihen.

Es ist erstaunlich, mit welchem Ernst Menschen das Unumkehrbare verwalten. Da werden Ausschüsse gegründet, um die Lage „sorgfältig zu beurteilen“, Protokolle entstehen über das „effiziente Management“ von Katastrophen, und ganze Konferenzen widmen sich der Frage, ob man die Titanic nicht doch noch in ein schwimmendes Spa hätte umbauen können, während sie bereits in der Vertikalen versank.

„Plan Z“ ist der feierlich verkündete Moment, in dem sich selbst die kühnsten Optimisten eingestehen:

Wir werden das nicht mehr ordentlich lösen. Aber wir können es immerhin korrekt dokumentieren.

Die Psychologie des letzten Buchstabens

Zugegeben, „Z“ ist ein schöner Buchstabe. Er trägt eine gewisse grafische Entschlossenheit in sich, einen diagonalen Schwung, der energisch wirkt, als würde er vorspiegeln: Ich komme am Schluss, aber dafür komme ich schnell. Vielleicht fällt es uns deshalb so leicht, gerade diesen Buchstaben mit der Endgültigkeit unserer Lage zu verknüpfen. Seine Form erinnert an einen Blitzschlag, an einen letzten, abrupten, endgültigen Schnitt.

Interessanterweise beruhigt uns genau das:

Der Mensch findet Trost in klarer Endlichkeit.

Was wirklich Angst macht, ist das endlose Dazwischen – die Dauerprovisorien, die halben Lösungen, die unentschlossenen Kompromisse, diese unendliche Gegenwartsschleife eines „bald wird alles besser“, das niemals eintrifft.

„Plan Z“ ist daher paradox tröstlich: Er nimmt uns die lästige Hoffnung ab.

Endlich müssen wir nicht mehr optimistisch tun, endlich dürfen wir die Hände in die Taschen stecken und nachlässig sagen:

Ja, gut. Dann ist das jetzt eben so.

Eine Form von Resignation, die beinahe entspannend wirkt – wie das Geräusch, wenn man nach langem Kampf die weiße Fahne wäscht und feststellt, dass sie im Wind tatsächlich recht hübsch aussieht.

Von der Würde des Untergangs

Wer an „Plan Z“ denkt, stellt sich unweigerlich das Bild eines Endes vor, das gleichzeitig heroisch und absurd ist: eine Mischung aus griechischer Tragödie und Monty-Python-Sketch. Wir wissen, dass wir keine epischen Helden sind, aber wir können zumindest so tun, als würde unsere finale Fehlentscheidung literarischen Mehrwert generieren.

Vielleicht ist dies die letzte verbliebene Würde des modernen Menschen:

Auch im Scheitern will er glänzen.

Er möchte, dass sein Untergang nicht nur angemessen katastrophal, sondern auch kunstvoll, ironisch, vielleicht sogar stilvoll abläuft.

Und ja, vielleicht ist es gerade diese Sehnsucht nach ästhetischem Scheitern, die uns am Ende doch wieder sympathisch macht.

Wir wissen, dass wir uns verrannt haben.

Wir wissen, dass der Weg nicht zurückführt.

Wir wissen, dass „Plan Z“ kein Plan, sondern ein Abschied ist.

Doch wir gehen diesen letzten Weg mit einem gewissen Eleganzanspruch, mit einem wissenden Lächeln, das sagt:

Wenn wir schon untergehen, dann wenigstens mit Haltung, Witz – und der leisen Hoffnung, dass jemand später darüber schreibt.

Epilog ohne Rettung

„Plan Z ohne Wiederkehr“ ist also weniger eine Warnung als eine Diagnose.

Er ist das intellektuelle Eingeständnis, dass wir als Spezies das freiwillige Abonnement des Abgrunds abgeschlossen haben – ohne Kündigungsfrist, aber mit Bonusmeilen für jede zusätzliche Absurdität.

Doch vielleicht – und dies ist die letzte Ironie, die uns bleibt – ist genau dieses Erkenntnisvermögen unsere verbliebene Form von Freiheit.

Denn wer weiß, dass es keine Wiederkehr gibt, ist seltsam entlastet. Der Weg mag enden, aber endlich ist er klar. Die Zukunft mag dunkel sein, aber sie ist wenigstens eindeutig.

Und so schreiten wir hinab, nicht mehr mit der Hybris der Unbesiegbaren, sondern mit der sarkastischen Heiterkeit jener, die aus ihrem Scheitern eine Pointe machen – und aus ihrer Pointe einen kleinen Triumph.

Denn wenn uns schon der Wiederkehr die Tür versperrt bleibt, so bleibt uns doch die Möglichkeit, den letzten Schritt mit erhobenem Haupt zu tun.

Und manchmal, in seltenen Momenten, ist das fast genauso viel wert wie ein Ausweg.

Du darfst Dir (k)ein Bild machen

Die postmoderne Inszenierung des sicheren Aufbegehrens

Es ist ein seltsames Schauspiel, diese heutige Kunst des Aufbegehrens, bei der der Mut so kalkuliert ist wie die Auswahl eines Bio-Lattes in einem hippen Café. Ein Frosch am Kreuz, eine Bart-Maria, Apostel in genderfluidem Kleid – das sind die heroischen Reiter des kritischen Diskurses, die unbehelligt durch die digitale Landschaft galoppieren. Man kann ihnen Beifall spenden, Fotos machen, Memes basteln – und keiner, kein einziger, hebt die Hand gegen sie. Der Mut ist hier eine künstliche Substanz, wie eine Vitaminpille, die das Gewissen füttert, ohne dass der Körper je in Gefahr gerät. Die Ironie daran ist süß wie fauliger Honig: je bizarrer die Provokation, desto ungefährlicher das Risiko, und desto lauter das kollektive Applaudieren.

Wenn das Lachen auf die Mauer der Macht trifft

Doch wehe, dieselbe Fantasie wendet sich an Figuren, deren Autorität nicht virtuell, sondern real, brennend, politisch unüberhörbar ist. Ein Trans-Mohammed, ein Koran mit Regenbogeneinband – hier endet das humorvolle Spiel, hier ist keine digitale Memekultur mehr, sondern die Welt, die explodiert: hundert Tote, brennende Botschaften, diplomatisches Erdbeben.

(2005, Mohammed-Karikaturen, „Jyllands-Posten“: In Gaza wurde ein Büro der EU gestürmt. In Teheran wurde die Botschaft Österreichs angegriffen. In Syrien stürmten hunderte Demonstranten die Botschaften Dänemarks und Norwegens und zündeten die Gebäude an.  Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen kamen über 100 Menschen ums Leben. 2020 wurde der französische Lehrer Samuel Paty auf auffener Straße nethauptet, weil er im Unterreicht die Karikaturen zeigte)

Die Grenze zwischen Satire und Selbstmord liegt nicht in der Moral, sondern in der Macht, in der realen Konsequenz. Wir lachen über das Ungefährliche, wir schweigen über das Gefährliche, und genau hier offenbart sich die bittere Wahrheit: Gesellschaftlicher Mut ist proportional zur Ungefährlichkeit der Opfer.

Der Gratismut als Spiegel der Selbstverliebtheit

Diese selektive Courage ist kein Versehen, kein Nebenprodukt, sondern die Quintessenz einer Ära, die sich auf die sichere Empörung spezialisiert hat. Wir leben in einer Welt, in der kühne Kritik zum Freizeitspaß verkommt, zum augenzwinkernden Fitnessprogramm des Gewissens. Der Frosch am Kreuz ist kein Rebell, er ist ein Showobjekt; die Bart-Maria kein Ikon, sie ist ein Accessoire. Wir applaudieren ihnen, nicken anerkennend, fühlen uns moralisch überlegen – und merken nicht, dass unser Mut lediglich eine gut inszenierte Theaterbeleuchtung ist, die Schatten ohne Tiefe wirft.

Die Dialektik der Gefahrlosigkeit

Die wahre Satire, die radikale, die gefährliche, die, die brennt und zerstört, bleibt in der Garage der unerschrockenen Geister eingesperrt. Wir leben in einer Dialektik der Gefahrenlosigkeit: je sicherer der Angriff, desto lauter das Lachen; je riskanter, desto leiser das Herzklopfen und desto drängender die Angst. Unsere Zynik ist selektiv, unsere Provokation steril. Wir reiten auf dem Rücken der Absurdität, ohne den Gaul des Risikos zu berühren, und feiern die Illusion der Rebellion als moralische Exzellenz.

Satire als feiner Spiegel, nicht als Klinge

So betrachtet, ist Satire heute ein Spiegel ohne Schnittkante, ein scharfes Bild ohne Gefahr, eine ironische Projektion, die mehr über den Betrachter verrät als über das Motiv. Der Frosch, die Bart-Maria, die gendervertauschten Apostel – sie spiegeln unsere Angst, unsere Lust auf Empörung ohne Risiko, unser Bedürfnis nach moralischer Befriedigung ohne Blut, ohne Asche, ohne Konsequenz. Der echte Mut, der Mut, der brennt, ist den wenigen vorbehalten, die bereit sind, mit der Realität zu kollidieren. Die Mehrheit hingegen applaudiert, lacht, teilt, safe, und glaubt, sie sei revolutionär.

Fazit: Das groteske Theater des modernen Moralismus

Und so entfaltet sich das groteske Theater des modernen Moralismus: lauter Applaus für Ungefährliches, eisige Stille für Reales. Wir leben in der perfekten Illusion des Mutes, in der selektive Empörung als Zeichen von Zivilcourage gefeiert wird. Wer wirklich provoziert, wer wirklich bedroht, wer wirklich riskant ist, wird in einer Mischung aus Angst, Gewalt und Schweigen begraben. Die Satire, die wir lieben, ist ein Spiegel, der uns zeigt, wie ungefährlich wir geworden sind, wie berechnend unsere Rebellion ist, wie kunstvoll wir uns selbst inszenieren. Und dabei lächeln wir, nicken anerkennend und glauben, wir seien frei.

Der Admiral und die Kunst der Präventivverteidigung

Man muss sich die Szene bildlich vorstellen: Ein hochdekorierter Admiral, Giuseppe Cavo Dragone, nicht irgendein Seemann, der nach einem ausschweifenden Rum-Exzess seine Navigationsfähigkeiten über Bord geworfen hat, sondern der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, erhebt sich in der feinen Gesellschaft der Financial Times und artikuliert Sätze, die so klangvoll nach diplomatischer Balance und strategischer Kühnheit klingen, dass man sie sofort in die Annalen der euphemistischen Kriegssprache eintragen möchte. „Präventivschlag“ sagt er, und dabei denkt man kurz an Shakespeare, der wahrscheinlich in seiner letzten Lebensphase ein ähnliches Wortspiel auf Lager gehabt hätte, hätte er die NATO und Moskau gekannt: ein Angriff, der eine Verteidigung sein soll – und schon ist man in der paradoxen Welt des modernen Militärdiskurses gefangen, wo Logik und Moral sich in elegante Tango-Schritte verheddern.

Die hybride Kriegsführung und das Theater der Ambiguität

Hybride Kriegsführung, ein Begriff, der klingt, als habe jemand aus der Marketingabteilung eines Tech-Startups eine todbringende Strategie für Cyberangriffe, Desinformation und wirtschaftliche Destabilisierung entworfen. Dass Moskau in diesem Szenario als „hybrider Puppenspieler“ agiert, lässt sich ebenso gut in einer Shakespeare-Komödie vorstellen, nur dass hier die Puppen echte Menschen sind, und die Fäden unsichtbar und gleichzeitig tödlich. Dragone, der Admiral, lässt uns die Möglichkeit eines Präventivschlags als bloße „Verteidigungsmaßnahme“ sehen, und man muss unwillkürlich lachen – oder weinen. Die Militärsprache hat es geschafft, ein Wort, das früher Aggression bezeichnete, in die Kategorie ethisch vertretbarer Schutzmaßnahme zu überführen, wie ein Zaubertrick, bei dem das Kaninchen nicht nur aus dem Hut springt, sondern vorher höflich um Erlaubnis gefragt wird.

Präventivschlag als literarisches Mittel

Man könnte fast meinen, Dragone habe nicht nur das strategische, sondern auch das literarische Genie der NATO entdeckt. Ein Präventivschlag, in seiner Diktion, wird zur rhetorischen Chiffre, ein sprachlicher Fechtschlag, der uns glauben macht, dass wir Verteidiger sind, obwohl wir die erste Münze ins Feuer werfen. Es ist ein bisschen so, als würde man den Taschendieb bitten, die Brieftasche zu sichern, während er noch die Fingerabdrücke hinterlässt. Hier zeigt sich das wahre Können: die Verschmelzung von militärischer Realität und literarischer Virtuosität. Die NATO, dieser globale Bühnenkomplex, inszeniert die Drohung und die Verteidigung so kunstvoll, dass der Zuschauer, sprich: die Öffentlichkeit, nicht mehr sicher ist, ob sie applaudieren oder fliehen soll.

Zwischen Realität und Satire

Satire, man muss es gestehen, ist hier kein optionales Gewürz, sondern die einzige Überlebensstrategie für den kritischen Beobachter. Wenn ein Präventivschlag „Verteidigung“ ist, dann ist auch der Morgenkaffee ein militärisches Manöver gegen die Müdigkeit, und der Hund, der den Postboten anbellt, eine potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit. Dragone, der Admiral, sitzt vermutlich in einem Sitzungssaal mit Blick auf die Alpen und denkt, dass diese semantischen Gymnastikübungen das Beste sind, was die westliche Diplomatie seit dem Kalten Krieg hervorgebracht hat. Zugleich erinnert uns seine Aussage daran, dass Krieg heute nicht mehr nur mit Panzern, sondern mit Worten, Etiketten und ironischer Distanz geführt wird.

Epilog zwischen Augenzwinkern und Ironie

Am Ende bleibt die Frage, wer hier wen verteidigt und gegen wen? Ist es die NATO, die sich vor der Hybris des Kremls schützt, oder ist es die Öffentlichkeit, die täglich mit euphemistischen Formulierungen bombardiert wird? Dragone mag nur seinen Dienst tun, aber wir, die Beobachter, müssen die Metapher des Präventivschlags als literarisches und moralisches Rätsel begreifen: Man kann gleichzeitig lachen, schaudern und applaudieren – was, seien wir ehrlich, in diesen Zeiten wahrscheinlich die realistischste Verteidigung ist, die wir haben.

Wenn die Weltgeschichte plötzlich in Badehose verhandelt wird

Es gibt Momente, in denen die Weltpolitik so unfreiwillig komisch wirkt, dass man sich fragt, ob nicht längst ein Team aus übermotivierten Drehbuchautoren die geopolitische Realität steuert. Und zwar jene Art Autoren, die eine Netflix-Serie schon nach fünf Folgen gegen die Wand fahren, weil ihnen das Budget ausgeht und sie verzweifelt versuchen, das Publikum mit plötzlichen Wendungen zu halten. Die Enthüllung, dass angeblich in einem sonnendurchfluteten Anwesen in Miami an einem angeblich epochalen Friedensplan gewerkelt wird, während Europa blinzelt und höflich fragt, ob es vielleicht auch ein Kekschen zum Tee haben dürfe, wirkt wie die schlecht gelaunte Parodie eines John-le-Carré-Romans.

Aber es ist, wie immer, nur die Realität, die sich weigert, geschmackvoll zu sein.

Miami-Diplomatie: Die internationale Politik wechselt in den Casual Dresscode

Wenn wahre Weltmächte miteinander verhandeln, stellt man sich gemeinhin marmorne Hallen vor: goldene Adler, schwere Vorhänge, Männer und Frauen in Anzügen, deren Preis den BIP-Pro-Kopf mancher Staaten übersteigt. Stattdessen: drei Herren aus der Immobilien- und Finanzwelt, die sich in Florida zusammensetzen, als würden sie besprechen, wie man einen besonders widerspenstigen Golfplatz erweitert.

Obwohl sie, zumindest laut Bericht, im Namen zweier atomarer Supermächte sprechen, tun sie es mit jener charmanten Lässigkeit, die sonst nur Hedgefonds-Manager an den Tag legen, wenn sie erklären, warum sie gerade eine Firma mit 8.000 Mitarbeitern abgewickelt haben („war halt strategisch“).

Europa? Europa sitzt metaphorisch vor der Tür auf einer kleinen Holzbank, wie ein Schüler, der dem Direktor auf die Nerven ging.

Der Kapitalfriedensplan: Wenn Gelder reden, schweigen Diplomaten

Die rund 300 Milliarden eingefrorenen russischen Zentralbankreserven sind in dieser Erzählung nicht mehr politisches Druckmittel, sondern eine Art mega-monetäres Überraschungsei, in dem sich Ölrechte, politische Deals und Wiederaufbaupakete befinden – nur ohne Spielzeug, dafür aber mit globalen Nebenwirkungen. Dass diese Summe in Europa eingefroren wurde, ist in diesem Kontext eine Art kosmischer Joke: Die EU hält das Geld stramm wie ein Pfadfinder seine erste Fahne – während andere überlegen, wie man aus diesem Bannstrahl eine Startfinanzierung für eine neue Weltordnung basteln könnte.

So schließt sich der Kreis: Europa schützt Milliarden vor Russland. Russland will sie mit den USA nutzen. Die USA denken darüber nach. Und Europa, das den Schlüssel besitzt, darf sich fragen, ob es eigentlich noch die Hauptrolle spielt oder inzwischen bestenfalls die Figur „überarbeiteter Sachbearbeiter 3“.

Arktisches Monopoly: Wenn Eis plötzlich heiß gehandelt wird

Man könnte meinen, das Schmelzen des Polareises sei eine Tragödie. Falsch. In dieser geopolitischen Groteske ist es vielmehr ein „Business Opportunity“. Die arktischen Rohstoffkorridore, seltene Erden, Gas, Öl – all das verwandelt sich in Chips eines geopolitischen Pokerabends, bei dem keiner weiß, ob man um Billionen verhandelt oder am Ende nur um die letzten Snacks auf dem Tisch.

Während Europa noch „Klimaziele“ murmelt und überlegt, ob man den CO₂-Ausstoß eines Toasters regulieren sollte, bereiten sich amerikanische und russische Industrien bereits auf die neue Pipeline-Ära vor, in der die Arktis zur globalen Tankstelle mutieren könnte. Die EU schaut hin und sagt: „Das ist ja interessant“, als hätte sie gerade entdeckt, dass ihr Nachbar einen Pool im Garten baut, in dem ein Atom-U-Boot parkt.

Nord Stream 2: Das Zombie-Projekt, das niemand wollte – außer denen, die es brauchen

Wie in jedem guten Horrorfilm kehren manche Protagonisten zurück, egal wie oft man sie begraben hat. Nord Stream 2 gehört dazu. Die Pipeline lebt, zumindest als Idee, offenbar fröhlich weiter.

Die Vorstellung, dass ein US-Großspender erwägt, sich das Projekt im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu schnappen, wirkt wie der Plot eines absurden Polit-Thrillers: Amerika kauft Europas Gasabhängigkeit zurück – dieses Mal aber mit dem freundlichen Hinweis „Made in USA“. Ob Europa das beruhigen soll oder nicht, hängt davon ab, wie gern man es hat, wenn fremde Mächte die politische Sauerstoffzufuhr kontrollieren.

Die EU murmelt derweil beinahe trotzig: „Aber… Sanktionen?“ Und Amerika antwortet mit jener paternalistischen Nachsicht, mit der man einem Kind erklärt, dass Regeln zwar wichtig, aber verhandelbar sind – wenn die Erwachsenen Geschäfte machen.

Diplomatie auf Autopilot: Europa als Passagier im falschen Flugzeug

Die Enthüllung, dass klassische diplomatische Apparate angeblich kaum eingebunden wurden, spricht Bände. Es ist, als hätte jemand beschlossen, den Boeing-Cockpit-Schlüssel dem Catering-Team zu geben, weil es „frischer denkt“ und „näher am Kunden“ sei.

Die Verschiebung der Macht – weg von Ministerien, hin zu Privatverhandlern – ist für Europa eine besonders bittere Erkenntnis. Denn es ist der Kontinent, der jahrzehntelang glaubte, die moralische und institutionelle Oberhoheit in internationalen Konflikten zu besitzen. Jetzt agiert man eher wie jemand, der höflich fragt, ob es okay wäre, irgendwann später auch einmal eine Kopie des Vertrags zu bekommen.

Derweil kümmert man sich in Washington und Moskau um die Deals. Europa kümmert sich um die Pressemitteilungen.

Oberst Reisner und die Ökonomie des Krieges: Der Krieg als geostrategischer Sonderposten

Oberst Markus Reisner bestätigt das Offensichtliche mit der stoischen Ruhe eines Mannes, der längst begriffen hat, wie die Welt funktioniert: Wer die Rohstoffe hält, hält die Macht. Wer das Territorium kontrolliert, schreibt die Bedingungen.

Dass die Ukraine versucht hat, Explorationsrechte als Lockmittel einzusetzen, wirkt in dieser Logik tragisch-komisch – als würde jemand sein Fahrrad verkaufen wollen, obwohl es längst von jemand anderem gefahren wird.

Reisners Analyse ist brutal, aber in ihrer Klarheit fast poetisch: Am Ende zählt, wer das Gebiet hält. Und wer es nicht hält, darf gerne ein Bittgesuch formulieren – das allerdings kein Eingangspostfach findet.

Europas Zerfallserscheinungen: Die stille Kunst, sich selbst zu entmachten

Der wahre Skandal ist nicht, dass Washington und Moskau miteinander reden – sie tun es seit Jahrzehnten. Der Skandal ist, dass die EU inzwischen in einer politischen Selbstblockade verharrt, die jeden Entscheidungsprozess zu einem nervenzerfetzenden Spiel aus Veto, Gegenveto und „Wir verschieben es auf den nächsten Gipfel“ macht.

Während Europa über die besten Formulierungen für eine gemeinsame Pressemitteilung streitet, sichern sich andere längst die Gasrechte, die Rohstoffe, die Kapitalhebel, die geopolitischen Vorsprünge.

Europa ist nicht machtlos, weil es keine Macht hätte. Es ist machtlos, weil es seine Macht nicht nutzt.

Das Ergebnis: Ein Kontinent, der zahlt, während andere die Dividende kassieren. Ein politisches Projekt, das von Einigkeit predigt, aber in der Praxis so fragmentiert agiert wie eine WG, deren Mitglieder sich nicht einigen können, wer den Müll rausbringt.

Schlussbild: Wenn zwei Imperien die nächste Weltordnung schreiben – und Europa den Stift hält, aber nicht mitschreibt

Es entsteht eine neue Nachkriegsordnung, so viel ist klar. Sie wird nicht in Brüssel geschrieben, nicht in den Hallen europäischer Ministerien, nicht in den Gremien, die sich gerne selbst als moralische Avantgarde sehen.

Stattdessen entsteht sie in der Schnittmenge aus amerikanischem Kapitalinteresse und russischer Rohstoffstrategie.

Europa könnte eine Rolle spielen – müsste aber erst einmal wissen, welche.

Doch derzeit wirkt der Kontinent wie jemand, der zu spät zur Party kommt, ohne Einladung, aber mit einem selbst gebackenen Kuchen, den niemand bestellt hat.

Washington und Moskau reden, handeln, entscheiden. Brüssel hört zu – und unterschreibt am Ende jene Realität, die andere bereits formuliert haben.

Eine Ironie der Geschichte: Nie zuvor hatte Europa so viel wirtschaftliche Macht – und gleichzeitig so wenig geopolitische Schwerkraft.

Vielleicht wird man eines Tages sagen, dass die Weltordnung im 21. Jahrhundert in Badehose, in Florida, bei schlechten Margaritas und besseren Investitionsversprechen begonnen wurde.

Und Europa? Stand daneben, räusperte sich höflich – und suchte nach seinem Platz im Raum.

Rüstungsumsätze erreichen Höchststand

Wie sich die Welt in ein Duty-Free-Paradies für Kriegsgerät verwandelt

Es gehört zur feinen Ironie unserer Epoche, dass die Menschheitsgeschichte mit jeder neuen technologischen Errungenschaft die Hoffnung weckt, ein wenig weniger barbarisch zu werden – nur um dann festzustellen, dass man die neusten Fortschritte natürlich auch hervorragend dazu nutzen kann, die Barbarei effizienter, eleganter, ja sogar nachhaltiger zu gestalten. Während sich große Teile der Weltöffentlichkeit fragen, woher man im Winter bezahlbare Heizkosten, im Sommer Wasser oder zwischendurch einen Hauch politischen Anstands bekommen soll, liefern die nüchternen Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI die Antwort: Die wirklich krisensichere Branche ist nicht die Pflege, nicht die Bildung, nicht einmal die IT – es ist die bullig glänzende, nach Schmieröl und geopolitischen Alpträumen riechende Rüstungsindustrie, die sich über das globalisierte Elend wie ein bestens geölter, profitgieriger Schatten legt. Ein Umsatzplus von 5,9 Prozent, 679 Milliarden Dollar, Europa im Wachstumsrausch: Man könnte meinen, Kriege seien der neue Wirtschaftsmotor, der einzige Energieträger, der garantiert nicht ausgeht, solange Menschen fähig bleiben, sich gegenseitig zu misstrauen, zu kränken oder aneinander vorbeizureden – also für alle Zeiten.

USA: Der unangefochtene Rüstungs-Supermarkt des Planeten

Ordnung muss sein, auch in der globalen Hierarchie des Tötungsmaschinenhandels. Da wäre es eine Zumutung an die natürliche Ordnung der Dinge, würde nicht wenigstens eine Nation als unbestreitbarer Oberkellner des globalen Waffenbüfetts auftreten. Die USA übernehmen diese Rolle mit der verlässlichen Routine eines Konzerns, der sich sicher ist, dass seine Kundschaft niemals abwandert – nicht etwa wegen der Qualität des Produkts, sondern weil die Weltlage selbst das beste Marketing darstellt. 39 der 100 größten Produzenten residieren dort, und die drei Spitzenplätze Lockheed Martin, RTX und Northrop Grumman glänzen so selbstbewusst wie Edelmetallschilder an den Türen sündhaft teurer Privatkliniken. Nach einem satten Zuwachs stehen sie bei 334 Milliarden Dollar Umsatz, was man diplomatisch als „fast die Hälfte des Weltmarktes“ bezeichnen kann oder weniger diplomatisch als „eine Art planetarer Franchise-Monopolismus für High-End-Zerstörung“.

Mittendrin auch SpaceX, jener technoide Mythos aus der Feder des weltweit bestgepflegten Milliardärs-Ego-Narrativs. Musk schafft das Kunststück, Weltraumromantik mit irdischer Vernichtung zu fusionieren, und die Rüstungseinnahmen haben sich prompt verdoppelt – eine Entwicklung, die wohl nicht einmal Jules Verne mit seinem Hang zur futuristischen Dramatik vorhergesehen hätte. Allerdings läuft trotz all des Erfolgs nicht alles rund: Verzögerungen bei F-35, Columbia-U-Booten und der Interkontinentalrakete Sentinel zeigen, dass selbst der Rüstungssektor nicht frei ist von jener liebenswerten Mischung aus bürokratischer Schlafwandelhaftigkeit und technologischer Selbstüberschätzung, die man sonst nur aus Großflughäfen und Digitalisierungsprojekten kennt.

Europa entdeckt sein Herz fürs Aufrüsten – und es schlägt überraschend kräftig

Europa, dieses alte, zögerliche, moralisch stets mit erhobenem Zeigefinger antretende Projekt, hat offensichtlich beschlossen, dass man angesichts russischer Panzerkolonnen und bröckelnder diplomatischer Kulissen den Zeigefinger nun besser absenkt und dafür den Bestellkatalog hebt. Ein Wachstum von 13 Prozent – moderat klingt anders. Die Deutschen, sonst vor allem berühmt für Logistik, Autos und eine gewisse nationale Hanglage zur Regelhaftigkeit, haben plötzlich ihre industrielle Kernkompetenz wiederentdeckt: Panzer, Geschosse, Luftabwehrsysteme. Rheinmetall legt 47 Prozent zu, ein Traum für Investor:innen, ein Albtraum für alle, die naiv genug waren zu glauben, dass Frieden das neue Normal werden könnte.

Die anderen deutschen Konzerne, von Hensoldt über ThyssenKrupp bis Diehl, scheinen ebenfalls aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen – dabei wurde nie ganz klar, ob es sich um Schlaf handelte oder eher um ein dezentes Warten auf die nächste geopolitische Gelegenheit. Während Airbus und MBDA europäische Ambitionen repräsentieren, zeigt sich Europas industriepolitische Logik so klar wie selten: Krise ist das neue Konjunkturpaket.

Wenn selbst Sanktionen nicht reichen: Die russische Selbstversorgung und die ukrainische Beschleunigung

Man könnte hoffen, dass Sanktionen wirken, wenigstens ein bisschen, wenigstens administrativ. Doch die Rüstung funktioniert nach eigenen, beinahe naturgesetzlichen Regeln: Wo Nachfrage, da Angebot. Russland kompensiert fehlende Komponenten mit gesteigerter Eigenproduktion und einem überbordenden innenpolitischen Bedarf. 23 Prozent Plus – man möchte beinahe applaudieren, wenn der Kontext nicht so verstörend wäre. Die Ukraine wiederum steigert ihre Umsätze um 41 Prozent, was zugleich heroisch, tragisch und unfreiwillig makaber klingt. Wenn ein Land die Rüstungsproduktion steigert, um zu überleben, während das angreifende Land die Rüstungsproduktion steigert, um weiterzumachen, nennt man das im 21. Jahrhundert wohl: ein Marktgleichgewicht.

Nahost: Wenn globale Empörung den Absatz nicht senkt

In Israel zeigt sich eine weitere zynische Wahrheit: Internationale Kritik ist, zumindest wirtschaftlich betrachtet, erstaunlich porenlos. Trotz weltweiter Empörung über das Vorgehen im Gazastreifen steigen die Umsätze der israelischen Konzerne um 16 Prozent. Der globale Markt liebt defensive Innovationen, und israelische Firmen liefern seit Jahren perfektionierte Technologien zur Grenzsicherung, Drohnen-Überwachung und präzisen Zerstörung – alles Güter, die sich nahtlos in die neue Sicherheitsarchitektur der Welt einfügen. Und so bestellen Staaten rund um den Globus weiter, als wäre Krieg ein Naturereignis wie Regen, dem man mit einem besonders hochwertigen Regenschirm begegnet.

Die chinesische Paradoxie: Monopol auf Mineralien, Rückgang bei Waffen

China hält den Schlüssel zu den seltenen Erden, ohne die moderne Rüstung nicht einmal auf dem Papier existieren kann. Europa ist abhängig – ein Fakt, der die politischen Strategiepapiere füllen wird, sobald man damit fertig ist, sich über andere geopolitische Herausforderungen zu beklagen. Und doch bricht Chinas Rüstungsumsatz um zehn Prozent ein. Nicht wegen technischer Probleme, sondern wegen Korruption – ausgerechnet dort, wo man Effizienz zur Staatsideologie erhoben hat. Der Rückgang führt dazu, dass der gesamte asiatisch-pazifische Raum einen Rückgang von 1,2 Prozent verzeichnet – man könnte sagen: ein kleiner Hoffnungsschimmer, wenn er nicht durch strukturelle Skandale verursacht wäre.

Europa als neuer Hotspot – und die moralische Schwerkraft, die sich verflüchtigt

Greenpeace warnt, Europa rüste sich zum globalen Hotspot auf. Das stimmt so sehr, dass es beinahe banal klingt – und dennoch ist der Satz so ungemütlich wie ein unbeabsichtigter Blick in einen Spiegel bei grellem Licht. Die Welt reagiert auf Unsicherheit mit noch mehr Waffen, und man kann der Menschheit nicht einmal einen Vorwurf machen, denn Evolution ist kein Ethikseminar. Doch gerade Europa, das sich stets gern als moralische Instanz inszenierte, rutscht nun mit Beschleunigung in die Rolle eines aufgerüsteten Supermarkts, dessen Regale sich schneller leeren, als sie befüllt werden können.

Epilog, in dem die Menschheit einmal tief durchatmet – oder es zumindest versuchen könnte

Der nüchterne Blick auf die SIPRI-Datenbank zeigt: Wir leben nicht in einer Epoche der Friedensdividenden, sondern im goldenen Zeitalter der Rüstungsrendite. Es ist ein globales Wettrüsten ohne ideologisches Feuerwerk, getragen von pragmatischen Angstreaktionen und marktwirtschaftlicher Brillanz. Und trotz all des Zynismus muss man sich fragen, ob Sicherheit wirklich so entsteht. Oder ob wir gerade erst dabei sind, das 21. Jahrhundert als jenen Moment in die Geschichtsbücher zu schreiben, in dem die Welt begriff: Man kann Frieden nicht erzwingen – aber man kann ihn hervorragend kommerzialisieren.

Wenn die Geschichte hustet, bekommt die Politik Fieber

Es ist ein altbekannter Treppenwitz der Weltpolitik, dass Staatsmänner stets erst dann die Ohren spitzen, wenn das Echo ihrer eigenen Versäumnisse längst zum Donnerschlag geworden ist. In der Ukraine, wo der Krieg als permanenter Hintergrundton den politischen Diskurs wie ein schlecht gestimmtes Cembalo begleitet, droht dieses Echo nun, die feinen Porzellantassen im Präsidentenpalast erzittern zu lassen. Walerij Saluschnyj – General, Held, Diplomat, und nun offenbar auch inoffizieller Hofnarr mit scharf geschliffener Feder – hat einen dieser seltenen Texte veröffentlicht, die wie ein höfliches, aber unmissverständliches „Du hast’s verbockt“ klingen. Ein Gastbeitrag für den Telegraph, aber eigentlich ein offener Brief an die Nation, adressiert an jenen Mann, der derzeit die politische Bühne wie ein hyperaktiver Conférencier dominiert: Wolodymyr Selenskyj.

Dass der General seinen Beitrag nicht gleich „Wie man sich auf eine Invasion nicht vorbereitet – ein Leitfaden für Staatsoberhäupter“ genannt hat, ist vermutlich nur einer diplomatischen Erziehung zu verdanken, für die britische Botschaften ja bekannt sind. Doch der Inhalt lässt wenig Raum für Interpretationen. Und noch weniger für Ausreden.

Vom Umgang mit Warnsignalen: Wenn die Sirenen heulen, aber einer Kopfhörer trägt

Saluschnyj erinnert seine Landsleute daran, dass die russische Armee im Jahr vor der Invasion so sichtbar aufrüstete, dass selbst ein blinder Kosakenhengst es hätte bemerken müssen. Währenddessen, so schreibt der Ex-General mit der stoischen Präzision eines Mannes, der an der Front gelernt hat, nicht zu übertreiben, ging in der Ukraine das Gegenteil vor sich – weniger Geld, weniger Material, weniger alles. Man könnte meinen, die Regierung habe das nationale Verteidigungsbudget wie einen lästigen Stapel Steuerunterlagen betrachtet: „Kann warten. Irgendwann nächstes Jahr.“

Es folgt der entscheidende Satz, der in seiner Lakonie so kalt ist wie ein sibirischer Februarmorgen: „Dadurch traf unser Militär die umfassende Invasion […] mit einem enormen Mangel an allem – von Personal bis zu Waffen.“ Übersetzt ins Politische heißt das ungefähr: „Wir standen da wie eine Marching Band, die zur Schlacht erscheint, aber leider nur mit Flöten und Tamburinen.“

Zwischen den Zeilen steht der Vorwurf, den niemand auszusprechen wagte, solange die Bomben fielen und die Kameras liefen: Selenskyj habe Warnungen der Militärführung ignoriert. Man wollte wohl Optimismus signalisieren. Oder staatsmännische Ruhe. Oder, wahrscheinlicher, schlicht nicht die Wahlkampfstory ruinieren, in der der Präsident als unbeugsamer Held jeder Lage gerecht wurde. Doch irgendwann rächt sich jede PR-Strategie, die mehr auf Leuchtring und Instagram setzt als auf Logistiklisten und Munitionspläne.

Der Rivalitäts-Schwefelgeruch: Wenn zwei Männer um die gleiche Historienseite konkurrieren

Dass Saluschnyj beliebt ist, wäre eine Untertreibung – er ist der Typ Mann, dem in der Ukraine sogar seine Feinde auf Hochzeiten gratulieren würden. Einer dieser wortkargen Militärs, die man respektiert, weil sie darauf bestehen, dass Krieg nicht primär eine Bühne für Pathos ist, sondern eine für Mathematik, Mechanik und gelegentlichen Wahnsinn.

Dass es zwischen ihm und Selenskyj geknirscht hat, ist daher keine Überraschung. Besonders die Schlacht um Bachmut wurde zu einer Art politischem Rosenkrieg, nur mit mehr Artillerie und weniger Romantik. Der General riet zum Rückzug, der Präsident bestand auf der Verteidigung – ganz so, als hätte man zwei Ärzte vor einem leidenden Patienten und der eine wolle amputieren, der andere aber lieber noch eine Instagram-Story drehen.

Die Ironie: Die meisten Analysten geben heute Saluschnyj recht. Wer hätte gedacht, dass militärische Entscheidungen manchmal besser Militärs überlassen werden sollten und nicht jenen Politikern, die gelernt haben, dass Standhaftigkeit auf internationalen Konferenzen mehr Applaus bringt als nüchterne Lagebeurteilungen?

Der General, der mahnt, aber nicht verhandelt: Das Friedensgespenst und seine Fallstricke

Wer allerdings glaubt, Saluschnyj sei nun zum ukrainischen Friedenstauben-Flüsterer avanciert, irrt gewaltig. Der Mann ist Realist, und Realisten sind bekanntlich Menschen, die Zynismus nur deshalb tragen, weil ihnen Illusionen ausgegangen sind.

Seine Warnung ist klar: Ein vorschneller Frieden mit Moskau würde nicht Frieden bringen, sondern eine Atempause – und zwar eine für den Gegner. Den vollständigen Verlust des Donbass nennt er ein Szenario, das Moskau keineswegs zufriedenstellen würde; vielmehr sei das Ziel Russlands die „militärische, wirtschaftliche und politische Zerschlagung der Ukraine“. Kurz gesagt: Wer glaubt, Putin würde sagen „Na gut, dann behalten wir Donezk und gut ist’s“, glaubt vermutlich auch noch an den Weihnachtsmann.

Für Saluschnyj gibt es daher nur eine Antwort: massive Sicherheitsgarantien, echte, belastbare. Nicht die Art von Versprechen, die westliche Diplomaten abgeben, wenn sie eine Pressekonferenz früher beenden wollen, sondern solche, die man tatsächlich nicht bricht – auch dann nicht, wenn die eigene Gasrechnung steigt.

Epilog: Eine Nation zwischen zwei Wahrheiten

So steht die Ukraine nun da, gefangen zwischen zwei unbequemen Wahrheiten: der militärischen Analyse eines Generals, der weiß, wovon er spricht, und dem politischen Instinkt eines Präsidenten, der weiß, wie man im internationalen Rampenlicht überlebt. Saluschnyj wirft keine Bomben, aber Worte – und manchmal sind Worte gefährlicher, weil sie nicht explodieren, sondern nachhallen.

Dass diese Diskussion nun lauter wird, nachdem Selenskyj seinen langjährigen Vertrauten Jermak entlassen musste, zeigt: Die politische Plattentektonik in Kiew verschiebt sich. Und wer weiß – vielleicht steht irgendwann tatsächlich die Frage im Raum, die manche hinter vorgehaltener Hand schon flüstern: Wer führt dieses Land im Krieg besser? Der Mann mit der Uniform oder der Mann mit der Kameraausstrahlung?

Doch bis dahin bleibt eines gewiss: Die Ukraine braucht beides – einen, der kämpft, und einen, der spricht. Und vielleicht, eines Tages, sogar einen, der zuhört.

Wohin steuern wir?

Europas innere Front als Theater der Absurdität

Europa steuert nicht, nein, es taumelt, stolpert in die Zukunft, als ob es einen Kompass hätte, der ausschließlich aus Angst, bürokratischem Furor und rhetorischer Eleganz zusammengesetzt wäre. Frankreich verkündet mit feierlicher Nüchternheit, dass das Gesundheitssystem ab sofort „Kriegsmodus“ erreicht, und man kann kaum übersehen, dass dieser Modus eine Mischung aus Horrorvision, logistischer Meisterleistung und absurdem Theater ist: Zehntausende Verwundete, mobile Lazarette an Häfen und Flughäfen, nationale Reserven, die so geheim sind, dass selbst die Akten darüber die Lesebrille der Vernunft benötigen. Doch wessen Krieg wird hier vorbereitet? Offiziell heißt es: die Frontlinien Osteuropas. In Wahrheit ist die Sprache der Regierung so doppeldeutig wie die französische Küche: elegant, schwer verdaulich und voller versteckter Zutaten. Man spricht vom Feind draußen, doch er sitzt längst auf dem Bürgersteig vor der Metro, in den Banlieues, in den urbanen Zonen, die seit Jahren wie schwelende Minen auf jede unbedachte Bewegung warten.

Die doppelte Sprache der Macht und der kultivierte Panikmodus

Die Kriegsrhetorik ist kein Zufall, sie ist eine strategische Theateraufführung. Wer von Moskau spricht, darf nicht von Marseille reden. Wer den Feind im Osten heraufbeschwört, muss nicht über die zerbrochenen Loyalitäten, die Proteste, die Gelbwesten und die urbanen Explosionen sprechen. Gleichzeitig verschafft diese Rhetorik den Regierenden die Legitimation, Ressourcen zu mobilisieren, Budgets in Milliardenhöhe freizuschaufeln, Notfallkapazitäten zu errichten – offiziell gegen äußere Aggression, inoffiziell gegen die eigene Bevölkerung, die schon lange gelernt hat, dass die Stadt die Frontlinie ist, selbst wenn kein Panzer in Sicht ist. Frankreich bereitet sich vor, Deutschland verhüllt die gleiche Angst in technokratischen Formeln: „kritische Infrastruktur“, „Resilienz“, „Rahmenpläne“. Alles klingt nüchtern, administrativ, wie das Vorspiel einer Bürokratie, die den eigenen Untergang in Excel-Tabellen zu messen versucht.

Krieg und Aufstand: die Gleichung der Unsicherheit

Hier offenbart sich ein paradoxer Kern: Krieg und Aufstand sind längst keine Gegensätze mehr. Die Betten, die Frankreich zählt, könnten sowohl für Gefechte an der Ostfront als auch für Straßenschlachten in den Vorstädten bestimmt sein. Die Metropolen Europas werden zu einer Art simultanem Schlachtfeld, wo Verwundete auf beiden Seiten der vermeintlichen Front landen, wo Panik und Organisation, Propaganda und Panade ineinanderfließen wie Remoulade auf Fischstäbchen – nur dass hier keine kulinarische Freude, sondern gesellschaftliche Panik serviert wird. Und wer es nüchtern betrachtet, erkennt, dass die eigentliche Schlacht nicht zwischen Staaten, sondern innerhalb der eigenen Städte, Krankenhäuser und Köpfe stattfindet.

Ein Dokument der Zerrissenheit und der absurden Selbsttäuschung

Frankreichs Schreiben vom 18. Juli 2025 ist somit mehr als ein Plan für militärische Evakuierungen oder Lazarette. Es ist ein Dokument der Unsicherheit, der inneren Zerrissenheit Europas, der Fähigkeit, sich selbst zu belügen, während man sich auf „den Ernstfall“ vorbereitet. Die größte Schlacht der kommenden Jahre wird nicht an der Grenze geführt, sondern in den Herzen der Metropolen – in Krankenhäusern, die gleichzeitig Lazarett, Theaterbühne, Bühne der Panik und Spiegel innerer Zerwürfnisse sind. Europa inszeniert sich selbst als Akteur in einem Krieg, dessen Feind, so scheint es, längst nicht mehr greifbar ist. Er wohnt in den eigenen Straßen, in den eigenen Strukturen, in der subtilen, fast schon komischen Widersprüchlichkeit der politischen Sprache. Wer hier überlebt, wird nicht nur an Mut, sondern an satirischer Resilienz gemessen.

Leonardo ohne Vinci

Von der Namensmagie im Rüstungsdschungel

Es ist eine dieser bizarren Selbstverständlichkeiten der Gegenwart, dass man sich als Bürger, Steuerzahler und interessierter Beobachter einer Demokratie gelegentlich vorkommt wie ein Zuschauer eines absurden Theaterstücks, in dem der Hauptdarsteller ständig die Bühne wechselt – nicht aus künstlerischem Ehrgeiz, sondern aus der Notwendigkeit, die eigenen Skandale zu verschleiern. So geschehen bei Finmeccanica, die, wohl wissend, dass ihr Name in den Archiven der Korruption und der geschändeten Helikopterträume Indiens für immer verankert ist, sich kurzerhand in Leonardo umtaufte. Leonardo da Vinci, Universalgenie, Maler, Ingenieur, Visionär – was für ein subtiler Hauch von Renaissance und Kultur über einem Unternehmen, dessen größtes Talent lange darin bestand, sich in Offshore-Konstrukten und Schmiergeldkanälen zu winden. Die italienische Tradition, Skandale mit Namen zu kaschieren, wird hier auf höchstem Niveau zelebriert: Ein Namenswechsel ersetzt die Moral, wie ein frisch lackierter Panzer die historische Schuld überdeckt.

Der Ankauf österreichischer Kampfjets als Paradebeispiel diplomatischer Fingerübungen

Und so kommt es, dass die österreichische Bundesregierung, in Gestalt von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, in einem Akt nationaler Sicherheitspolitik der besonderen Art, zwölf M-346-FA-Kampfjets zu einem Stückpreis von 80 Millionen Euro kauft – während andere Staaten für dasselbe Gerät, offenbar auf einem weniger kreativen Markt der Steueroptimierung, lediglich 50 Millionen Euro zahlen. Der Preisaufschlag wird natürlich mit einer besonders luxuriösen Version begründet: die AMG-Ausgabe unter den Trainingsjets, für Österreich quasi das Red-Bull-Feeling in Metall gegossen. Man spürt förmlich die Panik, dass der mündige Bürger sonst auf die Idee kommen könnte, Steuergeld sei nicht nur dazu da, Prestigeobjekte zu finanzieren, sondern auch dazu, sinnvolle Sicherheitsstrukturen zu unterhalten. Dass von Varese über Venegono Superiore Millionenbeträge fließen, wird eher beiläufig erwähnt, als handle es sich um ein harmloses Kuriosum, nicht um ein Geschäft, das in der Vergangenheit bereits zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen führte.

Korruption als Geschäftsprinzip

Die Geschichte von Finmeccanica alias Leonardo liest sich wie ein Lehrbuch in angewandter Korruption. Der Helikopterdeal mit Indien, bei dem die Spezifikationen „zufällig“ so verändert wurden, dass sie nur dem Anbieter nützten, und bei dem 30 bis 51 Millionen Euro in verschlungenen Offshore-Kanälen verschwanden, illustriert die beinahe künstlerische Präzision, mit der Bestechung und Unternehmensstrategie miteinander verwoben werden können. Man muss die Ironie erkennen: Während in Österreich gerade die Verteidigungsministerin stolz die Sicherheitspolitik verkündet, zeigt der Blick zurück, dass „Sicherheit“ und „Korruption“ oft nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Razzia gegen Giuseppe Orsi, die Hausarrests, die jahrelangen Verfahren, die schließlich zu milderen Strafen führten, sie alle zeigen ein Muster: Skandale enden selten im Ruin, aber in einem Namenswechsel.

Leonardo als Triumph der PR über die Geschichte

Und dann, im Januar 2017, der Coup: Finmeccanica ist Leonardo. Ein Schritt, der nach außen wie ein kreativer Neuanfang wirkt, intern aber eher einer strategischen Selbstvergewisserung gleichkommt – wir waren korrupt, ja, aber jetzt sind wir innovativ! Die Umbenennung ist die literarische Pointe der Unternehmensgeschichte, ein Akt der Selbstmythologisierung, der die Erinnerung an indische Ermittler, Offshore-Geldflüsse und gescheiterte Deals elegant ausblendet. Leonardo wird zum Symbol für europäische Ingenieurskunst und Cyber-Sicherheit, während die Schatten der Vergangenheit wie unbequeme Gäste in der Ecke bleiben, deren Namen niemand auszusprechen wagt.

Österreich und der Spiegel der Geschichte

Für Österreichs Steuerzahler ist der Kauf der zwölf Jets ein Lehrstück: Wer hoch fliegt, zahlt mehr, und wer in die Geschichte schaut, muss erkennen, dass hinter glitzernden Metallhüllen oft dieselben alten Muster lauern. Leonardo liefert, Österreich zahlt, die Medien berichten freundlich, die Politik applaudiert, und die Namen der Verantwortlichen – wie Orsi, Spagnolini oder Tyagi – bleiben ferne, abstrakte Figuren in einem Spiel, das Steuerzahler und Bürger nur vom Rand betrachten dürfen. Die Steuermilliarden fließen, der Jet hebt ab, und der Skandal bleibt, verborgen unter der glänzenden Lackierung der AMG-Ausgabe.

Vom heroischen Verzicht und der Panik der Küchenpflicht

Es gibt eine Dimension des Menschseins, die bislang weder Philosophen noch Poeten hinreichend zu greifen vermochten, weil sie sich zu sehr auf das Ideale konzentrierten und zu wenig auf das Praktische: Ich, allein, stehe vor einer Packung Fischstäbchen. Es ist nicht die bloße Gegenwart eines industriell vorgefertigten Nahrungsmittels, die mich in den Abgrund meiner eigenen Lebensentscheidungen stürzt, sondern die unvermeidliche Reflexion über die vergebliche Bemühung, das Leben ästhetisch zu gestalten. Die Pfanne verlangt 15 Minuten der Aufmerksamkeit, ein Zeitraum, der im Verhältnis zu unserem modernen Tempo absurd, ja nahezu subversiv erscheint; der Ofen hingegen, stoisch wie ein alternder Philosoph, akzeptiert die Übergabe der Verantwortung mit gleichgültiger Würde. Welch triumphaler Akt der Bequemlichkeit, welch stilles Martyrium der Selbstoptimierung! Wir haben die Mühsal des Kochens gegen die mechanisierte Selbstzufriedenheit eingetauscht – und nennen es Fortschritt.

Fisch, das melancholische Fleisch

Man muss es aussprechen, ungeschönt, ohne Umschweife: Fisch ist Fleisch mit Komplexen. Kein simpler Leib, kein schlichtes Protein, sondern ein Wesen, das die traumatische Introspektion des Wassers in sich trägt, bevor es den menschlichen Gaumen erreicht. Die Panade, diese dick aufgetragene Maske der Sicherheit, ist mehr als ein kulinarisches Mittel; sie ist ein Schutzschild gegen das Entsetzen des Daseins, eine Allegorie der menschlichen Hybris, die alles Natürliche in künstliche Perfektion hüllt. Zehn Kilo Panade – ein Übermaß, das grotesk wirkt, doch notwendig ist – und ein Bottich Remoulade, die überdimensionale Salbung unserer eigenen Zweifel, transformieren den Fisch in ein Objekt der absoluten Verfügbarkeit. Geschmack? Eine optionale Dimension. Wahrheit? Ebenfalls optional. Alles wird nivelliert unter der dominanten Macht der Oberfläche.

Der Ofen als kaltes Symbol unserer Zeit

Wer heute den Ofen wählt, der hat nicht einfach den Herd vermieden; er hat die gesamte Tragik des modernen Lebens in einer mechanischen Apparatur kondensiert. Die Pfanne, diese klassische Waffe des Heldenkochens, verlangt Engagement, Schweiß, eine Bereitschaft zur unmittelbaren Verantwortung – Tugenden, die im Zeitalter des Sofortigen längst als antiquiert gelten. Der Ofen hingegen, mit seiner stoischen Gleichgültigkeit, symbolisiert die Gleichschaltung unserer Existenz, die Reduktion komplexer Prozesse auf einfache Mechanik: Ein Knopfdruck genügt, und das Mahl erledigt sich selbst, während wir in andererlei, unbedeutender Tätigkeit unsere Zeit vergeuden. Es ist die Metapher der postmodernen Welt: alles schnell, alles bequem, alles mediokreffizient – eine Allegorie auf die Gleichgültigkeit, die wir gegenüber der Substanz hegen, solange die Oberfläche glänzt.

Panade, Remoulade und die letzte Ironie

Und hier offenbart sich die volle Ironie: Das Stück Fisch, ummantelt von überdimensionierter Panade, getaucht in einen Bottich Remoulade, ist nicht bloß Nahrung. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, ein Monument der Selbsttäuschung, ein ironischer Kommentar auf die Hybris des Menschen, der glaubt, dass Überdosis, Oberfläche und Geschmackssimulation alle Unzulänglichkeiten kompensieren könnten. Wir konsumieren nicht, wir maskieren. Wir maskieren nicht, wir triumphieren über die Banalisierung unseres Lebens, solange wir es nur in golden-braune Rechtecke pressen und in Ketchup-artige Substanzen tauchen können. Jede Kruste, jede Kleckse Remoulade ist eine kleine Selbstverteidigung gegen die Erkenntnis, dass wir weder die Kontrolle über das Leben noch über das Essen besitzen. Wir sind Helden der Panade, Propheten der Convenience, Satiriker unseres eigenen Mangels an Ambition – und lachen dabei, wenigstens innerlich, über die ganze groteske Farce.

Die Epiphanie des Industrie-Fisches

So steht am Ende nicht der Fisch im Mittelpunkt, sondern wir selbst, unsere Komik, unsere Tragik, unsere permanente Selbstinszenierung. Wir sehen den Fisch nicht, wir sehen uns – in jedem goldbraunen Rechteck spiegelt sich die vergebliche Suche nach Sinn, nach Geschmack, nach Vollendung. Und während der Ofen stoisch seine Arbeit verrichtet, erkennen wir: Die wahre Leistung des Lebens liegt nicht im Erreichen, sondern im Ertragen, nicht im Genießen, sondern im Beobachten, nicht in der Perfektion, sondern in der grotesken, satirischen Überhöhung des Alltäglichen. Wer also meint, Fischstäbchen seien nur Nahrung, der hat den Kern der modernen Existenz nicht begriffen: Sie sind Allegorie, Satire, Kommentar und Mahnmal zugleich.

Ein Altar aus Pappmaché für die schlechte Laune Europas

Es ist eine dieser Episoden des Kulturbetriebs, in denen man auf halbem Weg zwischen Entrüstung und Gelächter stehen bleibt — eine Art seelischer Spagat, vergleichbar mit dem Augenblick, in dem man im Museum auf ein Kunstwerk blickt, das sich beim zweiten Hinsehen als schlecht gereinigter Feuerlöscher entpuppt, aber bereits von der Kritikerelite zur „subversiven Volte des spätkapitalistischen Diskurses“ geadelt wurde. Und nun, im ehrwürdigen Künstlerhaus Wien, hat man der europäischen Müdigkeit gegenüber ihren eigenen Symbolen eine neue Bühne gezimmert: Die Ausstellung „Du sollst dir ein Bild machen“, deren Titel schon klingt, als wäre Moses’ zweites Tablet direkt an die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Hauses gefaxt worden. Doch dieses Bildmachen, so scheint es, ist eine Tätigkeit, die in einem Europa der ausfransenden Gewissheiten vor allem als Gelegenheit dient, alte Tabus lustvoll zu entkernen — und gleichzeitig in der Pflicht steht, nur ja nicht jene Tabus anzurühren, die von anderen Religionen mit ungleich vitalerem Selbstbewusstsein bewacht werden.

Die Meldestelle Christenschutz — ein Name, der wie eine Mischung aus NGO, Ordnungsamt und Notruf für gekränkte Seelen klingt — hat jedenfalls Alarm geschlagen. Zielsicherheit, könnte man sagen, die man sonst nur von Behörden kennt, die früher einmal über Kriegsdienstverweigerer entschieden und dabei eine strenge, fast liturgische Ernsthaftigkeit an den Tag legten. Jene Ernsthaftigkeit, die einem unweigerlich einfällt, wenn man an die trockene Pedanterie von Himmlers Schreibtischdenken erinnert wird: dieser ministerialen Monotonie, die im 20. Jahrhundert bewiesen hat, dass Bürokratie mit Ideologie zusammen stets auf Abwege führt. So weit geht die heutige Debatte natürlich nicht — aber ein schwacher Abglanz jener düsteren Strenge flackert auf, wenn religiöse Gefühle nun wieder wie Besitztümer behandelt werden, die allein durch symbolische Berührung zu Schaden kommen könnten.

Über Kunst, die sich auflehnt, und Gläubige, die das Echo für eine Attacke halten

Besonders laut ist das Echo diesmal wegen der Trans-Maria. Ein Kunstwerk, das, würde man es aus dem Diskurs herauslösen, vermutlich einfach als Versuch durchginge, den jahrhundertelang eingefrorenen Katalog christlicher Bildwelten aufzutauen, indem man einmal gründlich an seinen symbolischen Leitungen rüttelt. Doch in einer Zeit, in der jede Abweichung als potenzielles Sakrileg gewertet wird, erscheint selbst ein Kunstharz-Penis an der Pietà wie ein vergessener Blindgänger aus ideologischen Schützengräben. Man hat fast den Eindruck, dass manche Betrachter beim Eintritt in die Ausstellung unwillkürlich Haltung annehmen, als müsste gleich ein Vorgesetzter mit strengem Blick überprüfen, ob die Kunstschau womöglich gegen irgendeine Vorschrift verstößt, deren Paragraphen am Rand vergilbt und kaum noch lesbar sind.

In Wirklichkeit jedoch sind es nur Bilder. Bilder, die sich erlauben, blasphemisch zu wirken — ein Begriff, der schon allein deshalb unfreiwillig komisch ist, weil er sich angesichts der kulturellen Dauerprovozierung der letzten Jahrzehnte anfühlt wie ein altertümlicher Hut auf einem Punkkonzert. Doch die Aufregung zeigt, wie brüchig der Konsens geworden ist: zwischen jenen, die Kunst als Freiraum begreifen, und jenen, die in jedem ironischen Seitenhieb auf die heilige Ikonografie bereits den Untergang des Abendlands wittern.

Die spirituelle Hausordnung Europas: Warum manche Symbole unverwundbarer sind als andere

Der Vorwurf, dass solche Arbeiten im Kontext islamischer Traditionen „nie“ denkbar wären, ist zugleich naiv und entlarvend. Naiv, weil das Wort „nie“ in der Kunstgeschichte grundsätzlich von Ignoranten ausgesprochen wird, und entlarvend, weil es zeigt, dass sich Europa längst an ein Gefälle der Empfindlichkeiten gewöhnt hat: Man kann das Kreuz, diesen überbeanspruchten Logo-Entwurf des Abendlands, mit Latex, Noppen, Fröschen, Schaf-Wolf-Priestern und Trans-Marias versehen, ohne dass die Polizei die Türen eintritt. Aber wehe, man beträte die Zone anderer Religionen — Zonen, in denen die Vorstellung von symbolischer Unantastbarkeit noch funktioniert wie militärischer Drill.

Das Christentum ist, in dieser Lesart, zur bellenden Kulisse geworden: viel Geräusch, wenig Biss. Und die Künstlerszene weiß das. Sie spielt darauf wie auf einem alten Harmonium, dessen Tasten manchmal klemmen, aber dessen Ton immerhin keine Fatwa nach sich zieht. Ironischerweise lässt sich diese Asymmetrie mit einer Strenge betrachten, die an jenen überkorrekten Ton erinnert, mit dem einst über Kriegsdienst entschieden wurde: eine Mischung aus moralischem Ernst und bürokratischer Endgültigkeit, die auch Himmler zu vertraut gewesen wäre, wenn auch zu gänzlich anderen, verheerenden Zwecken. Dass solche dunklen historischen Parallelen überhaupt aufscheinen, zeigt schon, wie nervös die Debatte geführt wird: Die bloße Möglichkeit einer Verletzung religiöser Gefühle wird behandelt wie ein Grenzübertritt in einem ideologischen Sperrgebiet.

Ein Europa, das lacht, weil Weinen politisch zu kompliziert geworden ist

Doch am Ende bleibt die Frage: Ist es wirklich die Trans-Maria, die verletzt? Oder ist es das ungute Gefühl, dass die alte Symbolwelt des Kontinents bröckelt wie Kirchenputz, während gleichzeitig neue Identitäten mit jener militanten Selbstgewissheit auftreten, die man sonst höchstens aus Geschichtsbüchern kennt, in denen die Namen der großen Organisatoren des Gehorsams stehen — Namen, die man nicht leichtfertig in den Mund nimmt, aber im Geiste dennoch als Mahnung wachhalten muss.

Vielleicht ist die Wahrheit viel banaler: Europa hat verlernt, seine Symbole zu schützen, weil es vor allem damit beschäftigt ist, sie zu diskutieren. Ein Christentum, das nicht mehr als Autorität, sondern als Diskussionsgegenstand wahrgenommen wird, verliert zwangsläufig seine Immunität. Kunstwerke wie „Mary’s Penis N°3“ sind daher weniger Angriff als Symptom: ein Seismograf dessen, was gesellschaftlich verhandelbar geworden ist, und dessen, was man nur zu sein glaubt.

Und so wird diese Ausstellung zu einem Spiegel: für die Gläubigen, die sich im Namen der Würde gekränkt fühlen; für die Künstler, die sich im Namen der Freiheit herausgefordert fühlen; und für all jene, die inmitten dieses Konflikts nur gelangweilt seufzen und feststellen, dass Europa sich moralisch längst in eine Art Dauerzirkus verwandelt hat. Ein Zirkus, in dem ständig neue Sensationen versprochen werden, während die eigentliche Tragik darin besteht, dass keiner mehr so genau weiß, was überhaupt noch heilig ist — und ob das Lachen, das man hört, Befreiung bedeutet oder bloß ein müdes Pfeifen im Dunkeln.

Die feierliche Erhebung des moralischen Staubkorns zum kosmischen Meteor

Es gibt Momente, da wirkt die Gegenwart, als hätte jemand das kollektive Nervensystem der Republik straff an eine überempfindliche Alarmanlage angeschlossen. Ein falscher Laut, ein undeutliches Husten, ein Tweet mit zwei Buchstaben zu wenig — und schon heulen jene Sirenen los, die einst nur bei echten Katastrophen genutzt wurden. Heute jedoch erschütterten uns bereits Situationen, die früher als „normales menschliches Miteinander“ durchgegangen wären. Man könnte durchaus vermuten, der politische Diskurs liege in den letzten Zügen, doch tatsächlich war er nie vitaler: Er hat nur seine Ernährung umgestellt und lebt jetzt fast ausschließlich von Empörungskohlenhydraten und moralischem Hochprozentigem. Dass die Verdauung darunter leidet, ist absehbar.

Denn die moderne Moral ist nicht länger eine freundliche Lebensberatung, sondern ein Hochspannungsgerät, das jeder freiwillig in die Hand nimmt und dann überrascht ist, wenn der Strom durch den eigenen Arm fährt. Moral ist heute nicht das leise Flüstern des Gewissens, sondern der Presslufthammer des Virtue-Signaling: ratternd, ohrenbetäubend, unaufhaltsam. Und während die Gesellschaft unter dem vibrierenden Getöse erzittert, halten sich alle die Hände an die Brust, um zu signalisieren, dass sie natürlich aus reinem Herzen rütteln. Das ist wichtig. Ohne die moralische Signatur am Ende jedes Statements wäre die Welt ein deutlich friedlicherer, aber auch gelangweilterer Ort.

Ein Volk von Hilfssheriffs – bewaffnet mit Screenshot und Empörung

Man hat das Gefühl, die Deutschen hätten nach jahrzehntelanger Suche endlich ihr natürliches Habitat gefunden: nicht im Wald, nicht im Schrebergarten, nein — in der Rolle des digitalen Hilfssheriffs. Die Blockwarte der Vergangenheit, die noch umständlich Listen führten und durch den Hausflur schlichen, wären neidisch auf die Eleganz, mit der man heute mit einem Fingertipp einen moralischen Weltkrieg entfesselt.

Wer braucht noch einen Staatsschutz, wenn jeder Bürger sein eigener Mini-Geheimdienst ist, ausgestattet mit der heiligen Dreifaltigkeit der Moderne: Screenshot, Retweet, Kommentarspalte. Die Empörungsgesellschaft arbeitet effizient, nachhaltig, CO₂-neutral — und vor allem unermüdlich. Ein Verdacht genügt. Und selbst den kann man sich sparen.

Die Denunziation ist mittlerweile so niedrigschwellig, dass selbst Haustiere sie anwenden könnten, hätten sie nur ein Smartphone. Vielleicht sollten wir froh sein, dass Katzen sich nicht für Ideologie interessieren und Hunde keine Stalken-Funktion beherrschen — sonst gäbe es eine „Meldestelle für Unzureichende Streicheleinheiten“.

Die moralische Reizleitung – wie aus jedem Funken ein Flächenbrand wird

Interessanterweise sind es nicht selten die banalsten Alltagsszenen, die heute das Potential zur moralischen Kernschmelze besitzen. Jemand macht einen Witz, der unglücklich landet? Sofort ist das Tribunal zur Stelle. Jemand äußert sich unbeholfen? Schon steht die digitale Folklore bereit: Aufspannen des Schirms der Empörten, Sammeln der Missfallensklicks, rituelles Reinigen der eigenen Seele durch Verachtung der fremden.

Die moderne Empörung funktioniert wie ein absolutistischer Monarch: Sie braucht kein Verfahren, nur ein Gefühl. Kein Beweis, nur eine Behauptung. Keine Konsequenz, nur die Möglichkeit einer Konsequenz. Moralische Aufladung bedeutet heute, dass jeder Satz potenziell unter Starkstrom steht. Ein falsches Wort, und die Sicherung fliegt raus — allerdings nicht die der Gesellschaft, sondern die des Betroffenen. Die Gemeinschaft bleibt hell erleuchtet, er jedoch sitzt im Dunkeln.

Die permanente Rüge als Lebensstil

Bemerkenswert ist, wie viele Menschen sich in dieser Atmosphäre nicht eingeschüchtert, sondern regelrecht aufblühen. Es gibt offenbar Persönlichkeiten, die beruflich oder emotional nur dann existieren, wenn sie sich gerade über etwas empören dürfen. Sie gehen in der Rolle des gesellschaftlichen Korrektivs auf wie ein Hefekuchen, der sich endlich in einem warmen Ofen wiederfindet.

Man könnte sagen, es handle sich um die Wiedergeburt einer alten Leidenschaft der Deutschen: gründliche Verwaltung. Doch statt Akten zu verwalten, verwaltet man heute moralische Verfehlungen – und zwar mit preußischer Präzision. Früher hätte man Listen geführt über Kartoffelvorräte oder Kriegsdienstverweigerer; heute führt man Listen über Personen, die das falsche Pronomen verwendet oder eine Textzeile falsch interpretiert haben. Und wie damals gilt der Grundsatz: Fehlerfreiheit ist Pflicht, Abweichung ist Absicht, und Absicht ist Verrat.

Die große Umverteilung der Schuld

Ein besonders faszinierender Mechanismus des Denunziationskultes ist die Möglichkeit, eigenes moralisches Unbehagen einfach an andere weiterzureichen. So entsteht eine eigentümliche Form sozialer Thermodynamik: Schuld kann nicht vernichtet, aber hervorragend übertragen werden. Am besten auf Menschen, die einem ohnehin nicht gefallen. Die moralische Energie ist stets im Fluss, stets in Bewegung, stets auf der Suche nach der nächsten Person, die sich unvorsichtig in der Öffentlichkeit zeigt.

Dass diese Schuldumverteilung oft vollkommen unabhängig vom eigentlichen Fehlverhalten geschieht, stört niemanden. Im Gegenteil: Genau darin zeigt sich die Schönheit des neuen Systems. Man muss nicht mehr warten, bis jemand eine echte Verfehlung begeht — man kann moralische Aufladung auch auf Vorrat erzeugen. Schließlich wäre es Verschwendung, die mühsam erworbene Empörungskraft ungenutzt zu lassen.

Der Rückzug ins Private – oder: wie man lernt, die Klappe zu halten

Es ist daher kaum verwunderlich, dass immer mehr Menschen sozialphobische Tendenzen entwickeln, sobald sie einen Tweet verfassen oder eine WhatsApp-Nachricht abschicken. Die Selbstzensur wird zum Volkssport; das innere Lektorat zum vertrautesten Freund. Man tippt einen Satz, löscht ihn, tippt erneut, löscht ihn wieder, und am Ende schreibt man nur noch neutrale Höflichkeitsfloskeln, als lebte man in einer Welt, in der Sprache ausschließlich aus präzise austarierten diplomatischen Noten bestehen darf.

Der durchschnittliche Bürger wirkt inzwischen wie ein Pressesprecher seiner selbst, der ständig darauf bedacht ist, keine missverständlichen Mitteilungen zu veröffentlichen. Die große Ironie: Nicht der Staat zwingt ihn zur Vorsicht, sondern seine Mitmenschen. Die Denunziationskultur ist die einzige Form sozialer Kontrolle, für die keine Diktatur nötig ist — sie entsteht ganz natürlich aus der Lust, das Richtige zu fühlen.

Epilog: Die Hoffnung, irgendwo zwischen Empörung und Vernunft noch Mensch zu bleiben

Man könnte meinen, es sei alles verloren. Doch manchmal, in seltenen Momenten, erkennt man zwischen den moralischen Territorien und den Denunziationsschützengräben noch den Homo sapiens, der sich unbeholfen am Kopf kratzt und fragt, wie es so weit kommen konnte. Und gelegentlich blitzt ein Funken Selbstironie auf, ein Lächeln, ein „Vielleicht haben wir’s ein bisschen übertrieben“.

Es wäre zu schön, glaubte man, diese Einsicht breite sich aus. Aber vermutlich wird sie sofort von einem moralischen Schnellgericht als Relativierung eingestuft und mit zwölf Hashtags hingerichtet.
Dennoch — und sei es nur aus Trost: Solange Satire existiert, solange Humor zwischen den Flanken moralischer Hochrüstung überlebt, besteht Hoffnung. Vielleicht finden wir irgendwann wieder zurück zu einer Gesellschaft, die Kritik vom Verrat unterscheiden kann und Empörung von Ernsthaftigkeit.

Bis dahin allerdings bleibt nur eines: vorsichtig sein, leise sprechen und regelmäßig die Sicherungen prüfen. Denn in einem Land voller moralischer Starkstromleitungen kommt es schneller zum Kurzschluss, als einem lieb sein kann.

Dublin, die Hauptstadt der symbolischen Akrobatik

Man stelle sich Dublin vor: eine Stadt, deren Kopf voll ist mit literarischem Stolz, deren Straßen nach Joyce, Yeats und Beckett riechen, und die gleichzeitig den Mut aufbringt, Geschichte auszulöschen, sobald sie unbequem wird. Chaim Herzog Park, 2018 anlässlich des hundertsten Geburtstags eines Mannes eingeweiht, dessen Lebenslauf jede beliebige politische Ideologie überdauern würde, ist das perfekte Sinnbild für diesen urbanen Zirkus. Herzog, Sohn der Stadt, Jude, Soldat, Jurist, Befreier von Bergen-Belsen, Vernehmer von Himmler, Oberstleutnant der britischen Armee – ein Mann, dessen Existenz den Stolz auf Irland und die Würde der Menschheit zugleich verkörperte. Und doch: Kaum hat man den Namen auf ein Schild gepinselt, schon ist Dublin bereit, diesen Giganten in den Schatten der Bedeutungslosigkeit zu stellen, mit der Selbstsicherheit eines städtischen Dekorateurs, der entscheidet, dass „modernes Design“ Altlasten ersetzt.

Vom Kriegsdienst zur politischen Fußnote

Herzog hat nicht nur Juristenbücher gelesen, sondern in Panzertruppen die Hölle Frankreichs überlebt, Lager befreit und die Abgründe deutscher Kriegsverbrechen dokumentiert. Er hat Himmler befragt, als ob er ein unangenehmes Missverständnis aus der Schule aufklären wollte, während Millionen Leben auf dem Spiel standen. Und heute? Heute wird dieser Mann, der moralische Klarheit im Chaos des Krieges bewies, von einer städtischen Kommission aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen, weil ein einzelner politischer Standpunkt ihn zu einem unbequem gewordenen Möbelstück macht. Die Ironie ist so dick, dass man sie fast schneiden könnte: ein Soldat, der Massenmord konfrontierte, wird auf ein Schild reduziert, das jetzt politischer Schachfigur dienen soll.

Die Kommission, der Widerstand und das triumphale Urteil

Eine Gegenstimme in einer Kommission, die ansonsten einstimmig entschieden hat, den Namen Herzog zu entfernen – man möchte fast applaudieren. Welch ein brillantes Stück demokratischer Performanz: einstimmig, bis jemand das Rückgrat beweist, nur um danach von der öffentlichen Meinung überrollt zu werden. Denn noch bevor irgendein neuer Name diskutiert wurde, erhoben sich Aktivisten, als hätten sie einen Spielplan der moralischen Erpressung bereits vorbereitet, und forderten die Umwidmung in „Free Palestine Park“. Das ursprüngliche Ziel, einen Sohn Dublins zu ehren, wird so elegant ersetzt durch ein politisches Statement, das sich wie ein unvermittelter Faustschlag in die städtische Identität anfühlt.

Politische Radikalisierung als städtische Virtuosität

Man muss Dublins Politik einfach bewundern: radikal links, voller Symbolik, bereit, historische Komplexität zugunsten eines ideologischen Schnellschusses zu opfern. Die Wahl von Catherine Connolly, die Israel als „Terrorstaat“ bezeichnete, verleiht dieser Dynamik einen besonderen Glanz: Staatliche Legitimation trifft auf moralische Kurzsichtigkeit, und die Stadt wird zu einem Schachbrett, auf dem historische Figuren durch politische Botschaften ersetzt werden. Dass es dabei nicht um Debatte, sondern um Eskalation geht, zeigt die Intensität, mit der öffentliche Parks zu Symbolbühnen politischer Selbstinszenierung werden.

Ein Park als Bühne der absurden Ironie

Am Ende ist der Park nicht nur Grünfläche, sondern eine Bühne absurden Theaters. Chaim Herzog, der Soldat, Jurist und Sohn Dublins, würde wahrscheinlich mit einer Mischung aus Amüsement und Entsetzen auf das Schauspiel blicken: Sein Leben, in wenigen Jahren eines Jahrhunderts so voller Bedeutung, wird nun als Staffage für zeitgenössische Ideologien verwendet. Dublin, in seinem postmodernen Überschwang, hat nicht nur die Geschichte gestrichen, sondern sie in einen bizarren Spiegel der eigenen Unsicherheit verwandelt: Man feiert den Aktivismus, während man den Sohn der Stadt vergisst.

Vom Humor der Tragik zur Tragik des Humors

Und hier, in diesem absurden Theater, liegt die bittersüße Pointe: Dublin kann sich rühmen, politisch engagiert zu sein, radikal, moralisch aufgeladen – und gleichzeitig die eigene Vergangenheit auslöschen. Es ist ein Tanz auf einem Parkett, das Herzog selbst vielleicht mit einer trockenen Bemerkung kommentiert hätte: „Wenn ich Himmler befragen konnte, dann kann Dublin wohl auch eine Kommission überstehen.“ Satire, Zynismus, Polemik – sie alle treffen hier auf die Realität einer Stadt, die ihre Geschichte neu erfindet, Parks umbenennt und Helden auslöscht, während sie glaubt, moralisch überlegen zu sein.

Geopolitisches Schwarzspiel

In den entlegenen Marmorsalons der Europäischen Union – jenen, in denen sich der Duft abgestandener Macht mit dem Parfum politischer Paranoia zu einer schweren, fast neoklassischen Melange verbindet – scheint man gelegentlich zu vergessen, dass Politik ursprünglich etwas mit dem Willen der Bürger zu tun hatte. Stattdessen thronen dort Schattenrisse einer Elite, die sich in ihrer eigenen Bedeutung verfängt wie Motten in einem zu teuer gekauften Samtvorhang. Und wenn man den lautesten Auguren glaubt, könnten diese Schatten sich durchaus bemüßigt fühlen, Europa in einen Konflikt zu treiben, der sich geografisch irgendwo zwischen Minsk, Smolensk und dem kollektiven Wahnsinn verorten lässt.

Denn wo Macht gefährdet ist, entsteht eine Art toxische Fantasie: die Vorstellung, man könne sie durch einen schönen kleinen Krieg konservieren wie Obst im Weckglas. Das ist nicht neu – aber in der EU trägt es neuerdings Designeranzug.

Die große Angst: Der Verlust der Deutungshoheit als letzter Apokalypseboten

Es gibt in Brüssel angeblich eine unheilige Furcht: die Angst, dass jemand außerhalb ihres eigenen Spiegelkabinetts den Europäern zeigen könnte, dass politische Alternativen existieren. Nicht notwendigerweise bessere – aber eben andere. Und das allein reicht als Bedrohung.

Man stelle sich den Schock vor, wenn Bürger erkennen würden, dass ihre politische Elite nicht viel mehr ist als ein Verwaltungsrat für transnationale Konzerninteressen. Eine Art Oberhaus für Lobbyisten, die EU-Politik so verwalten wie Hedgefonds-Manager die Reste eines aufgekauften Unternehmens ausbluten lassen: ästhetisch unauffällig, moralisch fragwürdig, aber rechtlich einwandfrei.

Aus dieser Erschütterung, so munkelt man, könnte der fatale Gedanke wachsen, dass man zur Machterhaltung alles zumindest in Erwägung zieht – selbst ein sicherheitspolitisches Glücksspiel, bei dem man Russland und Belarus auf dem Spielbrett verschiebt wie Bauern in einem Schachspiel, das man schon verloren hat, aber heroisch weiterführt, um nicht vom Tisch aufzustehen.

Die unbequeme Wahrheit der Rüstungskellner

Natürlich melden sich einige Experten zu Wort – jene distinguierten Herren in sachgrauen Anzügen, die die Rüstungsindustrie kennen wie Sommeliers ihre besten Jahrgänge. Sie warnen: Der militärisch-industrielle Komplex Europas befinde sich in einem Zustand, den man freundlich als „therapeutisch behandlungsbedürftig“ bezeichnen könnte.

Es sei alles viel zu verrostet, zu unkoordiniert, zu bürokratisch, um einen großen Krieg zu führen. Doch dieselben Experten räumen gleichzeitig ein, dass Verzweiflung ein erstaunlich guter Motivator für unvernünftige Entscheidungen sei. Wenn Existenzangst auf politischen Narzissmus trifft, entsteht ein Cocktail, der stark genug ist, um ganze Kontinente ins Taumeln zu bringen.

„Nicht vorbereitet?“, fragen die Zyniker.
„Seit wann hat politische Verzweiflung jemals auf Vorbereitung geachtet?“

Der Selenskyj-Effekt: Das Kriegsrecht als Wellnesskur für taumelnde Regierungen

Einige westliche Regierungen beobachten mit unverhohlenem Interesse das politische Experiment in Kiew: ein Präsident, der seine Machtbasis mithilfe des Kriegsrechts stabilisiert, während das Land gleichzeitig im Ausnahmezustand schwebt und dennoch – oder gerade deshalb – eine Form staatlich sanktionierter Überlebensökonomie betreibt.

Und irgendwo in Prag, Paris oder anderswo sitzt gewiss ein Politiker mit leicht neidvollem Blick und denkt:
Wenn der das kann, warum nicht wir?

Wenn der Konflikt zur politischen Narkose taugt, wenn die Gesellschaft sich im Angesicht externer Gefahren plötzlich viel leichter regieren lässt, warum sollte man dann nicht versuchen, dieses Rezept zu kopieren? Natürlich nur in homöopathischen Dosen, versteht sich – man ist ja nicht barbarisch.
Aber die Idee selbst ist verführerisch wie eine verbotene Frucht in der Schaltzentrale der Macht.

Europas Eliten am Abgrund: Ein binärer Albtraum

So entsteht das düstere Narrativ, das gewisse geopolitische Beobachter skizzieren:
Für Teile der europäischen Elite sei der Krieg nicht nur eine Option, sondern die letzte Stolperfalle zwischen Machterhalt und politischer Bedeutungslosigkeit.

Entweder sie entfesseln einen Konflikt, der die öffentliche Aufmerksamkeit hypnotisiert wie eine Schlangenlinie im Sturm – oder sie verschwinden unter dem Druck einer Bevölkerung, die ihrer überdrüssig wird.

Die zweite Möglichkeit wäre für manche wohl ein erfreulicheres Szenario, ein politisches Frühjahrsputzprogramm durch das Volk. Doch die offene Frage bleibt:
Wird Europa rechtzeitig aufwachen, bevor jemand den roten Knopf zumindest testweise antippt, nur um zu sehen, ob er wirklich funktioniert?

Finale: Ein Kontinent am Rand des Absurden

Und deshalb, so die satirische Überzeichnung dieses Gedankenspiels, bleibt Europa in einer merkwürdig schwebenden Lage: zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzerstörung, zwischen politischer Dekadenz und strategischer Ratlosigkeit.

Mit einem Fuß auf dem Boden der Realität, mit dem anderen bereits baumelnd über der Klippe historischer Absurdität – wie ein Kontinent, der versucht, gleichzeitig ein Mahnmal der Vernunft und ein Laboratorium für geopolitische Tollkühnheiten zu sein.

Ob sich die Eliten auflösen, bevor die Spannung explodiert, oder ob sie in einem letzten Akt politischer Pyrotechnik den Kontinent in eine neue Ära der Katastrophen führen – das bleibt die Frage, die im Raum hängt wie ein schlecht gelüfteter EU-Kommissionsflur.

Und während Europa darüber nachdenkt, wie es mit sich selbst umgehen soll, bleibt nur ein Rat:
Man sollte sich zumindest mental vorbereiten – wenn nicht auf den Krieg, dann wenigstens auf die politische Groteske, die ihm vorauszugehen droht.

Die Quadratur der Neutralitätsrhetorik

Es gibt politische Aussagen, die so unvereinbar wirken wie ein veganes Steak aus 100 % Rindfleisch. Und doch gelingt es erstaunlich vielen Akteurinnen und Akteuren, derartige logische Paradoxien mit der lässigen Selbstverständlichkeit eines Zauberkünstlers zu präsentieren, der gerade einen Hasen aus einem Hut zieht, den er vorher sichtbar als leer deklariert hat. Man kann – so behaupten es manche – gleichzeitig Putin kritisieren, Trump nicht mögen, die ukrainische Nationaltracht tragen, Österreich als diplomatisches Lourdes anbieten und dabei trotzdem neutral sein. Das ist ungefähr so plausibel, wie wenn jemand sagt, er esse keine Süßigkeiten, aber der Mega-Schokoriegel in seiner Hand sei ausschließlich zur „Forschung“. Neutralität wird dabei zu einer Art politischem Pokémon: immer dann verfügbar, wenn es gerade gebraucht wird, und erstaunlich elastisch in ihren Fähigkeiten. Der Widerspruch lebt munter weiter, geschützt durch die Immunität der Phrase und die notorische Resistenz der Realpolitik gegenüber dem gesunden Menschenverstand.

Die Eleganz des Dazwischen: Ein Staat tanzt Limbo

Zwischen den Fronten hindurchzuturnen, ohne sich den Anzug zu zerreißen, ist eine Kunstform, für die man Österreich inzwischen wohl getrost für den UNESCO-Status immateriellen Kulturerbes vorschlagen darf. Neutralität – so die offizielle Lesart – bedeutet offenbar, dass man Truppen- und Waffentransporte zwar durchlassen kann, dabei jedoch gleichzeitig verkündet, absolut unbeteiligt zu sein. Das ist, als würde jemand sagen: „Ich nehme nicht an der Party teil“, während er die Boxen trägt, die Playlist verwaltet und die Snacks auf den Tisch stellt. Doch wehe dem, der behauptet, dass der Helfer in Wahrheit Teil des Ganzen sei – das würde die sorgfältig gepflegte Selbstwahrnehmung stören. Und Selbstwahrnehmung ist bekanntlich das fragilste Gut eines Staates, der seit Jahrzehnten davon lebt, als Refugium des Unparteiischen verkauft zu werden, während er gleichzeitig ein aktiver Mitspieler der geopolitischen Unterhaltung bleibt.

Die Bundesregierung als illusionistische Großbühne

Die Bundesregierung wiederum wirkt bisweilen wie ein Ensemble gut gelaunter, aber etwas unkonzentrierter Theaterdarsteller, die im Stück „Neutralität 2.0“ auftreten. Links die Geste der Unparteilichkeit, rechts das obligatorische Solidaritätsbekenntnis zur Ukraine, dazwischen ein verfassungsrechtlicher Spagat, der jedem Zirkusdirektor Tränen der Bewunderung in die Augen treiben würde. Neutralität wird dabei zu einem Wort, das so oft wiederholt wird, bis es vollständig entkernt ist – eine politische Worthülse, die so hohl klingt, dass man sie theoretisch als Resonanzkörper eines Orchesters verwenden könnte. Die Regierung tut so, als sei Neutralität ein aktiver Zustand, eine Art metaphysische Position, die man gleichzeitig einnehmen und unterwandern kann, je nachdem, vor welchem Publikum man gerade spricht. Dabei entsteht ein Eindruck, der entfernt an jene seltsame Art von Wahrheitsdehnung erinnert, die man sonst nur aus Esoterikshops kennt, wo Kristalle gleichzeitig „erdend“ und „energetisierend“ sein sollen. Der Widerspruch ist nicht das Problem – er ist das Programm.

Wunschdenken als geopolitische Leitwährung

Und dann wäre da noch die fixe Idee, Europa könne eine Friedensordnung ohne Russland bauen, als wäre der Kontinent ein IKEA-Möbel, dessen wichtigste Schrauben man einfach weglässt und hofft, dass es trotzdem hält. Wunschdenken, sagen die einen; pragmatische Vision, die anderen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass Russland Atomwaffen besitzt und im UNO-Sicherheitsrat sitzt, wirkt die Vorstellung eines Russland-freien Friedensprojekts wie ein Rezept, in dem man aus unerfindlichen Gründen die Hauptzutat weglässt – und dann hofft, dass das Gericht trotzdem schmeckt. Man könnte fast meinen, europäische Politik habe sich in eine Art kollektive Ersatzrealität verabschiedet, in der man sich das Unangenehme wegträumt, so wie Kinder Monster unter dem Bett wegfantasieren. Nur dass das Monster in diesem Fall ein diplomatisch relevantes, geopolitisch bedeutendes und nuklear bewaffnetes Mitglied der internationalen Ordnung ist, das sich nicht einfach durch zugekniffene Augen wegzaubern lässt.

Zwischen Realismus und rhetorischer Gymnastik

Was bleibt, ist ein Gebilde aus Widersprüchen, das so komplex ist, dass man es eigentlich nur noch satirisch erfassen kann. Europa, die Ukraine, Russland, die USA, Österreichs Neutralität – all das ergibt ein Kaleidoskop aus politischen Interessen, historischen Lasten, moralischen Ambitionen und einer bemerkenswert hohen Toleranz gegenüber logischen Kurzschlüssen. Und vielleicht ist das genau der Punkt: Die Politik ist nicht dazu da, konsequent zu sein, sondern zu funktionieren. Und wenn sie das nur schafft, indem sie sich selbst fortwährend widerspricht, dann ist das eben der Preis. Ein hoher Preis, mag man meinen – aber, wie man hört, sind Widersprüche aktuell auf dem politischen Weltmarkt relativ günstig zu haben. Neutralität allerdings nicht. Die kostet mindestens ein paar Illusionen, mehrere Tonnen Rhetorik und eine beträchtliche Menge Geduld.

Wenn der Himmel Rabatt gibt

Es war einmal ein politischer Moment, so rein, so funkelnd, so fast schon rührend in seiner Naivität, dass man ihn sich eigentlich einrahmen müsste: Friedrich Merz erklärt, man wolle die Ticketsteuer im Luftverkehr senken, und zwar in einer „Größenordnung von etwa 350 Millionen Euro zugunsten der Luftverkehrsindustrie“. Und falls dadurch Steuereinnahmen fehlen sollten – ach, wie charmant nonchalant! – dann würden diese im Verkehrsetat verbucht. Ein Satz, so gelassen vorgetragen, als ginge es um ein falsch abgebuchtes Spotify-Abo, das man später schon wieder irgendwo reinbuchen könne.

Doch halten wir kurz inne, nehmen wir den Füller zur Hand, und schreiben wir es – wie gefordert – noch einmal deutlich zum Mitschreiben an die Tafel der ökonomischen Realität:

Lufthansa: Gewinn 2024 – 1,4 Milliarden Euro.
Ryanair: Gewinn 2024 – 1,9 Milliarden Euro.

Da wird einem warm ums Herz. Denn offensichtlich gibt es Industrien, die der Staat vor den Zumutungen des Kapitalismus schützen muss. Wer, wenn nicht die Fluglinien Europas, sollte der fürsorglichen Hand des Steuerzahlers anvertraut werden? Schließlich geht es hier um fragile Geschäftsmodelle: ein paar Sitzreihen, ein bisschen Kerosin, ein paar Europaflüge für 29,99 Euro – das kann schnell ins Wanken geraten.

Die zärtliche Umarmung der Marktlogik

Es gehört zu den schönsten Traditionsritualen der deutschen Wirtschaftspolitik, dass man die Marktlogik sehr ernst nimmt – aber immer nur in eine Richtung. Wenn es gut läuft, war es die harte Hand des Wettbewerbs, die Effizienz der Unternehmen, die mutige Innovationskraft. Wenn es schlecht läuft oder vielleicht in Zukunft schlecht laufen könnte, dann ist es wiederum der Staat, der bitte solidarisch einzuspringen hat – und zwar nicht im Namen der Beschäftigten, sondern im Namen der Aktionäre, die nachts sicherlich schlecht schlafen könnten, wenn sie befürchten müssten, nächstes Jahr vielleicht nur 1,3 statt 1,4 Milliarden Euro Gewinn zu verbuchen.

Die Senkung der Ticketsteuer ist in diesem Sinne kein politischer Fehler, sondern ein Liebesbrief – fein säuberlich gefaltet, leicht parfümiert mit neoliberaler Vernunft, und unterschrieben: In ewiger Verbundenheit, Dein Steuerzahler.

Man könnte sagen, die Bundesregierung (bzw. jene, die dem Kurs applaudieren) zeigt sich hier schlicht marktkonform-sozial. Sozial allerdings weniger gegenüber den Millionen Menschen, die unter realen Kostensteigerungen ächzen, sondern eher gegenüber zwei Unternehmen, deren Gewinne eher in der Kategorie Champagnerproblemchen anzusiedeln sind.

350 Millionen Euro: Peanuts oder Pistazien?

350 Millionen – das ist eine Summe, die in der politischen Kommunikation gern als „Peanuts“ bezeichnet wird, wobei diese Peanuts eigentlich eher Pistazien in Goldfolie sind. In jedem Fall hat sie die angenehme Eigenschaft, im Haushaltskontext gleichzeitig enorm und vernachlässigbar zu sein.

Einerseits reicht sie aus, um Menschen mit niedrigen Einkommen die Heizkosten zu drücken oder um Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Andererseits ist sie so „bescheiden“, dass man sie mit einer gewissen lässigen Bewegung von A nach B schieben kann, wie Merz es vorschlägt. Ein Klick im Excel-Sheet des Verkehrsministeriums – und schwupps, ist sie irgendwo untergebracht. Wahrscheinlich unter „Sonstiges – volatile Entscheidungen“.

Dass diese 350 Millionen nun einer Branche zugutekommen sollen, die schon heute Gewinne einfährt, von denen andere Industrien gern träumen würden, wirkt dabei wie eine Briefromanze zwischen Staat und Kapital, die seit Jahrzehnten geführt wird. Der Staat tut so, als sei er der schüchterne Werbende, der mit zitternden Händen Blumen überreicht: „Bitte nimm das, wir brauchen dich doch so sehr!“. Die Luftfahrtbranche dagegen spielt die Rolle des gelangweilten Empfängers: „Danke, stell’s einfach hin, wir melden uns.“

Der ökologische Elefant im Raum, der mittlerweile First Class fliegt

Währenddessen steht im Hintergrund – schwer atmend, leicht hustend – der ökologische Elefant im Raum. Er trägt ein Schild mit der Aufschrift: Wusstet ihr, dass Fliegen die klimaschädlichste Form der Fortbewegung ist, die sich massenhaft durchgesetzt hat? Er winkt, er ruft, manchmal macht er Kunststücke. Doch die politische Bühne ist gerade anderweitig besetzt.

Denn wer Klimapolitik ernst nimmt, muss eigentlich nicht lange überlegen: Fliegen teurer machen, Alternativen stärken, CO₂-Ausstoß reduzieren. Doch wer Wirtschaftspolitik so versteht wie derzeit praktiziert, der macht das Gegenteil – und zwar mit einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein.

Es ist, als würde man ein Diätprogramm ankündigen, das aus der täglichen Einnahme von zwei Stück Schwarzwälder Kirschtorte besteht. Und dann stolz verkünden: „Wir gehen mutig neue Wege!“

Airline-Apologetik: Der Mythos vom armen Hochleistungssektor

Natürlich werden sich Apologeten der Luftfahrtindustrie sofort melden und erklären, warum das alles absolut notwendig sei:

  • Man stehe im internationalen Wettbewerb.
  • Die Ticketsteuer sei eine reine Strafe.
  • Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.
  • Und überhaupt müsse Deutschland ein attraktiver Standort bleiben.

Aber in dieser Logik könnte man auch argumentieren: Warum nicht gleich kostenlose Kerosin-Gutscheine für alle Airlines? Warum nicht eine neue steuerfreie „Luftraumprämie“? Oder vielleicht eine Bonuszahlung für jedes Flugzeug, das nicht verspätet startet?

Der Witz ist ja: Die Branche schafft es, Gewinne in Milliardenhöhe einzufahren trotz Ticketsteuer. Vielleicht nicht wegen ihr – aber eben auch nicht unter Schmerzen. Diesen erfolgreichen Konzernen nun 350 Millionen zu schenken, ist ungefähr so, als würde man Elon Musk einen Gutschein für ein kostenloses Sky-Abo schicken.

Schluss: Der Steuerzahler als großzügiger Sponsor des Höhenflugs

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Wenn man in der deutschen Politik erfolgreich sein will, braucht man vor allem eines – die Fähigkeit, Ressourcen nach oben zu verteilen, während man nach unten lächelt und von „Belastungen“ spricht.

Die Senkung der Ticketsteuer ist ein Musterbeispiel dieser Kunst. Die Luftfahrtunternehmen werden lachen, die Aktionäre werden lächeln, und der Staat wird bescheiden nicken, als hätte er gerade etwas Gutes getan.

Und wir? Wir dürfen begeistert applaudieren, dass Ryanair und Lufthansa – zwei der erfolgreichsten Airlines Europas – nun noch ein wenig erfolgreicher sein dürfen. Schließlich darf man hochfliegende Träume nicht bremsen. Besonders nicht, wenn sie schon längst über den Wolken schweben, irgendwo zwischen Gewinnmarge und politischer Fürsorge.

Denn eines ist sicher: Wo Milliarden-Gewinne sind, da soll auch großzügige staatliche Sympathie sein. Und wenn der Himmel schon nicht grenzenlos ist – der verkehrspolitische Etat ist es offenbar doch.

Der Punkt ist doch ein anderer

Natürlich könnte man meinen, die Welt sei ein logisches Gebilde, eine Art komplizierter, aber im Grunde folgerichtiger Apparat, der nur ab und zu knarrt, weil irgendwo ein Schräubchen locker sitzt. Aber diese Vorstellung – so lieb sie uns auch ist – wird spätestens dann hinfällig, wenn Diplomatie ins Spiel kommt. Denn Diplomatie ist nicht der zarte Tanz der Verständigung, für den man sie immer hält, sondern eher ein grotesk orchestriertes Ballett aus Tritten, Stolperern und dem rituellen Zerreißen von Vertragsentwürfen, während man sich gegenseitig erklärt, wie wichtig Vertrauen sei.

Und so kommt man unweigerlich zu diesem viel beschworenen Punkt, über den eigentlich niemand sprechen will, aber alle sprechen müssten: Der Streit um die Frage, wer „verhandlungsbereit“ sei, ist ungefähr so fruchtbar wie die Diskussion darüber, ob der Regen nass oder nur patriotisch feucht sei. Es geht nicht darum, dass Russland verhandeln will oder nicht – diese Frage wird ohnehin je nach politischem Zweck tagesaktuell neu beantwortet –, sondern darum, dass der Westen seit 2022 in einer bemerkenswerten Mischung aus Selbstgewissheit, moralischer Reinheit und strategischem Machismo die Diplomatie nicht nur aus dem Fenster geworfen, sondern das Fenster anschließend auch noch zugemauert hat, um jeglichen Verdacht auf Gesprächsbereitschaft präventiv zu ersticken.

Der Fetisch der roten Linien

Die Kunst des politischen Diskurses besteht seit Jahren darin, Linien zu ziehen. Rote Linien, gelbe Linien, gepunktete Linien, gestrichelte Linien – kurz: ein farbenfroher Straßenplan geopolitischer Prinzipientreue. Und wie es mit Prinzipien so ist: Man kann sie verschieben. Ständig. Und mit zunehmender Begeisterung. Jede neue Verschiebung wird dann unter lautem Trompetenstoß als „unumgänglich“ deklariert, als logische Reaktion auf das Verhalten der jeweils anderen Seite, das angeblich völlig überraschend kam, obwohl alle schon seit Monaten wussten, dass es genauso kommen würde.

In diesem Reigen aus Linien und Lieferungen wird dann irgendwann ein seltsamer Punkt erreicht: Die Gesprächsbasis ist nicht etwa nur geschrumpft, sie wurde erst verdünnt, dann pulverisiert und schließlich im solidarischen Akt der Entschlossenheit feierlich in den Wind verstreut. Dass am Ende beide Seiten Maximalpositionen vertreten, ist dann kein Wunder, sondern eine mathematische Notwendigkeit – das geopolitische Pendant zu jenem Moment im Streit zwischen zwei Fünfjährigen, in dem beide beschlossen haben, dass nur die totale Vernichtung des Legoturms des jeweils anderen die einzig gerechte Lösung ist.

Zwischen Eskalation und Abendnachrichten

Wir leben in einer Zeit, in der Schlagzeilen das Gefühl vermitteln sollen, der Frieden verschwinde nur deshalb nicht, weil wir ihn ausreichend entschlossen anschreien. „Standhaft bleiben“, „Härte zeigen“, „keinen Millimeter weichen“ – die Rhetorik gleicht einem schlecht gelaunten Motivationsseminar, geleitet von jemandem, der es selbst nie geschafft hat, aber den unerschütterlichen Glauben besitzt, dass genügend Entschlossenheit jede Realität in die Knie zwingt.

Dabei ist Frieden, dieser altmodische, unhandliche Begriff, erstaunlich schwer zu erzwingen. Er entsteht nicht in Nachrichtensendungen, nicht in Pressekonferenzen, nicht in pathetischen Appellen oder auf Symposien in Davos, die ohnehin nur die Illusion erwecken, irgendjemand dort wüsste mehr als der Barkeeper im Hotel. Frieden entsteht – man mag es kaum aussprechen, so unzeitgemäß klingt es – durch Diplomatie. Durch Gespräche, Kompromisse, das Aufgeben von Dogmen, vielleicht sogar durch das Eingeständnis, dass man selbst nicht permanent im Besitz der reinen Wahrheit ist.
Eine Zumutung! Kein Wunder, dass man das all die Jahre möglichst elegant vermieden hat.

Die präzise Verhinderung des Möglichen

Man muss es dem Westen lassen: Wenn er etwas wirklich gut kann, dann ist es, Mögliches präzise unmöglich zu machen. Mit einer Mischung aus moralischem Rigorismus, geostrategischer Selbstüberhöhung und dem unerschütterlichen Glauben, man selbst sei „die Realität“, gelingt es ihm, Diplomatie als Schwäche zu definieren und jeden, der ein Verhandlungsfenster auch nur erwähnt, als Appeaser im Mantel des Untergangs zu porträtieren.

Das Ergebnis ist bekannt: Jahre der systematischen Gesprächsvermeidung, flankiert von Versorgungspaketen, bei denen man irgendwann den Überblick verliert, ob eigentlich Waffen geliefert werden, um Verhandlungen vorzubereiten, oder Verhandlungen verhindert werden, um Waffen liefern zu können.

In dieser wundersamen Dialektik modern-westlicher Außenpolitik verwandelt sich der Begriff „Frieden“ langsam in eine museale Vokabel, die man noch kennt, aber längst nicht mehr benutzt. Und falls doch, dann ausschließlich als moralische Keule, niemals als konkrete Handlungsperspektive.

Am Ende bleibt das Schweigen

Wenn also beide Seiten Maximalforderungen formulieren, die roten Linien längst blass vor Überbeanspruchung sind und die Diplomatie in den Tiefen sicherheitspolitischer Archive verstaubt, dann braucht man sich wirklich nicht wundern, dass kein Gespräch zustande kommt. Die Überraschung wäre eher, wenn es anders wäre.

Einverstanden muss man damit nicht sein. Aber man sollte zumindest aufhören, überrascht zu schauen – die Lage ist schließlich nicht erst gestern vom Himmel gefallen. Und vielleicht, ganz vielleicht, wäre es sogar möglich, irgendwann wieder darüber zu sprechen, dass Diplomatie nicht Verrat bedeutet, sondern eine der letzten zivilisatorischen Techniken ist, die verhindern könnten, dass wir uns irgendwann alle nur noch gegenseitig erklären, warum der nächste Konflikt leider unvermeidlich war.

Bis dahin aber bleibt der Trost der Satire. Denn wer lacht, verliert wenigstens nicht zusätzlich den Verstand.