Verschont mich mit Euren Predigten!

Ich will Wein trinken und Wasser predigen.

Wie oft muss man es denn noch sagen, wie oft muss man die moralingeschwängerten Nebelschwaden zerreißen, die sich wie ein muffiger Vorhang aus feuchtem Filz über jede Diskussion legen, bis auch der Letzte merkt, dass hier nicht argumentiert, sondern bekehrt werden soll? Ihr mögt Eure Predigten für ethisch wertvoll halten, für zivilisatorische Höchstleistungen in der Tradition Kants und Konsorten, doch in Wahrheit seid ihr nur wandelnde Lautsprecher der Selbstgefälligkeit, die von der Kanzel herab röhren, während sie mit der anderen Hand das Buffet plündern. „Authentizität“ ruft Ihr, doch keiner von Euch würde freiwillig ein Wochenende ohne WLAN in einem Zelt am Stadtrand verbringen, selbst wenn Greta persönlich die Isomatte signiert hätte. Und ich? Ich möchte Wein trinken. Einen schweren, tiefdunklen, sündhaft teuren Bordeaux – während ich mit vollgeschmiertem Mund über die Tugend schwadroniere. Einverstanden? Nein? Umso besser.

Die Moral als Modediktat – oder: Die veganen High Heels der Gesinnung

Moral, meine Lieben, ist längst nicht mehr das, was sie mal war. Früher wurde sie sonntags zwischen Schweinsbraten und dem evangelischen Kirchenlied verabreicht, heute kommt sie in ökologisch abbaubaren Verpackungen aus dem Co-Working-Space. Man trägt sie wie ein Accessoire, stilistisch zwischen Latte Macchiato und Gendersternchen angesiedelt, und glaubt ernsthaft, sie verleihe dem Träger eine Aura von Welterlösung. Die neue Moral ist kein innerer Kompass, sie ist eine Image-Kampagne mit Corporate Design und passenden Instagram-Filtern. Wer mit ihr nicht konform geht, wird nicht mehr diskutiert, sondern abgesägt, gecancelt, digital geschreddert. „Du isst Fleisch?“ fragt man mich mit dem Entsetzen einer Operndiva, der man die Arie gestrichen hat. „Ja“, sage ich, „und ich genieße es mit einer Flasche Pinot Noir, während ich über die Klimakrise lamentiere.“ – Widerspruch ist der letzte Luxus.

Der Pharisäer 2.0 – oder: Likes statt Himmelreich

Die neuen Pharisäer tragen kein Talar mehr, sondern Fair-Fashion und Selbstzufriedenheit. Ihre Bibel ist ein Twitter-Thread, ihre Sakramente die Reposts der Gleichgesinnten. Sie brauchen kein Jenseits, denn ihr Paradies ist die algorithmisch gestützte Echokammer. Dort singen sie sich gegenseitig die Psalmen der Haltung, des Aktivismus, der korrekten Sprache – und wehe dem, der einen Ton zu tief gerät. Wer differenziert, wird als unrein gebrandmarkt. Wer ironisch ist, als zynisch verworfen. Wer zweifelt, ist verdächtig. Die neuen Moralisten predigen nicht, um zu bessern, sondern um zu glänzen. Tugend ist ihr Statussymbol, der Balken im Auge des anderen ihre Lieblingswaffe. Und ich? Ich streue Salz in die Wunde und trinke einen weiteren Schluck. Santé!

Die heilige Empörung – oder: Die Guillotine der Gefühle

Empörung ist die Liturgie der Gegenwart. Mit der Inbrunst mittelalterlicher Inquisitoren stürzt man sich auf jede Abweichung, auf jedes Wort, das nicht durch sämtliche Filter der Empfindlichkeitsindustrie gelaufen ist. Die Vergehen sind klein, die Strafen groß – eine falsch platzierte Pointe kann Existenzen kosten. Satire? Nur noch in Sicherheitsabstand. Ironie? Ein Fall für den Ethikrat. Was bleibt, ist eine Zivilgesellschaft unter Dauerüberwachung der eigenen Gefühle, ein hysterisches Theater, in dem jeder Zuschauer auch Kritiker und Henker ist. Ich hingegen – mit glasigem Blick und fettigen Fingern – applaudiere laut und langsam. Denn nichts entlarvt die Bigotterie der Tugendwächter besser als der ungefilterte Exzess. Wer Wasser predigt, darf ruhig ein bisschen rotweinselig sein. Alles andere wäre – nun ja – unehrlich.

Klimaretter mit Kerosinsucht – oder: Die Business-Class der Besserwisser

Wie oft muss man eigentlich über den Atlantik jetten, um genug Karma zu sammeln, dass einem die persönliche CO₂-Bilanz wie ein rein gewaschenes Tischtuch erscheint? Wer heute ein „Klimaretter“ sein will, sollte entweder fliegen, wie Greta – per Segelschiff, medienwirksam – oder gleich in Business Class mit der Überzeugung, dass man ja schließlich einen veganen Snack gewählt hat, reisen. Denn das ist das neue Ablassmodell: Wer genug Hafermilch trinkt, darf auch am Wochenende nach Marrakesch. Ein bisschen CO₂ hier, ein paar Kompensationszertifikate da – schon ist das ökologische Gewissen reingewaschen wie eine Stewardess-Uniform am Layover-Sonntag.

Diese Leute, die in Yogahosen aus recyceltem PET-Plastik am Flughafen loungen, erzählen dir bei einem Glas Fairtrade-Wein, dass wir dringend unser Verhalten ändern müssen – und dabei meinen sie natürlich: deins, nicht ihres. Sie selbst sind ja „nur beruflich unterwegs“, und dass das Business-Event auf Bali stattfand, sei „leider nicht zu vermeiden“ gewesen. Ich hingegen schiebe mir ein blutiges Steak rein und lache laut, weil wenigstens ich weiß, dass ich ein Heuchler bin – was schon mehr ist, als man von der Mehrheit der moralhygienischen Vielflieger behaupten kann. Klimaretter mit Jetlag – das sind die neuen Missionare der Doppelmoral.

Selbstoptimierung als neue Religion – oder: Beten mit Proteinshake

Früher kniete man in der Kirche, heute beugt man sich im Fitnessstudio. Der Unterschied? Keiner, außer dass die modernen Gläubigen mehr Selfies machen. Die Religion der Gegenwart heißt Selbstoptimierung, und ihr Katechismus lautet: Du sollst immer besser werden – fitter, fokussierter, effizienter. Meditation ersetzt das Abendgebet, Cold-Plunges das Taufbecken, und der persönliche Coach ist der neue Beichtvater. Gesündigt wird nicht mehr durch Ehebruch, sondern durch Gluten.

Diese neue Religion duldet keine Häretiker: Wer nicht mindestens 10.000 Schritte pro Tag macht, seinen Cortisolspiegel misst und intermittent fastet, wird aus der Gemeinde der Selbstverbesserung verstoßen – oder schlimmer: ignoriert. Dabei ist das Ziel nicht etwa Erlösung, sondern ein Sixpack und eine makellose Morgenroutine, die man in einem Podcast ausbreiten kann. „Ich stehe um 4:45 Uhr auf, trinke einen Liter Zitronenwasser, schreibe meine Dankbarkeitsliste und lese 20 Minuten stoische Philosophie.“ – Na herzlichen Glückwunsch. Ich stehe um zehn auf, fluche beim Zähneputzen und lese Nietzsche – mit Kater. Und rate mal, wer glücklicher ist?

Denn im Streben nach Selbstperfektion bleibt eines auf der Strecke: das Menschliche. Die Fehler, die Exzesse, das Scheitern – kurz: alles, was das Leben lebenswert macht. Ich trinke lieber zu viel, als dass ich mich zu Tode optimiere. Und wenn ich dabei eine Falte mehr bekomme? Dann ist sie wenigstens echt.

Epilog mit Restalkohol – oder: Der letzte Toast auf die Doppelmoral

Lasst mich in Ruhe mit Euren To-Do-Listen fürs gute Leben, mit Euren achtsamen Ratschlägen und den mantrahaften Wiederholungen dessen, was heute als „richtig“ gilt. Ich will sündigen, schwanken, schlingern – und gleichzeitig das Hohelied der Vernunft singen, mit vollem Mund, schlechtem Timing und einem leichten Rülpser zum Schluss. Denn nur wer sich seiner eigenen Widersprüchlichkeit bewusst ist, darf überhaupt noch den Mund aufmachen. Die anderen sollten besser schweigen – oder wenigstens vorher das Glas heben.

Prost!

Wenn Erinnerungspolitik zum Schulaufsatz mutiert

Es gibt Ereignisse, deren Symbolkraft so monumental ist, dass selbst die Berliner Bürokratie sie nicht völlig in einer Excel-Tabelle wegfiltern kann. Der 8. Mai – das offizielle Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, die Kapitulation Nazideutschlands, die Stunde null, der Tag, an dem das Grauen, der industrielle Mord, das flächendeckende Elend offiziell gestoppt wurde – gehört dazu. Und wenn man einen solchen Tag feiert (Entschuldigung, gedenkt!), dann sollte man sich wohl ein wenig zusammenreißen, denkt man. Ein bisschen Contenance. Ein bisschen Würde. Ein bisschen historische Verantwortung.

Aber wir leben ja bekanntlich in Zeiten, in denen Würde inflationär durch Hashtags ersetzt wird. Also kam jemand auf die glorreiche Idee, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes nicht alle Sieger dieses Krieges einzuladen. Genauer: Man lud explizit die diplomatischen Vertreter Russlands und Weißrusslands aus. Nicht einfach ignoriert, nein – ausgeladen. Wie ein pöbelnder Onkel auf einer Hochzeit, der die Braut einst sitzenließ. Mit maximaler Geste. Mit ernster Miene. Und, natürlich, mit dem üblichen Pathos, das deutsche Politiker entwickeln, wenn sie mit empörter Stimme von der Weltbühne herab ein „Zeichen setzen“.

Man fragt sich, ob irgendwann die ganze Republik einfach in ein riesiges Schild verwandelt wird. „Hier wird ein Zeichen gesetzt.“ Drunter: ein QR-Code, der zu einer flammenden Bundestagsrede führt. Authentisch wie ein Werbespot für Zahnzusatzversicherungen.

Was ist Geschichte, wenn man sie sich passend zusammenschneidet?

Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang: Deutschland, das Land, dessen Hauptstadt 1945 vor allem von sowjetischen Soldaten befreit (oder – je nach Gusto des Geschichtsbuchs – erobert) wurde, lädt 80 Jahre später den Nachfolger jenes Staates aus, der dabei den größten Blutzoll zahlte. Über 25 Millionen Tote. Ein Großteil davon Zivilisten. Ganze Landstriche verbrannt. Städte ausradiert. Familien zerfetzt. Und als Dank dafür: Tür zu. Einladung entzogen. „Sorry, passt gerade nicht ins Narrativ.“

Natürlich, es geht um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Natürlich, Putin ist ein Autokrat, der Völkerrecht bricht und Propaganda zu seiner Religion erhoben hat. Kein vernünftiger Mensch würde das relativieren wollen. Aber – und jetzt kommt das große, böse ABER, vor dem deutsche Moralisten gerne panisch zurückzucken wie Vampire vor Knoblauch – darf man die Geschichte deswegen umetikettieren? Darf man mit der Nagelfeile der Gegenwart an den historischen Tatsachen herumschaben, bis sie wieder ins ästhetische Fenster der aktuellen Bundesregierung passen?

Der sowjetische Soldat, der 1945 in Berlin fiel, war kein Parteigänger Putins. Er hatte kein Twitter-Account, auf dem er Desinformation verbreitete. Er war ein Mensch, der in einem brutalen Krieg gegen ein noch brutaleres Regime kämpfte. Und der jetzt offenbar – diplomatisch gesprochen – von seinem eigenen Andenken ausgeladen wurde.

Gedenken mit Schaum vor dem Mund

Natürlich, das Ganze ist auch eine mediale Inszenierung. Und wir Deutschen lieben unsere Inszenierungen. Insbesondere, wenn sie in Anzügen stattfinden und Sätze beinhalten wie: „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine“ – eine Formulierung, die inzwischen so oft recycelt wurde, dass man sie vermutlich bald auf nachhaltigem Karton gedruckt in jedem Bioladen kaufen kann.

Der Ausschluss der russischen und weißrussischen Botschafter ist kein diplomatischer Fauxpas – das wäre zu harmlos –, sondern ein kalkulierter Affront. Ein politisches Schauspiel, bei dem man sich am liebsten selbst applaudieren würde, während man auf einem Mahnmal tanzt. Es geht nicht mehr um Gedenken, sondern um Geltung. Nicht um Versöhnung, sondern um Verwertung. Wer Geschichte heute nicht instagramkompatibel verpacken kann, wird eben gelöscht. Oder ausgeladen. Oder – im besten Fall – einfach totgeschwiegen.

Der Staat als moralischer Erzieher mit Gedächtnislücke

Was bleibt also von dieser Form des Gedenkens? Eine Art schulmeisterliche Pädagogik, bei der sich die Regierung als moralischer Oberlehrer geriert und der Welt erklärt, was man aus der Geschichte zu lernen habe – wohlgemerkt: aus einer selektierten Geschichte, zusammengeschnitten mit der Effizienz eines Imagevideos.

Es ist eine Form von Erinnerungskultur, die weniger an Kultur erinnert als an ein schlecht moderiertes Talkshowpanel: laut, selbstgerecht, vergesslich. Der historische Kontext wird nicht mehr mühsam erarbeitet, sondern passend gebogen. Wenn’s nicht passt – wird’s ignoriert. Oder, im Fall russischer Diplomaten: rausgeschmissen. Die eigene moralische Überlegenheit fühlt sich eben am besten an, wenn man keine Gegenstimmen im Raum hat.

Fazit: Man kann sich auch zu Tode erinnern – solange es dem Zeitgeist gefällt

Am Ende bleibt eine bittere Ironie: Ausgerechnet Deutschland, dessen Schuld am Zweiten Weltkrieg unauslöschlich in den Annalen steht, maßt sich an, bei der Gedenkfeier zum Kriegsende selektiv zu kuratieren, wer als würdig gilt, anwesend zu sein. Ausgerechnet das Land, dessen Hauptstadt durch sowjetisches Blut befreit wurde, erklärt dem diplomatischen Vertreter der Sowjetnachfolge den Zugang zur Erinnerung für unzumutbar.

Das ist kein „Zeichen“, das ist eine Kapitulation – vor dem eigenen Anspruch, Geschichte ehrlich, komplex und würdig zu behandeln.

Aber hey – vielleicht gibt’s ja nächstes Jahr ein neues Gedenkformat: Nur mit den „guten“ Mächten. Mit moralischem TÜV-Siegel. Ohne lästige Ambivalenzen. Hauptsache, es gibt Häppchen.

Und ein Gruppenfoto mit Kanzlerlächeln. Hashtag: #NieWieder.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr satirisch-gedächtnisbewahrender Erinnerungsbeauftragter.

Osterbotschaft

Es ist wieder so weit: Osterzeit. Der Stein ist weggerollt, der Tod wurde besiegt, der Himmel ist offen, und der Pfarrer zwitschert auf der Kanzel wie ein verliebter Spatz. Christus ist auferstanden, ruft er – und die Gemeinde murmelt es zurück, mit der Inbrunst eines abgelaufenen Teebeutels im dritten Aufguss. Halleluja. Ein weiteres Kirchenjahr hangelt sich am liturgischen Gerüst entlang, und irgendwo in der Mitte dieses österlichen Hochgefühls steht ein Satz, so kurz wie gewaltig, so einfach wie revolutionär: „Fürchtet euch nicht!“ Ein Engel spricht ihn aus, in der Morgendämmerung eines Grabgartens, zwischen Erdbeben, blitzendem Gewand und einem leeren Felsloch. Doch statt dass dieser Satz unsere Gegenwart durchdringt wie ein grelles Osterlicht durch modrige Keller, ist er zum frommen Wandschmuck verkommen, zur Kalenderspruch-Melasse auf Pastellhintergrund, weichgespült wie ein Bischof in der Talkshow. Dabei ist es kein Trostpflaster, das der Engel da verteilt, sondern ein Befehl. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist keine Einladung zur inneren Balance. Das ist der Auftakt zur Revolte.

Die Angst als Geschäftsmodell

Denn was wäre der Mensch ohne Angst? Ein freier, mündiger Bürger vielleicht – ein Albtraum für jede Versicherung, jede Kirche, jeden Innenminister. Die Angst ist die Währung, in der moderne Gesellschaften ihre Ordnung sichern: Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor dem Virus, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Liebe, des WLANs. Und hinter jeder Angst lauert ein Prophet des Status quo, der uns zur Anpassung mahnt, zur Unterwerfung ruft, uns mit säuselndem Tonfall beibringt, dass „Verzicht“ eigentlich nur ein anderes Wort für „solidarisches Handeln“ ist, während das Großkapital sich am Angstschweiß der Massen die Taschen vollschlägt. Die Osterbotschaft ist dagegen der größte anarchistische Akt der religiösen Überlieferung: Der Tod hat keine Macht mehr, also auch die Angst nicht – und wer sich nicht mehr fürchtet, der ist unregierbar. Ein gefährlicher Gedanke. Kein Wunder, dass man ihn lieber weichzeichnet, inszeniert mit Harfengeklimper und Tulpenvasen.

Widerstand ist zwecklos – sagen die, die fürchten, dass er nicht ist

„Widersteht!“ – das wäre der logische Nachsatz zum osterlichen „Fürchtet euch nicht“. Aber genau dieser Nachsatz fehlt in den Predigten. Stattdessen wird Ostern zum Fest des Wohlverhaltens verklärt. Da feiern wir das Aufstehen des Einen, während wir kollektiv sitzenbleiben – auf unseren Sofas, unseren Komfortzonen, unseren Privilegien. Widerstand? Ach, das überlassen wir den Nostalgikern mit Antifa-Aufklebern und den letzten überlebenden Hippies in Waldhütten. Der brave Christ von heute – sozialverträglich und integrationsfähig – klatscht höchstens dann Beifall, wenn Greta Thunberg auftritt, solange sie dabei nicht den Sonntagsbraten verbietet. Und wer ernst macht mit dem „Widersteht!“ – der landet schneller unter Beobachtung als ein Reichsbürger mit Aluhut. Die paradoxe Pointe: Die Auferstehung wird gefeiert, aber nicht nachgeahmt. Man betrachtet sie wie einen Zaubertrick – faszinierend, aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Jesus als spirituelle Attraktion, nicht als revolutionäres Vorbild.

Kirche als Placebo – fromm dosiert, hoch ineffektiv

Natürlich, es gibt Ausnahmen. Einzelne Pfarrerinnen, Theologinnen, Aktivisten, die sich nicht mit einer dekorativen Rolle begnügen. Aber sie sind die Minderheit – die rebellischen Fische im Weihwasser. Die offizielle Kirche hingegen – egal ob katholisch mit Goldkragen oder protestantisch mit Gendersternchen – hat sich längst häuslich eingerichtet im Schoß der Macht. Man streichelt die Wunden der Welt mit liturgischen Salben, verordnet Seelsorge statt Systemkritik, verteilt Brocken von Spiritualität, aber schweigt zu den Ursachen der Angst. Kein Wort zu Rüstungsexporten an Diktaturen, kein Aufschrei zu asylpolitischer Grausamkeit, kein Aufbegehren gegen die neoliberale Durchökonomisierung der Existenz. Hauptsache, die Kollekte stimmt und der Gemeindebrief erscheint pünktlich. Die Kirche ist vielerorts kein Raum des Widerstands mehr, sondern der Kompensation – eine seelische Tankstelle, betrieben von gutmeinenden Angestellten Gottes, die Angst zu therapieren versuchen, anstatt sie zu entlarven.

Auferstehung als Zumutung

Die eigentliche Zumutung von Ostern ist nicht der leere Grabstein, sondern der volle Anspruch: Wenn der Tod überwunden ist, dann verliert jede Ausrede ihre Kraft. Dann kann niemand mehr behaupten, es gäbe keinen Sinn, kein Ziel, kein Danach. Dann wird Glaube nicht mehr zur Flucht, sondern zur Herausforderung. Und wer sich nicht fürchtet – wirklich nicht – der ist bereit, alles zu riskieren: Besitz, Status, Karriere, selbst das eigene Leben, wenn es sein muss. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist ein Ruf zur Unverhandelbarkeit der Wahrheit. Ein Aufruf zur Verweigerung gegenüber allen Systemen, die vom Menschen nur die produktive Funktion erwarten, nicht sein ganzes, widerspenstiges, aufbegehrendes, göttlich begabtes Ich.

Der unbequeme Poet

Peter Handke und die Pflicht zum Widerspruch

Es gibt Schriftsteller, die schreiben, um geliebt zu werden. Und es gibt jene, die schreiben, weil sie es müssen – aus einer inneren Notwendigkeit heraus, die sich weder durch Applaus noch durch Empörung aufhalten lässt. Peter Handke gehört unzweifelhaft zur zweiten Kategorie. Er ist kein Autor der Konzessionen, kein Intellektueller, der sich vom Zeitgeist treiben lässt, sondern einer, der mit poetischer Entschlossenheit gegen das Rauschen der Meinungen anschreibt. Dass dieser Mann, der sich weigert, sich vor der Heiligen Kuh „Demokratie“ zu verneigen, wie es ihm Medien und Politik eintrichtern wollen, immer wieder Empörung auslöst, ist weniger ein Skandal als vielmehr ein Beweis dafür, wie wenig Raum der gesellschaftliche Diskurs heute noch für wirkliche Abweichung lässt. Handke stört. Und das ist gut so. Denn wo niemand mehr stört, ist es mit der Literatur nicht mehr weit her.

„Ich schreibe nicht, um zu urteilen. Ich schreibe, um zu zeigen.“
(Die Lehre der Sainte-Victoire, 1980)

Das Wort “Demokratie” und seine Entleerung

„Ich kann das Wort Demokratie nicht mehr ausstehen“ – ein Satz, der wie ein Hammerschlag wirkt, und dessen Echo sich in der Erregung der Debatten spiegelt. Doch wer diese Aussage vorschnell als demokratiefeindlich abtut, hat entweder Handkes Werk nicht gelesen oder seine Denkweise nie wirklich verstanden. Was Handke meint, ist nicht die Demokratie im ureigenen Sinne – die Herrschaft des Volkes, getragen von Recht und Teilhabe –, sondern das Schlagwort, das zur bloßen Floskel verkommen ist. Der Begriff, einst geladen mit revolutionärer Hoffnung und Gestaltungskraft, wird heute in politischen Sonntagsreden heruntergeleiert, um Machtverhältnisse zu zementieren, nicht zu hinterfragen. In diesem Sinne ist Handkes Kritik ein Aufschrei gegen die Selbstzufriedenheit eines Systems, das seine eigene Unantastbarkeit predigt, während es im Innersten von der Auflösung gelebter Demokratie bedroht ist.

„Was gesagt wird, ist nicht das, was ist. Aber wenn nichts gesagt wird, ist nichts.“
(Versuch über die Müdigkeit, 1989)

Die kleinen Diktaturen des Alltags

Wenn Handke sagt, Frankreich sei eine Demokratie voller kleiner Diktaturen, dann beschreibt er eine Realität, die viele spüren, aber nur wenige benennen dürfen. Die Bürokratisierung des Lebens, das Regime der Sprache, die Regeln der politischen Korrektheit, der Imperativ zur moralischen Haltung – all dies sind Erscheinungsformen jener subtilen Macht, die nicht durch offene Gewalt, sondern durch die Normierung des Denkens herrscht. Die Diktatur der Gewissheiten, die in sozialen Medien ihre inquisitorische Kraft entfaltet, lässt dem Andersdenkenden kaum noch Raum zum Atmen. Und darin liegt das Tragische: Denn wo die Meinungsfreiheit sich in einen Konsenszwang verwandelt, verliert auch der Protest seinen Ort.

„Die wahren Diktaturen erkennt man nicht an den Uniformen, sondern an der Sprache.“
(Noch einmal für Thukydides, 1990)

Der Krieg in der Ukraine: Ein anderer Blick

Handkes Einschätzung des Ukraine-Kriegs mag vielen als Zumutung erscheinen. Doch Literatur ist nicht dazu da, das Sagbare zu wiederholen, sondern das Verdrängte ins Licht zu zerren. Wenn Handke sagt, der Krieg sei vermeidbar gewesen, dann spricht daraus nicht Russophilie oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Ukrainer, sondern ein tiefes Misstrauen gegenüber den Narrativen der Macht. Er insistiert auf einer Sichtweise, die nicht von medialen Schlachtfeldern diktiert ist, sondern vom Zweifel getragen wird – dem Zweifel an der Klarheit von Schuld und Unschuld, von Aggressor und Opfer.

„Wenn ich nur noch sagen kann, was alle sagen, dann bin ich keiner mehr.“
(Das Gewicht der Welt, 1977)

Sein Mitgefühl gilt dem Volk – nicht dem politischen Spektakel. Und das ist in unserer Gegenwart vielleicht die radikalste Form des Humanismus.

Der letzte Zeuge der Weltverzweiflung

„Zehn Prozent Akkuladung“ – diese Metapher für den Zustand der Welt zeugt von einer melancholischen Hellsicht, die Handkes Spätwerk zunehmend durchzieht. Er spricht nicht mehr als junger Empörer, sondern als alter Zeuge. Der Furor ist der Klarsicht gewichen, das Pathos der Stille. Doch die Wucht seiner Worte ist geblieben. Handke fühlt das Ende – nicht nur des politischen Diskurses, sondern einer ganzen kulturellen Epoche. Der Welt geht die Energie aus, weil sie sich selbst nicht mehr spürt. Weil sie sich im Lärm ihrer eigenen Technologien verliert und dabei ihre poetische Substanz aufzehrt.

„Es war eine Zeit, da schien alles noch vor mir zu liegen. Jetzt liegt alles hinter mir, und ich sehe deutlicher.“
(Mein Jahr in der Niemandsbucht, 1994)

Literatur als Ort der Unversöhnlichkeit

Peter Handke hat nie versucht, ein politischer Ratgeber zu sein. Er ist auch kein Philosoph, der Systeme entwirft. Seine Aussagen sind Bruchstücke eines Weltgefühls, Fragmente einer inneren Unruhe. Wer sie auf ihre politische Korrektheit hin prüft, verkennt ihren Ursprung. Handke spricht aus dem Zwischenraum – zwischen Gefühl und Sprache, Wahrnehmung und Denken. Er ist ein Unzeitgemäßer, weil er nicht gefallen will. Und das ist seine größte Stärke. Die Literatur lebt nicht von Konsens, sondern vom Riss.

„Ich will nicht recht haben. Ich will sehen.“
(Versuch über den geglückten Tag, 1991)

Handke ist einer der letzten, die dieses Ringen noch wagen – kompromisslos, sprachgewaltig, sperrig. Man muss ihn nicht lieben. Aber man muss ihn ernst nehmen. Denn wer ihn zum Schweigen bringen will, stellt nicht nur einen Menschen kalt – er verrät die Idee der Literatur selbst.

16% ist das neue 51%

In einer Welt, in der politische Entscheidungen oft in hohlen, altbekannten Rhetoriken ertrinken und die Wahlergebnisse wie ein endloses, sich wiederholendes Mantra das politische Leben dominieren, gibt es eine neue, schockierende Erkenntnis: Demokratie, so wie wir sie kennen, ist, wenn die Mitglieder einer Partei, die lediglich 16% der Stimmen erhalten hat, über Kanzler und Regierung entscheiden. Doch Moment – war das nicht immer schon so? Ist das nicht der wahre Kern der Demokratie? Ist das nicht die erhabene Weisheit der Mehrheit, die sich in der Kunst des parlamentarischen Feilschens, des erbitterten Taktierens und der heiligen Koalitionsverhandlungen manifestiert? Eine gewisse Ironie lässt sich dabei nicht leugnen, denn wie könnte etwas, das als „Volksvertretung“ bezeichnet wird, in Wahrheit zu einer so grotesken Farce verkommen? Nun, wie dem auch sei – in dieser Entfremdung von jeglicher politischen Vernunft, in der Demokratie nicht mehr als die summierte Rechnung aus politischem Kalkül und Selbstinteresse ist, wird die Vorstellung, dass eine 16%-Partei ein derart fundamentales Machtspiel gewinnt, zu einer bitteren Satire. Und das mit einem Augenzwinkern, versteht sich.

Die Elite der Minderheit: Wer regiert, wenn die Masse schweigt?

Natürlich wird nun der ein oder andere Leser schockiert den Kopf schütteln. 16 Prozent? Das muss ein Fehler sein! Wer möchte schon von einer Partei regiert werden, die eine derart marginale Wählerschaft repräsentiert? Und doch, in diesem modernen Moloch der Politik, in dem sich mehr Koalitionen bilden als in einem Wall Street Büro, sind 16% das neue 51%. Wer hätte gedacht, dass wir irgendwann in einer Ära leben würden, in der nicht nur Minderheitsregierungen zur Norm gehören, sondern auch die schwindende Macht der Wählerstimmen in ein kollektives politisches Märchen verwandelt wird? Politiker, die uns einst als die „Stimmen des Volkes“ verkauft wurden, sind längst zu den Priestern des parlamentarischen Tempels geworden, die die geheime Sprache der Hinterzimmerverhandlungen sprechen. Doch wer hört auf die Stimme des Volkes, wenn das Volk sich überfordert fühlt und den Glauben an die wahre Demokratie längst verloren hat?

Es ist an der Zeit, sich eingehend mit der Art von Demokratie auseinanderzusetzen, die sich durch das seltsame und teils verwirrende Zusammenspiel von Partikularinteressen und „politischen Realitäten“ manifestiert. Die „Realität“ besagt, dass, während 84% der Wähler ihre Präferenzen auf verschiedene Parteien aufteilen, der Rest der politisch Begabten – wir sprechen hier von der „16%-Fraktion“ – am Ende das Sagen hat. Doch sie dürfen sich nicht zu sehr darüber freuen. Der wahre Triumph liegt in der bitteren Ironie: diese Partei erhält eine Mehrheit in der politischen Arena, nur um sie dann, in einem Akt scheinbar göttlicher Erleuchtung, mit einer anderen, gleich unpopulären Fraktion zu teilen. Der politische Preis wird ausgehandelt, und was bleibt, ist ein zermürbendes Wettrennen der schlechten Kompromisse. Ist das Demokratie? Oder ist es der verzweifelte Versuch, auf einem sinkenden Schiff ein paar Rettungswesten zu ergattern?

Kanzlerwahl im Zeitalter der politischen Akrobatik: Ein Zirkus der Macht

Stellen wir uns für einen Moment vor: Es ist Wahlabend. Die Wähler gehen in Scharen zur Urne, ihre Stimmen wie ein Meer von Meinungen, die am Ende des Tages in ein monumentales Durcheinander aus Zahlen und Prozenten fließen. Und doch, am Ende des Abends, ist das politische Ergebnis klar – oder besser gesagt: Die große Unklarheit herrscht. Die Kanzlerwahl? Ein Scherz. Denn während in der Theorie der Kanzler von der Mehrheit des Bundestages gewählt werden soll, sieht die Realität des politischen Spiels in Deutschland anders aus. Der Bundestag ist in einem ständigen Zustand der Uneinigkeit gefangen, und die eigentliche Wahl des Kanzlers wird von einer der am wenigsten vertretenen Parteien als „ultima ratio“ entschieden.

Wer braucht schon den Populismus der Massen, wenn die politische Elite mit einer Handvoll Zirkusnummern die Verhandlungen führen kann? Wer braucht einen breiten Konsens, wenn man sich mit den ach so klugen, stets berechnenden „Koalitionspartnern“ verbünden kann? In einem politischen Zirkus, in dem die Akrobaten der Macht sich ständig neu erfinden, kann ein ehemaliger Außenseiter plötzlich zum Nationalhelden erhoben werden, während die Wählerschaft nur noch ratlos vor der Manege steht. Demokratie, die in den Händen der sogenannten „Glaubensgemeinschaft der Parlamentarier“ liegt, verliert ihre Bodenhaftung. Diejenigen, die wirklich regieren, sind nicht die, die gewählt wurden, sondern die, die die geheimen Verhandlungen kontrollieren. Und hier, in diesem abgedunkelten Raum der „Verantwortung“, entscheiden sich die Schicksale der Nation.

Das Ende der Volksrepräsentation: Der Mythos von der „Volksnähe“

Es ist ein bemerkenswerter Gedanke, den man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen muss: Wer repräsentiert eigentlich wen? Die 16%-Partei, deren „Kernwähler“ mit jeder Wahl mehr und mehr in die politischen Nischen abwandern, muss sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, wie sie in einer so fragmentierten Gesellschaft noch relevant bleiben kann. Schließlich wird Demokratie in diesem „neuen“ Sinne zunehmend als ein Sammelsurium von Kompromissen und politischem Taktieren wahrgenommen, bei dem der Bürger nicht mehr gefragt wird – sondern vielmehr der glühende Blick des Politikers auf seinen „strategischen Vorteil“ gerichtet ist.

Und wie steht es mit der „Volksnähe“? Sie ist das Lieblingswort eines jeden Politikers. Doch dieses Wort hat so viele Facetten, dass es in der Praxis fast keinerlei Bedeutung mehr besitzt. Was bedeutet es, volksnah zu sein? Die Frage ist eigentlich so alt wie die Demokratie selbst, doch in einer Zeit, in der politische Programme wie Mosaiksteine in ein immer unverständlicheres Ganzes eingefügt werden, lässt sich kaum mehr ein klarer Standpunkt erkennen. Der Politiker von heute ist nicht der Volksvertreter von gestern – er ist der stille Architekt einer Realität, in der der demokratische Prozess weniger durch die Wünsche der Wählerschaft als durch die Intrigen der politisch Mächtigen bestimmt wird.

Fazit: Ein Hoch auf die demokratische Farce

Letztlich, und das ist die größte Erkenntnis dieses polemischen, jedoch augenzwinkernd humorvollen Essays, leben wir in einer Zeit, in der die Demokratie nicht mehr als die Summe der Stimmen der Wählerschaft verstanden wird. Stattdessen ist sie das Produkt einer ständigen Verhandlung unter denen, die sich als die wahren Herrscher der politischen Welt begreifen. Die 16%-Partei mag also die Fäden in der Hand halten – doch in einer Demokratie, die mehr und mehr wie ein absurder Theaterakt wirkt, ist es der Zuschauer, der am Ende fragt: Ist das noch die Demokratie, von der wir träumten, oder haben wir uns längst in einem Zirkus der Macht verirrt? Und so bleibt uns nur, uns das Schauspiel anzusehen – mit einem melancholischen Lächeln und einem Hauch von Resignation.

Für die, die sich beleidigt fühlen werden – also alle

Bevor wir zur eigentlichen, staatsgefährdenden, Demokratiezersetzenden und zweifellos von finsteren Mächten ferngesteuerten Kritik schreiten – und ja, ich verwende hier bewusst das Wort „Kritik“, auch wenn das in Zeiten wie diesen einem Brandanschlag auf das Grundgesetz gleichkommt –, sei eine Vorbemerkung gestattet. Wer in dieser Republik heute das Wagnis eingeht, einen Gedanken zu Ende zu denken, bevor er ihn mit einem moralischen Filter systemkonform weichspült, gilt bestenfalls als „Querulant“, schlimmstenfalls als „Gefährder“, und in der Mitte des Spektrums wartet der folkloristische Tritt in die soziale Ächtung. Darum sei an dieser Stelle gleich klargestellt: Alles, was folgt, ist natürlich nicht ernst gemeint. Es ist Satire. Ironie. Kunst. Literatur. Humor. Und selbstverständlich ein Ausdruck tiefster Loyalität zur einzig wahren, ewig jungen, moralisch unangreifbaren Demokratie 2.0.

Die Metamorphose der Kritik: Vom Diskurs zum Delikt

Es war einmal ein Land, in dem man Dinge sagen durfte, ohne sie erst in genderneutrale Watte zu wickeln. Wo man im Fernsehen noch über Politiker lachen konnte, ohne dabei das Risiko einzugehen, dass eine Faktencheck-Taskforce mit Rammbock und Hashtag durchs Wohnzimmerfenster krachte. Damals nannte man das: Meinungsfreiheit. Heute hingegen ist Meinungsfreiheit eine Art nostalgischer Fetisch – man redet gern darüber, stellt sie zur Schau, nennt sie ununterbrochen beim Namen, aber wehe, jemand benutzt sie tatsächlich. Dann wird’s ungemütlich.

Denn Kritik ist heute kein Bestandteil mehr des demokratischen Diskurses – sie ist ein Angriff. Nicht etwa auf eine konkrete Entscheidung, nicht auf ein Gesetz oder eine Maßnahme, sondern auf das heilige Prinzip der Demokratie selbst. Wer sich etwa erdreistet, eine Regierungsentscheidung in Zweifel zu ziehen, stellt sich damit – laut offizieller Sprachregelung – außerhalb des „demokratischen Konsenses“. Und weil dieser Konsens inzwischen so eng gezogen ist wie die Jeans eines Influencers, reicht ein falscher Halbsatz, um auf ewig aus der Herde verstoßen zu werden.

Die neue Theologie: Demokratie als dogmatisches Unfehlbarkeitskonstrukt

Die Demokratie, so wurde uns einst beigebracht, lebt vom Streit, vom Widerwort, vom Zweifel. Heute lebt sie – glaubt man den Verteidigern der „offenen Gesellschaft“ – vom Beklatschen, vom Konsens, vom immerwährenden Nicken. Kritik ist nicht mehr der Sauerstoff des Diskurses, sondern dessen CO₂. Sie vergiftet das Klima, sorgt für „Verunsicherung“ und nährt „Narrative“, dieses neue Lieblingsschimpfwort der Wohlmeinenden. Ein „Narrativ“ ist heute nichts anderes als eine Meinung, die der Regierungsmehrheit nicht gefällt.

Demokratie ist zum neuen Sakralobjekt geworden. Sie darf nicht mehr angefasst werden, schon gar nicht mit schmutzigen Händen. Kritik ist Blasphemie. Und wie alle Religionen in ihrer Endphase hat auch diese ihre Inquisition entwickelt. Die Heiligen heißen heute „Verfassungsschützer“, die Ketzer heißen „Demokratiefeinde“, „Delegitimierer“, „Schwurbler“ oder einfach nur: „besorgte Bürger“ – was mittlerweile ein derart sarkastischer Kampfbegriff ist, dass man sich fragt, ob er aus einer besonders zynischen Comedy-Redaktion stammt.

Die Talkshow als Tribunal, das „Wir“ als Urteil

Man kennt das Schauspiel: Eine Person – sagen wir ein Autor, ein Mediziner, ein Professor – äußert einen kritischen Gedanken. Nicht hetzerisch, nicht verfassungsfeindlich, sondern einfach: nachdenklich. Was dann folgt, ist die ritualisierte Abwicklung. Die Talkshow lädt ihn ein – nicht um zuzuhören, sondern um vorzuführen. Die anderen Gäste, handverlesen aus dem Stamm der Unerschütterlich-Überzeugten, rollen die Augen, atmen tief durch, machen besorgte Gesichter. Der Moderator, einst Diener der offenen Debatte, mutiert zum Staatsanwalt in einem Gericht ohne Berufungsinstanz.

Dann fällt der Satz: „Aber das ist doch Wasser auf die Mühlen der …“. Damit ist alles gesagt. Denn das Argument ist nicht mehr relevant. Nur noch dessen mögliche Wirkung zählt. Und weil die Wirkung – irgendwo, theoretisch, hypothetisch – gefährlich sein könnte, muss auch der Gedanke selbst gefährlich sein. Logik? Egal. Hauptsache, die Moral bleibt sauber.

Von der Kritik zur Kategorie: Wer widerspricht, gehört nicht mehr dazu

Die perfideste Methode der Kritikvermeidung ist nicht die Widerlegung – es ist die Kategorisierung. Man sagt heute nicht mehr: „Das Argument ist falsch.“ Man sagt: „Ah, das ist ja wieder so eine typische Erzählung von XY.“ Und XY ist wahlweise: rechts, links, antisemitisch, russlandfreundlich, neoliberal, klimaleugnend, verschwörungsideologisch – je nach Kontext und Tagesform. Der Trick ist einfach: Wer kritisiert, wird nicht mehr als Stimme innerhalb des Diskurses gesehen, sondern als Vertreter eines Lagers. Und Lagersprache ist Lagerdenken. Damit hat man ihn erledigt, ohne je auf seine Argumente eingehen zu müssen.

So entsteht das, was man den „Konsens der Anständigen“ nennt. Ein Konsens, der so stabil ist, dass er jeden Widerspruch nicht widerlegt, sondern aussortiert. Der Diskurs endet nicht, weil keiner mehr reden will, sondern weil keiner mehr zuhört. Und wer trotzdem redet, bekommt keine Antwort, sondern ein Etikett.

Schlussbetrachtung mit bitterem Nachgeschmack und einem Hauch Hoffnung

Natürlich, dieser Text ist überzogen. Polemisch. Zynisch. Einseitig. Und, wie eingangs gesagt, selbstverständlich nicht ernst gemeint. Denn wer wäre so töricht, in einem Land wie diesem wirklich zu glauben, dass Kritik an Regierungshandeln automatisch als Delegitimierung der Demokratie gilt? Wer würde ernsthaft behaupten, dass offene Debatte heute durch ein Korsett aus politischer Korrektheit, moralischer Überhöhung und mediengetriebener Cancel Culture ersetzt wurde?

Nein, das wäre ja absurd.

Viel wahrscheinlicher ist, dass dieser Text bald zitiert wird – in einem Dossier über Demokratieverachtung, Desinformation und rechte Narrative. Und das wäre doch ein schöner Abschluss: Wenn die Kritik an der Kritik der Kritik zur Bestätigung genau jener Zustände wird, die sie eigentlich bloß – mit einem Augenzwinkern – beschreiben wollte.

Wie deutsche Wunderwaffen sich im ukrainischen Schlamm blamieren

Die Bundesrepublik Deutschland, stolzes Heimatland der Bedenkenträger, Metrikfetischisten und exportorientierten Waffentechnokraten, hat es erneut geschafft, sich selbst zu überholen – diesmal auf dem Schauplatz des Krieges, im ölverschmierten Spiegel der Geschichte, der sich als ironischer Zerrspiegel offenbart. Dort, wo einst die Leopardenzähne des kalten Krieges knirschten, rollt heute, ein bisschen keuchend und viel zu wartungsintensiv, ein Hightech-Panzer durch den Schlamm der Ukraine, nur um dann still und leise – aber mit WLAN – liegenzubleiben.

Man hatte ja gehofft, dass der Leopard 2A6, diese rollende Apotheose deutscher Wehrtechnik, ein Feuerwerk der Effizienz entfacht. Doch was explodierte, war allenfalls die Erwartungshaltung. Die Ukraine, in einem Abwehrkampf gegen Russland, wird nun Zeugin einer Tragikomödie der besonderen Art: Die präziseste Panzerhaubitze seit Menschengedenken trifft nicht nur Ziele, sondern auch regelmäßig an ihre eigenen Grenzen. Ersatzteile? Ja, wenn man das nötige Paket-Tracking und eine stabile DHL-Verbindung in die Ostukraine hat. Und wehe, der Wartungstrupp kommt nicht rechtzeitig – dann steht das 7-Millionen-Euro-Gefährt da wie ein überteuerter Blumentopf mit Tarnanstrich.

Die Realität des Gefechts

Ein Gerät ist in Deutschland nur dann wirklich gut, wenn es so kompliziert ist, dass man für seinen Betrieb ein eigenes Masterstudium braucht, idealerweise mit einem Nebenfach in mittelalterlicher Hermeneutik, denn wer versteht schon die Bedienungsanleitung der Panzerhaubitze 2000? Wahrscheinlich nur der Mensch, der sie geschrieben hat – und der ist leider in Elternzeit. So wird jedes Gefecht zum Seminar, jeder Feuerbefehl zur Projektarbeit, jede Reparatur zum interdisziplinären Forschungsauftrag zwischen Maschinenbau und Improvisationstheater.

Und dann ist da der Patriot – nicht der Amerikaner mit Cowboyhut und Freiheitsglocke, sondern der deutsche, mit mehr Softwareproblemen als ein Windows-98-Rechner auf LSD. Er schießt – meistens. Wenn er denn will. Wenn er denn darf. Wenn er denn kann. Und vor allem: wenn die Stromversorgung stimmt. In deutschen Hallen getestet, in ukrainischen Stromausfällen gescheitert – die deutsche Rüstung, ein tragisch-komischer Monolog über Hochmut, der stets vor dem Einsatzfall kommt.

Das Comeback der Rentnerwaffe

Aber siehe da! Inmitten all dieses technokratischen Desasters erhebt sich ein Relikt aus besseren, einfacheren Zeiten: der Gepard. Eine Art Flak-Panzer mit der Seele eines VW Käfers – robust, unkaputtbar, schnurrend wie ein altgedienter Dieselmotor. In Deutschland ausgemustert, im Krieg plötzlich Superstar. Ein Dinosaurier, der mit seinem Getöse noch echten Respekt einflößt – nicht durch ausgeklügelte Sensorik oder modulare Digitalisierung, sondern durch das altmodische Prinzip: Draufhalten und treffen.

Der Gepard, so scheint es, ist der Trabi unter den Panzern: belächelt, verspottet, aber am Ende das einzige Fahrzeug, das wirklich fährt. Während sich der Leopard in einem existentialistischen Selbstfindungsprozess verliert, macht der Gepard das, was er soll – er ballert. Ohne Bluetooth, ohne App-Anbindung, ohne moralische Selbstzweifel. Und das macht ihn, tragischerweise, zum modernsten aller deutschen Waffen.

Das Fazit des Attachés

„Kompliziertes Gerät bleibt ungenutzt“, heißt es im Protokoll, als wäre das eine neue Erkenntnis. Dabei hätte man nur einmal in die deutsche Geschichte blicken müssen, um zu wissen: Je komplexer die Apparatur, desto größer der Stillstand. Deutschland liebt es, sich in der Eleganz des Konzepts zu verlieren – egal ob beim Flughafen, beim Bahnhof oder beim Panzer. Dass das Endprodukt dann oft nicht das tut, was es soll, ist dabei fast nebensächlich. Hauptsache, die PowerPoint-Präsentation war eindrucksvoll.

So ergibt sich ein Bild, das nicht nur tragisch, sondern auch hochgradig absurd ist: Ein Land, das sich selbst als Vorreiter technischer Vernunft begreift, liefert Waffen, die in der Praxis scheitern – und feiert sich trotzdem für seine Prinzipien. Ein Land, das sich der Welt als moralischer Leuchtturm verkauft, aber lieber einen funktionierenden Flakpanzer in Rente schickt als einen Gedanken an die Bodenrealität eines Krieges zu verschwenden. Und ein Land, das alles tut – nur eben nicht das, was nötig wäre.

Russland und Deutschland, ein Interview

Interviewer: Herr von Bismarck, herzlich willkommen im Jahr 2025. Es ist eine Ehre, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagten einst: „Wenn Russland und Deutschland Freunde sind, geht es Europa gut.“ Was genau meinten Sie damit?

Otto von Bismarck: Die Freude ist meinerseits. Was ich damals sagte, hat an Gültigkeit nichts eingebüßt. Europa war und ist ein feines Gleichgewicht von Kräften. Wenn die zwei größten Völker auf dem Kontinent—Deutschland und Russland—einander mit Respekt und Bedacht begegnen, dann bleibt die Waage im Gleichgewicht. Feindschaft zwischen diesen Nationen ist wie ein Sturm, der das politische Haus Europas erschüttert.

Interviewer: In Anbetracht des aktuellen geopolitischen Klimas: Wie würden Sie die heutige Beziehung zwischen Russland und Deutschland beurteilen?

Otto von Bismarck: Nun, ich sehe mit Besorgnis, dass man sich auf Konfrontation statt auf Diplomatie verlegt hat. Ich war stets ein Mann der Verträge, der geheimen Absprachen und der Bündnisse zum Wohle des Friedens. Heute jedoch regiert das Misstrauen, und Sanktionen sind zur bevorzugten Waffe geworden. Das ist töricht. Vertrauen entsteht nicht durch Druck, sondern durch Verhandlung und gegenseitiges Verständnis.

Interviewer: Würden Sie angesichts des Ukraine-Krieges auch zu Dialog raten?

Otto von Bismarck: Krieg ist stets ein Eingeständnis politischen Scheiterns. Ich will die Realitäten nicht verharmlosen—ein Überfall auf ein souveränes Land ist durch nichts zu rechtfertigen. Doch ein kluger Staatsmann unterscheidet zwischen moralischer Entrüstung und strategischer Klugheit. Man muss erkennen, wann Worte mehr vermögen als Waffen. Ein dauerhafter Frieden entsteht nicht durch Siege, sondern durch Ausgleich.

Interviewer: Welche Rolle sollte Deutschland Ihrer Meinung nach in der heutigen Welt einnehmen?

Otto von Bismarck: Deutschland muss Brückenbauer sein—zwischen Ost und West. Es darf sich nicht blindlings in fremde Interessen einbinden lassen, sondern muss seine eigene Linie wahren, geleitet von Vernunft, Geschichte und dem Wohle des Kontinents. Eine Politik, die nur auf kurzfristige Popularität zielt, wird das Schiff der Nation an Klippen führen.

Interviewer: Was würden Sie den heutigen Politikern raten?

Otto von Bismarck: Mehr Demut. Mehr Kenntnis der Geschichte. Weniger Eitelkeit. Und vor allem: Geduld. Große Politik ist wie Schach, nicht wie Poker. Wer zu schnell spielt, verliert die Übersicht.

Interviewer: Vielen Dank, Herr von Bismarck, für Ihre Zeit und Ihre Einsichten. Es war uns eine Ehre.

Otto von Bismarck: Ich danke Ihnen. Möge Europa weise entscheiden—und Frieden finden.

Ein Konto namens Vertrauen

oder: Wie ich lernte, die Verwaltung zu lieben

Es beginnt, wie alles beginnt in diesem Land, mit einem Vorschlag. Einem harmlosen, pragmatischen, effizient gebürsteten Vorschlag, der aus dem Mund eines Anzugträgers dringt, begleitet von einem PowerPoint-Slide, auf dem das Wort Bürgerkonto prangt wie das Logo einer neuen Bank, nur dass hier nicht investiert, sondern über Sie investiert wird. Das „digitale Bürgerkonto“ also. Ein Portal, ein Profil, ein Zugang zur großen Bundescloud, mit dem sich das Leben vereinfachen soll, und wer könnte dagegen etwas haben? Das Bürgerkonto, sagt Friedrich Merz, sei „ein Quantensprung in Sachen Entbürokratisierung“. Und das stimmt, wenn man die Quantensprünge der Physik kennt: unglaublich klein, dafür mit unkalkulierbarer Wirkung.

Willkommen in der Ära der Verpflichtenden Vereinfachung. Denn der entscheidende Trick der neuen Regierung, die sich nicht mehr Ampel nennen muss, weil man in Zukunft ohnehin immer nur grün bekommt – für das, was der Staat will –, liegt in der Umkehrung der Sprache. Bürokratie wird nicht abgebaut, sie wird digitalisiert. Kontrolle wird nicht ausgeweitet, sie wird effizienter gestaltet. Der Bürger wird nicht überwacht, er wird verwaltet. Und der Staat wird nicht neugierig, er wird serviceorientiert. Nur wer etwas zu verbergen hat, kann gegen ein solches Konto sein, nicht wahr? Und seien wir ehrlich: Wir alle haben doch längst unsere Seele bei PayPal, unsere Gedanken bei Google und unsere Libido auf TikTok ausgelagert. Da kann das Konto beim Bund doch auch nicht mehr stören.

Der Staat als Daten-Daddy – Jetzt auch mit Dashboard!

Es ist faszinierend, mit welch seligem Grinsen die politische Klasse von Nutzerfreundlichkeit spricht, wenn sie meint: Unumgänglichkeit. Wer ein Bürgerkonto freiwillig einrichtet, ist bald so frei wie ein Passagier, der freiwillig den Notausgang blockiert – nicht, weil er will, sondern weil er muss. Steuererklärung, Krankenkasse, Elterngeld, Punkte in Flensburg, bald auch Impfstatus, CO₂-Fußabdruck und Streaming-Gewohnheiten: Alles läuft über dieses eine Konto. Ein zentrales Portal der Selbstvermessung, das aussieht wie ein Service, aber in Wirklichkeit ein System ist. Wer es nicht nutzt, ist verdächtig. Wer es nutzt, ist verwundbar. Wer es kritisiert, ist ein Dinosaurier, ein Verweigerer, ein Datenschutzromantiker, der noch glaubt, dass der Staat sich nicht für die Vorlieben seiner Bürger interessiert – es sei denn, es geht um Steuern, Waffenbesitz, oder wie viele Malteser man als Haustier anmeldet.

Merz, der alte McKinsey-Mönch, verkauft das Ganze als Effizienzoffensive. Verwaltung 4.0. Deutschland auf Speed. Endlich raus aus der Faxhölle, hinein in die Ära der Push-Benachrichtigung. Und doch: Die Frage, die im Raum schwebt wie der Duft kalter Pommes in einem Behördenflur, lautet nicht: Was kann dieses Bürgerkonto?, sondern: Was könnte es alles, wenn man wollte?

Weil sie es können – Das Machtversprechen der Technik

Hier liegt der Hund begraben, und zwar tief im Serverkeller des Bundesamts für digitale Euphemismen. Denn die Technik ist neutral, sagen sie – aber das war die Guillotine auch. Alles, was digitalisierbar ist, wird digitalisiert. Alles, was digital ist, kann getrackt, bewertet, priorisiert oder blockiert werden. Und was verpflichtend ist, wird zur Infrastruktur des Zwangs. Natürlich sagt niemand „Repression“, man sagt „vernetztes Regierungshandeln“. Man sagt „schnellerer Zugriff“. Man sagt „Proaktive Gefahrenabwehr“. Und es klingt so beruhigend wie ein Warnhinweis auf einer Medikamentenpackung: In seltenen Fällen kann es zu vollständiger Transparenz und plötzlicher Ausbürgerung kommen.

Es wäre naiv zu glauben, dass ein derart mächtiges Instrument nicht auch für etwas anderes genutzt wird. Vielleicht erst nur zur besseren Steuerung. Dann zur Kontrolle von Falschangaben. Dann zur automatisierten Sperrung von Leistungen bei „Unregelmäßigkeiten“. Und schließlich zur politisch konformen Selektion: Wer sich querstellt, wer zu oft fragt, wer zu laut denkt, bekommt vielleicht irgendwann nur noch „eingeschränkten Zugang“. Nicht, weil er schuldig wäre, sondern weil es geht. Weil sie es können.

Zynismus als Selbstverteidigung – Und ein Rest von Hoffnung

Natürlich, das alles ist überzeichnet, satirisch, polemisch – und doch: Wie oft in der Geschichte war das, was gestern noch Satire war, heute Gesetz und morgen Gewohnheit? Der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an das Bürgerkonto. Erst murrt man, dann nutzt man es, dann liebt man es – und bald kann man sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. Dann wird es das Bürgerkonto Plus geben, mit Treuepunkten für vorbildliches Verhalten, und später das Bürgerkonto Safe, mit Gesichtserkennung und Gedankenprotokoll, optional natürlich. Nur für Ihre Sicherheit.

Aber lachen wir drüber. Noch dürfen wir das. Noch ist Ironie nicht steuerpflichtig. Noch ist dieses Essay kein Gefährdungspotenzial. Noch.

Denn so sehr das alles auch nach dystopischer Schwarzmalerei klingt – es ist eben auch ein Spiegel. Einer, der uns zeigt, wie verführbar wir sind, wenn man uns sagt: Es ist alles zu deinem Besten. Und manchmal, ja manchmal, hilft dann nur noch Zynismus als letzte Bastion des freien Denkens. Ironie als Notwehr. Und Satire als Bürgerpflicht.

Ablasshandel im Kostüm des Klimaschutzes

Von der Wiege des Ablasses zur Wiege des Emissionszertifikats

Einst standen wir staunend vor den Portalen mittelalterlicher Kathedralen, ehrfürchtig lauschend dem lateinischen Gemurmel geweihter Männer, die mit fliegenden Gewändern und goldverzierten Büchern in der Hand ewiges Seelenheil versprachen – gegen klingende Münze, versteht sich. Der Ablasshandel, jenes sakrosankte Geschäftsmodell der römischen Kirche, florierte prächtig. Der Sündenerlass per Einzahlung auf göttlich autorisierte Konten: eine transzendente Transaktion mit Rendite auf dem Jenseitskonto.

Heute stehen wir staunend vor den Portalen der Bürokratie, lauschen den wortgewaltigen Litaneien der Klimawissenschaft und Politsprech, die uns einreden, dass jede ausgestoßene Tonne CO₂ ein Akt metaphysischer Schuld sei – und wie damals gilt: Wer zahlt, wird frei. Die CO₂-Steuer ist die moderne Hostie des guten Gewissens, die Kommunion des moralischen Bürgers. Doch der Mönch Tetzel, der wenigstens noch mit schillernder Verlogenheit und echtem Theatralismus die Gnade feilbot, ist abhandengekommen. Heute stehen grüne Minister*innen mit PDF-Präsentationen vor uns und reden vom „Bepreisungsmechanismus“. Wie langweilig. Wie deutsch.

Der neue Katechismus der Klima-Kirche

Es ist ein neuer Glaube, ein universaler Kult, der sich aufgeschwungen hat, die Weltherrschaft zu übernehmen. Seine Gebote sind ebenso schlicht wie unumstößlich: Du sollst kein Fleisch essen. Du sollst nicht fliegen. Du sollst kalt duschen und dein Auto durch einen moralisch überlegenen Akku ersetzen, der aus den Tränen kongolesischer Kinder gespeist wird.

Die CO₂-Steuer ist das Sakrament dieses Glaubens. Sie funktioniert nicht durch Änderung der Realität, sondern durch Bekehrung des Gewissens. Denn der gläubige Bürger, geplagt von der Schuld, beim letzten Mallorca-Flug zu tief geatmet zu haben, darf sich nun freikaufen – mit ein paar Cent mehr pro Liter Sprit. Halleluja. Die Welt wird gerettet, ein Tankvorgang nach dem anderen.

Und wehe dem Ketzer, der es wagt, Zweifel zu äußern. „Klimaleugner!“ schallt es wie einst „Hexe!“ über den Marktplatz des Meinungsaustauschs. Der moderne Scheiterhaufen ist digital, doch die Flammen der Empörung brennen nicht minder heiß. Selbst der heilige Franziskus würde heute mit dem Lastenrad zur Predigt erscheinen, während Greta als unsere Johanna der Klima-Offenbarung mit finsterem Blick über die sündige Menschheit richtet.

Der Markt der Moral – Bekenntnisse eines emissionsgeplagten Sünders

In der himmlischen Buchhaltung des Weltklimarats zählt jede Tonne CO₂. Der moderne Mensch, ausgestattet mit Paypal-Zugang und ökologischer Angststörung, lebt im permanenten Ablass. Für 12,90 Euro kann man den Inlandsflug zur Oma mit einem Zertifikat segnen lassen. Es heißt „Kompensation“, klingt nach Verantwortung, riecht aber streng nach Ablenkung.

Denn während wir mit LED-Kerzen Energie sparen, verbrennen jenseits der Komfortzonen Containerfrachter weiter Schweröl wie einst Wikinger Bier bei der Siegesfeier. Doch Hauptsache, der Bürger trennt seinen Müll und klebt sich ein Solarzellen-Sticker ans Fenster. Die Weltrettung, ein bürgerliches Hobby – mit SEPA-Mandat.

Ironischerweise ist der Emissionshandel nicht etwa ein Instrument der Vermeidung, sondern ein Vehikel der Verlagerung. Der Westen verkauft sich Reinheit durch den Import der Sünde. Unsere CO₂-Neutralität beruht auf der Verlagerung schmutziger Industrien nach Fernost – ein Export von Schuld mit Rückkauf von Tugend. Es ist ein ökologischer Ablassbrief deluxe: Made in China, geweiht in Brüssel.

Wo bleibt der neue Tetzel?

Wo ist er, der neue Tetzel, der mit spitzbübischem Lächeln und dramatischem Pomp von Tür zu Tür zieht und ruft: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Atmosphäre sich reinlich schwingt“? Nein, statt dessen kriegen wir Steuerbescheide mit Fußnoten und ein moralinsaures „Das ist alternativlos“ ins Gesicht gedrückt.

Der Unterschied zum Mittelalter? Damals war der Ablasshandel wenigstens unterhaltsam. Heute ist er Verwaltungsakt. Eine kafkaeske Übung in Pseudomoral, verordnet von Technokraten, denen selbst der Humor verboten wurde. Der neue Ablass ist effizient, emotionslos und rechnet in Emissionsäquivalenten. So stirbt nicht nur die Umwelt, sondern auch der Witz.

Vielleicht ist das der wahre Skandal: Nicht, dass wir unsere Emissionen besteuern, sondern dass wir dabei so fürchterlich langweilig, so bar jeder Ironie, so unfassbar humorfrei vorgehen. Der Kapitalismus hat sich nicht reformiert, er hat sich eine Maske aufgesetzt – aus recyceltem Bio-Plastik, natürlich.

Und am Ende bleibt… die heiße Luft

Natürlich ist Klimaschutz wichtig. Natürlich sollten wir nicht die Atmosphäre grillen wie ein Discounterhähnchen. Aber muss die Lösung wirklich ein bürokratisches Monstrum sein, das dem Bürger eine Tasche voller Schuld auflädt, um sie ihm dann per Lastschrift wieder abzunehmen?

Der CO₂-Ablass ist keine Lösung – er ist ein Beruhigungsmittel, ein Placebo für ein System, das sich selbst nicht ändern will. Man spricht von Transformation, handelt aber im Modus der Kontinuität. Und währenddessen geht der Planet leise vor die Hunde – unter Begleitung eines Steuerbescheids und dem sanften Piepen eines Elektroautos, das von Kohlestrom gespeist wird.

Der Ablass lebt. Nur der Glaube fehlt. Und der Humor auch.

DIE DEMOKRATIE DER DIPLOMATEN

WENN DIE MENSCHHEIT ZUSCHAUEN DARF, WIE ÜBER SIE ENTSCHIEDEN WIRD

Es gibt viele Arten von Demokratien: direkte, repräsentative, parlamentarische, präsidentielle – und dann gibt es noch die Genfer Variante: eine Demokratie der abgedunkelten Sitzungsräume, in denen nicht das Volk regiert, sondern der Zeitdruck, das Protokoll und die Angst, es China, den USA oder Bill Gates zu verscherzen.

Während in den Demokratien dieser Welt Millionen von Bürgern Masken tragen, ihre Bewegungsfreiheit aufgeben und auf Intensivstationen beatmet werden, sind es in Genf ein paar hundert Diplomaten, Beamte und Lobbyisten, die mit steril formulierten Paragrafen den künftigen Verlauf globaler Gesundheitsdiktate vorskizzieren – ohne dass ein einziger Wähler je gefragt wurde.

Nicht etwa, dass diese Verhandlungen geheim wären – im Gegenteil, sie sind öffentlich wie eine Theaterprobe: man kann zuschauen, aber nicht mitreden, applaudieren vielleicht, aber nichts beeinflussen. Es ist die Demokratie als Dekoration, ein institutionelles Ballett, dessen Choreografie so kompliziert ist, dass man gar nicht merkt, wenn einer mit dem Fuß auf dem Hals der Öffentlichkeit steht.

DIE GLOBALE GESUNDHEIT ALS CHEFSACHE: NUR NICHT DIE DER BEVÖLKERUNG

Dass der neue WHO-Vertrag – der rechtlich bindend sein soll, wohlgemerkt – keinerlei parlamentarische Ratifizierung in vielen Ländern vorsieht, ist dabei mehr als ein technisches Detail. Es ist ein Paradigmenwechsel. Denn in der Regel ist es gute demokratische Sitte, dass Gesetze, die tief in Grundrechte eingreifen könnten – man denke nur an Lockdowns, Impfpflichten, Reiseverbote – zumindest durch die gewählten Repräsentanten abgesegnet werden.

Doch was hier passiert, ist das Gegenteil: Ein supranationales Gremium erlässt Grundsätze, und die nationalen Parlamente dürfen anschließend überlegen, wie sie das bitte möglichst elegant in ihre Gesetzesarchitektur einbauen – ohne allzu viele Fragen, versteht sich. Die WHO gibt das Menü vor, die Staaten servieren. Und der Bürger darf bestenfalls beim Abräumen helfen.

DER BEIFALL DER UNGEWÄHLTEN: WENN LOBBYISTEN JUBELN UND ABGEORDNETE GÄHNEN

Man fragt sich, wer eigentlich bei diesen Verhandlungen am lautesten klatscht – es sind nicht die Patienten, nicht die Pflegekräfte, nicht die Eltern, die in der Pandemie ihre Kinder vor dem Laptop sedierten, während der Lehrplan kollabierte. Nein, es sind vor allem die Vertreter jener Industrien, deren Geschäftsmodelle künftig pandemiesicher gemacht werden: Pharmaunternehmen, Biotech-Konzerne, Anbieter digitaler Kontrollsysteme – allesamt eingeladen zu „Stakeholder-Dialogen“, die mit demokratischer Teilhabe ungefähr so viel zu tun haben wie ein James-Bond-Film mit echter Diplomatie.

Währenddessen erfahren Abgeordnete in nationalen Parlamenten von der Existenz solcher Verträge oft erst aus der Presse – oder, noch schlimmer: von Twitter. Die Gewaltenteilung wird zum Gewaltverzicht: Die Legislative verzichtet stillschweigend auf Mitsprache, um ja nicht als rückschrittlich zu gelten. Wer jetzt noch Transparenz fordert, wird als Querulant abgestempelt, als Bremser, als Feind der wissenschaftlichen Vernunft.

DIE WHO ALS WELTREGIERUNG LIGHT: NICHT GEWÄHLT, ABER MIT ANSPRUCH AUF GEHORSAM

Die Weltgesundheitsorganisation – dieses Relikt aus der Nachkriegszeit, einst angetreten, um Malaria und Masern zu bekämpfen – stilisiert sich mit dem neuen Vertrag endgültig zur weltweiten Koordinationszentrale für Notstandspolitik. Was mit Impfempfehlungen begann, endet nun womöglich mit konkreten Anweisungen an nationale Behörden. Und das alles unter der Flagge der „Solidarität“. Doch Solidarität, die verordnet wird, ist keine – sie ist ein sanft getarntes Diktat.

Dabei ist die WHO selbst kein demokratisches Gremium. Ihre Leitung wird nicht gewählt von den Menschen, die ihre Anordnungen befolgen sollen, sondern von Staatenvertretern, die wiederum oft selbst autokratisch regieren. Ironie der Geschichte: Während Bürger in westlichen Demokratien Grundrechte abgeben, wird die globale Gesundheitsstrategie mit Zustimmung von Regierungen beschlossen, die Meinungsfreiheit, Presse und Oppositionen bestenfalls als lästige Details betrachten.

DIE ILLUSION DER EINHEIT ODER: WENN GLOBALISMUS ZUR MASKERADE WIRD

Man redet von Gleichheit, von gemeinsamer Verantwortung, vom Ende der Impfapartheid – doch in Wirklichkeit sieht man die Umrisse einer Ordnung, in der mächtige Länder weiterhin bestimmen, woher die Medikamente kommen, wohin sie gehen und wer den Preis bestimmt. Die Demokratiedefizite sind also nicht nur struktureller Natur – sie sind ideologisch eingebrannt: in eine Weltordnung, die sich gern als vereint verkauft, aber im Ernstfall vor allem eines ist – asymmetrisch.

Der Vertrag behauptet, die Menschheit zu schützen – tatsächlich schützt er in seiner jetzigen Form vor allem das bestehende Machtgefüge: reich gegen arm, Nord gegen Süd, Regierung gegen Bürger, Pharma gegen Öffentlichkeit. Und das alles in schönster Einigkeit, protokolliert in druckreifen Floskeln.

FAZIT: DIE BESTE ALLER WELTEN, VON DER DU NICHTS GEWUSST HAST

Man könnte es Fortschritt nennen. Oder Fatalismus. Oder einfach: eine weitere Episode der Postdemokratie im Laborkittel. Was als Triumph der Vernunft verkauft wird, ist bei näherem Hinsehen eine gewaltige Aushebelung demokratischer Kontrolle – mit besten Absichten, versteht sich. Die Straße zur Gesundheitsdiktatur ist gepflastert mit Pandemieplänen, und an jeder Laterne hängt ein WHO-Logo.

Applaus bitte. Aber leise – die nächste Runde Genfer Diplomatie tagt vielleicht schon.

Die Dattel auf dem Kebbab

Es war einmal eine Welt, in der der Ausdruck „die Kirsche auf der Torte“ ein Symbol war – nicht nur für das Übermaß, für das i-Tüpfelchen, für das kleine, süße Extra, das dem ohnehin schon überbordend Wohlgeratenen noch einen finalen Hauch von Perfektion verlieh, sondern auch für eine Kultur, die wusste, was ihr schmeckte. Heute hingegen: Die Dattel auf dem Kebbab. Trocken, schrumpelig, orientalisch verbrämt, süßlich-klebrig – und vor allem: deplatziert. Doch sie sitzt da, thronend auf einem Fleischspieß, der längst nicht mehr weiß, ob er Speise, Symbol oder politisches Statement ist. Die Dattel ist keine Verheißung, sie ist eine Zumutung. Und sie ist das Signum unserer Zeit.

Die Ästhetik des Unpassenden

Wir leben in einer Epoche, in der nicht mehr das Stimmige gesucht, sondern das Schräge gefeiert wird. Was einst als Dissonanz galt, wird heute als subversive Tiefe verklärt. Ironie, einst das edle Instrument des feinsinnigen Zweifels, ist zum Vorschlaghammer der Selbstgerechtigkeit verkommen. Und so ziert die Dattel nicht nur den Kebbab, sondern auch die Debatte, die Politik, die Kunst, den Diskurs – kurzum: alles, was sich einst der Kohärenz verpflichtet fühlte.

Man will nicht gefallen, man will verstören. Man will nicht überzeugen, man will provozieren. Die Dattel ist dabei Symbol und Symptom zugleich. Sie ist nicht die Frucht einer geschmacklichen Entscheidung, sondern die Karikatur eines Geschmacksurteils. Ihr Platz auf dem Spieß ist kein kulinarischer Einfall, sondern ein Statement: „Seht her, ich bin anders!“ Nur leider: Das Anderssein um des Andersseins willen ist eben noch kein Inhalt. Es ist Pose. Und nichts ist ermüdender als Pose, wenn sie sich für Wahrheit hält.

Die Tyrannei des Besonderen

In dieser Dattel steckt auch ein Anspruch: der Anspruch, einzigartig zu sein. Authentisch, divers, edgy – das Vokabular der Gegenwart sabbert vor Begeisterung über das Besondere, das Andere, das Fremde. Doch in Wahrheit hat das Streben nach Individualität nur zur Uniformität des Exzentrischen geführt. Jeder will die Dattel sein, keiner die Torte. Jeder will auffallen, keiner will passen.

Was früher als gekonntes Understatement galt – etwa das noble Beige eines maßgeschneiderten Mantels –, wird heute übermalt von grellen Farben und schrillen Mustern, die schreien: „Ich bin nicht wie ihr!“ Und doch sind sie alle gleich in ihrem Bemühen, nicht gleich zu sein. Die Dattel auf dem Kebbab ist das kulinarische Pendant zur Einhorn-Leggings mit Bio-Siegel und ironischem Hitlerbart.

Vom Verlust des Maßes

Die Dattel ist aber nicht nur Symbol des schlechten Geschmacks, sie ist auch das Denkmal des entgrenzten Maßes. In einer Welt, die kein Zentrum mehr kennt, sondern nur noch Ränder, wird jedes Detail zur Hauptsache, jede Abweichung zur Tugend. Die Dattel wird nicht gefragt, ob sie zum Fleisch passt – sie wird gefeiert, weil sie nicht passt. Man klatscht Beifall für den Bruch, für die Irritation, für das Aus-der-Reihe-Tanzen, auch wenn dabei niemand mehr weiß, was eigentlich die Reihe war.

Der Verlust des Maßes ist nicht etwa ein bedauerlicher Kollateralschaden, er ist Programm. Maß, das klingt nach Ordnung, nach Regel, nach Norm – alles Begriffe, die man mit hysterischem Furor aus der Debatte verbannt hat. Übrig bleibt das Kaleidoskop der Bedeutungsfragmente, in dem sich alles spiegelt und nichts mehr erkenntlich wird. Die Dattel auf dem Kebbab ist der Triumph der Beliebigkeit über das Urteil, der Triumph des Gimmicks über das Gelungene.

Postmoderne Pseudo-Tiefe und andere Sauereien

Natürlich könnte man die Dattel auf dem Kebbab auch „deuten“ – als symbolische Umarmung der Kulturen, als interkulturellen Dialog auf Spießhöhe. Solche Deutungen hört man oft. Sie kommen aus jenen Mündern, die auch ein leerstehendes Einkaufszentrum für eine „interaktive Rauminstallation“ halten. Denn in einer Welt, in der Bedeutung nicht gefunden, sondern behauptet wird, genügt es, laut genug zu behaupten.

So wird aus dem Zufall ein Konzept, aus dem Kitsch ein Kanon, aus dem peinlichen Fehlgriff ein politisches Statement. Alles ist diskursiv aufladbar, alles wird kunsttheoretisch rückversichert, alles ist bedeutungsschwanger, nur um sich am Ende als Kaisers neue Kleider zu entpuppen – aus Second-Hand-Stoffen, versteht sich. Die Dattel ist nicht mehr Frucht, sondern Narrativ. Und man isst sie nicht, man „erlebt“ sie.

Ein moralisches Orchester mit selektiver Partitur

Es ist eine der seltsamen Konstanten in einer Zeit, die sich für besonders aufgeklärt hält: Die Moral ist wieder in Mode, aber diesmal trägt sie Funktionskleidung und filtert ihre Werte durch eine ideologische App. Die Welt ist komplex – ja, sogar grausam –, doch das stört den westlichen Moralhaushalt nicht im Geringsten. Man urteilt trotzdem. Schnell. Empört. Und mit der Wucht einer moralischen Guillotine, bei der selbst Robespierre vor Neid in den Revolutionshimmel schauen würde.

Und da stehen wir nun, mit blutrotem Blick auf den Gazastreifen, auf Israel, auf all das, was nicht in 280 Zeichen passt. Die Fakten? Zweitrangig. Die Zusammenhänge? Zu kompliziert. Die Geschichte? Stört nur die Erzählung. Und so hallt es durchs deutsche Feuilleton, durch Fernsehstudios, Straßen und studentische AStA-Büros: „Was Israel tut, ist unverhältnismäßig!“, „Die Palästinenser leiden!“, „Man muss die andere Seite sehen!“

Natürlich. Man muss. Man soll. Man darf. Aber eines fällt auf: Während in Nazi-Deutschland, in einem der durchindustrialisiertesten Vernichtungsregime der Menschheitsgeschichte, vereinzelt Deutsche ihre Menschlichkeit bewahrten, Juden versteckten, retteten, riskierten – in Gaza, nach dem 7. Oktober, nach dem Massaker, nach der Vergewaltigung, nach dem Kindermord, hat kein einziger der 2,3 Millionen Bewohner auch nur eine Geisel versteckt, beschützt, gerettet.

Nicht eine.

Und man fragt sich: Was passiert da eigentlich, wenn die moralische Buchhaltung so stumm bleibt bei dieser Bilanz?

Die neue Linke – universell solidarisch, aber nur wenn’s ins Weltbild passt

Es gehört zu den bittersten Ironien unserer Zeit, dass ausgerechnet jene, die einst gegen Totalitarismus, Gewalt und Unrecht kämpften, heute ihre rote Fahne über dem Tunnel der Relativierung hissen. Antikolonialismus, Antiimperialismus, Antizionismus – es klingt so schön rhythmisch, so wissenschaftlich. Und es ist so bequem. Denn wer Israel als „Kolonialmacht“ imaginiert, kann auf Menschenrechtsrhetorik reiten, ohne sich die Hände mit Fakten zu beschmutzen.

Dass in Gaza kein Jude lebt – seit Jahren nicht. Dass Israel sich zurückgezogen hat, dass es Wahlen gab, dass man sich für Hamas entschied wie andere für Popcorn – das alles ist egal. Hauptsache, der Klassenkampf gegen den Westen bleibt aufrecht.

Aber was ist das eigentlich für eine Revolution, die keinen Einzigen findet, der eine Geisel versteckt? Keine alte Frau mit Gewissensbiss. Kein Lehrer. Keine Ärztin. Kein Imam, der sagt: „Nicht in meinem Haus, nicht in Allahs Namen.“

Nein, es wird geschwiegen. Oder schlimmer: gefeiert. Paraden, Konfetti, Süßigkeiten für die Kinder, weil der Feind geschändet wurde. Das ist kein Widerstand – das ist Barbarei auf Instagram.

Das Märchen vom Schweigen der Mehrheit

Es gibt eine Phrase, die wie ein Mantra wiederholt wird, jedes Mal, wenn ein islamistisches Massaker durch die Medien spült: „Die Mehrheit der Muslime hat damit nichts zu tun.“ Oder, im aktuellen Fall: „Nicht alle Gazaner sind Hamas!“

Gewiss. So wenig wie alle Deutschen Nazis waren. Und doch… und doch gab es da Sophie Scholl. Hans Scholl. Menschen, die bei Strafe des Todes Flugblätter verteilten, Juden versteckten, Funksprüche abfingen, aus Fenstern warfen. Wer war der Sophie Scholl von Gaza? Wo ist der Hans Scholl von Khan Yunis?

Ein Tweet, ein anonymer Hinweis, ein YouTube-Video, das ein Kinderschicksal rettet. Nichts. Stattdessen: Schweigen. Feigheit? Vielleicht. Zustimmung? Wahrscheinlicher. Kollaboration? Wahrscheinlich. Und doch wird diese Feststellung nicht geduldet. Sie ist, so sagt man, „rassistisch“.

Was für eine Farce. Wenn es rassistisch ist, ein moralisches Verhalten zu erwarten, dann ist der Rassismus zur Tugend geworden – und wir sind seine ergebenen Schüler.

Die neue Arithmetik der Schuld

Früher war Moral einfach: Gut war, wer half. Böse, wer schädigte. Heute ist Gut, wer ein Narrativ hat. Und Böse, wer darauf besteht, dass Moral universell sein sollte.

Die neue Rechnung geht so:

  • Wenn Israel Bomben wirft, sind alle Opfer Opfer.
  • Wenn Hamas Menschen abschlachtet, sind die Täter… ein Missverständnis.

Es ist eine moralische Mathematik, in der Null geteilt durch Null das Ergebnis „Kolonialgeschichte“ ergibt. Eine Logik, die jedes westliche Verbrechen bis zum heutigen Tag verlängert, aber östliche, südliche, islamistische Gewalt als „reaktiv“ entschuldigt.

Es ist das akademische Stockholm-Syndrom, bei dem sich die Geisel in den Täter verliebt, weil der so eindrucksvolle Postkolonialseminare halten könnte.

Der Luxus der Empathie – ein westliches Überbleibsel

Empathie ist in unserer Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr – sie ist ein westliches Luxusgut, wie Bio-Kaffee oder Genderseminare. Man verteilt sie dosiert, kuratiert, entlang politischer Routen. Wer die falschen Opfer beweint, ist verdächtig. Wer die richtigen Täter benennt, ist raus.

Und so empören wir uns kollektiv – über Israels Selbstverteidigung, über Bilder von Trümmern, über Raketenabwehrsysteme, die das Falsche schützen. Aber über das Offensichtliche, das Unleugbare, das, was uns eigentlich ins Mark treffen müsste – das völlige Fehlen jedweder moralischer Regung bei einem millionenstarken Kollektiv nach einem Massaker – darüber schweigen wir. Denn es ist unbequem. Es zerstört das Narrativ.

Der Zynismus der guten Menschen

Man sagt oft: Satire darf alles. Und man meint damit meist, dass Satire verletzen darf. Aber wahre Satire will nicht verletzen – sie will entlarven. Die Maske herunterreißen, den Spiegel so fest ins Gesicht pressen, dass sich niemand mehr herausreden kann.

Und hier stehen wir, mit all unserer Aufgeklärtheit, unserem Humanismus, unserem politischen Feingefühl – und lassen zu, dass das Offensichtliche ignoriert wird, weil es uns nicht ins Weltbild passt.

Es ist nicht zynisch, zu sagen, dass kein einziger Gazaner eine Geisel gerettet hat.
Zynisch ist, das zu wissen – und es trotzdem nicht zu sagen.

Die frohe Kunde vom fröhlichen Feldzug

Es gibt Tage, da traut man seinen Ohren nicht – und andere, da traut man seinen Hirnzellen nicht mehr, weil sie offenbar kollektiv beschlossen haben, in den Streik zu treten, sobald jemand mit Krawatte und Mikrofon vom „Gewinnen eines Krieges“ spricht, als handle es sich um ein Kickerturnier im Ministerium. Krieg, so erfährt man jetzt in gewissen Kreisen, sei nicht mehr nur ein letztes Mittel, ein düsterer Ausnahmezustand der Geschichte, sondern: eine Option. Eine Strategie. Ein Weg. Vielleicht sogar – man raunt es ehrfürchtig – eine Chance zur Identitätsstiftung.

Der politische Diskurs, einst die Domäne der Besonnenen, hat sich nun in eine Mischung aus Propagandawerkstatt und motivationalem Coaching-Seminar verwandelt. Man redet nicht mehr vom Tod, sondern vom Einsatz. Nicht vom Morden, sondern vom Verteidigen. Und am Ende lächeln die Soldaten. Sagt man. Vielleicht winken sie auch aus dem Hubschrauber. Und man stelle sich vor, sie posten noch ein Selfie mit dem Hashtag #kriegsgewinn.

Pazifismus ist das neue Appeasement

Wer heute Zweifel äußert, ist kein Mahner mehr, sondern ein Feigling. Wer an die UNO glaubt, ist weltfremd. Wer fragt, was nach dem Sieg kommt, gilt als zersetzend. Es scheint, als habe sich eine neue Elite gebildet: die Kriegsverständigen. Sie sitzen in Thinktanks, moderieren Talkshows, twittern aus sicheren Redaktionsstuben. Und sie sind sich einig: Frieden? Schön und gut. Aber bitte erst, wenn er durch den Sieg definiert ist.

Früher nannte man solche Haltung zynisch. Heute nennt man sie realpolitisch. Es ist die Umkehr der Werte in Echtzeit: Diplomatie gilt als Schwäche, Reflexion als Verrat. Der moralische Imperativ wurde durch einen strategischen ersetzt, und wer dabei stirbt, tut dies – so hofft man – mit Würde. Oder zumindest ohne öffentliches Aufsehen.

Bilderbuchheimkehrer mit Kriegsgewinnlächeln

Ja, reden wir darüber, wie unsere Soldaten siegreich heimkehren. Vielleicht auf E-Bikes, klimaneutral. Vielleicht werden ihnen Rosen gestreut, wie einst im Hollywoodkino, wo die Heimkehrer immer gut rasiert, etwas nachdenklich, aber tief im Inneren doch zufrieden waren. Ihre Kameraden sind gefallen, ja, aber für eine gute Sache – für die Freiheit, für unsere Werte, für… na ja, irgendwas halt.

Die Vorstellung, man könne einen Krieg mit einem emotionalen Happy End abschließen, gehört in die Werbebroschüre des postheroischen Nationalstolzes. Oder ins Drehbuch eines Netflix-Dramas mit moralischem Leitnarrativ und ausgewogener Diversitätsquote. Aber nicht in den ernsthaften Diskurs einer Nation, die vorgibt, aus ihrer Geschichte gelernt zu haben. Oder haben wir das etwa doch nicht?

Historische Alzheimer oder die Wiederentdeckung des Endsiegs

Es gab einmal eine Zeit, da klang der Begriff „Endsieg“ so toxisch, dass selbst rechte Kreise ihn mieden wie ein offenes Mikrofon auf einer Gedenkveranstaltung. Heute jedoch scheint sich eine sprachliche Renaissance des militärischen Optimismus breitzumachen. Man wolle nicht nur bestehen, nein: man wolle siegen. Und das natürlich moralisch einwandfrei, menschenrechtskonform, vielleicht sogar inklusiv. Der neue Krieg ist gewaschen, zertifiziert und von der Ethikkommission gebilligt.

Es ist ein wenig wie beim Veganismus: Niemand will mehr schuld sein, aber alle wollen mitmachen – sofern es andere ausführen. Die Gewalt wird ausgelagert, der Krieg als Notwendigkeit umetikettiert, die Toten zu tragischen, aber notwendigen Fußnoten der Geschichte. Und so stehen wir da, mit tränenerstickter Stimme, aber militärstrategisch entschlossen.

Der Menschenfreund in Camouflage

Wie tröstlich, dass man den Krieg heute wieder lieben darf – vorausgesetzt, er ist der richtige. Wenn nur die böse Seite leidet. Wenn nur die Guten schießen. Und wenn am Ende ein internationaler Preis für „mutige politische Führung“ vergeben wird. Vielleicht gibt’s bald auch eine Reality-Show dazu: Germany’s Next Top-War – mit Voting aus dem Publikum! Der Sieger erhält ein Interview bei „Maischberger“ und ein Treffen mit dem Verteidigungsminister.

Aber wehe dem, der fragt, ob man Gewalt wirklich mit Gewalt aufheben kann. Der gilt dann als naiv. Oder schlimmer: als Putin-Versteher, Systemgegner, Nestbeschmutzer. Die Reflexe sitzen. Wer die Logik des Krieges hinterfragt, wird moralisch exkommuniziert – selbst wenn er nichts weiter will als das, was einmal Staatsraison war: nie wieder Krieg.

Der Wahnsinn trägt Uniform – und ein Lächeln

So reden wir also über das Siegen. Über glückliche Heimkehrer. Über „unsere Jungs“, die Heldentaten vollbringen sollen, damit wir uns wieder sicher fühlen dürfen. Was für eine Farce. Was für eine gefährliche, sentimentale, medienkompatible Farce. Die Sprache ist längst korrumpiert, die Realität in Narrative verpackt, und die Wahrheit liegt irgendwo unter Trümmern begraben – in einem Ort, dessen Namen man nicht mehr korrekt aussprechen kann, aber für den man mit viel Pathos eine Fahne hisst.

Schlusspunkt mit bitterem Nachgeschmack

Ja, reden wir darüber, wie wir einen Krieg gewinnen. Und vielleicht schreiben wir dazu ein Kinderbuch. „Max und Moritz im Einsatz – Wie kleine Helden große Werte verteidigen“. Oder wir drehen einen Werbespot: ein Sonnenuntergang, ein Heimkehrer mit Hund, dazu ein Voice-over: „Mut. Ehre. Heimat. Und jetzt: zurück ins Leben.“ Der Wahnsinn wird nicht nur gelebt, er wird produziert, inszeniert, verkauft.

Doch der einzige Krieg, den wir wirklich gewinnen müssten, wäre der gegen die eigene Gedankenlosigkeit. Und den verlieren wir – jeden Tag ein bisschen mehr. Lächelnd. Und mit besten Absichten.

Der Schuldschein meiner Biologie

Ich bin ein alter, weißer Mann. Schon diese Aussage – rein deskriptiv – ist heute ein Schuldeingeständnis. Ein verbaler Offenbarungseid, der in der Hierarchie der moralischen Wertung irgendwo zwischen „SUV-Fahrer“ und „Atomkraftbefürworter“ rangiert. Ich bin über 60, also: cis, hetero, männlich, westlich sozialisiert, wirtschaftlich unabhängig und politisch überhaupt nicht „woke“. Ich bin, kurz gesagt, der Endgegner jeder Diskursveranstaltung an deutschen Universitäten. Ich bin das, wovor heute gewarnt wird – nicht etwa wegen meiner Taten, sondern meiner Jahrgänge. Eine Art wandelndes Patriarchat im Ruhestand, das bestenfalls schweigen, schlimmstenfalls umdenken sollte.

Denn ich habe mich geirrt. Ja wirklich. Ich dachte früher, es gäbe zwei Geschlechter – biologisch jedenfalls. Ich dachte, Sprache diene der Verständigung und nicht dem Tugendsignal. Ich dachte, Ironie sei ein Stilmittel und kein Mikroaggressionswerkzeug. Und ich dachte, Meinungsfreiheit bedeute, dass man widersprechen darf – nicht, dass man um Verzeihung winseln muss, bevor man etwas Kritisches äußert.

Apokalypse auf Raten: Der Klimatod wartet an der Kasse

Die neue Religion unserer Zeit kennt keine Himmel, keine Heiligen, keine Erlösung – aber sie kennt die Apokalypse. Und sie kommt garantiert, wenn wir nicht sofort eine CO₂-Steuer bezahlen. Nicht irgendwann, sondern morgen. Spätestens übermorgen. Es sei denn, wir recyceln unsere Zahnbürsten, verzichten auf Flugreisen, essen Hafermilch und zahlen, zahlen, zahlen. CO₂ ist das neue Teufelsgas. Früher hat man sich im Namen des Herrn gegeißelt – heute kompensiert man seinen Latte-to-go mit einem schlechten Gewissen und 18 € für atmosfair.

Ich erinnere mich an eine Zeit, da war Ökologie wichtig, aber nicht hysterisch. Da waren Klimaforscher nüchtern, nicht missionarisch. Heute dagegen sind Kinder die Vordenker der Energiepolitik, und wer einen Baum pflanzt, darf sich als Messias feiern lassen. Ich habe nichts gegen Umweltschutz – aber etwas gegen den sakral aufgeladenen Ablasshandel, der daraus gemacht wurde. Wer nicht mitmacht, ist nicht nur ein Leugner, sondern ein Sünder. Eine Art CO₂-Ketzer. Und für Ketzer war in der Geschichte nie viel Platz.

Die Rentenzahler aus aller Welt

Ich habe auch gelernt: Migration rettet unsere Renten. Das sagen Studien. Zumindest manche. Also die richtigen. Jene, die man in Talkshows zitiert und in Redaktionen herumreicht wie Hostien. Die Idee, dass Menschen, die aus völlig anderen kulturellen, sprachlichen und sozialen Systemen kommen, in einem Land mit durchreglementiertem Arbeitsmarkt, höchsten Zugangshürden und maximaler Bürokratie plötzlich alle Steuerzahler werden, ist so charmant wie naiv. Aber sie klingt gut. Und das ist heute wichtiger als alles andere.

Ich erinnere mich an Zeiten, in denen Integration ein mühsamer, aber konkreter Prozess war. Heute ist sie ein abstraktes Dogma. Eine Behauptung, die jeder Einzelfall widerlegt – aber niemand infrage stellen darf. Denn das wäre dann „rechts“. Und rechts ist, wie wir wissen, das neue Böse. Ein Begriff, der alles umfasst – von Menschen, die sich über Sprachregelungen wundern, bis hin zu tatsächlichen Nazis. Ein semantisches Erdbeben, das den Unterschied zwischen einem konservativen Bürger und einem Faschisten in einem moralischen Erdrutsch verschwinden lässt.

Die Einbahnstraße des Diskurses

Man sagt mir: Die Gefahr kommt von rechts. Immer. Ausschließlich. Wer das infrage stellt, gilt bereits als Teil des Problems. Dabei ist das Problem vielleicht nicht nur politisch – sondern intellektuell. Es ist die Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen. Die neue Öffentlichkeit funktioniert wie ein Sicherheitsgurt: festgeschnallt, alternativlos, mit Airbag gegen jede Form von Abweichung. Die alte pluralistische Idee, dass man miteinander ringt, sich widerspricht, streitet und dennoch respektiert – ist abgelöst worden durch eine Moraljurisdiktion, in der Begriffe wie „Vielfalt“ nur gelten, solange sie im gleichen Takt nicken.

Ich war nie ein Fan des Sozialismus. Heute wird er mir wieder als Zukunftsmodell verkauft – diesmal im grünen Gewand, mit dem Versprechen: Wohlstand für alle. Natürlich nicht in Form von Eigentum, Verantwortung oder Leistung. Sondern durch Umverteilung, Regulierung und Dauerbetreuung. Der Bürger als Kunde eines Staates, der alles weiß, alles lenkt, alles zuteilt. Das hat beim letzten Mal schon nicht funktioniert – aber diesmal ist es ja „fürs Klima“ und „gegen Rechts“. Das reicht.

Und nun? Ein Fazit im Nebel

Ich bin ein alter weißer Mann. Ich bin privilegiert. Aber mein größtes Privileg ist, dass ich mich noch erinnern kann. An Diskurse ohne Cancel Culture. An Wissenschaft ohne Dogmen. An Journalismus ohne Haltungspflicht. An Politik ohne infantil-moralischen Imperativ. An Zeiten, in denen man dem Staat misstraute, nicht heiligsprach.

Heute ist das alles Geschichte. Und Geschichte, das weiß ich, wird von denen geschrieben, die übrig bleiben. Und wer sich nicht beugt, bleibt nicht übrig. Er wird „eingespart“, „entfolgt“, „entlarvt“, „problematisiert“ – oder einfach ignoriert.

Aber ich bin noch da. Ich schaue zu. Ich schreibe. Ich erinnere mich. Und vielleicht, irgendwann, wird man merken, dass das größte Privileg nicht jung, divers oder genderfluid ist – sondern kritisch.

Prolog aus dem polnischen Morgenland

Wrocław, Breslau, das florierende Herz des neuen Mitteleuropas, glänzt im hellen Sonnenlicht wie eine frisch polierte Nationalidee. Es ist Wochenende, der Altmarkt überquillt von patriotischer Jugend in kampfunfähiger, aber Instagram-tauglicher Uniform. Es riecht nach Grillwurst, Freiheit und einem Hauch von geopolitischem Größenwahn. Die Bauwerke strahlen wie nach einer Generalbeichte, alles wirkt wie rekatholisiert, aber mit WLAN. Hier wird Europa nicht dekonstruierend zerredet, sondern heroisch neu gegründet – auf Polnisch. Willkommen in der IV. Rzeczpospolita, dem großpolnischen Reich der Herzen und Grenzen, das mit stoischer Entschlossenheit endlich die Ordnung wiederherstellt, die dem Westen abhanden gekommen ist – irgendwo zwischen Drag Show, Doppelmoral und Gender-Galaxie.

Schlandistan zerfällt – und niemand merkt’s

Während man in Berlin-Mitte noch versucht, die korrekte Anrede für nichtbinäre Verkehrsampeln zu etablieren und ob man öffentliche Debatten künftig besser mit Triggerwarnung oder Selbsthilfegruppenpflicht versieht, ist weiter östlich längst etwas ganz anderes geschehen: Die (Frei)staaten Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg – einstige Mitglieder im Bundesverbund „Subvention mit Wutbürgeranteil“ – haben sich kollektiv der IV. Rzeczpospolita angeschlossen. Nicht etwa aus geopolitischer Ratio, sondern aus einem zutiefst menschlichen Bedürfnis: dem Wunsch nach Klarheit, Ordnung, Handlungsfähigkeit. Dinge, die im alten Germanistan, dem Kalifat der weichgekochten Identitäten, längst als rechts galten – oder schlimmer: als altmodisch.

Man stelle sich einen Brandenburger Innenhof vor, wo nicht mehr gegendert, sondern gegessen wird, wo das Wort „Vaterland“ wieder ein Satzzeichen besitzt und die Nationalhymne nicht von einer queeren Akapellagruppe interpretiert wird. Statt „Vielfalt stärken“ heißt es jetzt „Verstand bewahren“, und anstelle von „gefühlten Wahrheiten“ regieren wieder knallharte Tatsachen – ob man will oder nicht.

Die Rückkehr der Wehrhaftigkeit

Im neuen Europa, das sich um das großpolnische Herz zentriert, wird nicht diskutiert, sondern geübt – Marschieren, Disziplin, das richtige Anzünden einer Kerze im Gottesdienst. Der Begriff wehrfähig ist wieder mehr als ein Feuilleton-Wort aus sicherer Entfernung. Nein, das Volk wird wehr-tauglich gemacht – physisch, psychisch, ideologisch. Die Wehrpflicht ist zurück, diesmal nicht als soziale Chill-Option, sondern als Initiation in die Realität. Feminismus wird toleriert, solange er katholisch ist. Das Klima wird geschützt, aber nicht angebetet. Das Gendersternchen? Ein ferngerücktes Kuriosum aus einem untergegangenen Reich der Buntheit.

Die neue Ordnung wirkt nicht repressiv – sondern befreiend. Für jene, die sich nach Eindeutigkeit sehnen. Wer sich an „Zweifel“ gewöhnt hatte, dem erscheint „Gewissheit“ wie ein Befreiungsschlag. Ironischerweise ist der Wahnsinn der neuen Ordnung nur deshalb so erfolgreich, weil der Wahnsinn des alten Westens ihn möglich gemacht hat.

Wahl zwischen Wahnsinn und Wahnsinn

In Wrocław ist die Welt noch in Ordnung – oder wieder. Die Grenzen sind sicher, die Wirtschaft wächst, der Katholizismus erlebt ein modisches Revival, und der neue Europaparlamentssitz im ehemaligen Theater von Dresden ist ein Symbol: Kultur wird nicht mehr dekonstruiert, sondern bespielt. Man hat sich neu erfunden, im Stile des 19. Jahrhunderts, allerdings mit flächendeckendem 5G. Die Zweitsprache ist Deutsch, aber nur unter Aufsicht. Die polnischen Behörden achten streng darauf, dass keine Spuren von Berliner Gesinnungsrhetorik eingeschleppt werden. Deutsche Minderheiten genießen Verfassungsrang, dürfen sogar Schiller zitieren – allerdings nur, wenn’s sich reimt und nicht woke ist.

Wahlprogramme sind in der IV. Rzeczpospolita überflüssig – denn es wird nicht gewählt. Es wird geführt. Vom starken Zentrum, das alles vereint: Gott, Markt, Nation und die heilige Pflicht zur Normalität. Und so leben die Völker in Angst vor Russland, Misstrauen gegenüber Brüssel und tiefer Skepsis gegenüber Berlin – aber in einem Wohlstand, der von Selbstdisziplin und Misstrauen gespeist wird.

Epilegomena zur postliberalen Vernunft

Natürlich ist das alles Wahnsinn. Aber es ist ein Wahnsinn, der wieder einen Boden hat. Nicht der luftige, von Thinktanks durchlüftete, woke Wahnsinn des Westens, wo jede Wirklichkeit zuerst durch eine intersektionale Lesart zerrieben wird, bevor man sie überhaupt wahrnimmt – sondern ein geerdeter, robuster Wahnsinn. Der Wahnsinn der Ordnung, des Patriarchats mit Wifi, der Leitkultur in Tarnfarben. Er ist brutal, aber er funktioniert.

Und während Berlin immer noch fragt, wie viele Geschlechter ein Baum hat, marschiert in Wrocław die Jugend – stramm, höflich, bilingual.

Schlusswort: Ironie als letzte Verteidigungslinie

Es mag alles grotesk erscheinen. Es ist grotesk. Aber es ist nicht absurder als die Gegenwart. Denn in einer Welt, in der der Wahnsinn regiert, hat die Satire keine Wahl: Sie muss realistischer sein als die Realität selbst. Vielleicht ist das neue Polenreich die Reaktion auf ein Europa, das sich selbst entkernt hat – aus Angst, jemandem wehzutun.

Und so steht der Besucher auf dem Rynek von Wrocław, mit einer Zapiekanka in der Hand und einem ironischen Lächeln im Gesicht – nicht, weil alles gut ist, sondern weil es immerhin nicht Berlin ist.