Bürgerkrieg im Westen

Das große Schweigen des Feuilletons

Es gehört zu den sonderbareren Eigenheiten unserer Zeit, dass ausgerechnet jene Berufsgruppe, die seit Jahrzehnten unermüdlich das drohende Ende der Welt herbeischreibt – vorzugsweise durch die Klimakatastrophe, notfalls aber auch durch pandemische Heimsuchung oder den schleichenden Verfall der Rechtschreibung – nun bei einer handfesten Untergangsprognose verstummt. David Betz, Kriegsforscher mit britischem Akzent und akademischem Stallgeruch, hat die Stirn, nicht von Erderwärmung, sondern von Bürgerkrieg zu sprechen. Ein echter, schmutziger Bürgerkrieg, mit Granaten, Schusswechseln und der kleinen, aber feinen Chance, dass der Nachbar plötzlich in Tarnhose und mit Kalaschnikow auf der Einfahrt steht.

Doch statt in die Tasten zu greifen und den literarischen Kriegsdienst anzutreten, sitzt das deutsche Feuilleton in seinen gut geheizten Redaktionsstuben und nippt am dritten Flat White. Man könnte meinen, eine fatale „Themenmüdigkeit“ sei ausgebrochen, oder schlimmer: der stille Konsens, dass Betz’ Analyse so unangenehm wahr sein könnte, dass man sie besser im Giftschrank der unbesprochenen Bücher belässt. Die Angst, durch bloßes Aussprechen den Ereignissen eine Art performative Realität zu verleihen, ist in Deutschland so alt wie die Sorge, dass eine kritische Anmerkung zu Migrationspolitik automatisch zum Verlust der Restlaufzeit der eigenen Karriere führt.

Vom molekularen zum makroskopischen Bürgerkrieg

Hans Magnus Enzensberger, der 1993 noch ungescheut von „molekularem Bürgerkrieg“ sprach, war zu seiner Zeit der intellektuelle Flammenwerfer im wohlgeordneten Garten des bundesdeutschen Diskurses. Seine Warnungen vor dezentraler Gewalt wurden teils als hellsichtig, teils als kulturpessimistische Miesepetrigkeit abgetan. Heute wirken sie wie ein laues Aperitifgespräch gegenüber der satten Hauptmahlzeit, die Betz uns serviert. Wo Enzensberger noch von improvisierten Schlagwaffen träumte, hantieren die Akteure des Jahres 2025 längst mit Sturmgewehren, Sprengstoff und strategischer Logistik, die an Miniaturausgaben echter Kriegsparteien erinnert.

Der „molekulare“ Charakter hat einer geordneten Arbeitsteilung Platz gemacht: Banden, Milizen, religiöse Zellen – alle arbeiten Hand in Hand an der systematischen Zerlegung des Gemeinwesens. Es ist eine Art neoliberaler Bürgerkrieg: dezentral organisiert, divers besetzt, mit flachen Hierarchien und beeindruckender unternehmerischer Initiative. Dass dabei das Staatsmonopol auf Gewalt nicht etwa stürzt, sondern in manchen Gegenden gar nicht mehr auffindbar ist, wirkt weniger wie eine Revolution, sondern wie das Ergebnis einer jahrelangen strategischen Auslagerungspolitik.

TIP:  Der SPD Selbstzerstörungstrip

Soziales Kapital: Das neue Kryptogeld

Betz spricht vom Verlust „sozialen Kapitals“, als sei es ein Sparkonto, das irgendwann einfach leergeräumt wurde, während die Gesellschaft noch gemütlich auf der Couch döste. Dieses Kapital – Vertrauen, Zusammenhalt, kulturelle Kontinuität – ist im Westen inzwischen so rar wie ein ehrlicher Wahlkampf. Stattdessen wuchert eine Hyperdiversität, die nicht in bunten Werbekampagnen endet, sondern in ethnischen Parallelgesellschaften, deren Einigkeit darin besteht, sich nicht einig zu sein.

Man könnte sagen: Integration wurde zur Netflix-Serie – viel versprochen, am Ende aber mit offenem Ende abgesetzt. Der demokratische Prozess wirkt für viele Bürger wie ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Regeln ständig geändert werden, während der Gastgeber ihnen erklärt, das sei alles alternativlos. Das Ergebnis ist nicht einfach Politikverdrossenheit, sondern ein stiller, tiefer Entzug von Loyalität gegenüber einer Ordnung, die nicht mehr als „unsere“ wahrgenommen wird.

Frankreich und Großbritannien: Probefeld des Zerfalls

Betz sieht in Frankreich und Großbritannien die Spitzenreiter auf dem Weg ins Chaos – und man muss zugeben, die beiden liefern beständiges Anschauungsmaterial. Frankreich, wo die Muslimbruderschaft inzwischen nicht nur in Moscheen, sondern auch in Ministerien Fuß gefasst haben soll, probt regelmäßig den Aufstand mit militärischem Gerät. Die Republik taumelt zwischen republikanischem Pathos und innerstädtischen Belagerungszuständen, während Generäle offene Briefe schreiben, als sei die Armee bereits eine Exilregierung.

Großbritannien hingegen hat sich für ein anderes Modell entschieden: den moralischen Selbstmord aus Angst vor falscher Gesinnung. Die „Grooming Gangs“-Skandale offenbaren einen Staat, der bereit war, Kinder systematisch zu opfern, um nicht des Rassismus verdächtigt zu werden. Die moralische Kapitulation vor ethnischen Machtgruppen wirkt dabei nicht wie ein Unfall, sondern wie ein bewusst eingegangenes Schutzgeldverhältnis – nur dass hier nicht der kleine Ladenbesitzer zahlt, sondern die nationale Würde.

Der Normalcy Bias: Das mentale Morphium

Der vielleicht bitterste Teil von Betz’ Diagnose ist sein Hinweis auf den „Normalcy Bias“. Diese geistige Zwangsjacke hindert selbst kluge Menschen daran, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht einfach eine linear fortgesetzte Gegenwart ist. Es ist, als säßen wir alle in einem Zug, dessen Lokführer bereits längst aus dem Fenster gesprungen ist, und hielten es für wahrscheinlich, dass die Gleise sich schon irgendwie selbst verlegen werden.

TIP:  Die Große Koalition als Zwerghamster der Demokratie

In Deutschland wird diese kognitive Selbsthypnose gern mit moralischer Überlegenheit garniert. Man kann sich eher das Ende der Menschheit durch Klimawandel vorstellen als das Ende der liberalen Demokratie – schon weil letzteres bedeuten würde, die eigene politische Immunität gegen Irrtum infrage zu stellen. Die Pointe an Betz’ Analyse ist daher ebenso simpel wie schmerzhaft: Das Ende der Geschichte, das uns seit 1989 wie ein Wellnessversprechen verkauft wurde, hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil – die Geschichte ist zurück. Und sie hat keine Lust mehr, nett zu sein.

Please follow and like us:
Pin Share