Brandmauer oder Brandbeschleuniger

Demokratie in Zeiten der Brandmauer

Die Steiermark hat gewählt, und die Botschaft ist unüberhörbar: Die Strategie, die erstarkende Rechte durch politische Isolation und moralische Erhabenheit zu bekämpfen, hat ein weiteres Mal versagt – und das mit Pauken und Trompeten. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), für viele der politische Inbegriff des rechten Populismus, feiert einen triumphalen Wahlsieg mit 35,4 Prozent der Stimmen. Die alteingesessenen Parteien, die sich in einer Art „Bündnis der Vernunft“ (BDV) (ursprünglich „Bündnis der Mitte“, aber BDM war wohl keine passende Abkürzung) zusammengeschlossen haben, um das Schreckgespenst der Rechten aus der Regierung fernzuhalten, stehen hingegen vor den Trümmern ihrer eigenen Ambitionen.

Wie konnte es so weit kommen? Ist die Taktik, eine vermeintlich unüberwindbare Brandmauer gegen die Rechte zu errichten, nicht nur gescheitert, sondern zum besten Wahlkampfhelfer der FPÖ mutiert? Und was bedeutet das für Österreich, Deutschland und die gesamte EU, die sich immer häufiger in moralischen Schützengräben gegenüber der politischen Rechten verschanzt?

Wenn der moralische Zeigefinger zum Bumerang wird

Es klingt so verführerisch einfach: Rechtsparteien wie die FPÖ oder AfD sind eine Bedrohung für die Demokratie. Also muss man sie isolieren, ausgrenzen, ihnen jegliche Regierungsfähigkeit absprechen und sie mit einem Mix aus moralischer Überlegenheit und medialer Dauerbeschallung als „Gefahr“ brandmarken. Das Konzept der „Brandmauer“ ist ein Traum für alle, die in der politischen Theorie schwelgen – doch in der Realität hat es sich als Albtraum erwiesen.

Die FPÖ-Wählerinnen und -Wähler, ebenso wie jene der AfD in Deutschland, lassen sich durch moralische Appelle nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Sie empfinden die Ausgrenzung ihrer politischen Präferenzen als Bevormundung und empörten Protest gegen ihre Existenz. Jede Brandmauer wird so zur Litfaßsäule für die Argumente der Rechten: „Schaut her, wie die Eliten versuchen, uns mundtot zu machen!“

Die Wahlentscheidung in der Steiermark bestätigt, was bereits in anderen Regionen Europas sichtbar wurde: Wer politische Konkurrenz nicht mit inhaltlichen Alternativen, sondern durch Ausgrenzung bekämpfen will, spielt genau denen in die Hände, die er zu schwächen glaubt.

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Das Bündnis der Verlierer

Man könnte meinen, der Versuch der österreichischen Parteienlandschaft, die FPÖ durch ein Anti-Rechts-Bündnis zu stoppen, sei von tragikomischer Präzision durchdacht gewesen – wenn es nicht so unfreiwillig absurd wäre. Das „Bündnis der Vernunft“ (BDV), bestehend aus der konservativen ÖVP, den Sozialdemokraten der SPÖ und der neoliberalen Kleinpartei NEOS, sollte ein Gegenmodell zur FPÖ bieten. Doch was in der Theorie wie ein Leuchtturm der Stabilität und Vernunft wirken sollte, sieht in der Praxis aus wie ein sinkendes Schiff, auf dem die Passagiere sich gegenseitig über die Reling werfen.

Die Steiermark-Wahl ist das beste Beispiel für die gescheiterte Strategie: Alle Parteien des BDV haben Stimmen verloren. Besonders die ÖVP, die mit ihrer Moralkeule gegen die FPÖ schwang, stürzte ab, während die Freiheitlichen triumphierten. Die Grünen, einst das Zugpferd progressiver Politik, haben sich gleich halbiert. Und die NEOS? Sie verbleiben als Randnotiz der politischen Landschaft.

Das Problem des BDV liegt dabei nicht nur in seiner Wahlstrategie, sondern in seiner symbolischen Bedeutung. Der Versuch, die FPÖ durch eine Koalition der Etablierten zu isolieren, wirkt wie der letzte, verzweifelte Versuch, die eigene Macht zu retten. Doch anstatt Wähler zurückzugewinnen, hat das BDV alle politischen Nachteile konservativer und linker Politik in ein einziges Bündnis gepackt: ineffektive Krisenbewältigung, leere Worthülsen und die schleichende Erosion des Vertrauens in die Demokratie.

Warum Brandmauern die Rechte stärken

Die große Ironie der Ausgrenzungspolitik liegt in ihrem Effekt: Anstatt die Rechten zu schwächen, stärken Brandmauern ihre Position. Der Mechanismus ist simpel: Wer sich als Außenseiter dargestellt sieht, zieht die Sympathien jener auf sich, die sich selbst am Rand der Gesellschaft wähnen.

Hinzu kommt, dass die ständige Dämonisierung der Rechten den Eindruck erweckt, sie seien die einzige Alternative zum Establishment. Die FPÖ profitiert von genau diesem Narrativ: Als Partei, die angeblich von den politischen Eliten „unterdrückt“ wird, stellt sie sich als Stimme derjenigen dar, die von eben diesen Eliten vergessen oder ignoriert wurden.

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Ein weiteres Problem der Brandmauer-Taktik ist, dass sie das politische Spektrum verkümmern lässt. Anstatt mit Argumenten und Ideen um die Wähler zu konkurrieren, klammern sich die etablierten Parteien an das einzige Argument, das ihnen bleibt: „Wir sind nicht die FPÖ.“ Doch Wählerinnen und Wähler wollen keine bloßen Anti-Positionen – sie wollen Lösungen für ihre Probleme. Wenn der einzige Unterschied zwischen den Parteien die Frage ist, wer sich lauter von der FPÖ distanziert, dann werden die Freiheitlichen zur einzigen Wahlmöglichkeit für echte Veränderung.

Was die Etablierten nicht begreifen

Die Ergebnisse in der Steiermark sollten als Weckruf verstanden werden – nicht nur für Österreich, sondern auch für Deutschland. Denn die Parallelen sind unübersehbar: Auch hier wird die AfD durch moralische Brandmauern isoliert, während die etablierten Parteien immer mehr Boden verlieren. Doch statt sich selbstkritisch zu fragen, warum sie Wählerinnen und Wähler verlieren, richten sie den Fokus lieber auf die Dämonisierung der Konkurrenz.

Der Erfolg der FPÖ zeigt, dass diese Strategie nicht nur ineffektiv, sondern kontraproduktiv ist. Die Wähler laufen den etablierten Parteien in Scharen davon – nicht trotz, sondern wegen ihrer Brandmauer-Taktik. Diejenigen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, sehen in der FPÖ oder AfD keine Gefahr, sondern Hoffnung.

Das Ende der Brandmauer – oder das Ende der Demokratie

Die Steiermark hat gezeigt, dass die politische Ausgrenzung der Rechten nicht der Heilsbringer ist, als den sie oft verkauft wird. Im Gegenteil: Brandmauern sind kein Schutzwall, sondern Brandbeschleuniger. Sie polarisieren die Gesellschaft, stärken die Position der Rechten und lassen die etablierten Parteien als kraftlose Verwalter des Status quo zurück.

Wenn Konservative, Sozialdemokraten und Liberale wirklich verhindern wollen, dass FPÖ und AfD zur dominanten politischen Kraft werden, müssen sie mehr bieten als moralische Überlegenheit und symbolische Brandmauern. Sie müssen echte Alternativen entwickeln, die sich nicht in Phrasen erschöpfen. Denn am Ende entscheidet nicht die Stärke der Mauern, sondern die Stärke der Ideen.

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Quellen und weiterführende Links

  1. Ergebnisse der Regionalwahlen in der Steiermark: ORF.at, November 2024.
  2. Analysen zur „Brandmauer“-Strategie: Die Presse, Oktober 2024.
  3. Kommentar zur politischen Ausgrenzung in Österreich: Der Standard, November 2024.
  4. Vergleich mit Deutschland: Süddeutsche Zeitung, Analyse zur AfD, Oktober 2024.
  5. Politico.eu: „Why isolating the far-right might not work in Europe“, Oktober 2024.
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