
Ich scheiß auf einen Platz in eurer demokratischen Mitte
Präludium der gepflegten Verachtung
Es gibt wohl nichts Langweiligeres als die vielbeschworene „demokratische Mitte“ – dieser bräsige Wohlfühlkonsens, in dem man sich gegenseitig auf die Schulter klopft, weil man es geschafft hat, sich weder rechts noch links, weder oben noch unten, weder denkend noch fühlend zu positionieren. Eine politisch-ideologische Knautschzone, weich gepolstert mit leeren Worthülsen und moralischer Selbstbeweihräucherung, in der man sich mit einer Tasse Fairtrade-Kaffee in der Hand für den Erhalt des Status quo feiert, als wäre das schon Revolution genug. Die demokratische Mitte ist kein Ort, es ist ein Zustand – ein Zustand der geistigen Verdauungsstörung, in dem man zwar alles irgendwie akzeptiert, aber nichts mehr hinterfragt, weil es ja die „Mitte“ ist. Und wer will schon radikal wirken, wenn man auch einfach irrelevante Kompromisse feiern kann?
Die moderaten Monster
Die Gefahr geht heute nicht mehr von den brüllenden Populisten aus – deren Fratzen sind so deutlich, dass selbst der durchschnittlich desinteressierte Netflix-Zombie sich bei den Abendnachrichten kurz verschluckt. Nein, die wahre Bedrohung wohnt in gepflegten Reihenhäusern, sitzt in Ethikräten, schreibt Leitartikel und spricht mit jener aalglatten Stimme, die alle Empörung schon im Ansatz neutralisiert. Es sind die netten Monster im Maßanzug, die sich für die „Stabilität des Systems“ einsetzen, während sie mit stoischer Miene die Verarmung von Millionen verwalten, die Umweltzerstörung mit „technologieoffenen Lösungen“ lobpreisen und den globalen Süden mit paternalistischer Arroganz „entwickeln“ wollen. Diese Typen – nennen wir sie ruhig beim Namen: Politiker, Intellektuelle, Journalisten, Thinktank-Therapeuten – sind keine Verschwörer, sondern Verwalter. Verwalter der Verwahrlosung. Sie sind der Ikea-Kleiderschrank, in den man die hässlichen Wahrheiten unserer Zeit verstaut, damit sie im Wohnzimmer der gepflegten Meinungskultur nicht stören.
Demokratie als Dekoartikel
Man darf wählen. Ja, das darf man. Zwischen Pest in Blau, Cholera in Grau und einem veganen Durchfall in Pastellgrün. Wer heute an demokratische Teilhabe glaubt, glaubt vermutlich auch, dass man durch Online-Petitionen den Kapitalismus abschaffen kann oder dass eine Instagram-Story gegen Kinderarbeit hilft. Der Wahnsinn liegt nicht mehr draußen, er ist längst integriert, systemkompatibel, gesetzlich reguliert – und von einem parteiübergreifenden Konsens abgesegnet. Wenn Demokratie bedeutet, alle vier Jahre ein Kreuz zu machen, um danach von Koalitions-Pantomimen regiert zu werden, die sich gegenseitig beteuern, „das Beste für das Land“ zu wollen, dann ist Demokratie ein verdammt schlechter Witz mit einem sehr langen Aufbau und keiner Pointe.
Gesellschaft als Selbstbetrug
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Armut als individuelles Versagen gilt, Reichtum als Gottesbeweis und Burnout als modischer Persönlichkeitsakzent. Wer nicht mehr mitkommt, bekommt Therapien, Coachings, Achtsamkeitstrainings – aber keine Umverteilung. Die gesellschaftliche Mitte hat sich längst damit abgefunden, dass soziale Gerechtigkeit ein romantisches Märchen aus der SPÖ-Werbung der 70er war. Heute ist man pragmatisch. Man duzt sich im Elend, lächelt auf LinkedIn beim 19. unbezahlten Praktikum und postet zum Trost ein Zitat von Bukowski – falsch zugeordnet, versteht sich.
Ich scheiß auf euren Konsens
Nein, ich will nicht Teil eures Wohlfühl-Konsenses sein, der sich wie eine warme Decke über alles legt, was stört, kratzt, beißt oder schreit. Ich will keine Einladung in eure Talkshows, keine Einordnung in euer Hufeisen, keine Argumentation im Dienste der „Zivilgesellschaft“. Ich will euch nicht versöhnen. Ich will euch ärgern. Ich will euren Diskurs mit der rhetorischen Motorsäge zerlegen und auf dem Trümmerhaufen eine Fahne aus Wut und Spott hissen. Eure „gesellschaftliche Mitte“ ist kein Zentrum, sondern ein stillgelegtes Karussell, das sich nur noch in den Köpfen derer dreht, die zu feige sind, auszusteigen und zu sagen: „Das hier ist krank.“
Abgesang auf die Anständigen
Ach, und bevor wieder einer kommt mit der Mahnung, man solle doch „respektvoll bleiben“, „die Demokratie stärken“ und „das Miteinander fördern“: Nein. Einfach nein. Wenn Anstand bedeutet, sich dem strukturellen Irrsinn unterzuordnen, dann bin ich lieber unanständig. Wenn „Verantwortung“ heißt, die katastrophalen Verhältnisse zu moderieren, statt sie zu ändern, dann bin ich lieber verantwortungslos. Und wenn „Mitte“ heißt, sich in einer Welt des Elends als vernünftig zu inszenieren, während man auf den Trümmern tanzt – dann scheiß ich auf eure Mitte.