BAIZUO

Wenn weiße Ritter zu blinden Idealisten werden

Der Begriff „Baizuo“ entstammt dem chinesischen Internet-Jargon und hat es in den letzten Jahren zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, insbesondere im Zusammenhang mit der schleichenden Frustration über den moralischen Hochmut und die intellektuelle Kurzsichtigkeit der „woken“ Bewegung. Ursprünglich wurde der Ausdruck von chinesischen Internetnutzern verwendet, um westliche Liberale zu beschreiben, die sich selbst als tugendhafte Verteidiger von Minderheiten, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit sehen, dabei jedoch – und das ist der Knackpunkt – ein unvergleichliches Talent dafür besitzen, ihre eigene Arroganz und Ignoranz nicht zu bemerken. Man könnte meinen, „Baizuo“ sei nur ein Schimpfwort, doch der Begriff hat sich längst zu einem Kulturphänomen entwickelt, das präzise das beschreibt, was viele Menschen, insbesondere außerhalb der westlichen Welt, an der modernen, „woken“ Bewegung so abstoßend finden.

Und jetzt, meine Damen und Herren, halten Sie sich fest, denn das Wort „Baizuo“ passt auf das woke Europa wie der berüchtigte Deckel auf den Topf. Denn es ist kein Geheimnis mehr, dass sich gerade in den europäischen Metropolen – von Berlin bis Paris, von Stockholm bis Wien – ein ganz eigener Typ Mensch herausgebildet hat: moralisch unantastbar, vor Tugend triefend und zugleich in einem goldenen Käfig der Privilegien gefangen. Es ist der Typus des wohlmeinenden, weißen, akademisch gebildeten Liberalen, der die Welt retten will – ob sie es nun möchte oder nicht.

Chinas scharfsinniger Spiegel

Der Begriff „Baizuo“ lässt sich wörtlich mit „weißer Linker“ übersetzen, wobei „weiß“ hier weniger auf die Hautfarbe als vielmehr auf eine bestimmte Klasse und Ideologie verweist. In der chinesischen Netzgemeinde beschreibt „Baizuo“ einen Typus westlichen Linksliberalismus, der von grenzenloser moralischer Selbstgefälligkeit durchzogen ist und eine Weltanschauung kultiviert, die sich durch drei Hauptmerkmale auszeichnet:

  1. Hypermoralisierung: Die Baizuo zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich ständig als moralisch überlegen präsentieren und in fast jedem gesellschaftlichen Aspekt nach Ungerechtigkeiten suchen, die sie mit lautem Getöse anprangern können.
  2. Naivität: Baizuo leben in einer idealisierten Welt, in der sie davon ausgehen, dass alles durch politische Korrektheit, Gendergerechtigkeit und Diversity gelöst werden kann, ohne dabei die Realität und die unbequemen Folgen ihrer Politik zu beachten.
  3. Dekadenz und Heuchelei: Sie verurteilen zwar die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems, genießen jedoch ohne Scham die Früchte eben dieses Systems.

Die Chinesen haben das Schauspiel der westlichen Linken – insbesondere der selbsternannten „woken“ Elite – aus der Ferne beobachtet und sind zu dem Schluss gekommen: Die Baizuo sind eine Karikatur des linken Idealismus, die sich in ihrer eigenen Heiligkeit suhlt, während sie gleichzeitig auf dem Rücken anderer – vor allem der Arbeiterklasse und der Entwicklungsländer – ihre moralische Überlegenheit auslebt.

In China ist man bekanntlich eher pragmatisch veranlagt. Man sieht es als eine unnötige Ablenkung, sich in Diskussionen um Genderneutrale Toiletten oder die korrekte Anrede von Transgender-Personen zu verstricken, wenn das Land massive wirtschaftliche und soziale Herausforderungen bewältigen muss. In diesem Kontext erscheint der Baizuo wie ein leicht verwirrter Tourist, der in den Straßen von Shanghai versucht, chinesische Bauern von den Vorzügen veganer Ernährung zu überzeugen.

Eine perfekte Symbiose

Nun zur Frage: Warum passt dieser Begriff so ausgezeichnet auf das moderne Europa? Lassen Sie uns ein paar exemplarische europäische „Baizuo“-Momente durchgehen, um den Punkt klar zu machen:

TIP:  Rindersteak und Regenwald
Die moralische Elite: Weiße Retter in Designerklamotten

Da wären zum Beispiel jene wohlstandsverwöhnten, akademisch gebildeten Europäer, die sich auf Podiumsdiskussionen über Klimawandel und Flüchtlingskrisen austauschen, während sie in ihren schicken Stadthäusern sitzen, die aus gentrifizierten Vierteln herausragend, die letzten Spuren von Arbeiterklasse vertreiben. Diese gutmeinenden „Weltretter“ scheuen keine Mühen, ihre moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen, während sie gleichzeitig auf den vom Aussterben bedrohten lokalen Bäckereien der ehemaligen Arbeiterviertel Bio-Bagels kaufen. Der Baizuo im woken Europa kümmert sich herzlich wenig um die Menschen, die tatsächlich die Kosten für seine moralischen Kreuzzüge tragen: die Arbeiter, die Migranten in den weniger schicken Vierteln und die Menschen in jenen Ländern, deren Wirtschaftssysteme durch den westlichen Interventionismus zerrüttet wurden. Aber Hauptsache, die eigene Überlegenheit bleibt gewahrt.

Die Plastikstrohhalm-Obsession

Dann gibt es die unzähligen „progressiven“ europäischen Gesetzgebungsinitiativen, die sich auf kosmetische Veränderungen konzentrieren, anstatt echte Probleme anzugehen. Der „Strohhalm-Krieg“ ist ein Paradebeispiel. Während in den Meeren jedes Jahr Millionen Tonnen von Plastikabfällen landen, beschließt die EU, Plastikstrohhalme zu verbieten. Hurra! Eine große Tat für Mutter Erde. Nur dass die eigentlichen Umweltsünder sich darüber kaum scheren, und die Menschen, die es betrifft – insbesondere Menschen mit Behinderungen, die auf Plastikstrohhalme angewiesen sind – sich nur über das theatralische Getue und die realitätsfernen Entscheidungen wundern. So wird eine einfache Maßnahme, die hauptsächlich symbolischen Charakter hat, als riesiger Fortschritt verkauft. Für den Baizuo ist das eine Win-win-Situation: Er kann sich moralisch erhaben fühlen, ohne dass er sich jemals mit den echten ökologischen und ökonomischen Herausforderungen auseinandersetzen muss.

Die Einladung ohne Plan

Und was wäre der Baizuo ohne seine multikulturelle Offenheit? 2015, als die Flüchtlingskrise Europa erfasste, öffneten viele Länder – angeführt von Deutschland – ihre Grenzen. Nun, dass Menschen in Not geholfen werden muss, steht außer Frage. Doch wie so oft bei den Baizuo wurde die praktische Seite der Geschichte gerne übersehen. Dass ein völlig unkontrollierter Zustrom von Millionen Menschen in ein System, das dafür nie ausgelegt war, zu Spannungen, sozialen Problemen und Integrationstragödien führen würde, war nebensächlich. Wichtig war, dass man sich auf der richtigen Seite der Geschichte positionierte. Und wenn man dann doch realisierte, dass die Realität etwas anders aussah als erwartet – siehe die Enstehung von Parallelgesellschaften, das Aufkommen rechter Bewegungen und die steigenden Spannungen in den sozialen Brennpunkten – konnte man sich immer noch als moralischer Märtyrer präsentieren, der gegen die „reaktionären“ Kritiker ankämpft.

Wokeness als Klassenkampf – Aber nur auf Instagram

Man kann den Baizuo auch in seiner typischen Online-Form beobachten. In den sozialen Medien zelebrieren sie ihre wokeness, indem sie abwechselnd die Privilegien ihrer Hautfarbe bekennen und die Übel des Kapitalismus beklagen – natürlich mit einem brandneuen iPhone in der Hand und einem macchiato aus biologisch angebauten Kaffeebohnen in der anderen. Der Baizuo möchte sich engagiert und bewusst geben, aber nur solange es ihm keine ernsthaften Opfer abverlangt. Kapitalismuskritik ist schick, solange sie auf Instagram in hübschen Filterfarben zu sehen ist. Der revolutionäre Impuls reicht nur so weit, wie es den eigenen Komfort und das soziale Ansehen nicht gefährdet.

TIP:  Österreich als das humorvolle Schlachtfeld der Demokratie

Helden oder Karikaturen

Und so ist der Baizuo in Europa angekommen: Überall sichtbar, laut, dominant und dennoch seltsam weltfremd. Es ist die Kombination aus moralischer Überlegenheit, grenzenloser Ignoranz gegenüber den realen Auswirkungen der eigenen Überzeugungen und einem narzisstischen Drang, von anderen als ethische Vorbilder gefeiert zu werden. Sie sind die neuen „weißen Ritter“, die ohne Rüstung in den Krieg der Tugend ziehen – und dabei jede Schlacht verlieren, ohne es zu merken.

Man kann den Begriff „Baizuo“ als Schimpfwort abtun, als Ausdruck des Zynismus. Aber für viele, die sich mit den politischen Entwicklungen in Europa auseinandersetzen, ist er ein scharfes, fast schmerzhaft genaues Etikett für eine ganze Klasse von Menschen, die ihre moralische Brille so fest auf der Nase haben, dass sie längst nicht mehr sehen, was um sie herum passiert. Die Ironie dabei? Sie sind überzeugt, die besseren Menschen zu sein. Und während sie in ihrer woken Blase hocken, schwingt die Welt weiter – manchmal schneller, als sie hinterherkommen.

Die Empörung als Lifestyle

Eine der faszinierendsten Eigenschaften des Baizuo ist seine Fähigkeit, sich in einer Dauer-Empörung zu verlieren, die fast schon als Kunstform durchgeht. Kein Wort, kein Satz, keine Geste ist mehr sicher vor der hypermoralischen Lupe, die permanent nach dem nächsten Anlass für Skandal und Empörung sucht. Während Europa immer mehr zur Spielwiese der sogenannten „Cancel Culture“ wird, blüht der Baizuo inmitten dieses Chaos regelrecht auf. Er nimmt die Rolle des Scharfrichters ein, wenn es darum geht, prominente Persönlichkeiten für eine unbedachte Bemerkung in der Twitter-Welt zu zerlegen. Besonders ironisch dabei: Der Baizuo, der doch so gerne „Diversität“ preist, hat keinerlei Toleranz für Meinungen, die von seiner eigenen abweichen.

Die Sprachpolizei, mit der der Baizuo bewaffnet ist, hat die europäische Gesellschaft in eine Welt der Vorsicht und Selbstzensur verwandelt. Jeder Satz, jede Meinung muss durch den Filter der politischen Korrektheit, andernfalls droht die Verbannung in die sozialen oder beruflichen Schattenräume. Aber für den Baizuo ist das kein Problem – denn was zählt, ist die Reinheit der Moral, nicht die Freiheit des Denkens.

Die Dekadenz der Privilegierten

Auch beim Thema Klimawandel brilliert der europäische Baizuo mit seiner beachtlichen Fähigkeit, von den hohen moralischen Gipfeln zu predigen, während er zugleich sicherstellt, dass die tatsächlichen Konsequenzen seiner Überzeugungen die sozial Schwachen treffen. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ohne Zweifel von entscheidender Bedeutung, doch der Baizuo schafft es, selbst diese existenzielle Herausforderung zu einem Vehikel seines moralischen Überlegenheitsgefühls zu machen. Während er per Zug durch halb Europa fährt, um den nächsten Klimagipfel zu besuchen und dort lauthals den Verzicht auf fossile Brennstoffe fordert, lebt er in einer Sphäre des Wohlstands, die ihn vor den echten Auswirkungen dieser Politik schützt.

Wer zahlt den Preis für die CO2-Steuer, die den Baizuo in seinem Designer-Pullover nicht jucken wird? Genau, die Arbeiter, die Familien, die am Monatsende ihre Heizkosten kaum bezahlen können. Aber das bleibt natürlich nebensächlich, denn es geht hier um die Rettung der Welt! Wer könnte da etwas gegen ein paar Opfer haben? Vor allem, wenn man diese Opfer ja nicht selbst tragen muss.

TIP:  Reichsschrifttumskammer im Gewande des Guten

Der neue Adel Europas

Der Baizuo ist nicht nur ein Begriff für einen abgehobenen, weltfremden Liberalen – er ist ein Symbol für eine neue Art von Adel, der sich durch moralische Selbstgerechtigkeit und politische Naivität auszeichnet. Dieser moderne Adel hat die Tugenden der alten Aristokratie aufgegriffen und sie mit dem Lack der Wokeness überzogen. In früheren Jahrhunderten war es das blaue Blut, das über Recht und Unrecht entschied; heute ist es der moralische Maßstab des Baizuo.

Sie haben ihre eigene Sprache, ihre eigenen Codes und ihre eigenen Rituale. Wer nicht „woke“ genug ist, wird ausgegrenzt, diskreditiert und in die Ecke der „Ungebildeten“ und „Rückständigen“ verbannt. Dabei handelt es sich nicht um einen offenen Diskurs, sondern um eine moralische Machtausübung, die jede andere Meinung als unmoralisch und somit inakzeptabel einstuft.

Eine Welt ohne Substanz

Man könnte meinen, die Welle der Wokeness und der Baizuo-Dominanz sei eine vorübergehende Modeerscheinung, die bald in sich zusammenfallen wird, sobald die Realität sie einholt. Doch wie lange kann sich Europa noch leisten, dieser intellektuellen Dekadenz zu frönen? Während die wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen – von einer alternden Bevölkerung über die wachsenden Spannungen mit Autokratien wie China und Russland bis hin zu einer sich verschärfenden Klimakrise – immer drängender werden, bleibt die europäische Baizuo-Elite in ihren symbolischen Schlachten gefangen.

Wenn die Realität dann irgendwann an die Tür klopft – in Form einer wirtschaftlichen Rezession, einer Energiekrise oder eines umfassenden gesellschaftlichen Bruchs – könnte der Baizuo gezwungen sein, seine rosa Brille abzusetzen. Aber bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie sich Europa in endlosen Debatten um Identitätspolitik, Gendersprache und die politische Korrektheit verliert, während die eigentlichen Probleme unter einem Haufen moralischer Floskeln begraben werden.

Europas wohlmeinender Irrweg

Es gibt keine Frage: Der Baizuo hat noble Absichten. Er möchte die Welt zu einem besseren Ort machen, soziale Gerechtigkeit herstellen, den Planeten retten und die Gesellschaft fairer gestalten. Doch in seiner Naivität und seinem moralischen Eifer verkennt er, dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt ist. Die Probleme unserer Zeit erfordern pragmatische Lösungen, keine ideologischen Kreuzzüge. Und während der Baizuo mit wehenden Fahnen durch die intellektuelle Arena zieht, bleibt die Frage, ob er am Ende wirklich etwas bewegt – oder ob er nur sich selbst feiert.

Weiterführende Links und Quellen:

Jordan B. Peterson: 12 Rules for Life
Ein kritischer Kommentar zu den Auswirkungen der „Woke“-Kultur auf die westliche Gesellschaft.

Liang Qichao: Vom Westen lernen – Chinas Blick auf Europa
Ein Essay über die chinesische Sicht auf den westlichen Liberalismus und seine Fehler.

Eberhard Sandschneider: Globale Rivalen – China und Europa im Ringen um die Zukunft
Wie der chinesische Pragmatismus dem europäischen Idealismus begegnet.

Eric Zemmour: La France n’a pas dit son dernier mot
Ein kritischer Blick auf die Dekadenz des europäischen Liberalismus.

Der Spiegel, Die Zeit und Le Monde Diplomatique
Regelmäßige Analysen über die Entwicklungen der woken Bewegung in Europa.

Please follow and like us:
Pin Share