Leonardo ohne Vinci

Von der Namensmagie im Rüstungsdschungel

Es ist eine dieser bizarren Selbstverständlichkeiten der Gegenwart, dass man sich als Bürger, Steuerzahler und interessierter Beobachter einer Demokratie gelegentlich vorkommt wie ein Zuschauer eines absurden Theaterstücks, in dem der Hauptdarsteller ständig die Bühne wechselt – nicht aus künstlerischem Ehrgeiz, sondern aus der Notwendigkeit, die eigenen Skandale zu verschleiern. So geschehen bei Finmeccanica, die, wohl wissend, dass ihr Name in den Archiven der Korruption und der geschändeten Helikopterträume Indiens für immer verankert ist, sich kurzerhand in Leonardo umtaufte. Leonardo da Vinci, Universalgenie, Maler, Ingenieur, Visionär – was für ein subtiler Hauch von Renaissance und Kultur über einem Unternehmen, dessen größtes Talent lange darin bestand, sich in Offshore-Konstrukten und Schmiergeldkanälen zu winden. Die italienische Tradition, Skandale mit Namen zu kaschieren, wird hier auf höchstem Niveau zelebriert: Ein Namenswechsel ersetzt die Moral, wie ein frisch lackierter Panzer die historische Schuld überdeckt.

Der Ankauf österreichischer Kampfjets als Paradebeispiel diplomatischer Fingerübungen

Und so kommt es, dass die österreichische Bundesregierung, in Gestalt von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, in einem Akt nationaler Sicherheitspolitik der besonderen Art, zwölf M-346-FA-Kampfjets zu einem Stückpreis von 80 Millionen Euro kauft – während andere Staaten für dasselbe Gerät, offenbar auf einem weniger kreativen Markt der Steueroptimierung, lediglich 50 Millionen Euro zahlen. Der Preisaufschlag wird natürlich mit einer besonders luxuriösen Version begründet: die AMG-Ausgabe unter den Trainingsjets, für Österreich quasi das Red-Bull-Feeling in Metall gegossen. Man spürt förmlich die Panik, dass der mündige Bürger sonst auf die Idee kommen könnte, Steuergeld sei nicht nur dazu da, Prestigeobjekte zu finanzieren, sondern auch dazu, sinnvolle Sicherheitsstrukturen zu unterhalten. Dass von Varese über Venegono Superiore Millionenbeträge fließen, wird eher beiläufig erwähnt, als handle es sich um ein harmloses Kuriosum, nicht um ein Geschäft, das in der Vergangenheit bereits zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen führte.

Korruption als Geschäftsprinzip

Die Geschichte von Finmeccanica alias Leonardo liest sich wie ein Lehrbuch in angewandter Korruption. Der Helikopterdeal mit Indien, bei dem die Spezifikationen „zufällig“ so verändert wurden, dass sie nur dem Anbieter nützten, und bei dem 30 bis 51 Millionen Euro in verschlungenen Offshore-Kanälen verschwanden, illustriert die beinahe künstlerische Präzision, mit der Bestechung und Unternehmensstrategie miteinander verwoben werden können. Man muss die Ironie erkennen: Während in Österreich gerade die Verteidigungsministerin stolz die Sicherheitspolitik verkündet, zeigt der Blick zurück, dass „Sicherheit“ und „Korruption“ oft nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Razzia gegen Giuseppe Orsi, die Hausarrests, die jahrelangen Verfahren, die schließlich zu milderen Strafen führten, sie alle zeigen ein Muster: Skandale enden selten im Ruin, aber in einem Namenswechsel.

Leonardo als Triumph der PR über die Geschichte

Und dann, im Januar 2017, der Coup: Finmeccanica ist Leonardo. Ein Schritt, der nach außen wie ein kreativer Neuanfang wirkt, intern aber eher einer strategischen Selbstvergewisserung gleichkommt – wir waren korrupt, ja, aber jetzt sind wir innovativ! Die Umbenennung ist die literarische Pointe der Unternehmensgeschichte, ein Akt der Selbstmythologisierung, der die Erinnerung an indische Ermittler, Offshore-Geldflüsse und gescheiterte Deals elegant ausblendet. Leonardo wird zum Symbol für europäische Ingenieurskunst und Cyber-Sicherheit, während die Schatten der Vergangenheit wie unbequeme Gäste in der Ecke bleiben, deren Namen niemand auszusprechen wagt.

Österreich und der Spiegel der Geschichte

Für Österreichs Steuerzahler ist der Kauf der zwölf Jets ein Lehrstück: Wer hoch fliegt, zahlt mehr, und wer in die Geschichte schaut, muss erkennen, dass hinter glitzernden Metallhüllen oft dieselben alten Muster lauern. Leonardo liefert, Österreich zahlt, die Medien berichten freundlich, die Politik applaudiert, und die Namen der Verantwortlichen – wie Orsi, Spagnolini oder Tyagi – bleiben ferne, abstrakte Figuren in einem Spiel, das Steuerzahler und Bürger nur vom Rand betrachten dürfen. Die Steuermilliarden fließen, der Jet hebt ab, und der Skandal bleibt, verborgen unter der glänzenden Lackierung der AMG-Ausgabe.

Vom heroischen Verzicht und der Panik der Küchenpflicht

Es gibt eine Dimension des Menschseins, die bislang weder Philosophen noch Poeten hinreichend zu greifen vermochten, weil sie sich zu sehr auf das Ideale konzentrierten und zu wenig auf das Praktische: Ich, allein, stehe vor einer Packung Fischstäbchen. Es ist nicht die bloße Gegenwart eines industriell vorgefertigten Nahrungsmittels, die mich in den Abgrund meiner eigenen Lebensentscheidungen stürzt, sondern die unvermeidliche Reflexion über die vergebliche Bemühung, das Leben ästhetisch zu gestalten. Die Pfanne verlangt 15 Minuten der Aufmerksamkeit, ein Zeitraum, der im Verhältnis zu unserem modernen Tempo absurd, ja nahezu subversiv erscheint; der Ofen hingegen, stoisch wie ein alternder Philosoph, akzeptiert die Übergabe der Verantwortung mit gleichgültiger Würde. Welch triumphaler Akt der Bequemlichkeit, welch stilles Martyrium der Selbstoptimierung! Wir haben die Mühsal des Kochens gegen die mechanisierte Selbstzufriedenheit eingetauscht – und nennen es Fortschritt.

Fisch, das melancholische Fleisch

Man muss es aussprechen, ungeschönt, ohne Umschweife: Fisch ist Fleisch mit Komplexen. Kein simpler Leib, kein schlichtes Protein, sondern ein Wesen, das die traumatische Introspektion des Wassers in sich trägt, bevor es den menschlichen Gaumen erreicht. Die Panade, diese dick aufgetragene Maske der Sicherheit, ist mehr als ein kulinarisches Mittel; sie ist ein Schutzschild gegen das Entsetzen des Daseins, eine Allegorie der menschlichen Hybris, die alles Natürliche in künstliche Perfektion hüllt. Zehn Kilo Panade – ein Übermaß, das grotesk wirkt, doch notwendig ist – und ein Bottich Remoulade, die überdimensionale Salbung unserer eigenen Zweifel, transformieren den Fisch in ein Objekt der absoluten Verfügbarkeit. Geschmack? Eine optionale Dimension. Wahrheit? Ebenfalls optional. Alles wird nivelliert unter der dominanten Macht der Oberfläche.

Der Ofen als kaltes Symbol unserer Zeit

Wer heute den Ofen wählt, der hat nicht einfach den Herd vermieden; er hat die gesamte Tragik des modernen Lebens in einer mechanischen Apparatur kondensiert. Die Pfanne, diese klassische Waffe des Heldenkochens, verlangt Engagement, Schweiß, eine Bereitschaft zur unmittelbaren Verantwortung – Tugenden, die im Zeitalter des Sofortigen längst als antiquiert gelten. Der Ofen hingegen, mit seiner stoischen Gleichgültigkeit, symbolisiert die Gleichschaltung unserer Existenz, die Reduktion komplexer Prozesse auf einfache Mechanik: Ein Knopfdruck genügt, und das Mahl erledigt sich selbst, während wir in andererlei, unbedeutender Tätigkeit unsere Zeit vergeuden. Es ist die Metapher der postmodernen Welt: alles schnell, alles bequem, alles mediokreffizient – eine Allegorie auf die Gleichgültigkeit, die wir gegenüber der Substanz hegen, solange die Oberfläche glänzt.

Panade, Remoulade und die letzte Ironie

Und hier offenbart sich die volle Ironie: Das Stück Fisch, ummantelt von überdimensionierter Panade, getaucht in einen Bottich Remoulade, ist nicht bloß Nahrung. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, ein Monument der Selbsttäuschung, ein ironischer Kommentar auf die Hybris des Menschen, der glaubt, dass Überdosis, Oberfläche und Geschmackssimulation alle Unzulänglichkeiten kompensieren könnten. Wir konsumieren nicht, wir maskieren. Wir maskieren nicht, wir triumphieren über die Banalisierung unseres Lebens, solange wir es nur in golden-braune Rechtecke pressen und in Ketchup-artige Substanzen tauchen können. Jede Kruste, jede Kleckse Remoulade ist eine kleine Selbstverteidigung gegen die Erkenntnis, dass wir weder die Kontrolle über das Leben noch über das Essen besitzen. Wir sind Helden der Panade, Propheten der Convenience, Satiriker unseres eigenen Mangels an Ambition – und lachen dabei, wenigstens innerlich, über die ganze groteske Farce.

Die Epiphanie des Industrie-Fisches

So steht am Ende nicht der Fisch im Mittelpunkt, sondern wir selbst, unsere Komik, unsere Tragik, unsere permanente Selbstinszenierung. Wir sehen den Fisch nicht, wir sehen uns – in jedem goldbraunen Rechteck spiegelt sich die vergebliche Suche nach Sinn, nach Geschmack, nach Vollendung. Und während der Ofen stoisch seine Arbeit verrichtet, erkennen wir: Die wahre Leistung des Lebens liegt nicht im Erreichen, sondern im Ertragen, nicht im Genießen, sondern im Beobachten, nicht in der Perfektion, sondern in der grotesken, satirischen Überhöhung des Alltäglichen. Wer also meint, Fischstäbchen seien nur Nahrung, der hat den Kern der modernen Existenz nicht begriffen: Sie sind Allegorie, Satire, Kommentar und Mahnmal zugleich.

Ein Altar aus Pappmaché für die schlechte Laune Europas

Es ist eine dieser Episoden des Kulturbetriebs, in denen man auf halbem Weg zwischen Entrüstung und Gelächter stehen bleibt — eine Art seelischer Spagat, vergleichbar mit dem Augenblick, in dem man im Museum auf ein Kunstwerk blickt, das sich beim zweiten Hinsehen als schlecht gereinigter Feuerlöscher entpuppt, aber bereits von der Kritikerelite zur „subversiven Volte des spätkapitalistischen Diskurses“ geadelt wurde. Und nun, im ehrwürdigen Künstlerhaus Wien, hat man der europäischen Müdigkeit gegenüber ihren eigenen Symbolen eine neue Bühne gezimmert: Die Ausstellung „Du sollst dir ein Bild machen“, deren Titel schon klingt, als wäre Moses’ zweites Tablet direkt an die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Hauses gefaxt worden. Doch dieses Bildmachen, so scheint es, ist eine Tätigkeit, die in einem Europa der ausfransenden Gewissheiten vor allem als Gelegenheit dient, alte Tabus lustvoll zu entkernen — und gleichzeitig in der Pflicht steht, nur ja nicht jene Tabus anzurühren, die von anderen Religionen mit ungleich vitalerem Selbstbewusstsein bewacht werden.

Die Meldestelle Christenschutz — ein Name, der wie eine Mischung aus NGO, Ordnungsamt und Notruf für gekränkte Seelen klingt — hat jedenfalls Alarm geschlagen. Zielsicherheit, könnte man sagen, die man sonst nur von Behörden kennt, die früher einmal über Kriegsdienstverweigerer entschieden und dabei eine strenge, fast liturgische Ernsthaftigkeit an den Tag legten. Jene Ernsthaftigkeit, die einem unweigerlich einfällt, wenn man an die trockene Pedanterie von Himmlers Schreibtischdenken erinnert wird: dieser ministerialen Monotonie, die im 20. Jahrhundert bewiesen hat, dass Bürokratie mit Ideologie zusammen stets auf Abwege führt. So weit geht die heutige Debatte natürlich nicht — aber ein schwacher Abglanz jener düsteren Strenge flackert auf, wenn religiöse Gefühle nun wieder wie Besitztümer behandelt werden, die allein durch symbolische Berührung zu Schaden kommen könnten.

Über Kunst, die sich auflehnt, und Gläubige, die das Echo für eine Attacke halten

Besonders laut ist das Echo diesmal wegen der Trans-Maria. Ein Kunstwerk, das, würde man es aus dem Diskurs herauslösen, vermutlich einfach als Versuch durchginge, den jahrhundertelang eingefrorenen Katalog christlicher Bildwelten aufzutauen, indem man einmal gründlich an seinen symbolischen Leitungen rüttelt. Doch in einer Zeit, in der jede Abweichung als potenzielles Sakrileg gewertet wird, erscheint selbst ein Kunstharz-Penis an der Pietà wie ein vergessener Blindgänger aus ideologischen Schützengräben. Man hat fast den Eindruck, dass manche Betrachter beim Eintritt in die Ausstellung unwillkürlich Haltung annehmen, als müsste gleich ein Vorgesetzter mit strengem Blick überprüfen, ob die Kunstschau womöglich gegen irgendeine Vorschrift verstößt, deren Paragraphen am Rand vergilbt und kaum noch lesbar sind.

In Wirklichkeit jedoch sind es nur Bilder. Bilder, die sich erlauben, blasphemisch zu wirken — ein Begriff, der schon allein deshalb unfreiwillig komisch ist, weil er sich angesichts der kulturellen Dauerprovozierung der letzten Jahrzehnte anfühlt wie ein altertümlicher Hut auf einem Punkkonzert. Doch die Aufregung zeigt, wie brüchig der Konsens geworden ist: zwischen jenen, die Kunst als Freiraum begreifen, und jenen, die in jedem ironischen Seitenhieb auf die heilige Ikonografie bereits den Untergang des Abendlands wittern.

Die spirituelle Hausordnung Europas: Warum manche Symbole unverwundbarer sind als andere

Der Vorwurf, dass solche Arbeiten im Kontext islamischer Traditionen „nie“ denkbar wären, ist zugleich naiv und entlarvend. Naiv, weil das Wort „nie“ in der Kunstgeschichte grundsätzlich von Ignoranten ausgesprochen wird, und entlarvend, weil es zeigt, dass sich Europa längst an ein Gefälle der Empfindlichkeiten gewöhnt hat: Man kann das Kreuz, diesen überbeanspruchten Logo-Entwurf des Abendlands, mit Latex, Noppen, Fröschen, Schaf-Wolf-Priestern und Trans-Marias versehen, ohne dass die Polizei die Türen eintritt. Aber wehe, man beträte die Zone anderer Religionen — Zonen, in denen die Vorstellung von symbolischer Unantastbarkeit noch funktioniert wie militärischer Drill.

Das Christentum ist, in dieser Lesart, zur bellenden Kulisse geworden: viel Geräusch, wenig Biss. Und die Künstlerszene weiß das. Sie spielt darauf wie auf einem alten Harmonium, dessen Tasten manchmal klemmen, aber dessen Ton immerhin keine Fatwa nach sich zieht. Ironischerweise lässt sich diese Asymmetrie mit einer Strenge betrachten, die an jenen überkorrekten Ton erinnert, mit dem einst über Kriegsdienst entschieden wurde: eine Mischung aus moralischem Ernst und bürokratischer Endgültigkeit, die auch Himmler zu vertraut gewesen wäre, wenn auch zu gänzlich anderen, verheerenden Zwecken. Dass solche dunklen historischen Parallelen überhaupt aufscheinen, zeigt schon, wie nervös die Debatte geführt wird: Die bloße Möglichkeit einer Verletzung religiöser Gefühle wird behandelt wie ein Grenzübertritt in einem ideologischen Sperrgebiet.

Ein Europa, das lacht, weil Weinen politisch zu kompliziert geworden ist

Doch am Ende bleibt die Frage: Ist es wirklich die Trans-Maria, die verletzt? Oder ist es das ungute Gefühl, dass die alte Symbolwelt des Kontinents bröckelt wie Kirchenputz, während gleichzeitig neue Identitäten mit jener militanten Selbstgewissheit auftreten, die man sonst höchstens aus Geschichtsbüchern kennt, in denen die Namen der großen Organisatoren des Gehorsams stehen — Namen, die man nicht leichtfertig in den Mund nimmt, aber im Geiste dennoch als Mahnung wachhalten muss.

Vielleicht ist die Wahrheit viel banaler: Europa hat verlernt, seine Symbole zu schützen, weil es vor allem damit beschäftigt ist, sie zu diskutieren. Ein Christentum, das nicht mehr als Autorität, sondern als Diskussionsgegenstand wahrgenommen wird, verliert zwangsläufig seine Immunität. Kunstwerke wie „Mary’s Penis N°3“ sind daher weniger Angriff als Symptom: ein Seismograf dessen, was gesellschaftlich verhandelbar geworden ist, und dessen, was man nur zu sein glaubt.

Und so wird diese Ausstellung zu einem Spiegel: für die Gläubigen, die sich im Namen der Würde gekränkt fühlen; für die Künstler, die sich im Namen der Freiheit herausgefordert fühlen; und für all jene, die inmitten dieses Konflikts nur gelangweilt seufzen und feststellen, dass Europa sich moralisch längst in eine Art Dauerzirkus verwandelt hat. Ein Zirkus, in dem ständig neue Sensationen versprochen werden, während die eigentliche Tragik darin besteht, dass keiner mehr so genau weiß, was überhaupt noch heilig ist — und ob das Lachen, das man hört, Befreiung bedeutet oder bloß ein müdes Pfeifen im Dunkeln.

Die feierliche Erhebung des moralischen Staubkorns zum kosmischen Meteor

Es gibt Momente, da wirkt die Gegenwart, als hätte jemand das kollektive Nervensystem der Republik straff an eine überempfindliche Alarmanlage angeschlossen. Ein falscher Laut, ein undeutliches Husten, ein Tweet mit zwei Buchstaben zu wenig — und schon heulen jene Sirenen los, die einst nur bei echten Katastrophen genutzt wurden. Heute jedoch erschütterten uns bereits Situationen, die früher als „normales menschliches Miteinander“ durchgegangen wären. Man könnte durchaus vermuten, der politische Diskurs liege in den letzten Zügen, doch tatsächlich war er nie vitaler: Er hat nur seine Ernährung umgestellt und lebt jetzt fast ausschließlich von Empörungskohlenhydraten und moralischem Hochprozentigem. Dass die Verdauung darunter leidet, ist absehbar.

Denn die moderne Moral ist nicht länger eine freundliche Lebensberatung, sondern ein Hochspannungsgerät, das jeder freiwillig in die Hand nimmt und dann überrascht ist, wenn der Strom durch den eigenen Arm fährt. Moral ist heute nicht das leise Flüstern des Gewissens, sondern der Presslufthammer des Virtue-Signaling: ratternd, ohrenbetäubend, unaufhaltsam. Und während die Gesellschaft unter dem vibrierenden Getöse erzittert, halten sich alle die Hände an die Brust, um zu signalisieren, dass sie natürlich aus reinem Herzen rütteln. Das ist wichtig. Ohne die moralische Signatur am Ende jedes Statements wäre die Welt ein deutlich friedlicherer, aber auch gelangweilterer Ort.

Ein Volk von Hilfssheriffs – bewaffnet mit Screenshot und Empörung

Man hat das Gefühl, die Deutschen hätten nach jahrzehntelanger Suche endlich ihr natürliches Habitat gefunden: nicht im Wald, nicht im Schrebergarten, nein — in der Rolle des digitalen Hilfssheriffs. Die Blockwarte der Vergangenheit, die noch umständlich Listen führten und durch den Hausflur schlichen, wären neidisch auf die Eleganz, mit der man heute mit einem Fingertipp einen moralischen Weltkrieg entfesselt.

Wer braucht noch einen Staatsschutz, wenn jeder Bürger sein eigener Mini-Geheimdienst ist, ausgestattet mit der heiligen Dreifaltigkeit der Moderne: Screenshot, Retweet, Kommentarspalte. Die Empörungsgesellschaft arbeitet effizient, nachhaltig, CO₂-neutral — und vor allem unermüdlich. Ein Verdacht genügt. Und selbst den kann man sich sparen.

Die Denunziation ist mittlerweile so niedrigschwellig, dass selbst Haustiere sie anwenden könnten, hätten sie nur ein Smartphone. Vielleicht sollten wir froh sein, dass Katzen sich nicht für Ideologie interessieren und Hunde keine Stalken-Funktion beherrschen — sonst gäbe es eine „Meldestelle für Unzureichende Streicheleinheiten“.

Die moralische Reizleitung – wie aus jedem Funken ein Flächenbrand wird

Interessanterweise sind es nicht selten die banalsten Alltagsszenen, die heute das Potential zur moralischen Kernschmelze besitzen. Jemand macht einen Witz, der unglücklich landet? Sofort ist das Tribunal zur Stelle. Jemand äußert sich unbeholfen? Schon steht die digitale Folklore bereit: Aufspannen des Schirms der Empörten, Sammeln der Missfallensklicks, rituelles Reinigen der eigenen Seele durch Verachtung der fremden.

Die moderne Empörung funktioniert wie ein absolutistischer Monarch: Sie braucht kein Verfahren, nur ein Gefühl. Kein Beweis, nur eine Behauptung. Keine Konsequenz, nur die Möglichkeit einer Konsequenz. Moralische Aufladung bedeutet heute, dass jeder Satz potenziell unter Starkstrom steht. Ein falsches Wort, und die Sicherung fliegt raus — allerdings nicht die der Gesellschaft, sondern die des Betroffenen. Die Gemeinschaft bleibt hell erleuchtet, er jedoch sitzt im Dunkeln.

Die permanente Rüge als Lebensstil

Bemerkenswert ist, wie viele Menschen sich in dieser Atmosphäre nicht eingeschüchtert, sondern regelrecht aufblühen. Es gibt offenbar Persönlichkeiten, die beruflich oder emotional nur dann existieren, wenn sie sich gerade über etwas empören dürfen. Sie gehen in der Rolle des gesellschaftlichen Korrektivs auf wie ein Hefekuchen, der sich endlich in einem warmen Ofen wiederfindet.

Man könnte sagen, es handle sich um die Wiedergeburt einer alten Leidenschaft der Deutschen: gründliche Verwaltung. Doch statt Akten zu verwalten, verwaltet man heute moralische Verfehlungen – und zwar mit preußischer Präzision. Früher hätte man Listen geführt über Kartoffelvorräte oder Kriegsdienstverweigerer; heute führt man Listen über Personen, die das falsche Pronomen verwendet oder eine Textzeile falsch interpretiert haben. Und wie damals gilt der Grundsatz: Fehlerfreiheit ist Pflicht, Abweichung ist Absicht, und Absicht ist Verrat.

Die große Umverteilung der Schuld

Ein besonders faszinierender Mechanismus des Denunziationskultes ist die Möglichkeit, eigenes moralisches Unbehagen einfach an andere weiterzureichen. So entsteht eine eigentümliche Form sozialer Thermodynamik: Schuld kann nicht vernichtet, aber hervorragend übertragen werden. Am besten auf Menschen, die einem ohnehin nicht gefallen. Die moralische Energie ist stets im Fluss, stets in Bewegung, stets auf der Suche nach der nächsten Person, die sich unvorsichtig in der Öffentlichkeit zeigt.

Dass diese Schuldumverteilung oft vollkommen unabhängig vom eigentlichen Fehlverhalten geschieht, stört niemanden. Im Gegenteil: Genau darin zeigt sich die Schönheit des neuen Systems. Man muss nicht mehr warten, bis jemand eine echte Verfehlung begeht — man kann moralische Aufladung auch auf Vorrat erzeugen. Schließlich wäre es Verschwendung, die mühsam erworbene Empörungskraft ungenutzt zu lassen.

Der Rückzug ins Private – oder: wie man lernt, die Klappe zu halten

Es ist daher kaum verwunderlich, dass immer mehr Menschen sozialphobische Tendenzen entwickeln, sobald sie einen Tweet verfassen oder eine WhatsApp-Nachricht abschicken. Die Selbstzensur wird zum Volkssport; das innere Lektorat zum vertrautesten Freund. Man tippt einen Satz, löscht ihn, tippt erneut, löscht ihn wieder, und am Ende schreibt man nur noch neutrale Höflichkeitsfloskeln, als lebte man in einer Welt, in der Sprache ausschließlich aus präzise austarierten diplomatischen Noten bestehen darf.

Der durchschnittliche Bürger wirkt inzwischen wie ein Pressesprecher seiner selbst, der ständig darauf bedacht ist, keine missverständlichen Mitteilungen zu veröffentlichen. Die große Ironie: Nicht der Staat zwingt ihn zur Vorsicht, sondern seine Mitmenschen. Die Denunziationskultur ist die einzige Form sozialer Kontrolle, für die keine Diktatur nötig ist — sie entsteht ganz natürlich aus der Lust, das Richtige zu fühlen.

Epilog: Die Hoffnung, irgendwo zwischen Empörung und Vernunft noch Mensch zu bleiben

Man könnte meinen, es sei alles verloren. Doch manchmal, in seltenen Momenten, erkennt man zwischen den moralischen Territorien und den Denunziationsschützengräben noch den Homo sapiens, der sich unbeholfen am Kopf kratzt und fragt, wie es so weit kommen konnte. Und gelegentlich blitzt ein Funken Selbstironie auf, ein Lächeln, ein „Vielleicht haben wir’s ein bisschen übertrieben“.

Es wäre zu schön, glaubte man, diese Einsicht breite sich aus. Aber vermutlich wird sie sofort von einem moralischen Schnellgericht als Relativierung eingestuft und mit zwölf Hashtags hingerichtet.
Dennoch — und sei es nur aus Trost: Solange Satire existiert, solange Humor zwischen den Flanken moralischer Hochrüstung überlebt, besteht Hoffnung. Vielleicht finden wir irgendwann wieder zurück zu einer Gesellschaft, die Kritik vom Verrat unterscheiden kann und Empörung von Ernsthaftigkeit.

Bis dahin allerdings bleibt nur eines: vorsichtig sein, leise sprechen und regelmäßig die Sicherungen prüfen. Denn in einem Land voller moralischer Starkstromleitungen kommt es schneller zum Kurzschluss, als einem lieb sein kann.

Die große Zerbröselung der Mittelstandsparteien

In den Schaltzentralen der Republik, dort, wo früher die großen Strategen saßen – jene, die den politischen Betrieb noch mit dem gemütlichen Zynismus eines jahrzehntelang abgenutzten Ledersessels lenkten –, herrscht heute die Atmosphäre einer Versicherung, die auf den letzten Drücker versucht, einem bereits brennenden Haus eine Feuerschutzpolice zu verkaufen. Das Establishment, dieser altehrwürdige, steife Tanzklub aus steuerlich gut geölten Apparatschiks und ritualisierten Floskelschwenkern, hat sich über Jahrzehnte in einer seligen Gewissheit eingerichtet: dass es nämlich unwählbar sei, selbst wenn es unwählbar würde. Und nun muss es erleben, wie das Volk – dieses widerspenstige, oft unkooperative Wesen, das sich immerzu anmaßt, eigene Vorstellungen zu haben – die jahrzehntelang kultivierte Selbstgefälligkeit mit einer Mischung aus Müdigkeit, Belustigung und ausgewachsener Übelkeit quittiert.

Die Selbstzerstörung der großen Parteien begann nicht an einem Nachmittag, an dem jemand aus Versehen auf „Selbstauflösen“ drückte. Sie begann leise, mit hauchzarten Schritten, die zunächst klangen wie das Verrücken von Aktenordnern, die man heimlich ins Archiv des politischen Vergessens schiebt. Irgendwann aber ging das Rascheln in ein Poltern über, das Poltern in Risse im Fundament – und schließlich standen die alten Parteizentralen da wie denkmalgeschützte Gründerzeitfassaden: vorne prachtvoll restauriert, hinten im Hof seit Jahren eine Müllhalde aus strategischen Fehlentscheidungen, moralpädagogischen Anwandlungen und jener typisch deutschen Art, sich mit glühendem missionarischem Eifer in den Abgrund zu denken.

Wenn Selbstbewusstsein zur suizidalen Energiequelle wird

Es ist ein großes Missverständnis der politischen Psychologie, dass Selbstbewusstsein etwas Gutes sei. Für Individuen vielleicht. Für politische Apparate hingegen ist es ein hochgefährliches Lösungsmittel, das bei längerer Einwirkung interne Leitungen aufweicht und schließlich ganze Flügel abfallen lässt. Die klassischen Volksparteien wähnten sich stets als Säulenheilige der Republik – und machten sich dabei überflüssiger, als es selbst die kühnsten Satiriker zu hoffen gewagt hätten.

Der Anfang war harmlos: Man wollte moderner wirken, ein bisschen diverser, ein bisschen weltoffener, ein bisschen im Takt der globalen Gegenwart tanzen – und stellte dann konsterniert fest, dass man nicht tanzen kann. Dann versuchte man es trotzig mit Gegenmodernität und entdeckte dabei das Absurde: dass man auch das nicht kann. Schließlich suchte man Zuflucht in der alten Devise „Wir sind die Mitte“ – nur um festzustellen, dass die Mitte längst in Richtung Ausgang geflohen war. Und so geriet man in jenen Zustand, in dem Menschen anfangen, sich wackelnde Möbel gerne selbst festzuschrauben, nur um dabei den ganzen Schrank einzureißen.

Die parteipolitische Selbstzerstörung des Establishments ist vor allem ein psychologisches Phänomen: Parteien, die sich für unverzichtbar halten, fangen irgendwann an, die Realität als beleidigenden Zwischenfall zu interpretieren.

Der Nimbus des Unvermeidlichen – und sein schiefer Abgang

In Deutschland war lange Zeit eine Überzeugung heilig: Dass das System, so wie es ist, immer schon richtig war. Die großen Parteien hielten sich für die steinernen Pfeiler einer demokratischen Kathedrale, die notfalls auch ohne Gottesdienstbesucher auskommt. Man hatte totale Kontrolle über das Personal, über die Themen, über den Ton – oder glaubte es zumindest. Man hielt sich für die feuilletonistische Elite des Politischen: stilvoll, reich an Erfahrung, unverzichtbar und in der Lage, jede Krise in eine Talkshow-Dekoration zu verwandeln.

Doch dann, wie es immer ist, wenn Institutionen sich selbst zu wichtig nehmen, begann das Establishment, seine eigene Unersetzlichkeit mit wachsender Inbrunst zu beweisen. Je stärker es wackelte, desto entschlossener hamsterten seine Vertreter moralische Selbstvergewisserung: Die eigenen Positionen wurden immer mehr zur Glaubensfrage – und Glaubensfragen haben bekanntlich die unangenehme Eigenschaft, Realität nicht zu benötigen. Während draußen die Republik sich langsam in eine Vielstimmigkeit verwandelte, die nicht mehr so einfach zu managen war, machten die großen Parteien weiter, als könnten sie bloße Verschleißerscheinungen durch dekorative Werteformulierungen petrifizieren.

So geschah das Unvermeidliche: Die Parteien begannen, gegen die eigene Wählerschaft zu regieren – und taten so, als sei es umgekehrt.

Flucht nach vorne: Wenn der Abstieg moralisch aufgeladen wird

Keine Bewegung zerstört sich schneller als diejenige, die ihren Niedergang als moralische Mission missversteht. Also tat man das Offensichtliche: Man beschloss, nicht mehr zu überzeugen, sondern zu erziehen. Dass Erziehung nie funktioniert, wenn Erwachsene sich von anderen Erwachsenen erziehen lassen sollen, war dabei ein kleines Detail, das man großzügig übersah.

Die Parteien, die einst versprachen, Volksparteien zu sein, verwandelten sich in lärmende Kurse zur politischen Selbstoptimierung. Jedes Thema wurde zum Prüfstein der Tugend, jede Abweichung zu einer potenziellen Majestätsbeleidigung gegenüber der großen, moralisch aufgeladenen Erzählung, die man lieber pflegte als die eigene Programmatik. Das Establishment predigte – und das Volk hörte zu, wie man einem Verkehrsunfall zusieht: mit Fassungslosigkeit, aber auch einer dissoziativen Neugier, wie weit die Sache wohl noch gehen würde.

Und dann ging sie weit.

Der letzte Tanz der Großen: Eine Operette ohne Orchester

Während die Risse im System zu Schluchten wurden, entschlossen sich die altgedienten Parteien, metaphorisch die Geige auszupacken – doch das Orchester war längst davongelaufen. Sie gestikulierten in die Leere, als führe hinter ihnen ein unsichtbares Publikum stehende Ovationen auf. Die Bühne war hell erleuchtet, die Zuschauertribüne dunkel – und niemand bemerkte, dass keiner mehr im Saal saß.

So kommt es, dass das politische Establishment heute mit einer stoischen Selbstverständlichkeit gegen seine eigene Existenz arbeitet. Ein politischer Darwinismus im Selbstversuch: Wer sich besonders intensiv bemüht, niemanden mehr zu erreichen, gewinnt die interne Auszeichnung „stabil“. Man würdigt sich gegenseitig mit Preisen für politische Klugheit, die man längst verloren hat. Und irgendwann wirkt das alles wie eine jener Gesellschaften, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, um das Aussterben ihrer eigenen Tierart zu verwalten.

Schlussakkord: Wenn das Establishment die Revolution gegen sich selbst führt

Und nun stehen wir da – in einer politischen Landschaft, in der das Establishment in einer Mischung aus Verzweiflung und Selbstüberschätzung den größten politischen Beitrag seiner Zeit geleistet hat: seine eigene Demontage. Ironischerweise ist dies vielleicht das demokratischste, was es je getan hat. Ein Akt unfreiwilliger Selbstbefreiung, ein Ringen mit der eigenen Bedeutungslosigkeit, bei dem der Zuschauer nicht weiß, ob er applaudieren oder Trost spenden soll.

Denn in dieser seltsamen Selbstzerstörung liegt etwas zutiefst Menschliches: die Weigerung, sich zu verändern, bis die Veränderung sich selbst durchsetzt. Die Republik bleibt bestehen, aber ihre alten Parteien verhalten sich wie historische Gebäude, deren Denkmalschutz längst niemanden mehr interessiert, während in den Wohnräumen darunter Menschen tatsächlich leben wollen.

Der Witz dabei: Das Establishment wollte stets die Demokratie schützen – und hat nun durch sein Verhalten bewiesen, wie sehr die Demokratie auch ohne sein Zutun überleben kann.

Die elektrische Frontlinie

Es gehört zu den liebenswerten Paradoxien dieses Landes, dass Reformen stets den Charme militärischer Befehlsausgaben besitzen, während gleichzeitig alle Ministerinnen und Minister beteuern, man wolle doch „niemandem wehtun“. Und so marschiert nun das Elektrizitätswirtschaftsgesetz, frisch poliert und mit der stoischen Entschlossenheit eines Grundwehrdieners, in die politische Arena – angeblich, um das Stromsystem zu modernisieren, tatsächlich aber, um den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zu geben, sie lebten inmitten einer permanenten Energiewende-Mobilmachung.
Man könnte fast meinen, die Netzgebühren hätten bisher ein gemütliches Reservistendasein geführt, das nun abrupt in einen Frontdienst verwandelt wird: Ab sofort sollen auch Erzeuger stärker ran, nicht nur die Haushalte. Dass die Windkraft-Lobby darauf reagiert wie ein Rekrut, dem man plötzlich die Latrine zum Putzauftrag übergibt, überrascht niemanden.

Der neue Marschbefehl: Erzeuger sollen mitzahlen

Die Branche zeigt sich indigniert wie ein Bataillonskommandeur, dem man geöffnet hat, dass auch er für seine Stiefel selbst aufkommen müsse.
Ökonom Oliver Picek hingegen betrachtet die Lage mit der stoischen Nüchternheit eines Logistikoffiziers: Die Erzeuger hätten in den letzten Jahren satte Gewinne eingefahren und könnten sich nun, so Picek, durchaus an den Netzkosten beteiligen. Schließlich sei es ja nicht der Bevölkerung zuzumuten, weiterhin die gesamte Infrastruktur zu finanzieren, während die Produzenten in ihren Ertragskasernen auf und ab promenieren.
Man könnte fast meinen, die Strombranche habe den Frieden mit dem Markt längst geschlossen, wolle aber weiterhin Kriegszulagen kassieren.

Investment-Panik und die Angst vor der wirtschaftlichen Demobilisierung

Kaum wird die neue Kostenordnung skizziert, da ertönen bereits die Sirenen der Investitionswarnung. Die Erzeuger orakeln, man werde künftig weniger bauen – als stünde der Energiesektor an der Demarkationslinie, von wo aus ein winziger Netzkostenbeitrag bereits als Artilleriebeschuss interpretiert wird.
E-Control-Vorstand Urbantschitsch wiegelt indes ab: Die Lage sei stabil, die Preise blieben hoch genug, investiert werde weiter. Ein Satz, der klingt wie aus einem nüchternen Bericht eines Generalstabschefs, der versucht, die Truppe zu beruhigen: „Ruhig bleiben. Das ist nur eine Übung.“

Spitzenkappung: Das sanfte Zucken des autoritären Zeigefingers

Die „Spitzenkappung“ – jenes Wort, das klingt, als stamme es direkt aus einer Verwaltungsverordnung eines finsteren Oberbürokraten – erlaubt den Netzbetreibern, Einspeisungen zu drosseln, wenn zu viel Strom ins Netz drängt.
Die Branche sieht darin eine Art elektrischen Ausnahmezustand, ein Notstandsgesetz in Miniatur. Natürlich nur zwei Prozent Verlust pro Jahr, heißt es. Aber gerade in den produktivsten Stunden, in denen die Windräder jubeln wie Soldaten nach dem Zapfenstreich, soll nun plötzlich jemand den Stecker halbziehen.
Hier schleicht sich jene kalte, historische Erinnerung ein, die man nur mit größter Vorsicht satirisch berührt: der technokratische Wille zur Ordnung, der im 20. Jahrhundert so mancher Figur dunklen Ruhms – man vermeide jede Parallele, aber das Gedächtnis ist hartnäckig – als Tugend galt. Eine moderne Energiepolitik hat selbstverständlich nichts damit zu tun, doch das Vokabular autoritärer Rationalität schimmert verdächtig durch.

Sozialtarif: Almosen im Stromkrieg

Der Sozialtarif ist die humanitäre Geste am Rande des energiepolitischen Kriegsschauplatzes.
Für 200.000 Haushalte soll der Grundbedarf billiger werden – sechs Cent pro Kilowattstunde. Eine noble Geste, könnte man meinen, wäre da nicht die Tatsache, dass nach wissenschaftlicher Definition doppelt so viele Haushalte Unterstützung bräuchten.
Der Staat verteilt also Trostpflaster wie ein Feldarzt im Lazarett, der genau weiß, dass der Verbandskasten längst zu klein geworden ist. Die Reform wirkt hier weniger wie ein Akt sozialer Gerechtigkeit, sondern eher wie die symbolische Beruhigung der Heimatfront.

Der Krisenmechanismus: Die Verordnung als Notstandsration

Der Mechanismus, der im Krisenfall den Nettostrompreis deckelt, ist das energiepolitische Äquivalent zum militärischen Notfallpaket: Niemand weiß genau, wann es verwendet wird, aber alle hoffen, dass die Verantwortlichen wissen, was sie tun.
Der Krisenfall ist bisher nicht definiert – ein Detail, das unschöne Erinnerungen an jene Zeiten wachruft, in denen auch staatliche Notstandsmaßnahmen gern im Vagen schwebten und dann nach Bedarf ausgelegt wurden. Diesmal allerdings ohne ideologische Abgründe, sondern nur mit dem ganz gewöhnlichen Pragmatismus einer Regierung, die sich nicht festlegen will.

Preisänderungen: Der Rückzug des Konsumentenschutzes

Dass Energieanbieter künftig ihre Tarife einseitig anpassen dürfen, ist ein Paradigmenwechsel: Der Verbraucher soll nun selbst den Schützengraben wechseln, wenn die Preisgranaten einschlagen. Verbandsklagen? Fehlanzeige.
Der Staat zieht sich zurück und überlässt dem Markt die Auseinandersetzung – eine Art energiepolitische Demilitarisierung, die sich allerdings für die Haushalte eher wie ein Rückzug ohne Evakuierungsplan anfühlt.

Die große Entlastungsillusion

Und schließlich: jene 500 Millionen Euro, die der Kanzler locker machen will, um im nächsten Jahr die Stromkosten zu drücken. Ein Betrag, der in etwa so wirksam sein dürfte wie ein Regenschirm beim Artilleriegefecht.
Die Summe ist klein, die Kosten steigen, und die Hoffnung, dass davon eine spürbare Entlastung ausgeht, grenzt an staatsbürgerlichen Idealismus der höheren Sorte. Die Bevölkerung soll optimistisch bleiben, so wie Soldaten im Manöver, denen man versichert, die Übung diene nur der Vorbereitung – nicht der Realität.

Die Pascalsche Wette und die Energiepolitik

Wo der Zweifel schwitzt und die Vernunft Urlaub macht

Die Menschheit hat sich seit Blaise Pascal in vielen Bereichen weiterentwickelt—sie fliegt zum Mond, sie baut Mini-Kernreaktoren ins Wohnzimmer (wenn man den Marketingversprechen mancher Start-ups glauben möchte) und sie schafft es mittlerweile, drei Stunden über Energiesicherheit zu streiten, ohne ein einziges Mal über Energie zu sprechen. Dennoch schwebt über allem weiterhin jene lakonische Wette des französischen Philosophen, die uns bis heute verfolgt wie ein schlecht gezogener Weisheitszahn: „Handle so, als ob.“

Und während Pascal dabei an das Jenseits dachte, wenden moderne Politiker diese Logik lieber auf etwas viel Profaneres an: die Frage, ob wir weiterhin fossile Brennstoffe verfeuern sollen, bis der Planet aussieht wie ein übernutzter Grillrost, oder ob wir – Gott bewahre! – auf erneuerbare Energien setzen.

Wenn Energiepolitik zum Kriegsdienst wird

Es ist faszinierend, wie sich energiepolitische Debatten in einem süßlich-schalen Paradoxon verheddern: Die einen reden, als stünden sie kurz davor, mit Fackel und Mistgabel die Windräder zu stürzen; die anderen formulieren ihre Argumente mit der sanften Autorität jener Menschen, die ein Seminar besucht haben mit dem Titel „Wie verpacke ich Panik in Hoffnung?“.

Doch am auffälligsten ist die wachsende Leidenschaft, mit der beide Seiten ihre Argumente in einer Sprache vortragen, die eher an Wehrdienstpflicht als an Klimapolitik erinnert. Man könnte meinen, es gehe nicht um Energie, sondern um den letzten Aufruf zum Stellungskommando.

Einige Politiker verkünden mit aufrechter Brust, man müsse „die Öl- und Gasversorgung verteidigen“, als stünde ein feindlicher Trupp Solarzellen kurz davor, die heimische Scholle zu überrennen. Und auf der anderen Seite rezitieren Aktivisten ihre Manifeste mit der Pathos-Schwere eines Offiziers, der seine Einheit in die Schlacht gegen die letzte Kohlegrube schickt.

Im Hintergrund tönt dann gelegentlich ein rhetorisches Echo, das man am liebsten sofort zu den Akten legen würde: der geistige Schatten eines Himmler, der als abschreckendes Mahnmal zeigt, wohin militarisierte Rhetorik und ideologische Selbstgewissheit im schlimmsten Fall führen können. Und genau deshalb lässt sich der Vergleich nur satirisch, nur ironisch, nur als groteske Warnfigur nutzen. Denn sobald Energiepolitik beginnt, sich martialisch zu verkleiden, wird sie automatisch dumm – und gefährlich dazu.

Die Pascalsche Wette der fossilen Welt: „Was, wenn alles nur Panikmache ist?“

Hier greift nun Pascal mit seinem zarten 17.-Jahrhundert-Händchen in die Debatte und setzt seine kleine, brillante Falle.

„Stell dir vor“, flüstert er dem energiepolitischen Entscheidungsapparat ins Ohr, „dass die Klimakrise vielleicht nicht so schlimm ist. Was verlierst du, wenn du trotzdem auf erneuerbare Energien setzt?“

Die Antwort müsste lauten:

„Nun ja, wir verlieren vielleicht ein oder zwei überbezahlte Öl-Lobbyisten und einige liebgewonnene geopolitische Abhängigkeiten.“

Doch die Realität antwortet lieber so:

„Wir verlieren unsere Art zu leben! Unsere Freiheit, zu heizen wie Großvater! Unsere Identität!“

Man reibt sich verwundert die Augen. Wann genau ist Energiepolitik zum Identitätskampf geworden? Wann wurde das Einfamilienhaus zur „Festung Fossil“? Wann das E-Auto zur „Gefahr für die abendländische Zündkerzenkultur“?

Die Pascalsche Wette der Erneuerbaren: „Und was, wenn die Katastrophe doch kommt?“

Die andere Seite argumentiert wiederum mit der grünen Variante der Pascalschen Wette:

„Was, wenn die Klimakrise wirklich schlimm wird? Dann ist jede Tonne CO₂ weniger ein Schritt zur Rettung.“

Soweit klingt das vernünftig. Doch leider nimmt die Dramatik manchmal Ausmaße an, die an übermotivierte Katastrophen-PR erinnern. Dann wird die Klimapolitik mit einem apokalyptischen Pinsel so dick bemalt, dass selbst Pascal sich schämen würde.

Doch immerhin: Diese Seite bewegt sich, trotz aller Überladung, noch auf der Ebene von Wissenschaft, Fakten und – man staune – gelegentlicher Vernunft. Dass in den entsprechenden Diskursräumen trotzdem die Wahrscheinlichkeit besteht, jemandem zu begegnen, der mit der Vehemenz eines Generals erklärt, man müsse dem Klimawandel „den Krieg erklären“, ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie zwanghaft beide Lager versuchen, ihre Positionen in Kriegsmetaphern zu pressen.

Das eigentliche Problem: Die Wette ist längst entschieden

Pascal würde heute vermutlich den Kopf schütteln, sein Manuskript essen und sich einen Job in einem Bereich suchen, der weniger aufreibend ist – vielleicht im Straßenbau, vielleicht als Social-Media-Manager.

Denn egal, wie man die Wette dreht:

Der Einsatz ist zu hoch, um ihn auf dem Altar ideologischer Rhetorik zu opfern.

Und doch geschieht genau das.

Während die Welt in Dürreperioden, Energiekrisen und geopolitischen Konflikten schlingert, verheddern sich die Diskutanten lieber in einem kulturkämpferischen Theaterstück, das so grotesk ist, dass selbst die Satire Mühe hat, es zu übertreffen.

Schluss: Eine Wette, die keine mehr ist

Die Pascalsche Wette ist keine Wette mehr, sondern eine Diagnose.

Eine Diagnose darüber, wie schwer es modernen Gesellschaften fällt, Entscheidungen zu treffen, die weniger von Angst, Stolz oder ideologischer Selbstdarstellung geprägt sind als von empirischer Vernunft.

Vielleicht sollte die Energiepolitik also einfach zu Pascal zurückkehren und sagen:

„Wir tun das Sinnvollste, weil die Folgen des Gegenteils zu absurd wären.“

Und wenn jemand wieder mit Kriegsrhetorik kommt – egal ob fossil oder erneuerbar – dann sollte man ihn freundlich darauf hinweisen, dass wir schon genug historische Beispiele haben, wohin Militarisierung des Denkens führt.

Sie taugen als Mahnung.

Als Inspiration – nie wieder.

Dublin, die Hauptstadt der symbolischen Akrobatik

Man stelle sich Dublin vor: eine Stadt, deren Kopf voll ist mit literarischem Stolz, deren Straßen nach Joyce, Yeats und Beckett riechen, und die gleichzeitig den Mut aufbringt, Geschichte auszulöschen, sobald sie unbequem wird. Chaim Herzog Park, 2018 anlässlich des hundertsten Geburtstags eines Mannes eingeweiht, dessen Lebenslauf jede beliebige politische Ideologie überdauern würde, ist das perfekte Sinnbild für diesen urbanen Zirkus. Herzog, Sohn der Stadt, Jude, Soldat, Jurist, Befreier von Bergen-Belsen, Vernehmer von Himmler, Oberstleutnant der britischen Armee – ein Mann, dessen Existenz den Stolz auf Irland und die Würde der Menschheit zugleich verkörperte. Und doch: Kaum hat man den Namen auf ein Schild gepinselt, schon ist Dublin bereit, diesen Giganten in den Schatten der Bedeutungslosigkeit zu stellen, mit der Selbstsicherheit eines städtischen Dekorateurs, der entscheidet, dass „modernes Design“ Altlasten ersetzt.

Vom Kriegsdienst zur politischen Fußnote

Herzog hat nicht nur Juristenbücher gelesen, sondern in Panzertruppen die Hölle Frankreichs überlebt, Lager befreit und die Abgründe deutscher Kriegsverbrechen dokumentiert. Er hat Himmler befragt, als ob er ein unangenehmes Missverständnis aus der Schule aufklären wollte, während Millionen Leben auf dem Spiel standen. Und heute? Heute wird dieser Mann, der moralische Klarheit im Chaos des Krieges bewies, von einer städtischen Kommission aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen, weil ein einzelner politischer Standpunkt ihn zu einem unbequem gewordenen Möbelstück macht. Die Ironie ist so dick, dass man sie fast schneiden könnte: ein Soldat, der Massenmord konfrontierte, wird auf ein Schild reduziert, das jetzt politischer Schachfigur dienen soll.

Die Kommission, der Widerstand und das triumphale Urteil

Eine Gegenstimme in einer Kommission, die ansonsten einstimmig entschieden hat, den Namen Herzog zu entfernen – man möchte fast applaudieren. Welch ein brillantes Stück demokratischer Performanz: einstimmig, bis jemand das Rückgrat beweist, nur um danach von der öffentlichen Meinung überrollt zu werden. Denn noch bevor irgendein neuer Name diskutiert wurde, erhoben sich Aktivisten, als hätten sie einen Spielplan der moralischen Erpressung bereits vorbereitet, und forderten die Umwidmung in „Free Palestine Park“. Das ursprüngliche Ziel, einen Sohn Dublins zu ehren, wird so elegant ersetzt durch ein politisches Statement, das sich wie ein unvermittelter Faustschlag in die städtische Identität anfühlt.

Politische Radikalisierung als städtische Virtuosität

Man muss Dublins Politik einfach bewundern: radikal links, voller Symbolik, bereit, historische Komplexität zugunsten eines ideologischen Schnellschusses zu opfern. Die Wahl von Catherine Connolly, die Israel als „Terrorstaat“ bezeichnete, verleiht dieser Dynamik einen besonderen Glanz: Staatliche Legitimation trifft auf moralische Kurzsichtigkeit, und die Stadt wird zu einem Schachbrett, auf dem historische Figuren durch politische Botschaften ersetzt werden. Dass es dabei nicht um Debatte, sondern um Eskalation geht, zeigt die Intensität, mit der öffentliche Parks zu Symbolbühnen politischer Selbstinszenierung werden.

Ein Park als Bühne der absurden Ironie

Am Ende ist der Park nicht nur Grünfläche, sondern eine Bühne absurden Theaters. Chaim Herzog, der Soldat, Jurist und Sohn Dublins, würde wahrscheinlich mit einer Mischung aus Amüsement und Entsetzen auf das Schauspiel blicken: Sein Leben, in wenigen Jahren eines Jahrhunderts so voller Bedeutung, wird nun als Staffage für zeitgenössische Ideologien verwendet. Dublin, in seinem postmodernen Überschwang, hat nicht nur die Geschichte gestrichen, sondern sie in einen bizarren Spiegel der eigenen Unsicherheit verwandelt: Man feiert den Aktivismus, während man den Sohn der Stadt vergisst.

Vom Humor der Tragik zur Tragik des Humors

Und hier, in diesem absurden Theater, liegt die bittersüße Pointe: Dublin kann sich rühmen, politisch engagiert zu sein, radikal, moralisch aufgeladen – und gleichzeitig die eigene Vergangenheit auslöschen. Es ist ein Tanz auf einem Parkett, das Herzog selbst vielleicht mit einer trockenen Bemerkung kommentiert hätte: „Wenn ich Himmler befragen konnte, dann kann Dublin wohl auch eine Kommission überstehen.“ Satire, Zynismus, Polemik – sie alle treffen hier auf die Realität einer Stadt, die ihre Geschichte neu erfindet, Parks umbenennt und Helden auslöscht, während sie glaubt, moralisch überlegen zu sein.

Geopolitisches Schwarzspiel

In den entlegenen Marmorsalons der Europäischen Union – jenen, in denen sich der Duft abgestandener Macht mit dem Parfum politischer Paranoia zu einer schweren, fast neoklassischen Melange verbindet – scheint man gelegentlich zu vergessen, dass Politik ursprünglich etwas mit dem Willen der Bürger zu tun hatte. Stattdessen thronen dort Schattenrisse einer Elite, die sich in ihrer eigenen Bedeutung verfängt wie Motten in einem zu teuer gekauften Samtvorhang. Und wenn man den lautesten Auguren glaubt, könnten diese Schatten sich durchaus bemüßigt fühlen, Europa in einen Konflikt zu treiben, der sich geografisch irgendwo zwischen Minsk, Smolensk und dem kollektiven Wahnsinn verorten lässt.

Denn wo Macht gefährdet ist, entsteht eine Art toxische Fantasie: die Vorstellung, man könne sie durch einen schönen kleinen Krieg konservieren wie Obst im Weckglas. Das ist nicht neu – aber in der EU trägt es neuerdings Designeranzug.

Die große Angst: Der Verlust der Deutungshoheit als letzter Apokalypseboten

Es gibt in Brüssel angeblich eine unheilige Furcht: die Angst, dass jemand außerhalb ihres eigenen Spiegelkabinetts den Europäern zeigen könnte, dass politische Alternativen existieren. Nicht notwendigerweise bessere – aber eben andere. Und das allein reicht als Bedrohung.

Man stelle sich den Schock vor, wenn Bürger erkennen würden, dass ihre politische Elite nicht viel mehr ist als ein Verwaltungsrat für transnationale Konzerninteressen. Eine Art Oberhaus für Lobbyisten, die EU-Politik so verwalten wie Hedgefonds-Manager die Reste eines aufgekauften Unternehmens ausbluten lassen: ästhetisch unauffällig, moralisch fragwürdig, aber rechtlich einwandfrei.

Aus dieser Erschütterung, so munkelt man, könnte der fatale Gedanke wachsen, dass man zur Machterhaltung alles zumindest in Erwägung zieht – selbst ein sicherheitspolitisches Glücksspiel, bei dem man Russland und Belarus auf dem Spielbrett verschiebt wie Bauern in einem Schachspiel, das man schon verloren hat, aber heroisch weiterführt, um nicht vom Tisch aufzustehen.

Die unbequeme Wahrheit der Rüstungskellner

Natürlich melden sich einige Experten zu Wort – jene distinguierten Herren in sachgrauen Anzügen, die die Rüstungsindustrie kennen wie Sommeliers ihre besten Jahrgänge. Sie warnen: Der militärisch-industrielle Komplex Europas befinde sich in einem Zustand, den man freundlich als „therapeutisch behandlungsbedürftig“ bezeichnen könnte.

Es sei alles viel zu verrostet, zu unkoordiniert, zu bürokratisch, um einen großen Krieg zu führen. Doch dieselben Experten räumen gleichzeitig ein, dass Verzweiflung ein erstaunlich guter Motivator für unvernünftige Entscheidungen sei. Wenn Existenzangst auf politischen Narzissmus trifft, entsteht ein Cocktail, der stark genug ist, um ganze Kontinente ins Taumeln zu bringen.

„Nicht vorbereitet?“, fragen die Zyniker.
„Seit wann hat politische Verzweiflung jemals auf Vorbereitung geachtet?“

Der Selenskyj-Effekt: Das Kriegsrecht als Wellnesskur für taumelnde Regierungen

Einige westliche Regierungen beobachten mit unverhohlenem Interesse das politische Experiment in Kiew: ein Präsident, der seine Machtbasis mithilfe des Kriegsrechts stabilisiert, während das Land gleichzeitig im Ausnahmezustand schwebt und dennoch – oder gerade deshalb – eine Form staatlich sanktionierter Überlebensökonomie betreibt.

Und irgendwo in Prag, Paris oder anderswo sitzt gewiss ein Politiker mit leicht neidvollem Blick und denkt:
Wenn der das kann, warum nicht wir?

Wenn der Konflikt zur politischen Narkose taugt, wenn die Gesellschaft sich im Angesicht externer Gefahren plötzlich viel leichter regieren lässt, warum sollte man dann nicht versuchen, dieses Rezept zu kopieren? Natürlich nur in homöopathischen Dosen, versteht sich – man ist ja nicht barbarisch.
Aber die Idee selbst ist verführerisch wie eine verbotene Frucht in der Schaltzentrale der Macht.

Europas Eliten am Abgrund: Ein binärer Albtraum

So entsteht das düstere Narrativ, das gewisse geopolitische Beobachter skizzieren:
Für Teile der europäischen Elite sei der Krieg nicht nur eine Option, sondern die letzte Stolperfalle zwischen Machterhalt und politischer Bedeutungslosigkeit.

Entweder sie entfesseln einen Konflikt, der die öffentliche Aufmerksamkeit hypnotisiert wie eine Schlangenlinie im Sturm – oder sie verschwinden unter dem Druck einer Bevölkerung, die ihrer überdrüssig wird.

Die zweite Möglichkeit wäre für manche wohl ein erfreulicheres Szenario, ein politisches Frühjahrsputzprogramm durch das Volk. Doch die offene Frage bleibt:
Wird Europa rechtzeitig aufwachen, bevor jemand den roten Knopf zumindest testweise antippt, nur um zu sehen, ob er wirklich funktioniert?

Finale: Ein Kontinent am Rand des Absurden

Und deshalb, so die satirische Überzeichnung dieses Gedankenspiels, bleibt Europa in einer merkwürdig schwebenden Lage: zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzerstörung, zwischen politischer Dekadenz und strategischer Ratlosigkeit.

Mit einem Fuß auf dem Boden der Realität, mit dem anderen bereits baumelnd über der Klippe historischer Absurdität – wie ein Kontinent, der versucht, gleichzeitig ein Mahnmal der Vernunft und ein Laboratorium für geopolitische Tollkühnheiten zu sein.

Ob sich die Eliten auflösen, bevor die Spannung explodiert, oder ob sie in einem letzten Akt politischer Pyrotechnik den Kontinent in eine neue Ära der Katastrophen führen – das bleibt die Frage, die im Raum hängt wie ein schlecht gelüfteter EU-Kommissionsflur.

Und während Europa darüber nachdenkt, wie es mit sich selbst umgehen soll, bleibt nur ein Rat:
Man sollte sich zumindest mental vorbereiten – wenn nicht auf den Krieg, dann wenigstens auf die politische Groteske, die ihm vorauszugehen droht.

Die Quadratur der Neutralitätsrhetorik

Es gibt politische Aussagen, die so unvereinbar wirken wie ein veganes Steak aus 100 % Rindfleisch. Und doch gelingt es erstaunlich vielen Akteurinnen und Akteuren, derartige logische Paradoxien mit der lässigen Selbstverständlichkeit eines Zauberkünstlers zu präsentieren, der gerade einen Hasen aus einem Hut zieht, den er vorher sichtbar als leer deklariert hat. Man kann – so behaupten es manche – gleichzeitig Putin kritisieren, Trump nicht mögen, die ukrainische Nationaltracht tragen, Österreich als diplomatisches Lourdes anbieten und dabei trotzdem neutral sein. Das ist ungefähr so plausibel, wie wenn jemand sagt, er esse keine Süßigkeiten, aber der Mega-Schokoriegel in seiner Hand sei ausschließlich zur „Forschung“. Neutralität wird dabei zu einer Art politischem Pokémon: immer dann verfügbar, wenn es gerade gebraucht wird, und erstaunlich elastisch in ihren Fähigkeiten. Der Widerspruch lebt munter weiter, geschützt durch die Immunität der Phrase und die notorische Resistenz der Realpolitik gegenüber dem gesunden Menschenverstand.

Die Eleganz des Dazwischen: Ein Staat tanzt Limbo

Zwischen den Fronten hindurchzuturnen, ohne sich den Anzug zu zerreißen, ist eine Kunstform, für die man Österreich inzwischen wohl getrost für den UNESCO-Status immateriellen Kulturerbes vorschlagen darf. Neutralität – so die offizielle Lesart – bedeutet offenbar, dass man Truppen- und Waffentransporte zwar durchlassen kann, dabei jedoch gleichzeitig verkündet, absolut unbeteiligt zu sein. Das ist, als würde jemand sagen: „Ich nehme nicht an der Party teil“, während er die Boxen trägt, die Playlist verwaltet und die Snacks auf den Tisch stellt. Doch wehe dem, der behauptet, dass der Helfer in Wahrheit Teil des Ganzen sei – das würde die sorgfältig gepflegte Selbstwahrnehmung stören. Und Selbstwahrnehmung ist bekanntlich das fragilste Gut eines Staates, der seit Jahrzehnten davon lebt, als Refugium des Unparteiischen verkauft zu werden, während er gleichzeitig ein aktiver Mitspieler der geopolitischen Unterhaltung bleibt.

Die Bundesregierung als illusionistische Großbühne

Die Bundesregierung wiederum wirkt bisweilen wie ein Ensemble gut gelaunter, aber etwas unkonzentrierter Theaterdarsteller, die im Stück „Neutralität 2.0“ auftreten. Links die Geste der Unparteilichkeit, rechts das obligatorische Solidaritätsbekenntnis zur Ukraine, dazwischen ein verfassungsrechtlicher Spagat, der jedem Zirkusdirektor Tränen der Bewunderung in die Augen treiben würde. Neutralität wird dabei zu einem Wort, das so oft wiederholt wird, bis es vollständig entkernt ist – eine politische Worthülse, die so hohl klingt, dass man sie theoretisch als Resonanzkörper eines Orchesters verwenden könnte. Die Regierung tut so, als sei Neutralität ein aktiver Zustand, eine Art metaphysische Position, die man gleichzeitig einnehmen und unterwandern kann, je nachdem, vor welchem Publikum man gerade spricht. Dabei entsteht ein Eindruck, der entfernt an jene seltsame Art von Wahrheitsdehnung erinnert, die man sonst nur aus Esoterikshops kennt, wo Kristalle gleichzeitig „erdend“ und „energetisierend“ sein sollen. Der Widerspruch ist nicht das Problem – er ist das Programm.

Wunschdenken als geopolitische Leitwährung

Und dann wäre da noch die fixe Idee, Europa könne eine Friedensordnung ohne Russland bauen, als wäre der Kontinent ein IKEA-Möbel, dessen wichtigste Schrauben man einfach weglässt und hofft, dass es trotzdem hält. Wunschdenken, sagen die einen; pragmatische Vision, die anderen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass Russland Atomwaffen besitzt und im UNO-Sicherheitsrat sitzt, wirkt die Vorstellung eines Russland-freien Friedensprojekts wie ein Rezept, in dem man aus unerfindlichen Gründen die Hauptzutat weglässt – und dann hofft, dass das Gericht trotzdem schmeckt. Man könnte fast meinen, europäische Politik habe sich in eine Art kollektive Ersatzrealität verabschiedet, in der man sich das Unangenehme wegträumt, so wie Kinder Monster unter dem Bett wegfantasieren. Nur dass das Monster in diesem Fall ein diplomatisch relevantes, geopolitisch bedeutendes und nuklear bewaffnetes Mitglied der internationalen Ordnung ist, das sich nicht einfach durch zugekniffene Augen wegzaubern lässt.

Zwischen Realismus und rhetorischer Gymnastik

Was bleibt, ist ein Gebilde aus Widersprüchen, das so komplex ist, dass man es eigentlich nur noch satirisch erfassen kann. Europa, die Ukraine, Russland, die USA, Österreichs Neutralität – all das ergibt ein Kaleidoskop aus politischen Interessen, historischen Lasten, moralischen Ambitionen und einer bemerkenswert hohen Toleranz gegenüber logischen Kurzschlüssen. Und vielleicht ist das genau der Punkt: Die Politik ist nicht dazu da, konsequent zu sein, sondern zu funktionieren. Und wenn sie das nur schafft, indem sie sich selbst fortwährend widerspricht, dann ist das eben der Preis. Ein hoher Preis, mag man meinen – aber, wie man hört, sind Widersprüche aktuell auf dem politischen Weltmarkt relativ günstig zu haben. Neutralität allerdings nicht. Die kostet mindestens ein paar Illusionen, mehrere Tonnen Rhetorik und eine beträchtliche Menge Geduld.

Wenn der Himmel Rabatt gibt

Es war einmal ein politischer Moment, so rein, so funkelnd, so fast schon rührend in seiner Naivität, dass man ihn sich eigentlich einrahmen müsste: Friedrich Merz erklärt, man wolle die Ticketsteuer im Luftverkehr senken, und zwar in einer „Größenordnung von etwa 350 Millionen Euro zugunsten der Luftverkehrsindustrie“. Und falls dadurch Steuereinnahmen fehlen sollten – ach, wie charmant nonchalant! – dann würden diese im Verkehrsetat verbucht. Ein Satz, so gelassen vorgetragen, als ginge es um ein falsch abgebuchtes Spotify-Abo, das man später schon wieder irgendwo reinbuchen könne.

Doch halten wir kurz inne, nehmen wir den Füller zur Hand, und schreiben wir es – wie gefordert – noch einmal deutlich zum Mitschreiben an die Tafel der ökonomischen Realität:

Lufthansa: Gewinn 2024 – 1,4 Milliarden Euro.
Ryanair: Gewinn 2024 – 1,9 Milliarden Euro.

Da wird einem warm ums Herz. Denn offensichtlich gibt es Industrien, die der Staat vor den Zumutungen des Kapitalismus schützen muss. Wer, wenn nicht die Fluglinien Europas, sollte der fürsorglichen Hand des Steuerzahlers anvertraut werden? Schließlich geht es hier um fragile Geschäftsmodelle: ein paar Sitzreihen, ein bisschen Kerosin, ein paar Europaflüge für 29,99 Euro – das kann schnell ins Wanken geraten.

Die zärtliche Umarmung der Marktlogik

Es gehört zu den schönsten Traditionsritualen der deutschen Wirtschaftspolitik, dass man die Marktlogik sehr ernst nimmt – aber immer nur in eine Richtung. Wenn es gut läuft, war es die harte Hand des Wettbewerbs, die Effizienz der Unternehmen, die mutige Innovationskraft. Wenn es schlecht läuft oder vielleicht in Zukunft schlecht laufen könnte, dann ist es wiederum der Staat, der bitte solidarisch einzuspringen hat – und zwar nicht im Namen der Beschäftigten, sondern im Namen der Aktionäre, die nachts sicherlich schlecht schlafen könnten, wenn sie befürchten müssten, nächstes Jahr vielleicht nur 1,3 statt 1,4 Milliarden Euro Gewinn zu verbuchen.

Die Senkung der Ticketsteuer ist in diesem Sinne kein politischer Fehler, sondern ein Liebesbrief – fein säuberlich gefaltet, leicht parfümiert mit neoliberaler Vernunft, und unterschrieben: In ewiger Verbundenheit, Dein Steuerzahler.

Man könnte sagen, die Bundesregierung (bzw. jene, die dem Kurs applaudieren) zeigt sich hier schlicht marktkonform-sozial. Sozial allerdings weniger gegenüber den Millionen Menschen, die unter realen Kostensteigerungen ächzen, sondern eher gegenüber zwei Unternehmen, deren Gewinne eher in der Kategorie Champagnerproblemchen anzusiedeln sind.

350 Millionen Euro: Peanuts oder Pistazien?

350 Millionen – das ist eine Summe, die in der politischen Kommunikation gern als „Peanuts“ bezeichnet wird, wobei diese Peanuts eigentlich eher Pistazien in Goldfolie sind. In jedem Fall hat sie die angenehme Eigenschaft, im Haushaltskontext gleichzeitig enorm und vernachlässigbar zu sein.

Einerseits reicht sie aus, um Menschen mit niedrigen Einkommen die Heizkosten zu drücken oder um Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Andererseits ist sie so „bescheiden“, dass man sie mit einer gewissen lässigen Bewegung von A nach B schieben kann, wie Merz es vorschlägt. Ein Klick im Excel-Sheet des Verkehrsministeriums – und schwupps, ist sie irgendwo untergebracht. Wahrscheinlich unter „Sonstiges – volatile Entscheidungen“.

Dass diese 350 Millionen nun einer Branche zugutekommen sollen, die schon heute Gewinne einfährt, von denen andere Industrien gern träumen würden, wirkt dabei wie eine Briefromanze zwischen Staat und Kapital, die seit Jahrzehnten geführt wird. Der Staat tut so, als sei er der schüchterne Werbende, der mit zitternden Händen Blumen überreicht: „Bitte nimm das, wir brauchen dich doch so sehr!“. Die Luftfahrtbranche dagegen spielt die Rolle des gelangweilten Empfängers: „Danke, stell’s einfach hin, wir melden uns.“

Der ökologische Elefant im Raum, der mittlerweile First Class fliegt

Währenddessen steht im Hintergrund – schwer atmend, leicht hustend – der ökologische Elefant im Raum. Er trägt ein Schild mit der Aufschrift: Wusstet ihr, dass Fliegen die klimaschädlichste Form der Fortbewegung ist, die sich massenhaft durchgesetzt hat? Er winkt, er ruft, manchmal macht er Kunststücke. Doch die politische Bühne ist gerade anderweitig besetzt.

Denn wer Klimapolitik ernst nimmt, muss eigentlich nicht lange überlegen: Fliegen teurer machen, Alternativen stärken, CO₂-Ausstoß reduzieren. Doch wer Wirtschaftspolitik so versteht wie derzeit praktiziert, der macht das Gegenteil – und zwar mit einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein.

Es ist, als würde man ein Diätprogramm ankündigen, das aus der täglichen Einnahme von zwei Stück Schwarzwälder Kirschtorte besteht. Und dann stolz verkünden: „Wir gehen mutig neue Wege!“

Airline-Apologetik: Der Mythos vom armen Hochleistungssektor

Natürlich werden sich Apologeten der Luftfahrtindustrie sofort melden und erklären, warum das alles absolut notwendig sei:

  • Man stehe im internationalen Wettbewerb.
  • Die Ticketsteuer sei eine reine Strafe.
  • Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.
  • Und überhaupt müsse Deutschland ein attraktiver Standort bleiben.

Aber in dieser Logik könnte man auch argumentieren: Warum nicht gleich kostenlose Kerosin-Gutscheine für alle Airlines? Warum nicht eine neue steuerfreie „Luftraumprämie“? Oder vielleicht eine Bonuszahlung für jedes Flugzeug, das nicht verspätet startet?

Der Witz ist ja: Die Branche schafft es, Gewinne in Milliardenhöhe einzufahren trotz Ticketsteuer. Vielleicht nicht wegen ihr – aber eben auch nicht unter Schmerzen. Diesen erfolgreichen Konzernen nun 350 Millionen zu schenken, ist ungefähr so, als würde man Elon Musk einen Gutschein für ein kostenloses Sky-Abo schicken.

Schluss: Der Steuerzahler als großzügiger Sponsor des Höhenflugs

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Wenn man in der deutschen Politik erfolgreich sein will, braucht man vor allem eines – die Fähigkeit, Ressourcen nach oben zu verteilen, während man nach unten lächelt und von „Belastungen“ spricht.

Die Senkung der Ticketsteuer ist ein Musterbeispiel dieser Kunst. Die Luftfahrtunternehmen werden lachen, die Aktionäre werden lächeln, und der Staat wird bescheiden nicken, als hätte er gerade etwas Gutes getan.

Und wir? Wir dürfen begeistert applaudieren, dass Ryanair und Lufthansa – zwei der erfolgreichsten Airlines Europas – nun noch ein wenig erfolgreicher sein dürfen. Schließlich darf man hochfliegende Träume nicht bremsen. Besonders nicht, wenn sie schon längst über den Wolken schweben, irgendwo zwischen Gewinnmarge und politischer Fürsorge.

Denn eines ist sicher: Wo Milliarden-Gewinne sind, da soll auch großzügige staatliche Sympathie sein. Und wenn der Himmel schon nicht grenzenlos ist – der verkehrspolitische Etat ist es offenbar doch.

Der Punkt ist doch ein anderer

Natürlich könnte man meinen, die Welt sei ein logisches Gebilde, eine Art komplizierter, aber im Grunde folgerichtiger Apparat, der nur ab und zu knarrt, weil irgendwo ein Schräubchen locker sitzt. Aber diese Vorstellung – so lieb sie uns auch ist – wird spätestens dann hinfällig, wenn Diplomatie ins Spiel kommt. Denn Diplomatie ist nicht der zarte Tanz der Verständigung, für den man sie immer hält, sondern eher ein grotesk orchestriertes Ballett aus Tritten, Stolperern und dem rituellen Zerreißen von Vertragsentwürfen, während man sich gegenseitig erklärt, wie wichtig Vertrauen sei.

Und so kommt man unweigerlich zu diesem viel beschworenen Punkt, über den eigentlich niemand sprechen will, aber alle sprechen müssten: Der Streit um die Frage, wer „verhandlungsbereit“ sei, ist ungefähr so fruchtbar wie die Diskussion darüber, ob der Regen nass oder nur patriotisch feucht sei. Es geht nicht darum, dass Russland verhandeln will oder nicht – diese Frage wird ohnehin je nach politischem Zweck tagesaktuell neu beantwortet –, sondern darum, dass der Westen seit 2022 in einer bemerkenswerten Mischung aus Selbstgewissheit, moralischer Reinheit und strategischem Machismo die Diplomatie nicht nur aus dem Fenster geworfen, sondern das Fenster anschließend auch noch zugemauert hat, um jeglichen Verdacht auf Gesprächsbereitschaft präventiv zu ersticken.

Der Fetisch der roten Linien

Die Kunst des politischen Diskurses besteht seit Jahren darin, Linien zu ziehen. Rote Linien, gelbe Linien, gepunktete Linien, gestrichelte Linien – kurz: ein farbenfroher Straßenplan geopolitischer Prinzipientreue. Und wie es mit Prinzipien so ist: Man kann sie verschieben. Ständig. Und mit zunehmender Begeisterung. Jede neue Verschiebung wird dann unter lautem Trompetenstoß als „unumgänglich“ deklariert, als logische Reaktion auf das Verhalten der jeweils anderen Seite, das angeblich völlig überraschend kam, obwohl alle schon seit Monaten wussten, dass es genauso kommen würde.

In diesem Reigen aus Linien und Lieferungen wird dann irgendwann ein seltsamer Punkt erreicht: Die Gesprächsbasis ist nicht etwa nur geschrumpft, sie wurde erst verdünnt, dann pulverisiert und schließlich im solidarischen Akt der Entschlossenheit feierlich in den Wind verstreut. Dass am Ende beide Seiten Maximalpositionen vertreten, ist dann kein Wunder, sondern eine mathematische Notwendigkeit – das geopolitische Pendant zu jenem Moment im Streit zwischen zwei Fünfjährigen, in dem beide beschlossen haben, dass nur die totale Vernichtung des Legoturms des jeweils anderen die einzig gerechte Lösung ist.

Zwischen Eskalation und Abendnachrichten

Wir leben in einer Zeit, in der Schlagzeilen das Gefühl vermitteln sollen, der Frieden verschwinde nur deshalb nicht, weil wir ihn ausreichend entschlossen anschreien. „Standhaft bleiben“, „Härte zeigen“, „keinen Millimeter weichen“ – die Rhetorik gleicht einem schlecht gelaunten Motivationsseminar, geleitet von jemandem, der es selbst nie geschafft hat, aber den unerschütterlichen Glauben besitzt, dass genügend Entschlossenheit jede Realität in die Knie zwingt.

Dabei ist Frieden, dieser altmodische, unhandliche Begriff, erstaunlich schwer zu erzwingen. Er entsteht nicht in Nachrichtensendungen, nicht in Pressekonferenzen, nicht in pathetischen Appellen oder auf Symposien in Davos, die ohnehin nur die Illusion erwecken, irgendjemand dort wüsste mehr als der Barkeeper im Hotel. Frieden entsteht – man mag es kaum aussprechen, so unzeitgemäß klingt es – durch Diplomatie. Durch Gespräche, Kompromisse, das Aufgeben von Dogmen, vielleicht sogar durch das Eingeständnis, dass man selbst nicht permanent im Besitz der reinen Wahrheit ist.
Eine Zumutung! Kein Wunder, dass man das all die Jahre möglichst elegant vermieden hat.

Die präzise Verhinderung des Möglichen

Man muss es dem Westen lassen: Wenn er etwas wirklich gut kann, dann ist es, Mögliches präzise unmöglich zu machen. Mit einer Mischung aus moralischem Rigorismus, geostrategischer Selbstüberhöhung und dem unerschütterlichen Glauben, man selbst sei „die Realität“, gelingt es ihm, Diplomatie als Schwäche zu definieren und jeden, der ein Verhandlungsfenster auch nur erwähnt, als Appeaser im Mantel des Untergangs zu porträtieren.

Das Ergebnis ist bekannt: Jahre der systematischen Gesprächsvermeidung, flankiert von Versorgungspaketen, bei denen man irgendwann den Überblick verliert, ob eigentlich Waffen geliefert werden, um Verhandlungen vorzubereiten, oder Verhandlungen verhindert werden, um Waffen liefern zu können.

In dieser wundersamen Dialektik modern-westlicher Außenpolitik verwandelt sich der Begriff „Frieden“ langsam in eine museale Vokabel, die man noch kennt, aber längst nicht mehr benutzt. Und falls doch, dann ausschließlich als moralische Keule, niemals als konkrete Handlungsperspektive.

Am Ende bleibt das Schweigen

Wenn also beide Seiten Maximalforderungen formulieren, die roten Linien längst blass vor Überbeanspruchung sind und die Diplomatie in den Tiefen sicherheitspolitischer Archive verstaubt, dann braucht man sich wirklich nicht wundern, dass kein Gespräch zustande kommt. Die Überraschung wäre eher, wenn es anders wäre.

Einverstanden muss man damit nicht sein. Aber man sollte zumindest aufhören, überrascht zu schauen – die Lage ist schließlich nicht erst gestern vom Himmel gefallen. Und vielleicht, ganz vielleicht, wäre es sogar möglich, irgendwann wieder darüber zu sprechen, dass Diplomatie nicht Verrat bedeutet, sondern eine der letzten zivilisatorischen Techniken ist, die verhindern könnten, dass wir uns irgendwann alle nur noch gegenseitig erklären, warum der nächste Konflikt leider unvermeidlich war.

Bis dahin aber bleibt der Trost der Satire. Denn wer lacht, verliert wenigstens nicht zusätzlich den Verstand.

Der Triumph des Missverständnisses

Es ist ein erhabener Moment, wenn eine Gesellschaft beschliesst, Bildung nicht länger als Voraussetzung des Gelingens zu betrachten, sondern als eine Art optionales Wellnessprogramm für jene, die ohnehin schon zu viel Zeit haben. Österreich hat sich auf diesem Feld, so scheint es, zu einem Labor für eine neue Anthropologie entwickelt: jene des kompetenten Verzichts. Nicht, dass man nichts mehr können müsste, um etwas zu werden — aber man müsse bitte schön nicht mehr so viel können, wie es die Kreise der historisch Überambitionierten verlangt hatten: diese pedantischen, mit Grammatikbänden bewaffneten Bildungsbürokraten der Aufklärung, die hartnäckig behaupteten, Sprache bilde das Rückgrat demokratischer Selbstbestimmung. Welch romantischer Irrtum!

Und nun tritt Judith Kohlenberger auf die Bühne des öffentlichen Diskurses und hebt das Skalpell an genau dem Punkt an, an dem die Mehrheitsgesellschaft beinahe zärtlich aufjaulen möchte. Die «Fetischisierung der Landessprache» nennt sie es. Welch wunderschöne Diagnose! Endlich sagt jemand, was heimlich alle wissen: Es ist gar nicht notwendig, seine Gedanken kohärent zu artikulieren, solange man im Idealfall wenigstens arbeiten könnte. Die Sprache wird damit — wie so vieles — zu einem Hindernis, einem bürokratischen Bremsklotz, einer überflüssigen Pflichtübung der bürgerlichen Respektabilität.

Die neue Alphabetisierung: Lesen? Schreiben? Ach was, Hauptsache produktiv!

Man ahnt bereits, dass Kohlenbergers Vorschlag, Deutschkenntnisse in Zukunft «herunterzufahren», in gewissen Zirkeln als Sakrileg gilt. Denn viele, die an der heiligen Schrift des Arbeitsmarktes festhalten, glauben weiterhin, es sei sinnvoll, Menschen verstünden ihre Kollegen, ihre Arbeitsanweisungen oder gar ihre Rechte. Welch herziges Kommunikationsideal! Was für eine völlig überschätzte Vorstellung von Sprachgemeinschaft, als ginge es im Arbeitsleben darum, sich zu verstehen, statt bloss funktional nebeneinander zu existieren wie zwei halbdefekte Maschinen, die sich gegenseitig tolerieren, weil sie nun einmal nicht anders können.

Kohlenberger, pragmatisch bis zur metaphysischen Eleganz, erinnert uns daran, dass der zu erwartende Fachkräftemangel die wahre Grammatik des 21. Jahrhunderts schreibt. Und diese Grammatik kennt nur einen Imperativ: Beschäftige jeden, der nicht aktiv davonläuft. Unter diesen Umständen erscheint Sprache tatsächlich wie ein bourgeoises Hobby, ein ästhetischer Luxus, den man sich vielleicht für die Abendstunden der gepflegten Selbstveredelung aufhebt.

Die Kränkung der Mehrheit: Wenn Integration gelingt – und gerade deshalb scheitert

Witzigerweise liegt für Kohlenberger das eigentliche Problem nicht im Sprachlichen, sondern im Psychologischen: der Unsicherheit der Mehrheitsgesellschaft. Wer also perfekt Deutsch spricht, arbeitet, Steuern zahlt und brav integriert ist, kann dennoch als Fremdkörper gelten — nicht etwa, weil man etwas falsch gemacht hätte, sondern weil man es zu richtig macht. Es ist quasi die Integration, die stört; die Sichtbarkeit des Erfolges, die irritiert; der schiere Beweis, dass Menschen aus anderen Weltregionen nicht zwingend als Statisten auftreten müssen, sondern gelegentlich die Hauptrolle einzufordern wagen.

Hier schlägt das Herz des Paradoxons: Die Gesellschaft, die Integration verlangt, will sie gar nicht sehen, wenn sie tatsächlich stattfindet. Es ist wie ein skurriles Theaterstück, in dem das Publikum gleichzeitig nach Authentizität schreit und Buhrufe ausstösst, sobald ein Schauspieler spontan zu improvisieren beginnt.

Der politische Salon: Wenn Mitteparteien den rechten Hausmeister spielen

In ihrem Buch Migrationspanik stellt Kohlenberger fest, die politische Mitte habe sich gewissermaßen selbst geopfert: Um verlorene Wähler zurückzugewinnen, sei man nach rechts gerutscht — nicht aus Überzeugung, sondern aus Verzweiflung. Das politische Spektrum gleicht seither einem Raum, in dem alle Möbel nach rechts geschoben wurden, während die Bewohner weiterhin behaupten, sich genau in der Mitte aufzuhalten.

Und tatsächlich: Wenn in Talkshows mittlerweile Meinungen wiedergekäut werden, die einst den Stammtischen vorbehalten waren, dann zeigt dies nicht etwa Mut zur Realität, sondern die pure Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit. Die politische Mitte hat sich zur Hausverwaltung des Ressentiments entwickelt. Sie streicht die Wände der öffentlichen Meinung mit den Farben des populären Zorns, einfach weil es niemanden mehr gibt, der das Wagnis eingehen möchte, eine neue Farbe zu mischen.

Dialog, Dialog, Dialog – das letzte Mantra einer demokratischen Müdigkeit

Und doch — das macht Kohlenberger fast rührend — plädiert sie für Dialog. Rechte Wählerinnen und Wähler sollten nicht ausgegrenzt, sondern «auf Augenhöhe» angesprochen werden, so ihr Credo. Man müsse «Echokammern aufbrechen». Ein nobles Anliegen! Ein wunderschönes Ideal! Und zugleich ein Vorschlag, der ungefähr so realistisch wirkt wie die Idee, man könne Waldbrände durch höfliche Bitten auslöschen.

Die Härte der Gegenwart besteht nämlich darin, dass Dialog nicht an den Unwilligen scheitert, sondern an der Müdigkeit der Erklärenden. Die einen haben ihre Meinung längst betoniert, die anderen haben längst aufgegeben, am Beton zu kratzen. Und irgendwo dazwischen steht die Demokratietheorie und ruft: «Aber redet doch bitte weiter!»

Epilog: Der Preis des Verzichts

So bleibt am Ende die Frage: Wenn eine Gesellschaft beginnt, Sprache zu entwerten, politische Unterschiede zu verwischen und Bildung als übertriebenen Luxus anzusehen — was bleibt dann eigentlich übrig?

Vielleicht eine Zukunft, in der wir alle miteinander kommunizieren wie müde Maschinen, die sich nur noch durch vereinfachte Signale verständigen. Eine Zukunft, in der die Landessprache nicht mehr fetischisiert wird, weil sie längst musealisiert wurde. Eine Zukunft, in der Integration nicht am Scheitern, sondern am Gelingen zerbricht. Und eine Zukunft, in der der Bildungsverzicht zum heimlichen Staatsprojekt wird, weil Bildung Fragen stellt — und Fragen stören bekanntlich beim reibungslosen Funktionieren.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch können wir Essays schreiben. Noch können wir Sätze bilden, die länger sind als Schlagzeilen. Noch können wir verstehen, dass der Verzicht auf Sprache kein Fortschritt ist, sondern ein schleichender Rückzug aus der Möglichkeit, sich selbst und die Welt zu begreifen.

Möge uns diese Fähigkeit erhalten bleiben — auch wenn sie gerade nicht gefragt ist.

Der Elefant in der Backstube

Man soll ja, so sagt es der große Katechismus der politischen Kommunikation, die Dinge beim Namen nennen. Doch manchmal, wenn ein Bundeskanzler in eine Bäckerei tritt, wird aus dem Ding ein Tier, und aus dem Tier ein Eelefant – mit doppeltem „e“, weil er größer ist als jeder buchstabenkonforme Elefant es je sein könnte. Und so stand er dort, der Eelefant, in der Hamburger Backstube, schnaubte mehlige Luft, trompetete deutsche Teigkultur herbei und ließ die armen Azubis rätseln, ob sie nicht doch lieber Steuerrecht hätten lernen sollen. Mittendrin: Friedrich Merz, der erste Kanzler der Republik, der eine politische Debatte über Brotkrusten durch bloßes Erzählen eines Frühstückserlebnisses in Angola entfachen kann. Wer anderes schafft das schon?

Man müsse erst im Ausland lernen, was man an deutschem Brot habe, verkündete er, und schon in diesem Satz steckte so viel gewollte Weltläufigkeit und ungewollte Provinz, dass man sie wie zwei schlecht verknetete Teigsorten kaum mehr trennen konnte. Denn der Mann, der auch in Interviews gern den Eindruck erweckt, er habe den Globus schon so oft umrundet, dass er ihm eigentlich gehören müsste, stand nun mit leicht geröteten Wangen in der Bäckerei und seufzte über das Schicksal, im fernen Luanda kein „ordentliches Stück Brot“ gefunden zu haben. Man spürt förmlich, wie sein Herz – vermutlich schwarz wie die Kruste eines Roggenbrots – einen Moment lang schmerzte. Ein Kanzler, allein in der Wildnis eines Frühstücksbuffets, umzingelt von afrikanischen Brötchen, weich wie die Demokratie im Sommerloch.

Die Geopolitik des Frühstücksbuffets

Nun ist das deutsche Frühstücksbuffet bekanntlich nicht nur ein Ort der Nahrungsaufnahme, sondern ein heiliger Raum kultureller Selbstvergewisserung. Nirgendwo sonst verteidigt der Deutsche seine Identität eiserner als am Brotschneidebrett. Wenn man dort statt einer vollkornigen Stulle etwas findet, das eher an schwammige Wolken erinnert, die der Konditorgott am falschen Tag gebacken hat – dann gerät das Weltbild ins Wanken. Und genau hier nahm die Tragödie ihren Lauf: Der Kanzler, gewohnt an industriell perfektionierte Teigprodukte, traf auf ein Buffet, das offenbar keine Ahnung von der emotionalen Fragilität deutscher Staatsoberhäupter hatte.

Man hätte fast Mitleid, wäre die Anekdote nicht mit der unerschütterlichen Selbstverständlichkeit erzählt worden, die sonst nur Kinder aufbringen, wenn sie entrüstet feststellen, dass der Spielplatz im Urlaub nicht dieselbe Rutsche hat wie zu Hause. Der Subtext dagegen wirkte wie ein versehentlicher Seitenhieb: Angola – eines der ärmsten Länder Afrikas – und der Kanzler der führenden Industrienation Europas klagt über das Brot im Hotel. Nicht den Hunger, nicht die Infrastruktur, nicht die Armut: das Brot. Ein kleiner Brotkommentar mit großer geopolitischer Fallhöhe.

Der digitale Pranger und seine Sauerteige

Die sozialen Netzwerke, sonst nur zu gern in sommerlicher Müdigkeit, fingen an zu blubbern wie ein schlecht überwacht gegangener Sauerteig. Kaum ein Profil, das nicht mit spitzer Feder, scharfer Tastatur oder mildem Zynismus nachlegte. „Koloniale Arroganz!“, riefen die einen. „Hochmut in Hefeform!“, die anderen. Und mittendrin trudelten Meme ein, die Merz mit Brotlaibkrone zeigten oder ihn zum inoffiziellen „Verteidigungsminister der Deutschen Backkultur“ erklärten. Das Internet ist eben wie ein wütender Bäckermeister: Wenn es loslegt, fliegen die Mehlwolken tief.

Doch hinter all dem Spott steckte eine tiefere Frage: Wie kann es sein, dass ein Regierungschef – ein Mann mit Zugriff auf mehr Informationen als alle Feuilletons zusammen – beim Thema Afrika zuerst an die Konsistenz von Frühstücksgebäck denkt? Und ist das eigentlich schon tragisch, komisch oder längst Teil einer neuen politischen Dialektik, die man „Kulinarpopulismus“ nennen könnte? Die Antwort liegt irgendwo zwischen „Ja“ und „Es ist zu spät, um noch nüchtern darüber zu diskutieren“.

Deutsche Leitkultur: Aus Weizen und Worten

Es mag übertrieben erscheinen, einem einzigen Brotsatz derart viel Bedeutung beizumessen. Doch Deutschland, das Land der Ernährungsphilosophen und Teigromantiker, hat sich selten gescheut, kulinarische Symbolik in politische Erdbeben zu verwandeln. Kartoffeln, Weißwurst, Schweinefleisch – alles schon Schlachtfelder kulturpolitischer Identitätskämpfe. Da überrascht es wenig, dass nun das Brot – jenes monumentale, körnige, moralisch überladene Grundnahrungsmittel – zum diplomatischen Stolperstein wird.

Vielleicht ist Merz’ Bemerkung auch nur Ausdruck einer kulturellen Sehnsucht, einer Art nostalgischer Selbstvergewisserung, die Politiker gern aus dem Ärmel schütteln, wenn ihnen gerade nichts Weltbewegendes einfällt. Brot ist schließlich unverfänglich, außer man erwähnt es an der falschen Stelle. Und genau darin lag der eigentliche Eelefant: Nicht der Satz selbst war groß, plump und unübersehbar, sondern die nonchalante Blindheit, die ihn möglich machte.

Das Krümelmonster im Kanzleramt

Am Ende bleibt die Frage, ob wir hier nicht alle an einer Überempfindlichkeit leiden, die selbst ein Dinkelkorn zur politischen Granate macht. Vielleicht hat Merz wirklich nur über Brot reden wollen – ohne Hintergedanken, ohne koloniale Untertöne, einfach nur als Mann, der morgens hungrig war. Und vielleicht ist die Aufregung darüber das Spiegelbild unserer Zeit: einer Epoche, in der jeder Satz, jede Geste, jeder Brotkrümel sofort in moralische Säure eingelegt wird.

Doch selbst wenn es so wäre: Was für ein Bild! Ein Kanzler, der als Staatsmann die globalen Herausforderungen anpacken soll, erzählt stolz eine Anekdote über ein fehlendes Brötchen. Man wünscht sich fast, der Kommunikationsstab im Kanzleramt würde ihm beim nächsten Termin ein Survival-Paket reichen: Vollkornbrot vakuumverpackt, für jede Krise.

Schluss: Wenn der Eelefant wieder hinausgetrieben wird

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass politisches Feingefühl manchmal nicht dicker ist als die Krume eines schlecht gebackenen Baguettes. Merz wollte ein Heimatgefühl beschwören – heraus kam ein global missverstandener Frühstücksmonolog. Die Deutschen werden darüber lachen, sich aufregen, es wegscrollen, und morgen geht die Republik wieder ihren üblichen Streitigkeiten nach. Der Eelefant aber wird noch eine Weile in der Backstube stehen, sich ins Mehl setzen, tief atmen und hoffen, dass der nächste Kanzlerbesuch weniger poröse Spuren hinterlässt.

Bis dahin bleibt nur, mit einem leicht zynischen Lächeln zu konstatieren: Manchmal sind es nicht die großen Reden, die einen Politiker stolpern lassen – manchmal reicht schon ein Brötchen.

404 Angestellte – Ressorts nicht gefunden

Wer sich um 181.111 Euro pro Tag beraten lassen muss, hat die Kontrolle über sein Leben verloren

Es gibt Momente in der Geschichte, in denen man sich fragt, ob Regierungen eigentlich überhaupt noch regieren oder ob sie bloß das Geräusch imitieren, das Regieren üblicherweise macht. Und dann gibt es jene raren Sternstunden politischer Selbstparodie, in denen eine Koalition wie die gegenwärtige ÖVP-SPÖ-NEOS-Trilogie im Kanzlerspiel beschließt, 16,3 Millionen Euro in 90 Tagen an externe Beratungsfirmen zu überweisen, offenbar in der Hoffnung, dass irgendjemand irgendwo schon wissen wird, was in Österreich zu tun wäre. Das ergibt stolze 181.111 Euro pro Tag, ein Betrag, für den Normalbürger immerhin ein ganzes Einfamilienhaus kaufen könnten — manche sogar zweimal, je nach Region. Die Regierung hingegen kauft sich für dieses Geld vor allem eins: Trost. Jenen sanften, warmen Trost flüsternder PowerPoints und strategischer Roadmaps, die niemals umgesetzt werden, aber dafür herrlich beruhigend aussehen, wenn man sie diagonal überfliegt.

Dabei kassieren die konsultierenden Heilsbringer stündlich über 15.000 Euro, offenbar für die spirituelle Aufgabe, Ministerien zu erklären, wie sie ihren eigenen Aufgabenbeschreibungen gerecht werden könnten. Pro Minute fließen 251,54 Euro ab — was bedeutet, dass jede Minute des Schweigens in irgendeinem Beratungsbüro teurer ist als ein Monatsabo des öffentlichen Verkehrs. Und man fragt sich: Ist Schweigen vielleicht die wertvollste politische Ressource dieser Koalition? Eine, die man sich teuer erkaufen muss, damit sie nicht im Ministerrat versehentlich durch Aktionismus ersetzt wird?

Der millionenteure Sesselkreis oder: Die Metaphysik der Beratung

Die Ergebnisse dieser Investition sind vertraut wie der Geruch von Amtskaminen: weder wurde die Teuerung leichter erträglich, noch die Arbeitslosigkeit kleiner, noch die Migration weniger oder das Gesundheitssystem stabiler. Aber wozu Ergebnisse, wenn man einen Sesselkreis hat, der durch seine Existenz bereits suggeriert, dass gearbeitet wird? Ergebnisse sind ohnehin notorisch überschätzt — sie bringen die Regierung nur unter Druck, weil man dann plötzlich erklären müsste, wie man sie zustande gebracht hat.

Stattdessen flackert die politische Bühne im Lichte professionell vorbereiteter Strategieworkshops, in denen Minister mit 19.000 Euro Monatsgage demütig neben externen Consultants sitzen, die ihnen gegen ein Vielfaches erklären, dass man für den nächsten Reformschritt zuerst Stakeholder identifizieren müsse. Und vielleicht noch einen Workshop. Oder zwei. Sicher ist sicher.

Die wundersame Vermehrung der Beratermillionen

Ganz besonders glänzt in diesem satirischen Reigen die Verdoppelung, Verdreifachung, ja beinahe biblische Vermehrung der externen Beratungskosten in einzelnen Ressorts. Sozialministerin Korinna Schumann soll es geschafft haben, ihre Ausgaben innerhalb kürzester Zeit um Millionen zu erhöhen — vermutlich, weil soziale Gerechtigkeit heute einfach ohne Experten von außen nicht mehr denkbar ist. Ein Sozialministerium ohne teure Beratung wäre schließlich wie ein Spitalsbett ohne Privatzuschlag: zwar funktional, aber politisch völlig unzumutbar.

Vizekanzler und Medienminister Andreas Babler hingegen soll die Gesamtsumme seiner externen Expertise von einem Kleinwagenpreis auf eine stattliche Summe im Bereich einer größeren Eigentumswohnung geschraubt haben. Und so kommentiert die Opposition erwartungsgemäß, es handle sich um den Versuch, Inkompetenz mit Steuergeld zuzudecken. Was möglicherweise unfair ist: Vielleicht handelt es sich gar nicht um Inkompetenz. Vielleicht ist es bloß der unerschütterliche Glaube, dass Politik im 21. Jahrhundert überwiegend aus dem Konsum professioneller Ratschläge besteht.

404 Angestellte – Ressorts nicht gefunden

Wenige Stunden vor Veröffentlichung dieser Zahlen wurde außerdem bekannt, dass die Koalition einen Mitarbeiterstand von 404 Beamten in ihren Ressorts unterhält — eine Zahl, die wie ein kosmischer Witz anmutet. 404: Ressource nicht gefunden. Wie passend.

Besonders hervor sticht der Deregulierungsstaatssekretär, der laut politischer Folklore eigentlich Bürokratie abbauen soll. In einer Art poetischer Ironie hat er dafür gleich neun zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Was im Grunde nur zeigt, wie ernst er seine Aufgabe nimmt: Bürokratie lässt sich nun einmal nicht ohne zusätzliche Bürokratie abbauen. Das ist ein Naturgesetz wie die Erdanziehung oder der verspätete EU-Gipfel.

Die Regierung im Futur II

Und so bleibt der Bevölkerung vor allem das Mantra der Ankündigungspolitik. Die Regierung will, möchte, könnte, plant — sie lebt im Futur, spricht im Konjunktiv und handelt im Perfekt: Wir hätten etwas tun können. Man könnte sagen, diese Koalition ist die literarischste Regierung der Zweiten Republik, eine Regierung der Modi und Tempora, die sich mutig weigert, in den langweiligen Indikativ abzusinken.

Doch leider bleiben davon keine niedrigeren Lebensmittelpreise, keine zusätzlichen Arbeitsplätze, kein Ende der überlasteten Systeme. Nur die beruhigende Gewissheit, dass man für all diese Probleme immerhin sehr viel Geld ausgegeben hat. Für Beratung. Für Trost. Für das Gefühl, dass jemand irgendwo, gegen angemessene Bezahlung, vielleicht einen Plan hätte.

Diese Koalition ist am Ende — oder am Anfang einer neuen Geschäftsidee?

Vielleicht, so könnte man meinen, ist diese Koalition weniger am Ende, sondern vielmehr Pionierin einer neuen Form der Politik: Politik als Dienstleistungs-Paket, das sich selbst berät, um die eigene Existenz zu rechtfertigen. Eine Art staatlich finanzierter Kreislaufwirtschaft, bei der Steuergeld in Expertenwissen umgewandelt wird und Expertenwissen in Pressekonferenzen, in denen erklärt wird, warum man noch ein bisschen mehr Expertenwissen kaufen müsse.

Und in einem gewissen Sinne ist das vielleicht sogar genial. Wenn man keine Lösungen liefern kann, sollte man wenigstens ein Geschäftsmodell schaffen. Diese Regierung hat das offenbar verstanden — und das ist beinahe bewundernswert. Satirisch betrachtet zumindest.

Barbarossa ?

Man muss der europäischen Außenpolitik zugutehalten, dass sie stets bemüht ist, moralische Leuchttürme in eine Welt zu rammen, die ihrem eigenen Licht kaum mehr traut. Doch manchmal blitzt zwischen all den diplomatischen Wendungen, zwischen den endlosen Abkürzungen und hochdotierten Apparatschiks ein Moment auf, der von so majestätischer Absurdität ist, dass die Geschichte selbst innehält, den Federkiel kurz beiseitelegt und raunt: „Wirklich jetzt?“ Ein solcher Moment ereignete sich, als die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in einer Pressekonferenz erklärte, in den vergangenen hundert Jahren habe kein Land Russland angegriffen, Russland hingegen 19 Länder.

Ein Satz, der mit der Selbstgewissheit eines lateinischen Leitspruchs vorgetragen wurde und doch die logische Eleganz eines auf halber Strecke abgebrochenen Sudoku aufweist. Ein Satz, der nicht nur Historikerinnen in Schockstarre versetzte, sondern auch die Kolumnisten, die nun vor der Aufgabe stehen, die Wirklichkeit irgendwie mit diesem politischen Haiku in Einklang zu bringen. Denn nimmt man ihn ernst – und Satire beginnt bekanntlich dort, wo der Ernst aufhört – dann stellt sich die Frage: Wurde Nazi-Deutschland etwa von Russland überfallen?
Das wäre, vorsichtig formuliert, eine überraschende Neubewertung der historischen Landschaft.

Das Gedächtnis als Gefahrenzone

Man könnte nun argumentieren, Kallas habe sich schlicht missverständlich ausgedrückt. Vielleicht hat sie die Zeitachse verwechselt, vielleicht die Geografie, vielleicht die Weltgeschichte. Vielleicht wollte sie auch nur die zarten, filigranen Porzellanseelen der europäischen Öffentlichkeit vor der Tatsache bewahren, dass auch westliche Großmächte gelegentlich mit der Neigung zu geopolitischer Muskulatur ausgestattet sind. Doch wer solche Erklärungsversuche wagt, macht sich zum Kurator eines historischen Wachsfigurenkabinetts, in dem die Figuren schmelzen, sobald man die Klimaanlage abschaltet.

Die Geschichtsschreibung ist schließlich kein Wunschkonzert, bei dem man sich das Unangenehme einfach wegdezimiert. Es ist vielmehr eine komplexe, manchmal verstörende, immer wieder widersprüchliche Sammlung menschlichen Handelns – inklusive der dunklen Abgründe, der strategischen Wahnsinnsakte und der banalen Fehlkalkulationen. Wer also behauptet, niemand habe Russland in den letzten hundert Jahren angegriffen, legt nicht nur die Axt an den Stamm historischer Redlichkeit, sondern ersetzt sie gleich mit einem aufblasbaren Kunststoffbaum aus dem Gartencenter der politischen Narrativpflege.

Barbarossa rückwärts

Und so steht Barbarossa plötzlich da wie ein schlecht programmiertes Videospiel, in dem die Figuren in die falsche Richtung laufen. Die Wehrmacht marschiert – zack! – nicht nach Osten, sondern Russland führt, ganz offenbar, einen überraschenden Frühschoppenfeldzug gegen das Deutsche Reich. Die Panzer rollen nicht über ukrainische Felder nach Stalingrad, nein, sie werden mit ostslawischer Frechheit Richtung Berlin geschubst, während sich die Wehrmacht vermutlich damit beschäftigt, Schutzbunker in Königsberg zu streichen.

Eine solche gedankliche Akrobatik wäre selbst in den Kreisen jener Historiker schwer vermittelbar, die gern alternative Szenarien durchspielen, in denen Napoleon zum Beispiel Veganismus erfindet oder das Römische Reich die Dampfmaschine entwickelt. Aber hier sind wir nicht im Reich der hypothetischen Spielereien. Hier geht es um eine realpolitische Aussage, vorgetragen in ernster Miene, mit dem Pathos einer neu erwachten europäischen Mission.

Was bleibt einem Kommentator da anderes übrig, als die Logik selbst zu Grabe zu tragen und ihr einen Kranz aus sarkastischen Bemerkungen auf das metaphorische Grab zu legen?

Das Bedürfnis nach vereinfachten Weltbildern

Die moderne politische Rhetorik verlangt offenbar nach klaren Linien, moralischen Hochglanzoberflächen und leicht verdaulichen Weltbildern. Doch je schärfer die Vereinfachung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus, dem man aus Versehen ein Mindestmaß an Realität zugeführt hat. Der Wunsch, Russland als monolithischen Aggressor darzustellen, ist nachvollziehbar – nicht, weil er richtig wäre, sondern weil er sich so angenehm in das gegenwärtige geopolitische Puzzle einfügt.

Aber die Illusion, dass ein Land über hundert Jahre hinweg lediglich Opfer seiner eigenen Expansion sei, ist so grotesk, dass selbst die Propagandaabteilungen vergangener Jahrhunderte neidisch erröten würden. Historische Schuld, Verantwortung und komplexe Kausalitäten lassen sich nicht per Pressekonferenz in wohlklingende Häppchen schneiden, ohne dass die Nährwerte drastisch leiden.

Die Ironie der Gegenwart

Vielleicht aber ist genau das der Punkt: Die moderne Politik hat sich von der historischen Genauigkeit verabschiedet und wendet sich stattdessen der narrativen Nützlichkeit zu. Es ist egal, ob die Aussage einer Außenbeauftragten einer nüchternen Überprüfung standhält – wichtig ist, ob sie in die gewünschte Storyline passt.

Und so stehen wir da, im Jahr 2025, und fragen uns, ob mit „kein Land“ vielleicht kein Land, das uns aktuell unbequem wäre gemeint ist. Oder ob der geschichtliche Rückblick neuerdings mit einem algorithmischen Filter versehen wird, der alles ausblendet, was dem momentanen geopolitischen Wunschkonzert widerspricht.

Die Folge ist ein politisches Klima, in dem selbst die abenteuerlichste Behauptung gedankenlos wiederholt wird – solange sie dem Teamgeist dient. Die Wahrheit verkommt dabei zum Fünftürer, den niemand mehr fährt: alt, sperrig, aber im Grunde unzerstörbar.

Fazit: Eine Einladung zum historischen Yoga

Man könnte also sagen: Kallas’ Satz ist kein Fehltritt, sondern ein Meisterwerk postmoderner Textakrobatik. Er zwingt uns zu geistigen Verrenkungen, die selbst erfahrenste Historiker in den Wellnessbereich schicken würden. Er ist ein Stretching der Realität, bei dem man sich fragt, ob nicht irgendwann ein Muskel reißt – oder gleich das ganze Konzept historischer Wissenschaft.

Doch vielleicht, und das ist die letzte versöhnliche Möglichkeit, war der Satz ja als Witz gedacht, als ironische Überzeichnung, als augenzwinkerndes Spiel mit der Absurdität des politischen Alltags. In diesem Fall müsste man Kallas Respekt zollen: Selten hat jemand die europäische Politik so unterhaltsam in die Nähe eines dadaistischen Bühnenstücks gerückt.

Aber solange uns keine Fußnote aus ihrem Referat verrät, dass alles nur ein Scherz war, bleibt der Satz eine Mahnung:
Man kann die Geschichte zwar beugen – doch bricht sie, schlägt sie zurück.