
Wladimir Wladimirowitsch Putin stürzt. Nicht etwa im Büro über einen Teppichrand, sondern politisch, strategisch, möglicherweise auch anatomisch. Vielleicht ist es eine Palastrevolte, ein geopolitisches Fiasko oder schlichtweg das unermüdliche Ticken der Geschichte, das auch den Langlebigsten unter den Autokraten zur Fußformung zwingt. Was folgt, ist keine ordentliche Staffelübergabe, sondern ein explodierendes Pulverfass, in dem loyale Silowiki, entfesselte Gouverneure und überraschte Oligarchen um die besten Stücke des Imperiums feilschen. Willkommen in der Post-Putin-Realität, einer Mischung aus Tragödie und Farce.
Nuklearer Albtraum oder diplomatisches Wunder?
Die erste Frage, die sich nach einem abrupten Machtwechsel stellt, ist natürlich: Wer hat die Finger auf den roten Knöpfen? Offiziell sind die russischen Atomwaffen in den Händen der Streitkräfte, aber in Zeiten politischer Auflösung verwandeln sich zentrale Befehlsstrukturen oft in lose Seilschaften – oder noch schlimmer, in Auktionen. Westliche Geheimdienste aktivieren hektisch ihre schlafenden Kontakte in Moskau, während China seine Chance wittert, sich als stabilisierender Faktor in Szene zu setzen. Zwischen all diesen Manövern könnte ein ambitionierter Regionalfürst auf die Idee kommen, sich mit einer Atombombe diplomatische Vorteile zu verschaffen. „Unkontrollierte Proliferation“ wäre dann keine akademische Floskel mehr, sondern tägliche Realität.
Der Nationalismus klopft an die Tür
Die Russische Föderation hat immer davon gelebt, sich selbst als unteilbare Einheit zu inszenieren. In Wirklichkeit jedoch ist sie ein Konglomerat unterschiedlichster Ethnien, Religionen und historischer Identitäten, die bisher durch den Kitt einer zentralen Gewalt zusammengehalten wurden. Nach Putins Fall könnten Regionen wie Tschetschenien, Dagestan oder Tatarstan ihre Chance wittern, sich von Moskau loszusagen. Der Nordkaukasus, bislang ein Pulverfass unter fester Deckelung, würde vielleicht gleich in Flammen aufgehen.
Noch interessanter wäre der wirtschaftlich-militärische Wettbewerb zwischen den Regionen. Während der Ferne Osten wirtschaftliche Annäherung an China sucht, könnte Sibirien seine natürlichen Ressourcen als Faustpfand in die Verhandlungen werfen. St. Petersburg, traditionell europäischer orientiert, könnte sich gar als halbautonomer Stadtstaat nach skandinavischem Vorbild inszenieren. Moskau selbst würde verzweifelt versuchen, mit Drohungen, Geld oder beidem das Auseinanderfallen des Reiches zu verhindern. Ob es gelingt, steht in den Sternen.
Lokale Fürsten auf Eroberungskurs
Russlands regionale Gouverneure sind eine besondere Spezies: teils ambitionierte Pragmatiker, teils korrupte Autokraten, teils beides zugleich. Ohne den Kreml als Kontrollzentrum könnte jeder von ihnen versuchen, sein eigenes kleines Reich auszubauen. Die alten Sowjetzeiten lassen grüßen: Während sich einige durch Deals mit China oder Kasachstan wirtschaftlich absichern, setzen andere auf paramilitärische Einheiten, um ihre Region von innen heraus zu kontrollieren.
St. Petersburgs Eliten, intellektuell stets auf Distanz zu Moskaus Wildwest-Methoden, könnten einen europäischen Ansatz suchen. Währenddessen verwandelt sich der Ferne Osten in ein Wildwest-Szenario, in dem lokale Machthaber mit Ressourcen handeln, als seien sie Cowboys auf einem fernen Planeten.
Vom Schattenspiel zur offenen Machtübernahme
Putins Oligarchen hatten es über Jahrzehnte bequem: Wohlstand gegen Loyalität war der Deal. Doch ohne das übergeordnete Schutzschild des Kremls wird es plötzlich ungemütlich. Einige setzen sich mit ihrem Vermögen ins Ausland ab, andere versuchen, als neue Königsmacher eine tragende Rolle in der Neuordnung Russlands zu spielen.
Es dürfte einen epischen Wirtschaftskrieg geben: Die einen versuchen, sich mit China und der EU neue Handelsstrukturen zu sichern, die anderen hängen fanatisch an alten imperialen Visionen. Gleichzeitig wittert der Westen seine Chance: Lockerung der Sanktionen im Austausch gegen demokratische Reformen? Eine strategische Finte, auf die einige Oligarchen eingehen könnten – während Hardliner lieber noch einmal zur Rütte greifen.
Russland zwischen China und dem Westen
China schaut sich das Chaos mit einer Mischung aus Besorgnis und stiller Vorfreude an. Schon lange hat Peking ein waches Auge auf Sibirien, den Fernen Osten und die strategischen Rohstoffe Russlands geworfen. Sollte Moskau sich selbst lähmen, könnte Peking als wirtschaftlicher Retter auftreten – freilich nicht ohne eigene territoriale Forderungen.
Der Westen, lange Zeit in der Rolle des Mahners, muss plötzlich pragmatisch werden. Ein komplett zerfallendes Russland mit ungesicherten Atomwaffen ist das Worst-Case-Szenario. Eine kontrollierte Transformation, bei der ein mäßig stabiler Staat erhalten bleibt, wäre wohl das Wunschdenken europäischer Politiker. Doch Wunschdenken hat noch nie die Realität geprägt.
Chaos oder Chance?
Russlands Zukunft nach Putin ist ein offenes Buch – allerdings eines, dessen Kapitel von zahlreichen Autoren mit gegensätzlichen Interessen geschrieben werden. Wird das Land zerfallen? Wird es eine schrittweise Neuordnung geben? Wird Moskau mit brutaler Gewalt die Kontrolle zurückgewinnen? Und vor allem: Wer bleibt am Ende mit den Schlüsseln zum nuklearen Arsenal sitzen?
Eins ist sicher: Die geopolitischen Erschütterungen nach Putins Fall würden weit über Russland hinausreichen. Und für viele Akteure – von Washington bis Peking, von Berlin bis Kiew – beginnt dann ein neues, ungewisses Kapitel in der Geschichte der globalen Machtverteilung.