Wenn Historie zur Meme-Kultur mutiert
Es gibt Momente in der Kunstkritik, die so bizarr wirken, dass man sich fragen muss, ob man Zeuge eines intellektuellen Deliriums oder schlicht moralischer Blindheit ist. Costantino Ciervos Ausstellung „Comune. Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt“ gehört zweifellos in diese Kategorie. Neapel, 1961 geboren, Wirtschaft und Politik studiert, nur um dann, wie so viele Intellektuelle mit gescheitertem Rationalismus, die „freie Kunst“ als Bühne für moralische Selbstverherrlichung zu wählen – welch groteske Ironie.
Ciervo greift nicht irgendeinen politischen Skandal, sondern die wohl sensibelste Figur des 20. Jahrhunderts: Anne Frank – versehen mit einer roten Kufija. Es ist der Versuch, historische Opfer als Accessoires eines zeitgenössischen Diskurses zu benutzen. Hier wird nicht Kunst geschaffen, hier wird Geschichte trivialisiert, geformt nach der Bequemlichkeit des Künstlers. Die stille Chronistin ihres eigenen Untergangs wird zum moralischen Kompass umdefiniert – posthum, digital, entkernt.
Die Kunst der Grenzüberschreitung oder der ästhetische Antisemitismus
Anne Frank, am Tisch sitzend, ein iPad vor sich – als wäre ihr Tagebuch plötzlich ein Twitterfeed. Die Frage, wie sie sich zum Nahostkonflikt positionieren würde, ist so abgründig wie geschmacklos.(Ciervo fragt: „Wie würde sich Anne Frank heute zum Nahostkonflikt positionieren? Wie würde sie sich anlässlich der genozidalen Politik Israels in Gaza verhalten? Würde sie wegen ihres Humanismus, den ihre Tagebücher dokumentieren, wie zahlreiche jüdische Intellektuelle ihre Stimme gegen die israelische Politik erheben?„) Dies ist kein Dialog mit der Vergangenheit, sondern eine Aneignung, eine intellektuelle Kolonialisierung historischer Erfahrung. Moralisch verkleidet, intellektuell verbrämt – im Kern jedoch eine Form von klassischem, ästhetisch verbrämten Antisemitismus: die Verfälschung der Geschichte unter dem Vorwand humanistischer Ambitionen.
Humor als Schutzanzug gegen Unfähigkeit
Ciervo bietet ein Meme der Shoah: Anne Frank + iPad + rote Kufija. Der „Humor“, der hier suggeriert wird, ist nicht befreiend, sondern entlarvend. Er offenbart eine Gesellschaft, in der historische Sensibilität beliebig verschiebbar geworden ist, solange das Resultat viral taugt. Die Ironie wird zum Mittel der Distanzierung von Verantwortung: Wenn das Opfer gefahrlos politisch instrumentalisierbar wird, spielt der Kontext keine Rolle mehr.
Das moralische Feuilleton in Absurdität
Der intellektuelle Voyeurismus, der hier betrieben wird, ist subtil wie ein Vorschlaghammer. Die Erwartung, historische Opfer in zeitgenössische Debatten einzuspannen, ohne dass die Vergangenheit zurückschlägt, offenbart die moralische Kurzsichtigkeit des Kunstbetriebs. Ciervos Bild provoziert kaum, es ästhetisiert die eigenen, bequemen Vorurteile – und das unter dem Deckmantel „kritischer Kunst“.
Schlussakkord: Historische Integrität versus digitale Provokation
Am Ende steht der Betrachter ratlos vor Anne Frank, iPad vor sich, rote Kufija als politisches Instagram-Filter-Accessoire. Was inszeniert wird – Diskurs, Provokation oder eitle Symbolmanipulation – bleibt unklar. Dass dies als künstlerische Kühnheit gefeiert wird, offenbart mehr über die Zeitgenossen als über den Künstler. Die Erkenntnis ist bitter: Manchmal ist die Absurdität so groß, dass sie sich nicht einmal mit bitterem Humor rechtfertigen lässt. Man kann nur staunen – und sich fragen, wie viel Gleichgültigkeit und ästhetisierte Geschichtsvergessenheit nötig sind, um so etwas zu kreieren.