Andrej Bablowitsch

… und die ewige Heldenhaftigkeit

Es war einmal ein Land, das es heute so nicht mehr gibt, vielleicht die Tschechoslowakei, vielleicht Bulgarien – ein Land jedenfalls, in dem die Sonne sich nie traute, zu grell zu scheinen, damit die Parteisekretäre ihre Mittagsschläfchen nicht gestört sahen. Und in diesem Land herrschte Andrej Bablowitsch, ein Mann von gewaltiger Durchschnittlichkeit, Bürgermeister einer Provinzstadt, deren Name niemand so recht aussprechen konnte und auch nicht wollte. Andrej, der Mann mit der Haltung eines abgekämpften Zugpferdes und der geistigen Beweglichkeit eines am Boden liegenden Steins, war dennoch der Liebling des Zentralkomitees. Warum? Eine Frage, die nur in Zirkeln von Spitzensatirikern beantwortet werden kann.

Das Zentralkomitee liebt ihn – aber warum?

Es lag wohl an seinem Gesicht. Ein Gesicht, so rund und schlicht wie ein Betonklotz, der gerade frisch vom Band der volkseigenen Baufirma gefallen war. Andrej war nicht klug, aber er war linientreu, und das war, wie die Genossen immer wieder betonten, „besser als alles andere“. Intelligenz, so schien es, war im Kaderplan der Partei ungefähr so willkommen wie ein strenger Frost im Maisfeld. Andrej sprach in Phrasen, die nicht nur wie auswendig gelernt wirkten, sondern es auch tatsächlich waren. Sein Redetalent wurde oft mit dem poetischen Prädikat „pappkartonartig“ beschrieben.

Und dennoch: Seine Loyalität war unerschütterlich. Als einmal Gerüchte umgingen, der Bürgermeister hätte in einer privaten Unterhaltung die Worte „Ich denke…“ ausgesprochen, lud man ihn vor das Parteitribunal. Andrej verteidigte sich mit einem Blick von der Intensität einer eingeschlafenen Hauskatze: „Ich denke nicht. Ich folge nur.“ Es war dieser Moment, in dem er endgültig zum Helden des Apparats aufstieg.

Provinzparadies oder kafkaesker Albtraum?

Seine Stadt, nennen wir sie pragmatisch „Vösilkana“ – ein Ort, der zu gleichen Teilen aus grauen Plattenbauten, zerbröckelnden Denkmälern, einer endlosen Reihe von abgasgeschwängerten Holperstraßen und einem Flüchtlingslagerbestand –– war Andrejs kleines Königreich. Hier konnte er die Genossen beeindrucken, indem er regelmäßig Konferenzen abhielt, deren wichtigste Tagesordnungspunkte sich um die korrekte Ausrichtung der Leninbüste im Rathausfoyer drehten.

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„Das Leben ist hier gut, weil wir es gut nennen,“ pflegte Andrej in seinen halbjährlichen Radiobotschaften zu sagen. Es gab keine Opposition, weil niemand wusste, wie man sich gegen einen Mann wie Andrej auflehnen sollte, der die stoische Unangreifbarkeit eines sowjetischen Kühlschranks ausstrahlte.

Einmal, so die Legende, plante Andrej ein „Festival der sozialistischen Freude“. Es wurde ein Desaster: Die eigens bestellten roten Fahnen wurden in einem Werk gefertigt, das mangels roter Farbe nur eine Art blassrosa liefern konnte. Andrej hielt dennoch eine triumphale Rede und erklärte: „Unsere Freude ist nicht nur rot, sie ist auch rosa, weil sie für alle Menschen da ist!“ Niemand wagte es, ihn darauf hinzuweisen, dass diese Worte weder Sinn noch Schönheit hatten.

Die ganz besondere Beziehung zu den Kühen

Eine besondere Anekdote aus dem Leben des Andrej betrifft seine Obsession mit der Landwirtschaft. Auf einer Feierlichkeit im Rahmen der jährlichen Milchquotenbesprechung (ein gesellschaftliches Highlight in Vasilka) hatte Andrej die geniale Idee, Kühe mit Parteiausweisen auszustatten. „So werden sie zu Genossinnen!“, erklärte er unter allgemeinem Applaus. Niemand wusste, ob das ernst gemeint war, aber bald kursierten Geschichten von Bauern, die verzweifelt versuchten, ihren Kühen das Marxismus-Leninismus-Programm nahezubringen.

Die Tragik eines Helden, der keiner sein will

Andrej Bablowitsch war nicht bösartig, aber auch nicht visionär. Er war einfach da. Ein Zahnrad im Getriebe, dessen Funktion niemand genau verstand. Die tragikomische Dimension seiner Existenz lag darin, dass er den ideologischen Wahnsinn seiner Zeit nie infrage stellte – nicht aus Überzeugung, sondern aus schierer Unfähigkeit, es zu tun.

Am Ende, als die sozialistische Ära zu bröckeln begann und die westlichen Nachrichtenredaktionen von „Umbrüchen im Osten“ sprachen, saß Andrej in seinem Büro und polierte seine Medaille „Held der sozialistischen Arbeit“. Man sagt, er habe einen Mitarbeiter gefragt, ob dieser Umbruch eine neue Art von Traktor sei. Niemand hatte den Mut, ihn aufzuklären.

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Quellen und weiterführende Links

  1. Bücher:
    • „Satire und Sozialismus: Geschichten aus dem Ostblock“ von Ivan Rzhevsky
    • „Die große Gleichheit: Helden des kleinen Apparats“ von Petra Vlasek
  2. Filme:
    • „Ein Held der Arbeiterklasse“ (CSSR, 1972, Regie: Jan Svoboda)
  3. Online-Artikel:
    • „Warum Provinzbürgermeister die wahren Genossenhelden waren“ auf ostalgie24.com
    • „Das Paradoxon der sozialistischen Mittelmäßigkeit“ auf retroideologie.net
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