Es gibt Sätze, die klingen wie ein Kaminfeuer, und andere, die klingen wie ein Streichholz im Munitionslager. „Wir würden auch entsprechende russische Übergriffe und Angriffe erwidern“ gehört eindeutig zur zweiten Kategorie, selbst wenn er in einem Fernsehstudio mit gedämpftem Licht, seriöser Krawatte und der beruhigenden Kulisse des öffentlich-rechtlichen Abendprogramms ausgesprochen wird. Die eigentliche Pointe dieses vorweihnachtlichen Moments liegt nicht einmal in der martialischen Wortwahl, sondern in der erstaunlichen Selbstverständlichkeit, mit der hier eine militärische Eskalationslogik als fast schon haushaltsübliche Option präsentiert wird, so als ginge es um die Erhöhung der Parkgebühren oder die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Man reibt sich die Augen, nicht weil man den Satz nicht verstanden hätte, sondern weil man ihn zu gut versteht: als Einladung, das Undenkbare denkbar und das Unmögliche plausibel zu machen, wenigstens für die Dauer eines Interviewsegments.
Friedenstruppen im Konjunktiv
Die Idee einer multinationalen Friedenstruppe lebt traditionell vom Konjunktiv. Sie schwebt in diesem grammatikalischen Schwebezustand zwischen Hoffnung und Halluzination, getragen von der Annahme, dass es irgendwann etwas geben wird, das man befrieden kann. In diesem Fall jedoch wird der Konjunktiv resolut durch den Indikativ ersetzt: Wir würden, wir werden, wir erwidern. Der Frieden selbst bleibt dabei eine Art Staffage, ein Bühnenbild aus Pappe, hinter dem bereits die Pyrotechnik gezündet wird. Dass es weder einen Waffenstillstand noch eine von allen Seiten akzeptierte Nachkriegsordnung gibt, wirkt im Eifer des geopolitischen Gefechts beinahe nebensächlich. Die Friedenstruppe wird nicht als Resultat eines mühsamen Aushandelns gedacht, sondern als Projektionsfläche für Entschlossenheit, als Symbolpolitik mit Stahlhelm.
Mandate aus dem Wunschkonzert
Noch erstaunlicher als der martialische Ton ist die Leichtigkeit, mit der die Frage des Mandats übersprungen wird, als handle es sich um eine lästige Fußnote. Wer erteilt eigentlich das Recht, militärische Gewalt anzuwenden, wenn „Übergriffe erwidert“ werden sollen? Der Sicherheitsrat mit seinem notorischen Veto-Problem? Irgendeine europäische Konstruktion, die auf dem Papier eindrucksvoll, in der Praxis jedoch unverbindlich bleibt? Oder genügt am Ende der moralische Imperativ, der sich selbst legitimiert, weil er sich gut anhört? In dieser Logik wird das Mandat zur Formsache, zur nachgereichten Formalität, während die eigentliche Handlung bereits im Kopf vollzogen ist. Man malt sich aus, was man tun würde, und übersieht dabei, dass genau dieses Ausmalen der erste Schritt in eine Realität sein kann, die niemand ernsthaft betreten wollte.
Historische Gespenster im Tarnanzug
Es gibt Bilder, die man nicht beschwört, wenn man es vermeiden kann. Die Vorstellung bewaffneter deutscher Soldaten, die einen russischen Angriff „erwidern“, gehört zweifellos dazu. Sie ist kein nüchternes Planspiel, sondern ein historisches Echo mit Nachhall, ein Gespenst im Tarnanzug, das sich weigert, in den Archiven zu bleiben. Wer diese Assoziation leichtfertig in Kauf nimmt, beweist entweder eine bemerkenswerte Geschichtsvergessenheit oder einen Zynismus, der sich hinter dem Gestus der Stärke verbirgt. Beides ist unerquicklich, zumal es hier nicht um abstrakte Schachfiguren geht, sondern um reale Menschen, reale Waffen und reale Eskalationsstufen, die sich bekanntlich nicht an Drehbücher halten.
Die Arithmetik der Unmöglichkeit
Rechnet man die Idee nüchtern durch, ergibt sich eine Arithmetik der Unmöglichkeit. Wer macht mit, wer bleibt draußen, wer trägt welche Risiken? Wer entscheidet im Ernstfall, ob ein Vorfall noch als „Übergriff“ gilt oder bereits als casus belli? Und wer übernimmt die politische Verantwortung, wenn aus dem erwiderten Angriff eine Kettenreaktion wird? Diese Fragen sind unerquicklich, also werden sie im wohligen Warmlicht der Entschlossenheitsrhetorik lieber ignoriert. Stattdessen setzt man auf das suggestive Potenzial klarer Worte, die Stärke signalisieren sollen und dabei vor allem eines verraten: ein erstaunlich simples Verständnis von militärischer Logik, die glaubt, Abschreckung ließe sich durch Talkshow-Sätze herstellen.
Der Kanzler als Brandstifter wider Willen
Dass all dies ausgerechnet in der Adventszeit geschieht, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche, fast schon literarische Ironie. Während andernorts vom Frieden gesungen wird, jongliert man hier mit Szenarien bewaffneter Auseinandersetzung, als seien sie unvermeidliche Begleiterscheinungen einer verantwortungsvollen Politik. Der Kanzler erscheint dabei weniger als kühler Stratege denn als Brandstifter wider Willen, der glaubt, mit dem Feuer spielen zu können, ohne sich die Finger zu verbrennen. Die Pose der Führungsstärke kippt ins Groteske, sobald klar wird, dass sie auf Voraussetzungen basiert, die es schlicht nicht gibt.
Möchtegern Merziavelli
Am Ende bleibt der Eindruck eines politischen Moments, der mehr über das Selbstbild seines Urhebers verrät als über realistische Optionen. Der große Staatsdenker, der glaubt, mit demonstrativer Härte Geschichte zu schreiben, gerät zur Karikatur eines Merziavelli, der die Kunst der Macht mit der Kunst der markigen Formulierung verwechselt. Satirisch betrachtet ist das beinahe komisch: eine Tragödie im Entwurf, vorgetragen mit dem Ernst eines Mannes, der nicht merkt, dass er gerade den Witz liefert. Tragisch ist es dort, wo diese Worte nicht als rhetorische Fingerübung verstanden werden, sondern als ernst gemeinte Ankündigung. Denn wer im Spiel mit dem Feuer vergisst, dass es sich um echtes Feuer handelt, sollte sich nicht wundern, wenn am Ende mehr brennt als nur die Kerzen auf dem Adventskranz.