
I. Die große Simulation der Souveränität
Europa redet über Künstliche Intelligenz, als sei sie ein neues Evangelium. In Brüssel hallt das Wort „KI“ inzwischen so oft wie „Nachhaltigkeit“ oder „Resilienz“ – jene Begriffe, die politische Selbstsicherheit simulieren, ohne je substanzielle Wirkung zu entfalten. Die Kommissare verkünden: Wir werden die digitale Zukunft gestalten. Doch niemand fragt: Womit eigentlich?
Denn Europa, dieser moralisch aufgeladene Kontinent zwischen Selbstzweifel und Selbstzufriedenheit, hat vergessen, dass jede Intelligenz – ob künstlich oder echt – einen Körper braucht. Und dieser Körper besteht aus Silizium. Aus Chips. Aus mikroskopisch kleinen Dingen, die in Taiwan entstehen, während in Brüssel große Worte verglühen. Wir liefern das Werkzeug, andere die Maschinen. Wir schreiben den Diskurs, andere kassieren die Dividende. Wir exportieren Moral, importieren Mikrochips. Und dann wundern wir uns, dass das moralisch überlegene Europa auf ausländischer Hardware läuft.
Ironischerweise liefern wir den Mikroskop-Teil der Technologie, während andere das Gehirn zusammenbauen. Europa ist der Chirurg, der die Werkzeuge baut, aber selbst verblutet, weil er keine Zeit mehr hatte, seine eigene Wunde zu nähen.
II. Taiwan – Herzschrittmacher der westlichen Welt
Die modernsten Chips kommen von TSMC in Taiwan. Selbst NVIDIA, Google, Microsoft – alles technoide Titanen – beten dort um Siliziumsegen. Europa? Europa nickt bedeutungsvoll, vergibt Förderprogramme, und hofft, dass dies irgendwie ausreicht.
Die Ironie ist perfekt: Ohne ASML in den Niederlanden und ZEISS in Deutschland könnte TSMC gar keine Chips herstellen. Wir liefern die Werkzeuge, andere ernten die Macht. Der Kontinent der Mikroskope ist zum Mikroskop seiner eigenen Ohnmacht geworden.
III. Dresden, Magdeburg – die schöne Illusion des Aufbruchs
Dresden bekommt ein TSMC-Werk. Ein „wichtiger Schritt“, sagen die Politiksprecher, und man möchte hinzufügen: Ja, ein Schritt, aber in orthopädischer Zeitlupe. Dort entstehen Chips für Autos, nicht für neuronale Netze. Wir bauen brav die Beine der Maschine, während andere längst am Gehirn arbeiten.
Das geplante Intel-Werk in Magdeburg? 2025 endgültig abgesagt. Die Baugrube bleibt als Mahnmal europäischer Hoffnungspolitik: Hier sollte Souveränität entstehen, hier wuchs Gras.
Und während Europa noch über Förderquoten diskutiert, sichern sich OpenAI, NVIDIA und AMD längst ihre Rechenimperien. Zehn Gigawatt Rechenleistung – kein Datacenter mehr, ein digitaler Sonnenaufgang. Ganze Staaten verbrauchen weniger Strom, dafür mehr Bürokratie. Rechenleistung ist die neue Währung der Macht. Europa hat Ethik-Kommissionen.
IV. Vom Wissen zum Warten
Technisch wäre es einfach. Europa müsste nur tun, was es am besten kann: Dinge zusammenbauen, die zu klein sind, um sie politisch zu verstehen. Packaging, Speicherintegration, Rechenzentren – machbar.
In Leoben steht 2025 Europas erste IC-Substrat-Fabrik. Ein Funken Hoffnung, eine Insel der Tatkraft im Meer der Ankündigungen. Aber nur drei Hersteller – SK hynix, Micron, Samsung – kontrollieren HBM-Speicher. Europa, der Kontinent des Buchdrucks, schafft es nicht einmal, einen Speicherchip zu produzieren.
Man könnte sagen: Die EU sollte ein Forschungsprogramm auflegen: „Next Generation Gedächtnis: Wie Europa lernt, sich an seine Fehler zu erinnern.“
V. Oberösterreich: Der leise Trotz der Provinz
Dann, fern von Brüssel, in Oberösterreich, passiert das Unerwartete: Hier entstehen Köpfe, die KI wirklich verstehen. Linz, Hagenberg, die Johannes Kepler Universität – Orte, die kein Silicon-Valley-Podcast erwähnt, aber still die Zukunft schreiben.
Forscher wie Sepp Hochreiter, Ulrich Bodenhofer, Günter Klambauer – sie lehren Maschinen zu lernen, während Europa Verordnungen formuliert. Unternehmen wie NXAI entwickeln Modelle für Zeitreihenanalyse, die Trends vorhersagen, als hätten sie Kristallkugeln. Hier schlägt das Herz Europas. Nur hört es niemand, weil in Brüssel gerade wieder eine Ethikrichtlinie formuliert wird – damit die Maschine niemanden diskriminiert, außer den europäischen Steuerzahler.
VI. Das Ende der Selbsttäuschung
Europa hat alles, was es braucht – und genau das ist das Problem. Wissen, Köpfe, Präzision. Aber kein Vertrauen in die eigene Geschwindigkeit. Wir sitzen auf der Startbahn, diskutieren Emissionsgrenzen und wundern uns, dass andere längst fliegen.
Die nächste Abhängigkeit ist längst da: nicht technologisch, sondern mental. Wir haben uns daran gewöhnt, die Basis zu liefern und die Früchte anderen zu überlassen. Unsere größte Ressource ist das schlechte Gewissen.
Wenn Europa jemals wieder Souveränität will, muss es sich die Finger schmutzig machen – im wahrsten Sinne: mit Siliziumstaub. Kein Leitbild, kein Weißbuch wird uns retten. Nur der Mut, wieder zu bauen, nicht bloß zu beraten. Denn am Ende wird die Geschichte des 21. Jahrhunderts nicht von denen geschrieben, die die Ethik der Maschinen definieren, sondern von denen, die sie einschalten können.
Nachwort: Eine Fußnote zur Zukunft
Vielleicht ist Europa gar nicht zu spät dran. Vielleicht ist es nur – typisch europäisch – zu höflich, um zuzugreifen. Aber in einer Welt, in der künstliche Intelligenz das Denken übernimmt, bleibt uns immerhin eines: der Humor über unsere eigene Bedeutungslosigkeit.
Und wer weiß – vielleicht ist das ja die höchste Form der Intelligenz.