Die Sprache der Engel, die Zunge der Henker

Es beginnt immer harmlos. Mit einem Adjektiv. „Kritisch.“ Dann folgt ein Adverb: „berechtigt.“ Schließlich der ganze Satz: „Man wird ja wohl Israel noch berechtigt kritisieren dürfen.“ Man merkt: Die Zunge windet sich, wie eine Schlange beim Häuten. Und was da zu Boden fällt, ist die Haut des Anstands. Denn kaum ein anderer Staat muss sich „Kritik“ in so betörenden Variationen gefallen lassen: als Furor, als Boykott, als Steinewurf, als Feuerwerk aus dem Gazastreifen.

Doch wehe dem, der fragt, woher diese Obsession kommt. Der bekommt sofort die nächste rhetorische Keule zu spüren: Relativierungskeule, Antisemitismuskeule, Opferrolle! – so tönt es dann, ausgerechnet von jenen, die mit rhetorischen Panzern auf Mauern aus Erinnerung feuern. Die moralische Verkehrung ist vollständig: Der Jude, einst Opfer, wird Täter. Und der Täter? Ist jetzt Aktivist.

Er trägt kein Hakenkreuz, sondern ein Hashtag. Keine SA-Uniform, sondern ein TikTok-Tutorial. Er marschiert nicht, er tanzt. „Free Palestine“ als Tanzchoreografie – choreographierter Nihilismus mit Menschenrechtsmaske. Die Sprache, einst Medium der Aufklärung, wird zur Munition. Sie tötet nicht sofort, aber zuverlässig.

Akademische Apartheid – oder: Wie man eine Realität ausradiert

An den Universitäten wird derweil munter weitergearbeitet an der Delegitimierung des jüdischen Staates. Es klingt dort wie aus einem schlecht übersetzten Dekolonialisierungs-Handbuch: Israel als „Apartheidstaat“, als „Siedlerkolonialismus“, als „imperialistisches Projekt“. Die Realität vor Ort? Stört nur. Geschichte? Ein störendes Detail. Jüdisches Leben in arabischen Ländern vor 1948? Gelöscht. Die ethnische Säuberung von Juden aus 22 arabischen Staaten? Nebensache.

Hier spricht kein Diskurs mehr, hier richtet ein Tribunal. Es sind Sprachgerichte mit vorgefertigtem Urteil, Verhörzimmer der Moral. Und wer widerspricht, wer es wagt, darauf hinzuweisen, dass ein Volk mit tausendjähriger Geschichte nicht erst mit Theodor Herzl begonnen hat, sondern mit biblischen Exilen, Pogromen, Diaspora, dem Gulag, Bergen-Belsen – der ist verdächtig. Reaktionär. Zionist. Täter.

Die postkoloniale Theorie hat ihr Auschwitz gefunden: Es liegt zwischen Tel Aviv und Haifa. Dass dort arabische Israelis Minister, Ärzte und Richter sind? Verschwörung der Hasbara. Dass Palästinenser in arabischen Staaten keine Rechte haben? Kollateralschaden. Israel wird nicht analysiert. Es wird gehasst – und das mit akademischem Prädikat.

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Humanitäre Pornografie – Das Leiden als Währung

Wer je eine Demo besucht hat, auf der „Free Palestine“ skandiert wird, weiß: Es geht nicht um Palästina. Es geht um eine moralische Selbsterhebung. Um das Wohlgefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, ohne je den Preis zu kennen. Das Leid der Palästinenser wird zum Marktplatz, ihr Schmerz zur moralischen Aktie, ihr Tod zur ideologischen Dividende.

Niemand fragt: Wer regiert dort eigentlich? Wer steckt die Hilfsgelder ein? Wer benutzt Kinder als menschliche Schutzschilde? Wer erklärt öffentlich, dass es eine religiöse Pflicht sei, Juden zu töten? Die Antwort wäre unbequem. Sie würde das Tableau stören, das man sich gemalt hat: David gegen Goliath. Gut gegen Böse. Die Unterdrückten gegen die Besatzer.

Doch was hier läuft, ist keine Solidarität. Es ist humanitäre Pornografie: Das öffentliche Zurschaustellen des fremden Leids zur Selbstbestätigung. Und Israel? Muss in dieser Dramaturgie der Schurke sein. Muss Schuldiger bleiben. Darf gar nicht friedlich, differenziert, komplex sein – denn das würde das ganze Skript ruinieren. Dann müsste man nachdenken. Dann müsste man moralisch erwachsen werden.

Aber das ist das Letzte, was diese Bewegung will: Erwachsenwerden. Lieber infantilisiert sie sich weiter – in simplen Parolen, klaren Feindbildern und der tröstlichen Vorstellung, dass alle Übel dieser Welt nur einen einzigen Schuldigen haben: den Juden, diesmal als Staat.

Die Zukunft der Erinnerung – oder: Die Stunde der Heuchler

Es wird bald wieder Gedenktag sein. Der Bundespräsident wird sprechen. Die Bundestagspräsidentin wird seufzen. Eine Schulklasse wird „Ich hab einen kleinen Vogel“ auf Hebräisch vorsingen, schlecht, aber bemüht. Alle werden betroffen schauen. Es wird Kränze geben, und Tweets, und Hashtags: #NieWieder.

Doch das „Nie wieder“ ist längst zu einer Worthülse verkommen, ausgehöhlt von genau jenen, die in der Gegenwart versagen. Nie wieder, ja – aber bitte ohne Konsequenz. Nie wieder, aber nur retrospektiv. Nie wieder, aber mit Palästinaflagge. Nie wieder, aber bitte leise, wenn Juden heute wieder fliehen müssen – aus Berlin, aus London, aus Malmö.

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Denn die neue Shoah braucht keinen Zug mehr. Sie braucht nur ein Internet. Und eine internationale Linke, die in ihrer moralischen Hybris zu blind ist, um zu merken, dass sie längst Teil des Problems ist, das sie vorgibt zu bekämpfen.


Epilog: Von der Sprache zur Tat

Die Sprache ist kein Spielzeug. Sie ist Dynamit. Sie gräbt Gräben, sie zieht Linien, sie markiert Feinde. Und manchmal ist ein Satz nur ein Satz. Und manchmal ist er ein Dolch.

„From the river to the sea“ ist kein politischer Wunschzettel. Es ist ein Code. Ein Imperativ. Eine Absichtserklärung. Und wer sie mitruft, ruft nicht nach Gerechtigkeit. Er ruft nach dem Ende.

Nicht das Ende eines Konflikts. Sondern das Ende eines Volkes.

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