Wichtig und Richtig, oder Zensur

Ein Paragraph, der die Welt (ver)ändern will

Es klingt wie der fromme Wunsch eines Philosophenkönigs: ein Paragraph, der die Gesellschaft von Hass und Hetze befreien und die öffentliche Debatte durch klare Grenzen in gesittete Bahnen lenken will. Es könnte so schön sein! Doch wie bei allen Gesetzen, die sich an dem so schwer zu definierenden Ideal des „gesellschaftlichen Friedens“ orientieren, lauern auch hier die Gefahren. Der österreichische § 283 StGB, der gegen die Verhetzung wirkt und dabei gerne auch mal mit zwei bis drei Jahren Freiheitsstrafe droht, ist ein solcher Kandidat. Auf den ersten Blick erscheint er wie der strenge Wächter unserer moralischen Ordnung – aber wenn man genau hinsieht, drängt sich die Frage auf: Handelt es sich hier um einen Verteidiger des sozialen Friedens oder um die Zensurschere im schicken Justizmantel?

Der moderne Staat in seiner Rolle als moralischer Erzieher – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Ein Paragraf, der unsere tiefsten inneren Abgründe zähmen will, während er gleichzeitig über Gut und Böse richtet. Wer gegen eine „Gruppe“ hetzt, der soll in seine Schranken gewiesen werden. Und doch, wer genauer liest, entdeckt schnell, dass der Gesetzestext seine moralische Autorität als Wolke aus Rhetorik präsentiert. Einem Ankläger mit erhobenem Zeigefinger gleicht er, der allen beibringen möchte, was „richtig“ und „falsch“ ist – als ob die Menschheit diesen Unterschied in Jahrhunderten philosophischer Debatten nicht bereits selbst verinnerlicht hätte.

Wer ist hier eigentlich eine Gruppe

Wer sich die Mühe macht, § 283 bis ins Detail zu studieren, wird schnell von den zahlreichen Begrifflichkeiten erschlagen. Kirchen, Religionsgesellschaften, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Weltanschauung, nationale oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung – all das sind Merkmale, die eine „Gruppe“ definieren können. Aber wie lautet das Leitmotiv in diesem morastigen Begriffs-Dschungel? Geht es hier tatsächlich darum, vor Hass zu schützen, oder stecken wir mitten in einer schwammigen, vieldeutigen Landschaft, in der kaum jemand durchblickt?

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Es liegt nahe, dass in einer Gesellschaft, die sich nach immer stärkeren Identitätsdefinitionen sehnt, auch der Begriff „Gruppe“ immer mehr Bedeutung erhält. Und wenn die Justiz zum Spielplatz für Definitionsfragen wird, dann kann jeder Versuch, die Moral zu wahren, auch schnell in ideologische Zensur umschlagen. Es lässt sich nämlich trefflich darüber streiten, wann eine Aussage tatsächlich zur Verhetzung führt und wann sie nur Ausdruck einer – gewiss nicht immer angebrachten – Meinung ist. Es ist wie ein Boxkampf, bei dem der Staat den Platz des Schiedsrichters einnimmt, und man fragt sich, ob er nicht auch hin und wieder ein paar Schläge austeilt.

Gut gemeint und schlecht durchdacht

Betrachtet man die Sache aus einer satirischen Perspektive, so kann man sich nur darüber wundern, wie der Staat mit diesem Paragraphen in ein schier endloses moralisches Dilemma taumelt. Denn wer glaubt, dass ein Paragraph wie § 283 den Hass eindämmt, irrt gewaltig. Tatsächlich könnte dieser Paragraph als Einladung zur Selbstzensur dienen. Aufgeklärte Bürger fragen sich: „Darf ich das jetzt noch sagen, oder ist das schon Hetze?“ Jede schärfer formulierte Kritik, jeder schiefe Blick in Richtung einer spezifischen Gruppe könnte bald zum Ausgangspunkt einer Debatte werden, ob es sich hierbei nicht bereits um „Verhetzung“ handelt.

Stellen wir uns vor, jemand äußert sich kritisch über eine Religion oder über die Einstellung bestimmter Gruppen zu einem aktuellen politischen Thema. Schnell könnte diese Kritik als „aufstachelnd“ oder „menschenverachtend“ eingestuft werden. Es ist ein gefährliches Spiel, denn wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der jede kritische Äußerung potenziell als „Hetze“ interpretiert werden kann, schaffen wir ein Klima, das nicht zur Toleranz, sondern zur Angst vor freier Meinungsäußerung führt. Am Ende bleibt die Ironie: Ein Paragraph, der die Gesellschaft von Hass befreien soll, treibt sie stattdessen in ein Netz aus Selbstzensur.

Die gespaltene Zunge des Gesetzes

§ 283 berührt an diesem Punkt einen heiklen Nerv unserer Demokratie: das Spannungsfeld zwischen moralischem Schutz und freier Meinungsäußerung. Man könnte sagen, der Paragraph stellt sich wie ein tapferer Krieger in die vorderste Linie gegen das Böse, aber sein Schwert ist stumpf und seine Rüstung mehr dekorativ als nützlich. Wenn das Ziel wirklich wäre, die Gesellschaft vor Hass und Hetze zu schützen, müsste das Gesetz die Bürger in die Lage versetzen, durch Bildung, Aufklärung und Vernunft selbst zu entscheiden, was moralisch vertretbar ist und was nicht. Aber wie steht es mit einer Gesellschaft, in der man vor lauter Regeln und Verboten nicht mehr zu erkennen vermag, wo die Grenze zwischen rechtmäßiger Kritik und unangebrachter „Hetze“ liegt?

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Man fragt sich, ob ein Gesetz wie § 283 nicht eine überholte Vorstellung vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger zementiert. Als säßen wir alle im Klassenzimmer und warteten auf die Erlaubnis des Lehrers, unsere Meinung äußern zu dürfen. Es entsteht eine Gesellschaft, die eher in starrem Gehorsam verharrt als in freiem Dialog. Ist es wirklich der Weg zu einem friedlichen Miteinander, wenn wir jeden Satz auf seine potentielle Strafbarkeit hin abklopfen müssen?

Die Kriminalisierung von Worten

Nicht zu vergessen ist das Strafmaß, das der Paragraph andeutet. Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe für ein Wort, einen Satz, eine Äußerung – wie leicht kann man mit einem misslungenen Witz oder einer unbedachten Bemerkung zum „Verhetzer“ werden? Der Staat zeigt sich gnadenlos, wenn es um die Wahrung der Tugend geht. Einem Straftäter, der „aufstachelt“ oder „verächtlich macht“, wird nicht nur ein moralisches Vergehen, sondern eine Gefährdung des sozialen Friedens zur Last gelegt. Drei Jahre – das ist mehr als manch anderer für eine Körperverletzung oder sogar für Steuerhinterziehung bekommt. Es ist ein alarmierendes Beispiel dafür, wie das Rechtssystem die Sprache als Bedrohung einstuft.

Man könnte fast meinen, dass unsere Justiz die Zunge schärfer als das Messer betrachtet. Worte können, ja, sie sollen aufklären, aufzeigen und auch manchmal herausfordern. Aber der § 283 macht klar: Wer das Wort führt, hat besser Acht.

Ein Fazit, das zwischen den Zeilen gelesen werden will

Am Ende dieses essayistischen Spaziergangs durch die Absurditäten des § 283 bleiben wir mit einer ironischen Pointe zurück. Ein Gesetz, das mit seiner Sprache gegen die Sprache kämpft. Ein Staat, der Freiheit verspricht, während er gleichzeitig seine Bürger mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht, falls sie vom vermeintlich „rechten“ Weg abweichen. Es ist ein beunruhigendes Paradox, das in der Tat von philosophischer Tragweite ist: Wie kann eine Gesellschaft eine gerechte, offene Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit führen, wenn jede kritische Stimme zum Risiko für die eigene Freiheit wird?

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So bleibt die Frage: Ist der § 283 StGB ein Schutzmechanismus für eine gerechte Gesellschaft oder doch nur ein scharfes Instrument zur Zensur? Solange die Antwort darauf nicht klar ist, ist es die Aufgabe jedes aufgeklärten Bürgers, das Gesetz kritisch zu hinterfragen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen – auch gegen den Staat, der sie angeblich schützt.

Quellen und weiterführende Links

  1. Habermas, Jürgen. Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp, 1981.
  2. Dworkin, Ronald. Freedom’s Law: The Moral Reading of the American Constitution. Harvard University Press, 1996.
  3. Benhabib, Seyla. Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era. Princeton University Press, 2002.
  4. Der Standard: „Debatte um § 283: Verhetzung oder freie Meinungsäußerung?“
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