Das Orban-Phänomen

Zwischen Häresie und Realitätssinn

Viktor Orban. Für die westlichen Medien, Politik-Eliten und selbsternannten Moralgouvernanten Europas eine Figur, die man zu vermeiden versucht wie den sprichwörtlichen Pesthauch. In den Sitzungssälen der EU wird er wie ein ungezogener, quengelnder Verwandter behandelt, der unangemeldet zum Familienessen aufkreuzt, um dann lautstark zu verkünden, dass der Nachtisch versalzen ist – während alle anderen höflich schweigen und den bitteren Bissen herunterwürgen. Der ungarische Regierungschef wird in vielen Kreisen als Rechtspopulist, ja gar als Feind des „europäischen Projekts“ verteufelt. Doch ist diese Darstellung gerecht, oder steckt in den vermeintlich ketzerischen Äußerungen Orban’s eine Realität, die uns vor lauter moralischem Eifer entgleitet?

Fakt ist: Orban äußert sich pointiert, provozierend und unnachgiebig. Er stellt sich gegen das politische Establishment des Westens und benennt ungeniert die Schwächen und Fehlentwicklungen, die andere Politiker lieber mit schönen Worthülsen und ideologischer Schönfärberei übertünchen. Ob man ihm zustimmt oder nicht, eines muss man ihm lassen: Er stellt unbequeme Fragen, die, wie die Schläge eines Maurerhammers, Risse in den monolithischen Überzeugungen der westlichen Elite hinterlassen.

Vom Ende der westlichen Übermacht

Orban spricht vom Ende der westlichen Übermacht nach dem Ukraine-Krieg. Für die westlichen Moralisten natürlich ein Sakrileg, ein Affront gegen das hohe Selbstbild einer EU, die sich selbst als letzte Bastion der Freiheit und Demokratie auf dieser geschundenen Welt sieht. Doch schauen wir uns doch die Fakten einmal nüchtern an, ganz ohne den moralischen Zeigefinger: Der Krieg hat die EU nicht gestärkt, sondern ihre inneren Widersprüche und ihre außenpolitische Schwäche brutal ans Licht gezerrt. Während Europa sich in immer neue Sanktionspakete gegen Russland verstrickt und dabei seine eigene Wirtschaft stranguliert, haben andere – die USA und China, um nur zwei Beispiele zu nennen – ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Agenden vorangetrieben.

Doch die vielleicht größte Ohrfeige für die westliche Selbstwahrnehmung ist Orban’s Hinweis auf die fehlende globale Unterstützung für die Ukraine. In den Konferenzräumen von Brüssel und Washington mag man sich noch einreden, dass „die Welt“ geschlossen hinter dem westlichen Narrativ steht, aber die Realität außerhalb dieser Blase sieht ganz anders aus. Die sogenannten BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – haben sich längst als Gegengewicht zum Westen positioniert. Und während in Europa darüber gestritten wird, ob man noch einen weiteren Winter ohne russisches Gas übersteht, machen diese Länder ihre eigenen Deals, unabhängig von westlichen Sanktionen oder moralischen Entrüstungen.

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Orban spricht es offen aus: Der Westen hat nicht mehr die Mehrheit hinter sich. Das ist eine Realität, die von den Machthabern in Brüssel und Berlin nur ungern zur Kenntnis genommen wird. Stattdessen ergeht man sich lieber in moralischen Floskeln und erzieht sich gegenseitig zu den Tugenden, die man längst verloren hat.

Die Moralapostel und ihre Wohlstandsillusion

Die Sanktionen gegen Russland, so die offizielle Verlautbarung, sollten das Regime in Moskau in die Knie zwingen und der Ukraine zum Sieg verhelfen. Doch auch hier zeigt sich, dass die Realität oft anders aussieht als das, was auf den bunten Powerpoint-Präsentationen der EU-Bürokraten steht. Russland mag sich in vielen Bereichen schwer tun, aber destabilisiert? Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil, es scheint fast so, als hätten die Sanktionen den Effekt gehabt, die russische Bevölkerung enger hinter Putin zu scharen, während die EU-Wirtschaft allmählich unter der Last dieser selbstauferlegten Strafen ächzt. Orban bringt es auf den Punkt: Der Westen kann diesen Krieg militärisch nicht gewinnen, und die Sanktionen haben Russland nicht in die Knie gezwungen, sondern vielmehr Europa selbst einen schmerzhaften Tritt verpasst.

Dass diese Einschätzung in den westlichen Medien kaum Platz findet, ist kein Zufall. Es widerspricht der Erzählung von der angeblich so „guten Sache“, die verteidigt werden muss, koste es, was es wolle – und wenn es der Wohlstand und die Zukunft ganzer Generationen in Europa ist. Man könnte zynisch anmerken, dass der moralische Hochmut, der von so vielen westlichen Politikern zur Schau gestellt wird, im Endeffekt nur dazu führt, dass Europa sich selbst ein Bein stellt, während andere lachend danebenstehen und den westlichen Niedergang kommentieren.

Die Schweigespirale

Orban wagt es, Dinge zu sagen, die man hierzulande nicht einmal denken darf, ohne in die Gefahr zu geraten, als „Rechtspopulist“, „Rassist“ oder schlimmeres etikettiert zu werden. Es ist das Paradox unserer Zeit: In einer Gesellschaft, die sich stolz auf ihre Meinungsfreiheit beruft, herrscht eine regelrechte Angst vor abweichenden Meinungen. Man muss sich nicht einmal weit aus dem Fenster lehnen, um Opfer der berühmten „Schweigespirale“ zu werden, wie Elisabeth Noelle-Neumann es so treffend analysiert hat. Wer es wagt, die herrschende Meinung infrage zu stellen, wird schnell mundtot gemacht, ausgegrenzt, etikettiert.

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In Deutschland, wo der moralische Anspruch traditionell hoch hängt, hat sich diese Spirale zu einem regelrechten Kettenkarussell entwickelt. Die wenigen, die sich noch trauen, offen ihre abweichende Meinung zu äußern, müssen sich sofort den geharnischten Vorwürfen der Empörungsindustrie stellen. Wer nicht mit dem Mainstream mitschwimmt, wer die Ukraine-Politik oder die Migrationsfrage kritisch hinterfragt, wird sofort in eine Schublade gesteckt, deren Aufschrift in grellroten Buchstaben „Nazi“ lautet. Es ist bezeichnend, dass Viktor Orban in Deutschland nicht nur als „Rechtspopulist“, sondern auch als Feind der Freiheit dargestellt wird – und das in einem Land, in dem die Freiheit der Rede oft nur auf dem Papier existiert.

Der Westen und seine Werte

Orban wirft dem Westen vor, dass er nicht mehr wisse, was Freiheit wirklich bedeutet und wie man sie verteidigt. Eine harte, bittere Diagnose. Aber hat er unrecht? Wenn man sich die politischen Debatten in Europa ansieht, könnte man fast zu dem Schluss kommen, dass Freiheit heute vor allem ein ideologischer Kampfbegriff ist, der je nach Bedarf zurechtgebogen wird. Die Werte, auf die sich der Westen jahrhundertelang berufen hat – Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit – sind längst zur Staffage geworden, hohle Phrasen, die keine wirkliche Substanz mehr haben. Der Kampf gegen die „islamische Unterwanderung“, von dem Orban spricht, ist ein Thema, das in Westeuropa nur hinter vorgehaltener Hand geführt wird. Zu groß ist die Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Doch das ändert nichts an der Realität: Die Probleme, die Orban anspricht, sind real. Sie betreffen nicht nur Ungarn, sondern ganz Europa.

Die Wahrheit in Orban’s Worten

Viktor Orban wird in der westlichen Öffentlichkeit als Paria behandelt, weil er sich weigert, die Spielregeln der moralischen Selbstinszenierung zu akzeptieren. Seine kritische Sicht auf den Ukraine-Krieg, auf die Rolle des Westens und die Frage der Zukunft Europas mag unbequem sein, aber sie spiegelt eine Realität wider, die viele in Brüssel und Berlin lieber ignorieren würden. Ob man mit ihm einer Meinung ist oder nicht – man sollte seine Worte nicht leichtfertig abtun. Denn vielleicht steckt in seiner Kritik mehr Wahrheit, als man im Westen zugeben möchte.

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Quellen und weiterführende Links:

  1. Elisabeth Noelle-Neumann: Die Schweigespirale – Eine Analyse über die Mechanismen der öffentlichen Meinung.
  2. Viktor Orban’s Reden und Interviews – Direktquelle für seine Aussagen zur europäischen und internationalen Lage.
  3. Studien zu den Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf Russland und Europa (verschiedene Quellen).
  4. Artikel und Essays zur geopolitischen Rolle der BRICS-Staaten und deren Einfluss auf den Ukraine-Konflikt.
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