Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Früher war alles besser. Oder?

Ach ja, die gute alte Zeit! Damals, als man noch verklärten Blickes über die Dörfer und Städte wandern konnte, mit einer wohligen Wärme im Herzen, und sich an einfachen Dingen erfreute. Man sehnte sich nicht nach den komplizierten Wirrungen der Moderne, nein, da wusste man, was gut und was böse war. Die Guten standen für Fortschritt, Demokratie und Menschenrechte, die Bösen – nun ja, die Bösen waren die finsteren Gestalten mit den Fackeln und den Springerstiefeln. Man konnte ihnen förmlich aus dem Weg gehen, wie man einem Hundehaufen ausweicht. Heute aber? Tja, heute muss man aufpassen, dass man nicht unversehens in eben jenen tritt.

Die Rechten, diese Schmuddelkinder der Gesellschaft, haben gelernt, sich neu zu kleiden. Der altbekannte Hauch von Dumpfheit, den sie einst ausstrahlten, ist geschickt kaschiert. Keine Glatzen, keine offensichtlichen Symbole der Unverfrorenheit mehr. Nein, jetzt kommen sie daher wie der nette Nachbar von nebenan, der gerne ein Bier mit dir trinkt und ganz harmlos mal fragt, ob es nicht vielleicht doch etwas zu viele Ausländer gibt. Man nennt das heutzutage Populismus, ein Begriff, der so harmlos klingt wie ein Kinderreim. Und schwupps, ehe man sich versieht, sitzt man mit diesen Schmuddelkindern an einem Tisch und redet.

Doch halt! Darf man das? Darf man sich mit denen an einen Tisch setzen? Darf man diese Leute anhören, ihnen gar Redezeit einräumen? Es gibt doch diesen berühmten Satz: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“ Diesen Rat hätte man sich vielleicht doch zu Herzen nehmen sollen. Aber wir tun es ja nicht. Wir sind ja so unfassbar tolerant.

Die neue Schmuddeligkeit

Früher hat man sich für Schmuddeligkeit geschämt. Einem richtigen Schmuddelkind war klar, dass es stinkt, dass es unangenehm ist. Heute scheint man sich geradezu zu rühmen, ein solches Schmuddelkind zu sein. Es ist zur neuen Coolness geworden, sich als „Alternative“ zu präsentieren – als ob es jemals eine Alternative war, Menschenrechte infrage zu stellen. Es wird kokettiert mit Rebellion, doch was wird hier wirklich rebelliert? Gegen das Establishment? Oder gegen den gesunden Menschenverstand?

TIP:  Nur eine Frage des Geschmacks

Natürlich lässt sich der Geist der Zeit nicht so einfach einfangen. Der rechte Diskurs ist viel zu geschickt, um sich als reine Dummheit entlarven zu lassen. Die neuen rechten Rattenfänger sind Rhetorikmeister. Sie reden in Schleifen, drehen Worte im Mund herum, bis man selbst nicht mehr weiß, ob man jetzt für oder gegen etwas ist. Und während die Linke intellektuell auf höchsten Abstraktionsniveaus versucht, die Welt zu erklären, sitzen die Schmuddelkinder da und murmeln einfache, schlagkräftige Parolen. „Heimat“, „Volk“, „Kultur“. Wörter, so simpel und doch so perfide.

Hier wird nicht nur geschlampt, hier wird bewusst zerstört. Aber auf charmante Art und Weise. Die modernen Rechten sind eloquent, jung und digital versiert. Der alte Haudegen mit dem Stock im Anschlag hat ausgedient, an seine Stelle tritt der smarte Typ im Anzug, der sich in den Talkshows der Nation breitmacht. Und der Clou: Man lässt ihn gewähren. Ja, man bietet ihm sogar die Bühne, auf der er sich in Szene setzen kann. Wer traut sich schon, ihn zur Ordnung zu rufen?

Willkommen im Meinungszirkus

Aber es wird ja schlimmer: Wir laden diese Schmuddelkinder nicht nur ein, wir behandeln sie sogar noch wie normale Gesprächspartner. Ach, was heißt normal – sie werden behandelt wie Stars. Plötzlich spricht jeder über sie. Die Schlagzeilen überschlagen sich: „Skandal!“, „Provokation!“, „Tabubruch!“. Der neue Rechte sitzt lächelnd in seiner Talkshow und weiß: Jede Empörung, jede Diskussion nützt ihm. Das ist kein Unfall, das ist Kalkül. Je mehr man über ihn spricht, desto mehr kann er seine verqueren Ideen streuen. Die Zuschauerzahlen steigen, die Aufmerksamkeit wächst. Ein Teufelskreis, den niemand zu durchbrechen scheint.

Natürlich, wir könnten uns auf die moralische Ebene stellen und sagen: „Mit solchen Leuten spricht man nicht.“ Doch was tun wir? Wir lassen uns auf die Diskussion ein. Denn wir haben ja alle diese verzweifelte Angst, intolerant zu wirken. Man will ja nicht der Spielverderber sein. So redet man also weiter und dreht sich dabei im Kreis. Kein Konsens, keine Lösung, nur noch mehr Spaltung. Und das alles, während die Rechten ungehindert ihr Gedankengut in die Köpfe der Menschen pflanzen.

TIP:  Der Staat in Watte, das Volk im Visier

Wäre es nicht an der Zeit, den Diskurs zu überdenken? Müssten wir nicht aufhören, diesen Menschen eine Bühne zu bieten? Die Antwort ist klar: Ja, natürlich. Doch die Realität sieht anders aus. Wir sind gefangen im eigenen Moralismus, unfähig, eine klare Grenze zu ziehen. Man möchte eben doch nicht so ganz den Anschein erwecken, dass man diese „Meinungen“ – so menschenverachtend sie auch sein mögen – nicht zulässt. Meinungsfreiheit, nicht wahr?

Eine nützliche Illusion

Ah, Meinungsfreiheit! Das goldene Kalb unserer demokratischen Kultur. Man kann es ja nicht oft genug betonen: Jeder hat das Recht auf eine Meinung. Auch die Schmuddelkinder, nicht wahr? Auch sie haben das Recht, ihre Gedanken in die Welt zu posaunen. Schließlich ist es ja unsere Aufgabe, in der liberalen Demokratie auch die unbequemsten Ansichten zu tolerieren, richtig?

Falsch. Ganz falsch. Hier liegt der Kern des Problems: Wir haben den Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und der Verantwortung, wie man mit dieser Freiheit umgeht, schlicht vergessen. Ja, jeder darf eine Meinung haben. Aber nicht jede Meinung verdient es, gehört oder gar respektiert zu werden. Wir leben in einer Zeit, in der Worte Macht haben. Sie formen nicht nur die Gedanken, sie schaffen Realität. Und genau das nutzen die Rechten aus. Sie verstecken sich hinter der Fassade der Meinungsfreiheit, während sie gezielt Hass und Ausgrenzung propagieren.

Man könnte meinen, wir wären nach all den historischen Lektionen klüger geworden. Aber nein, wir lassen die Schmuddelkinder spielen – mit unserer Demokratie, mit unseren Werten. Denn wer möchte schon der Spielverderber sein?

Wenn die Schmuddelkinder gewinnen

Und so endet dieses Trauerspiel. Wir haben die Rechten nicht nur geduldet, wir haben ihnen den roten Teppich ausgerollt. Jetzt sitzen sie in den Parlamenten, reden von „Alternativen“, während sie alles tun, um das zu zerstören, was wir mühsam aufgebaut haben. Der demokratische Diskurs wurde vergiftet, und wir haben brav zugesehen. Ach, hätte man doch nur früher den Satz beherzigt: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern.“

TIP:  Eine Anweisung zur moralisch reinen Selbstaufopferung

Aber nun ist es zu spät. Jetzt müssen wir mit den Konsequenzen leben. Vielleicht ist es ja am Ende gar nicht so schlimm. Vielleicht kommt es ja nur zu einem kleinen politischen Chaos, vielleicht nur zu ein bisschen mehr Ausgrenzung und Hass. Vielleicht wird es aber auch schlimmer. Wer weiß das schon? In jedem Fall bleibt uns eines sicher: der unverwüstliche Optimismus, dass irgendwann, irgendwie, alles wieder besser wird. Vielleicht in einem anderen Leben.

Bis dahin: Fröhliches Weiterspielen!


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