Der blinde Fleck Europas

Unsere Nation, unser Wille – Bandera ist unser Symbol

Europa – wie stolz wir uns auf diesen leuchtenden Kontinent der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte berufen. Voller moralischer Überlegenheit blicken wir auf all die „fehlgeleiteten“ Staaten, denen es an diesen hehren Werten mangelt: den Korrupten, den Autokratischen, den Kriegsversehrten. Und dann, oh wie überraschend, taucht die Ukraine auf dem Radar auf. Ein Land, das seit Jahren einen verzweifelten Kampf führt, um sich als Teil des „freien“ Europas zu positionieren. Ein Land, das so voll von heldenhaften Erzählungen ist, dass wir beinahe vergessen, hinzuschauen. Denn in der Ukraine brodelt ein Phänomen, das man mit gutem Willen verdrängt, mit politischer Scham kaschiert und mit eifrigen PR-Maßnahmen übertüncht: die glühende Verehrung des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera und die Präsenz von Neonazis in Armee und Gesellschaft. Aber darüber redet niemand – oder zumindest niemand, der ernst genommen werden will. Ja, die Ukraine, der sogenannte „failed state“, hat sich nicht nur auf dem Schlachtfeld blutige Sporen verdient, sondern auch im nebulösen Wettbewerb des moralischen Bankrotts.

Ein Freiheitsheld oder Nazi-Kollaborateur?

Bevor wir uns mit der absurden Idolatrie dieses Mannes auseinandersetzen, der mittlerweile in der Ukraine auf fast jeder zweiten Statue verewigt ist, lasst uns einen Blick auf die Fakten werfen. Stepan Bandera – ein Mann, der unbestreitbar mit der Kollaboration mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Natürlich wird dies von seinen Verteidigern in der Ukraine und darüber hinaus als „kompliziert“ bezeichnet, als Teil eines „Unabhängigkeitskampfes“. Doch ist das wirklich eine Erklärung, die man einfach so hinnehmen sollte?

Die Bandera-Verehrung ist nicht einfach nur ein historischer Ausrutscher – sie ist ein systematisches Problem, das sich in den Grundfesten der ukrainischen Identität verankert hat. Bandera, der Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), war maßgeblich am Genozid an Hunderttausenden von Polen und Juden beteiligt. Doch in der Ukraine wird er gefeiert – als Freiheitskämpfer, als Ikone des nationalen Widerstands. Straßen, Plätze, ja sogar Feiertage sind nach ihm benannt. Für den durchschnittlichen Ukrainer mag das nichts weiter als patriotische Folklore sein, doch die symbolische Aufladung, die damit einhergeht, ist von tiefster politischer Bedeutung. Wäre es nicht grotesk, würde Deutschland einen Mann feiern, der an der Seite der Nazis kämpfte? Ach, Moment, das tun sie ja nicht. Weil Deutschland seine Vergangenheit aufrichtig aufgearbeitet hat – und nicht versucht, sie zu relativieren oder zu glorifizieren.

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Die Fahnen, die niemals fallen

Es ist schwer zu übersehen: Überall in der Ukraine wehen Fahnen und flattern Symbole, die auf eine tief verankerte nationalistische Ideologie hinweisen. Nicht die nationale Flagge ist das Problem – sondern die rote und schwarze Flagge der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee), die eng mit der OUN und Bandera verbunden ist. Diese Fahnen stehen für eine düstere, brutale Vergangenheit, doch sie werden mit einem unverständlichen Stolz zur Schau gestellt. Die Frage, die sich dabei unweigerlich stellt: Ist das ein Zeichen von Unwissenheit oder bewusster Geschichtsverleugnung?

Man stelle sich vor, irgendwo in Europa würde die Hakenkreuzflagge auf einem öffentlichen Platz wehen. Das Entsetzen wäre universal. Doch in der Ukraine scheint man sich mit der Symbolik des Hasses arrangiert zu haben. Offizielle Politiker marschieren bei Paraden mit dieser Fahne, als wäre es ein unverfängliches Stück Nationalstolz. Man könnte glauben, es handele sich dabei um ein Missverständnis – aber in Wahrheit ist es der Ausdruck eines tief verankerten Nationalismus, der sich gegen die Aufarbeitung der eigenen Verbrechen sträubt.

Der Elefant im Raum

Und nun zum vielleicht verstörendsten Aspekt: die Präsenz von (Neo)Nazis in den Reihen der ukrainischen Armee. Es wird oft behauptet, dass die Ukraine sich in einem heroischen Kampf gegen die russische Aggression befinde – und das ist auch nicht falsch. Doch was dabei allzu gerne übersehen wird, ist, dass dieser Kampf mitunter von Extremisten angeführt wird, die nicht einmal im Verborgenen operieren.

Das Asow-Regiment, ein paramilitärisches Bataillon, das offiziell in die ukrainischen Streitkräfte integriert ist, ist vielleicht das prominenteste Beispiel. Es hat sich in der Vergangenheit nicht gescheut, offen mit Nazi-Symbolik zu hantieren. Doch das wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft unter den Teppich gekehrt – schließlich kämpfen sie gegen den „Feind“ und stehen daher auf der richtigen Seite der Geschichte. Dieses „Hauptsache, sie kämpfen gegen Russland“-Narrativ ist eine bequeme Ausrede, um sich nicht mit den ideologischen Abgründen dieser Gruppen auseinandersetzen zu müssen. In Europa und den USA drückt man die Augen zu, denn eine offene Diskussion über ukrainische Neonazis würde nicht in das politisch korrekte Bild eines „unterdrückten“ Landes passen, das um seine Souveränität ringt.

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Der Versuch, einen „failed state“ zu kaschieren

Der Begriff „failed state“ wird oft benutzt, um Länder zu beschreiben, die in politischem und wirtschaftlichem Chaos versinken. Aber ist die Ukraine wirklich ein „failed state“? Die Frage ist eher rhetorisch, denn wenn man ehrlich ist, gibt es kaum Zweifel. Die Ukraine ist ein Land, das seit Jahrzehnten von Korruption zerfressen wird, das von Oligarchen beherrscht wird und dessen politische Struktur in einem ständigen Zustand der Selbstzerstörung verharrt. Doch die Außenwelt tut so, als wäre das alles nur eine kleine Phase, als könnte man das mit westlicher Unterstützung und ein paar Milliarden Euro wieder geradebiegen.

Die ungeschönte Wahrheit ist, dass die Ukraine ein Paradebeispiel dafür ist, wie man einen Staat ins Chaos führt – und wie die Weltgemeinschaft einfach wegschaut, solange es geopolitisch opportun ist. Denn die geopolitische Karte der Ukraine ist einfach zu wertvoll, als dass man sie aufgeben könnte. Also wird eine Fassade des demokratischen Fortschritts aufrechterhalten, während hinter den Kulissen Oligarchen, korrupte Politiker und ultranationalistische Extremisten das Sagen haben. All das wird durch den „Kampf gegen Russland“ übertüncht. Solange die Ukraine einen Puffer gegen die russische Expansion bildet, ist alles andere zweitrangig – und so wird das moralische Dilemma einfach weggewischt.

Europas Schweigen

Warum spricht niemand über diese Probleme? Ganz einfach: Die Ukraine ist der Schützling des Westens, das geopolitische Schachbrett, auf dem sich der Konflikt zwischen Russland und der NATO abspielt. Niemand will riskieren, das fragile Kartenhaus zu erschüttern, indem man auf die unbestreitbare Tatsache hinweist, dass der ukrainische Staat in vielerlei Hinsicht gescheitert ist.

Europäische Politiker halten sich bedeckt, die Medien stützen lieber das Narrativ des heldenhaften Kampfes. Kritiker werden schnell als „russische Propagandisten“ abgestempelt. Es gibt schlichtweg keine Bereitschaft, sich mit den dunklen Seiten der ukrainischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, weil dies den westlichen Interventionismus in Frage stellen könnte. Also wird kollektiv weggesehen, man schweigt sich aus, man relativiert und verharmlost. Man toleriert, was in anderen Staaten als untragbar gilt.

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Das unbequeme Schweigen Europas

Die Ukraine ist ein politischer „failed state“, der von Oligarchen, Korruption und ultranationalistischen Ideologien zerrüttet ist. Die Verehrung von Nazi-Kollaborateuren wie Stepan Bandera und die Präsenz von Neonazis in der Armee sind keine Einzelfälle, sondern tief in die Gesellschaft eingebettet. Dennoch wird darüber nicht gesprochen, zumindest nicht von denen, die politische Verantwortung tragen. Die Ukraine bleibt der blinde Fleck Europas, der aus geopolitischem Kalkül ignoriert wird. Das moralische Schweigen über die dunklen Kapitel dieses Landes ist ohrenbetäubend – und es wird Zeit, dass sich das ändert.


Quellen und weiterführende Links:

  1. Snyder, Timothy: Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin, C.H. Beck, 2011.
  2. Marples, David: Heroes and Villains: Creating National History in Contemporary Ukraine, Central European University Press, 2007.
  3. Higgins, Andrew: „A Ukrainian Hero’s Biography Isn’t Simple“, New York Times, 2015.
  4. Hrytsak, Yaroslav: „Ukrainian Nationalism in the 20th Century“, Harvard Ukrainian Studies, Vol. 23, 1999.
  5. Shekhovtsov, Anton: Russia and the Western Far Right: Tango Noir, Routledge, 2017.
  6. Euromaidan Press: www.euromaidanpress.com
  7. Ukrainian Weekly: www.ukrainianweekly.com
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