Streaming – Das neue Rauchen

Wie wir unsere Energiewende in die Cloud schicken

Es ist ein herrlicher Samstagmorgen. Du wachst auf, streckst dich im Bett und greifst – wie so oft – nach deinem Smartphone. Ein flüchtiger Gedanke an den Frühstückstisch? Fehlanzeige. Stattdessen noch schnell die nächste Folge der neuesten Netflix-Serie, die dir der Algorithmus gnädigerweise vorsetzt, damit du ja keine Minute ohne Unterhaltung verbringst. Der virtuelle Schrein von Amazon Prime, Disney+, YouTube und Konsorten muss schließlich auch noch bedacht werden. Und wir wollen doch alle effizient sein, nicht wahr?

Aber während du dich gemütlich in deine Kissen kuschelst und die neuesten Abenteuer deiner fiktiven Helden verfolgst, passiert im Hintergrund etwas, das du niemals zu Gesicht bekommen wirst. Etwas, das so gigantisch und monströs ist, dass selbst die Götter der Antike erblassen würden. Es ist weder mystisch noch göttlich, sondern höchst real: Die Rechenzentren, die das alles erst ermöglichen. Tausende Quadratmeter vollgestopft mit Servern, die sich mühsam durch den Datenstau wühlen und dir deine nächste Episode oder deinen Lieblings-Influencer servieren. Eine wahrhaft moderne Heldentat.

Doch so unbemerkt diese Datenmaschinen auch arbeiten, sie haben eine Schwäche – sie sind hungrig, nein, besser gesagt: Sie sind gierig. Nach Strom, nach Energie, nach Ressourcen. Man könnte fast glauben, sie sind die neuen Kohleöfen der digitalen Revolution. Frankfurt am Main, einst nur als Bankenmetropole bekannt, ist längst zur Zentrale der weltweiten Datenflüsse avanciert. Mit dem größten Internetknotenpunkt weltweit zieht die Stadt nicht nur Daten an, sondern auch ganze Rechenzentrums-Kolosse, die es sich in den Randbezirken gemütlich machen.

Frankfurt – der Kilowattkönig und das kalte Grauen

Jedes dieser Rechenzentren verbraucht so viel Strom wie eine Kleinstadt. Lasst euch das auf der Zunge zergehen: Nicht wie ein Haushalt, nicht wie ein Viertel, sondern eine Kleinstadt. Und das in einer Stadt, die ohnehin schon berühmt für ihre Skyline ist, die leuchtet, flimmert und blinkt, als wollte sie Las Vegas Konkurrenz machen. Aber was man von außen nicht sieht, ist das wahre Drama hinter den Fassaden der Hochglanz-Stromfresser. Diese Ungetüme heizen nicht nur in metaphorischem Sinne ein, sie tun das auch wortwörtlich.

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Rechenzentren produzieren jede Menge Wärme. Und was macht man mit dieser Hitze? Richtig, man kühlt sie herunter. Schließlich sollen die Server nicht überhitzen. Also baut man Kälteanlagen, die noch mehr Energie verschlingen. Kälte für die Wärme – das klingt fast schon wie ein schlechter Witz, oder? Aber genau das passiert. Während du auf „Play“ drückst, dreht sich irgendwo im Keller einer dieser Giganten ein Kühlaggregat, das in etwa so energieeffizient arbeitet wie ein Kohlebagger im Tagebau.

Und jetzt kommt der Clou: Diese Rechenzentren machen inzwischen etwa 25 Prozent des Stromverbrauchs in Frankfurt aus. Ein Viertel der Energie, die die Stadt verbraucht, fließt in riesige Maschinen, damit du und Millionen anderer ihre Lieblingsserien streamen, ihre Cloud-Dateien sichern oder ihre TikTok-Videos hochladen können. Stell dir vor, eine Viertelstunde deiner geliebten Serie entspricht ungefähr der Energie, die dein Kühlschrank für mehrere Tage benötigt. Aber halt, es wird noch besser: Der Hunger wächst. In den nächsten zehn Jahren könnte der Energiebedarf der Rechenzentren weltweit um mehr als 60 Prozent ansteigen. Wenn das mal kein erfrischender Gedanke ist, nicht wahr?

Die Energiewende – ein Opfer des digitalen Opulenzwahns

Doch wie ist das möglich? Leben wir nicht in Zeiten, in denen jeder Greta Thunberg-Zitat gleich mehrfach liken muss, um sein Gewissen zu beruhigen? Ist nicht überall von Energiewende, grüner Energie und Nachhaltigkeit die Rede? Sollte es nicht unser gemeinsames Ziel sein, den Planeten vor dem klimatischen Kollaps zu bewahren, während wir gleichzeitig unsere Fußabdrücke auf Instagram teilen? Doch so hehr diese Ziele auch sind, es gibt ein kleines Problem, das sich „Rechenzentren“ nennt. Die sind nämlich das trojanische Pferd der digitalen Revolution – nach außen unsichtbar, doch im Inneren brennend heiß und energieintensiv.

Und hier wird es spannend: Während wir uns gegenseitig für die kleinste CO₂-Einsparung auf die Schulter klopfen, bauen wir gleichzeitig weltweit immer mehr dieser energiefressenden Datenburgen. Und nein, es reicht nicht, den Schalter auf „grün“ zu stellen und zu glauben, man hätte die Lösung gefunden. Denn selbst wenn wir es schaffen würden, diese Datenzentren ausschließlich mit erneuerbarer Energie zu betreiben, bleibt ein großes Problem: Diese Energie fehlt dann an anderer Stelle. Es gibt nämlich keine unendliche Energiequelle, auch wenn wir uns das oft wünschen.

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Das heißt: Mehr Strom für Netflix bedeutet weniger Strom für Windräder, Elektroautos oder, na ja, dein Zuhause. Jeder zusätzliche Megawatt für die Server kostet uns im Gegenzug einen Teil unserer Energiewende. Und hier kommt die bittere Wahrheit ans Licht: Wenn sich der aktuelle Trend fortsetzt, können wir die ehrgeizigen Klimaziele nur noch in unseren Träumen erreichen – oder in den einschlägigen Streaming-Dokumentationen darüber.

Streaming – das neue Rauchen

Und jetzt, liebe Leserinnen und Leser, fragt euch: Ist es das wirklich wert? Wollen wir wirklich unsere Energiewende auf dem Altar des unendlichen Datenkonsums opfern? Ist es notwendig, dass wir jede freie Minute in digitale Inhalte investieren, während die Stromzähler der Rechenzentren immer schneller ticken? Ist Streaming das neue Rauchen – ein Genuss, der uns langfristig die Lebensgrundlage entzieht?

Früher war es der qualmende Fabrikschornstein, der die Umwelt verschmutzte und für schlechte Luft sorgte. Heute ist es der unsichtbare Datenfluss, der unser Stromnetz belastet und unsere Klimabilanz aus dem Gleichgewicht bringt. Vielleicht ist es an der Zeit, sich eine neue Art von „Streaming-Diät“ zu überlegen. Oder müssen wir erst auf den „CO₂-Filter“ für Rechenzentren warten, bevor wir erkennen, dass unser virtueller Überfluss ein reales Problem ist?

Das Ende der Wolke?

Die Streaming-Industrie wird weiter wachsen. Das ist eine Tatsache, die uns keiner streitig machen wird. Aber es ist auch an der Zeit, dass wir beginnen, die Konsequenzen unseres virtuellen Überflusses zu erkennen. Die Cloud mag wie ein leichter, unsichtbarer Hauch am Himmel erscheinen – doch in Wahrheit ist sie eine schwerfällige, energiehungrige Maschine, die immer größer und größer wird.

Die Wahrheit ist: Solange wir unseren digitalen Konsum nicht in den Griff bekommen, wird die Energiewende ein ferne Utopie bleiben, die uns in den Serverfarmen von Frankfurt und anderswo um die Ohren fliegt.

Quellen und weiterführende Links:

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