
Wie sehr sind wir eigentlich überrascht?
Es war einmal ein Papst, und dieser Papst war – wie sollte es anders sein – katholisch. Überraschend? Nein. Ungeheuerlich? Kaum. Es ist schließlich kaum revolutionär, wenn der Papst in der Luft – zwischen Gebet und Bordessen – die katholische Linie bezüglich Abtreibung wiederkäut wie ein alternder Rhetoriker. Mord sei es, das sagte er. Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, seien nichts anderes als „Auftragsmörder“. Moment, Papst Franziskus, ist das alles, was du uns bietest? Eine Metapher aus dem „Godfather“? Klar, die italienische Kultur durchzieht das Papsttum. Aber diesen düsteren Pulp-Film-Charme hättest du uns doch ersparen können, lieber Heiliger Vater.
Es folgte die Entrüstung, das fassungslose Kopfschütteln, und – man kann sich fast die Augen verdrehen sehen – eine diplomatische Krise. Was passiert ist, fragen Sie? Nun, der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo tat das, was man heutzutage so tut, wenn ein religiöser Anführer sich in das Heilige der Heiligen, die säkulare Gesetzgebung, einmischt: Er wurde empört. „Inakzeptabel“ nannte er die Aussagen des Papstes und ließ den vatikanischen Botschafter, den Erzbischof Franco Coppola, in sein Büro zitieren. Hier eine kleine Lektion in internationaler Diplomatie: Ein Gespräch dieser Art ist ungefähr so freundlich wie eine Grillparty im Schlachthaus.
Ein Papst tut papstiges
Man fragt sich unwillkürlich: Wie oft müssen wir uns das noch antun? Wie oft müssen sich Staatsoberhäupter von demokratischen Staaten über die völlig vorhersehbaren Aussagen eines alten Mannes in Weiß empören? Ist das nicht die Definition von Wahnsinn, immer wieder dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten? Papst Franziskus ist nicht dafür bekannt, auf der Welle des gesellschaftlichen Fortschritts zu reiten. Er ist nicht Greta Thunberg, er ist nicht einmal Justin Trudeau. Nein, er ist der Pontifex Maximus, der oberste Hirte der katholischen Schafe, und diese Schafe lieben es, wenn er „Mord“ ruft.
Belgien allerdings – das muss man zugestehen – ist in Sachen Abtreibungsgesetzgebung kein unschuldiges Land. Die historische Wunde, die der Papst aufreißt, ist alt und tief. König Baudouin, einst belgisches Staatsoberhaupt und katholisches Vorbild, weigerte sich 1990, ein Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung zu unterzeichnen. Die Konsequenz? Ein 36-stündiger Rücktritt, während das Parlament den König vorübergehend entmachtete, um das Gesetz durchzubringen. Die katholische Seele des Königs war gerettet, das Gesetz dennoch beschlossen. Ein historisches Drama, das so viel Pathos in sich trägt, dass selbst Shakespeares Tinte darunter trocknen würde.
Franziskus und der Totentanz der Worte
Doch die symbolische Bedeutung von Baudouins „Martyrium“ ist nichts im Vergleich zur rhetorischen Gewalt, mit der Franziskus seine Wortkanonade abfeuerte. „Auftragsmörder“, wiederholt er, als hätte er in einer Mafia-Serie mitgespielt. Doch was erwartet man? Dass der Papst den Ärzten Blumen überreicht, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen? Dass er mit einem süffisanten Lächeln sagt: „Macht mal, ich mische mich da nicht ein“? Natürlich nicht. Franziskus weiß, was seine Rolle ist, und die ist es, die ultrakonservativen Herzen in Schockstarre zu versetzen. Sein rhetorisches Trommelfeuer soll auch gar nicht den belgischen Premierminister überzeugen – der ist ohnehin längst vom Glauben abgefallen – nein, es geht darum, der Gläubigen-Basis zu zeigen, dass das Papsttum nicht aufgibt. Dass der Pabst bleibt, was er immer war: eine moralische Instanz mit dem Rückgrat eines Ambosses.
Alexander De Croo hätte das alles wissen müssen. Stattdessen antwortet er mit der Empörung eines Menschen, der plötzlich feststellt, dass die Erde rund ist. „Unakzeptabel“, tönt es aus Brüssel, als hätte der Papst das belgische Parlament mit einem Exorzismus belegt. Hat De Croo wirklich geglaubt, er könnte Franziskus davon überzeugen, dass Abtreibung nicht Mord ist? Oh, süßer Sommertraum der Rationalität.
Die ewige Rückkehr des ewig Gleichen
Warum eigentlich diese Aufregung? Die Kirche hat längst ihren Einfluss auf die Gesetzgebung verloren – zum Glück. Trotzdem hält sie den moralischen Zeigefinger so hoch wie die Glorie in einem Barockgemälde. Es ist die alte, zähe Debatte: Kirche versus Staat. Es ist so vorhersehbar wie der Sonnenaufgang, und doch fallen Politiker wie De Croo immer wieder auf die gleiche Falle herein. Vielleicht, weil es sich gut macht, vor dem Parlament ein bisschen aufzubegehren. Vielleicht, weil der Premierminister weiß, dass er nichts verliert, wenn er den Papst kritisiert. Die Zeiten, in denen die Kirche die Zügel der Macht in der Hand hielt, sind tatsächlich vorbei. Aber diese „Empörung“ ist auch eine Schattenspielerei. Das Publikum applaudiert, der Premierminister verbeugt sich – doch in den Hinterzimmern bleibt alles beim Alten.
Franziskus indes, im Brustton der Überzeugung, lobt Baudouin als Heiligen und fordert die Belgier auf, diesem royal-katholischen Vorbild zu folgen. Man fragt sich: Meint er das ernst? Will er wirklich, dass Belgien sich wieder in einen theokratischen Kleinstaat verwandelt? Wohl kaum. Der Papst weiß sehr wohl, dass er weder den Lauf der Geschichte ändern noch die demokratischen Errungenschaften rückgängig machen kann. Doch die Moralkeule schwingen – das kann er. Und das tut er in einer Art und Weise, die fast schon bewundernswert ist in ihrer sturköpfigen Beständigkeit. Wie ein alter Boxer, der weiß, dass er den Kampf längst verloren hat, aber trotzdem immer wieder aufsteht und ausholt.
Belgien und die moralische Absolution
Am Ende dieses absurden Spiels bleibt die Frage: Wer hat gewonnen? Hat Franziskus mit seinem Kampf gegen das „mörderische Gesetz“ etwas erreicht? Hat De Croo mit seiner Empörung die belgische Bevölkerung auf seine Seite gezogen? Die Antwort ist so simpel wie ernüchternd: Niemand. Die Debatte um Abtreibung wird weitergehen, die Kirche wird weiter den moralischen Zeigefinger schwingen, und Politiker werden weiterhin überrascht tun, wenn der Papst katholische Dinge sagt. Die Welt dreht sich weiter, der Papst bleibt Papst, und Belgien bleibt Belgien. Ein schönes Land, das sich schon lange von den Fesseln der katholischen Moral gelöst hat – und das nun trotzdem in einer absurden Beziehung mit einem Mann in Weiß verharrt, der seine Rolle perfekt spielt: als Wächter über eine längst vergessene Moralordnung.
Am Ende bleibt nur die resignierte Erkenntnis: Ja, der Pabst bleibt Pabst. Und ja, wir werden uns auch beim nächsten Mal über seine Worte empören. Doch insgeheim wissen wir alle: Es hat nichts mit uns zu tun. Es ist nur das alte Spiel, das weitergeht, bis der letzte Vorhang fällt.
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