Liebe Schüler

Man beginnt ein Essay mit einer Anrede, wenn man den pädagogischen Ton gleich zu Beginn ein wenig überziehen möchte, so wie man früher die Butter dicker aufs Brot strich, wenn der Besuch aus der Stadt kam. Liebe Schüler also, ihr zukünftigen Träger der demokratischen Fackel, ihr noch ungeimpften Gehirne, ihr Rohdiamanten der Urteilskraft. Setzt euch bequem hin, klappt die Laptops auf, schaltet die Neugier bitte auf Standby und lauscht der frohen Botschaft aus der pädagogisch-administrativen Mittelzone Europas: Kritik ist gefährlich, Zweifel verdächtig, Ironie toxisch, und wer lacht, lacht womöglich schon falsch. Es ist die neue Form der politischen Bildung, serviert nicht mehr als trockene Staatsbürgerkunde, sondern als bunt illustrierte Warnhinweissammlung, mit Emojis, Checklisten und der tröstlichen Gewissheit, dass Denken endlich wieder delegierbar ist.

Die didaktische Erfindung des Verdachts

Die von der EU geförderte Initiative „Klicksafe“ – ein Name wie ein Versprechen aus der Welt der Kindersicherungen und Kantenschutzpolster – tritt an, euch vor den Gefahren des Netzes zu bewahren, was in etwa so klingt, als wolle man Jugendliche vor der Existenz von Straßen schützen, indem man ihnen das Gehen verbietet. 7,6 Millionen Euro wurden investiert, damit ausgerechnet Schulen zu Trainingslagern der semantischen Gefahrenabwehr werden. Der Feind ist nicht mehr das Argument, sondern der Tonfall; nicht mehr die Lüge, sondern das Misstrauen; nicht mehr der Extremismus, sondern die Frage. Die große pädagogische Innovation besteht darin, eine politische Haltung nicht mehr an Taten, Programmen oder Gewaltbereitschaft zu messen, sondern an der Unart, die Regierung „infrage zu stellen“. Ein Ausdruck, der klingt wie ein schlecht gelaunter Oberkellner: „Das steht hier nicht zur Debatte.“

Wenn Zweifel zum Delikt wird

Was früher der Kern demokratischer Tugend war – Skepsis gegenüber Macht, Misstrauen gegenüber offizieller Verlautbarung, die Lust am Widerspruch –, wird nun im Klassenzimmer zum Frühwarnsignal. Wer Journalistinnen und Journalisten nicht glaubt, gilt nicht mehr als kritisch, sondern als kontaminiert. Wer eine Außenministerin verspottet, nicht als Satiriker, sondern als Codeknacker des Rechtsextremismus. Dass Spott traditionell eine der ältesten Formen politischer Auseinandersetzung ist, wird dabei so diskret übergangen wie der Umstand, dass Demokratie ohne die Möglichkeit der Lächerlichmachung rasch zur sakralen Veranstaltung verkommt. Die Regierung infrage zu stellen – welch ungeheuerlicher Akt! Man möchte fast meinen, es handle sich um Majestätsbeleidigung in Jogginghosen.

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Die Checkliste als Weltanschauung

Besonders reizvoll ist die Idee, politische Gesinnung anhand von Checklisten zu erkennen, als sei Extremismus eine Pilzart, die man an Lamellen und Geruch identifiziert. Hat jemand „Blau trendet!!!“ geschrieben? Achtung. Hat jemand Umfragewerte gepostet? Alarm. Hat jemand der Tagesschau eine Täter-Opfer-Umkehr vorgeworfen? Sofortige Quarantäne. Die subtile Botschaft lautet: Es gibt erlaubte Kritik und verbotene Kritik, aber die Grenze verläuft nicht entlang der Argumente, sondern entlang der institutionellen Befindlichkeit. Kritik an der Presse ist nur dann legitim, wenn sie folgenlos bleibt, am besten in einem Seminarraum, der schlecht gelüftet ist und keine Außenwirkung entfaltet. Öffentlich geäußert wird sie zur „Delegitimierung“, ein Wort, das klingt, als habe es ein Jurist mit Angststörung erfunden.

Emojis, die neuen Gesinnungsabzeichen

Dass nun auch Emojis in den Verdachtsraum einbezogen werden, ist die logische Vollendung dieser Pädagogik. Das Schaf, jahrhundertelang ein Symbol für Sanftmut oder Opferbereitschaft, wird zur Chiffre des Rechtsextremen, weil es an das böse Wort „Schlafschaf“ erinnert. Der Clown, einst Figur des Narren, der dem König die Wahrheit sagen durfte, steht plötzlich für unzulässige Regierungskritik. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Clown ist gefährlich, weil er lacht. Humor wird zum Risiko, Ironie zum Einstieg in den Abgrund. Vielleicht ist das konsequent in einer Zeit, in der Ernsthaftigkeit mit Moral verwechselt wird und Humor nur noch als genehmigtes Kabarett im Spätprogramm vorkommen darf.

Die heilige Dreifaltigkeit der Institutionen

„Delegitimierung demokratischer Institutionen“ – das klingt gewaltig, fast sakral. Regierung, Presse, Ordnung: ein moderner Katechismus. Wer Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Staatsfunk“ verwendet, so heißt es, untergräbt das Vertrauen in die Medien. Das mag stimmen, doch was unterschlagen wird, ist die banale Erkenntnis, dass Vertrauen kein pädagogisches Lernziel ist, sondern das Resultat von Erfahrung. Man kann Vertrauen nicht befehlen, man kann es nur verlieren oder verdienen. Der Versuch, Schülern beizubringen, dass Zweifel per se verdächtig sei, erzeugt keine mündigen Bürger, sondern gut dressierte Konsumenten offizieller Wirklichkeit. Die „alternative Medien“, vor denen gewarnt wird, sind dabei weniger das Problem als das Symptom einer Öffentlichkeit, die den Unterschied zwischen Kritik und Feindschaft nicht mehr aushält.

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Satire als letzte Bastion

Und so bleibt am Ende nur die Satire, dieses augenzwinkernde Rettungsboot im Ozean der moralischen Gewissheiten. Sie erlaubt es, die Absurdität zu benennen, ohne gleich eine Checkliste auszufüllen. Sie zeigt, dass eine Demokratie, die Angst vor Clown-Emojis hat, vielleicht weniger unter Rechtsextremismus leidet als unter Humorlosigkeit. Liebe Schüler, wenn ihr eines mitnehmen wollt aus dieser digitalen Schulstunde des Lebens, dann vielleicht dies: Extremismus beginnt nicht dort, wo jemand lacht, zweifelt oder fragt, sondern dort, wo diese Tätigkeiten verboten oder verdächtig werden. Und wenn euch das jemand als gefährlich verkauft, dann setzt ruhig ein Clown-Emoji darunter – ganz unschuldig, versteht sich.

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