Unsicher, ob nicht doch ein Antisemit sind?

Machen Sie doch den 3-D-Test nach Scharanski

Es gibt Selbsttests für alles: Burn-out, Laktoseintoleranz, Bindungsangst, Narzissmus, die eigene CO₂-Schuld. Warum also nicht auch einen für das moralische Unbehagen, das sich einstellt, wenn man merkt, dass die eigene Israelkritik mit einer gewissen Regelmäßigkeit dort landet, wo der Kompass nicht nur spinnt, sondern sich genüsslich im Kreis dreht? Der 3-D-Test nach Natan Scharanski ist so etwas wie ein Atemalkoholtest für politische Erregung: Er ist unerquicklich, er riecht streng nach Realität, und er ist besonders unbeliebt bei jenen, die fest davon überzeugt sind, vollkommen nüchtern zu sein. Dämonisierung, Doppelstandards, Delegitimierung – drei Buchstaben, drei Spiegel. Man muss nicht hineinschauen. Aber wer hineinschaut und danach behauptet, es sei nichts zu sehen gewesen, hat entweder die Augen geschlossen oder den Spiegel für einen Angriff gehalten.

Dämonisierung

Beginnen wir mit der Dämonisierung, diesem alten Klassiker, der so zuverlässig wiederkehrt wie der Weihnachtsschmuck im September. Früher war es der Gottesmord, später der Brunnen, dann das Geld, immer wieder das Hinterhältige, das Unheimliche, das angeblich Überlegene und zugleich Verderbte. Shylock war keine literarische Figur, sondern ein gesellschaftlicher Seismograf: Er zeigte an, wo es bebte. Heute trägt der Dämon ein modernes Kostüm, er spricht NGO-Englisch und twittert in Echtzeit. Israel ist dann nicht einfach ein Staat unter vielen, der Fehler macht, Kriege führt, schmutzige Kompromisse schließt und in tragische Verstrickungen gerät, sondern das metaphysische Böse selbst, der Endgegner der Moralgeschichte. Auschwitz wird zur Metapher für alles, was man verurteilen möchte, das Warschauer Ghetto zur Requisite für jede Grenzkontrolle, und Gaza – komplex, elend, politisch missbraucht, real leidend – zur universellen Chiffre für die eigene Empörung. Wer Israelis mit Nationalsozialisten vergleicht, verrät dabei weniger über Israel als über das eigene Geschichtsverständnis, das offenbar glaubt, das singuläre Verbrechen des industrialisierten Massenmords eigne sich hervorragend als rhetorischer Schraubenzieher für jede beliebige moralische Reparatur. Die Pointe ist zynisch und unerquicklich: Ausgerechnet im Namen der Erinnerung wird die Erinnerung entleert. Wenn dann noch Sätze fallen wie „Israel ist ein Terrorregime“ oder man das Land gleich ganz zum „Satan“ erklärt, ist der Schritt von der politischen Kritik zur metaphysischen Verdammung vollzogen. Der Jude als Teufel, diesmal mit Start-up-Kultur und Luftabwehrsystem – die Folklore ändert sich, das Motiv bleibt.

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Doppelstandards

Der zweite D ist der bequemste, weil er sich so elegant tarnen lässt: Doppelstandards. Man kann sie tragen wie ein unscheinbares Sakko, das nur bei genauem Hinsehen verrät, dass die Innentaschen ausschließlich für einen einzigen Staat genäht wurden. Natürlich darf man Israel kritisieren. Man darf es laut, scharf, detailliert, ja sogar ungerecht tun. Aber wenn ausgerechnet Israel zur einzigen Bühne wird, auf der die Welt ihre moralische Oper aufführt, während anderswo das Orchester schweigt, dann lohnt ein zweiter Blick. UNO-Resolutionen, die sich mit der Präzision eines Laserstrahls auf Jerusalem richten, während Peking, Teheran, Damaskus oder Havanna im diplomatischen Halbschatten verschwinden, sind keine Naturgesetze, sondern politische Entscheidungen. Wer israelische Militärschläge mit moralischer Inbrunst verdammt, aber den Raketenbeschuss auf israelische Städte nur als Fußnote behandelt, betreibt keine ausgewogene Kritik, sondern selektive Empörung. Und wer den Umgang Israels mit Palästinensern seziert, während er die systematische Unterdrückung von Juden, Dissidenten oder Homosexuellen in der Region achselzuckend hinnimmt, hat den Universalismus der Menschenrechte in einen regional begrenzten Sondertarif umgewandelt. Das Argument, Israel müsse sich als Demokratie höheren Maßstäben stellen, klingt edel, wirkt aber schief, wenn diese Maßstäbe ausschließlich dazu dienen, einen einzigen Akteur zu züchtigen, während die übrigen mit moralischem Rabatt durchgewunken werden. Der alte Reflex kehrt zurück: Gleichheit vor dem Gesetz – aber bitte nicht für die Juden.

Delegitimierung

Am schwersten wiegt das dritte D, weil es den Boden selbst unter den Füßen wegzieht: die Delegitimierung. Hier geht es nicht mehr um dieses oder jenes Gesetz, diese oder jene Regierung, diesen oder jenen Krieg, sondern um die Frage, ob Israel überhaupt sein darf. Der Staat wird zum historischen Irrtum erklärt, zum kolonialen Überbleibsel, zur Anomalie, die man rückabwickeln müsse, selbstverständlich im Namen der Gerechtigkeit. Dass andere Staaten mit ähnlich blutigen, künstlichen oder kolonialen Entstehungsgeschichten unbehelligt weiterexistieren, stört dabei wenig; Konsequenz ist etwas für Buchhalter. Juden, so die implizite Botschaft, sind das einzige Volk, dem man das Recht auf kollektive Selbstverteidigung, auf politische Souveränität und auf einen Schutzraum verweigern kann, ohne rot zu werden. Antizionismus nennt man das dann, als wäre es eine harmlose Geschmacksfrage wie die Abneigung gegen Koriander. Dass sich in dieser Haltung die alte Entwertung des Judentums fortsetzt – nun nicht mehr als Religion, sondern als Volk – wird mit semantischem Feingefühl überdeckt. Geschichtsklitterung hilft dabei ebenso wie Verschwörungstheorien über die Staatsgründung, die den Juden wahlweise als allmächtige Strippenzieher oder als illegitime Eindringlinge erscheinen lassen. Wer Israel das Recht auf Selbstverteidigung abspricht, während er es jedem anderen Staat zugesteht, fordert implizit, dass Juden schutzlos zu sein haben – eine Forderung, die historisch betrachtet eine bemerkenswerte Kontinuität besitzt.

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Schlussbemerkung mit Augenzwinkern

Der 3-D-Test ist kein Gesinnungs-TÜV, er ersetzt weder Denken noch Empathie. Er ist ein Warnsignal, kein Urteilsspruch. Wer bei einem der Ds zusammenzuckt, ist nicht automatisch Antisemit, aber vielleicht auf dem besten Weg, alte Muster in neuer Verpackung zu reproduzieren. Satire hilft, den Ernst zu ertragen, aber sie entbindet nicht von Verantwortung. Am Ende ist der Test weniger eine Prüfung Israels als eine der eigenen intellektuellen Redlichkeit. Wer ihn besteht, darf Israel weiterhin kritisieren – vielleicht sogar besser. Wer ihn nicht besteht, kann sich trösten: Einsicht ist der erste Schritt. Und Spiegel, so viel Zynismus sei erlaubt, sind geduldige Gegenstände. Sie laufen nicht weg.

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