Die moralische Einkaufstüte

Plastikverbote haben etwas Beruhigendes. Sie sind wie diese schlichten Holzperlenketten aus dem Weltladen: Man legt sie sich um, fühlt sich sofort besser und muss nichts weiter erklären. Auf dem Papier – diesem heroisch unterschätzten Rohstoff aus gefällten Bäumen – klingen sie nach Erlösung. Endlich etwas Konkretes, Endlich etwas Verbotenes, Endlich ein klares Gut und ein ebenso klares Böse. Plastik ist das neue Rauchen: unästhetisch, ungesund, gesellschaftlich geächtet. Wer noch eine Plastiktüte benutzt, steht moralisch irgendwo zwischen Dieselfahrer und Kohlekraftwerksbetreiber. Dass diese Plastiktüte in vielen Fällen ökologisch sinnvoller ist als ihre papierenen, hölzernen oder baumwollenen Ersatzreligionen, stört die Dramaturgie. Und Dramaturgie ist im Umweltdebattenbetrieb wichtiger als Physik, Chemie oder Mathematik.

Denn Verbote funktionieren kommunikativ hervorragend. Sie sind einfach, fotogen und laden zu moralischer Selbstüberhöhung ein. Wer etwas verbietet, muss nichts erklären, sondern nur Haltung zeigen. Wer etwas benutzt, muss sich rechtfertigen. Plastik ist dabei der perfekte Sündenbock: sichtbar, greifbar, emotional aufgeladen. Dass der eigentliche ökologische Schaden oft weniger vom Material als von Menge, Nutzung und Entsorgung abhängt, ist eine Fußnote – und Fußnoten haben noch nie einen Applaus auf einer Klimakonferenz ausgelöst.

COP30 und das große Wiederholungsritual

Auf der COP30 – wie schon auf der COP29, COP28 und allen COPs davor – wird man wieder hören, was man immer hört. Plastik verbieten. Unternehmen stärker regulieren. Kosten erhöhen. Am besten alles gleichzeitig, möglichst schnell und unter Applaus. Die Rhetorik ist ritualisiert, fast liturgisch. Plastik wird beschworen wie ein Dämon, den man nur laut genug exorzieren muss, damit er verschwindet. Differenzierung gilt als Schwäche, Skepsis als Verrat, Zahlen als neoliberale Ablenkung. Wer fragt, ob ein Verbot wirklich zu weniger Umweltbelastung führt oder nur zu teureren, schwereren und ressourcenintensiveren Alternativen, hat den Geist der Konferenz offenbar nicht verstanden.

Unternehmen werden dabei gerne als gierige Materialisten dargestellt, die nur aus Bosheit Plastik einsetzen. Die banale Wahrheit – dass Plastik oft genutzt wird, weil es leicht, langlebig, hygienisch und energieeffizient herzustellen ist – passt nicht ins Narrativ. Es ist einfach unerquicklich, wenn das Böse plötzlich praktische Vorteile hat. Also tut man so, als ließe sich die Welt retten, indem man Materialien austauscht wie Requisiten in einem Theaterstück. Plastik raus, Papier rein, Applaus, nächste Agenda-Punkt.

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Papier, Holz und Baumwolle: Die heiligen Kühe aus Zellulose

Papier klingt natürlich. Holz klingt warm. Baumwolle klingt weich und unschuldig. Alles daran suggeriert Reinheit, Waldluft und moralische Überlegenheit. Leider sind diese Materialien ökologisch so harmlos wie ein SUV mit Bambusverkleidung. Papier benötigt enorme Mengen Wasser, Energie und Chemikalien, wird schwer transportiert und reißt gern genau dann, wenn man es nicht gebrauchen kann. Holz wächst langsam, beansprucht Fläche und wird – Überraschung – ebenfalls gefällt. Baumwolle ist ein ökologischer Albtraum mit PR-Agentur: wasserintensiv, pestizidlastig und in vielen Regionen mit massiven sozialen Problemen verbunden.

Trotzdem gelten diese Materialien als „gut“, weil sie vertraut sind und sich gut anfühlen. Niemand empört sich über abgeholzte Wälder für Einwegverpackungen, solange diese sich „plastikfrei“ nennen dürfen. Niemand rechnet nach, wie oft eine Baumwolltasche benutzt werden müsste, um ihre ökologische Schuld abzutragen – Spoiler: sehr oft. Aber rechnen ist unerquicklich. Rechnen zerstört die Illusion, dass man durch Materialfetischismus die Welt rettet.

Der Preis der guten Absicht

Natürlich kostet das alles Geld. Papier-, Holz- und Baumwollalternativen sind nicht nur ökologisch oft schlechter, sondern auch teurer – zwei-, drei-, manchmal siebenmal so teuer. Diese Kosten verschwinden nicht im moralischen Nirwana, sondern landen dort, wo sie immer landen: beim Verbraucher. Der zahlt mehr für Produkte, die schneller kaputtgehen, schwerer sind und öfter ersetzt werden müssen. Fortschritt fühlt sich dann an wie Rückschritt mit Aufpreis. Aber immerhin kann man sich beim Bezahlen innerlich auf die Schulter klopfen: Man hat ja etwas Gutes getan.

Diese Verteuerung trifft natürlich alle, aber besonders jene, die sich ökologische Symbolpolitik am wenigsten leisten können. Nachhaltigkeit wird so zur Lifestyle-Option für Gutverdiener, während der Rest lernt, dass Moral offenbar eine Frage des Kontostands ist. Doch auch das wird selten thematisiert, denn soziale Gerechtigkeit endet oft dort, wo sie unbequem wird – oder wo sie die Erzählung stört, dass Verbote automatisch Fortschritt bedeuten.

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Die satirische Pointe der Nachhaltigkeit

Am Ende ist das Plastikverbot ein wunderbar ironisches Projekt. Man ersetzt ein effizientes, leichtes und vielseitiges Material durch schwerere, ressourcenintensivere Alternativen, erklärt dies zum Sieg über die Umweltzerstörung und wundert sich später, warum Emissionen, Kosten und Frustration steigen. Man verbietet, reguliert und verteuert – und nennt das Verantwortung. Die Realität antwortet mit höheren Preisen, schlechterer Qualität und dem leisen, aber hartnäckigen Gefühl, dass hier etwas nicht ganz aufgeht.

Vielleicht ist das die eigentliche Tragikomödie unserer Zeit: Wir führen erbitterte Kulturkämpfe gegen Materialien, statt gegen Verschwendung, schlechte Entsorgung und gedankenlosen Konsum. Wir lieben Verbote mehr als Lösungen und Symbole mehr als Systeme. Plastik ist dabei nur das Opferlamm, das wir regelmäßig schlachten, um unser ökologisches Gewissen zu beruhigen. Und während wir uns über plastikfreie Verpackungen freuen, zahlen wir brav mehr – für Alternativen, die uns das gute Gefühl geben, auf der richtigen Seite zu stehen, selbst wenn diese Seite ökologisch betrachtet erstaunlich wackelig ist.

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