Die Kunst des großzügigen Mangels

Es ist eine eigentümliche Alchemie, die große Städte beherrschen: Aus wachsendem Mangel wird moralischer Reichtum destilliert, aus leeren Kassen eine umso vollere Haltung. Während im Alltag der Ton rauer wird, Gebühren steigen wie schlecht gelaunte Hefeteige und das Wort „Sparen“ sich in Gespräche fräst wie eine ungebetene Leitkultur, entfaltet sich parallel eine stille Operette der Großzügigkeit. Sie spielt nicht auf den Bühnen, sondern in Förderlisten, Tabellen und Berichten, deren nüchterne Zahlenkolonnen erst bei genauerem Hinsehen ihr komisches Potenzial offenbaren. Denn nichts ist satirischer als eine Stadt, die zugleich den Gürtel enger schnallt und mit weit ausholender Geste Geld verteilt – nicht aus Überfluss, sondern aus Überzeugung.

Förderlisten als moderne Lyrik

Wer sich durch die Förderberichte arbeitet, entdeckt rasch, dass es sich dabei weniger um Verwaltungsdokumente als um eine Art unfreiwillige Literatur handelt. Titel wie „Ich wollte Wien lieben, aber ich habe mich nicht getraut“ wirken wie Fragmente eines urbanen Seelenromans, zufällig mit 5.000 Euro dotiert. Die „Freunde des Pornografischen Films“ wiederum klingen nach einer verschollenen Avantgarde-Bewegung zwischen Kunstkino und VHS-Nostalgie und werden mit 15.000 Euro bedacht, vermutlich um die Erinnerung daran wachzuhalten, dass Provokation auch dann subventioniert werden kann, wenn sie niemand mehr so recht provoziert. Der Kulturverein Tuntenstraße läuft – im wahrsten Sinn – davon und erhält über 10.000 Euro für eine Laufveranstaltung, was die Frage aufwirft, ob hier sportliche Betätigung oder performativer Aktivismus gefördert wird, oder schlicht die Idee, dass Bewegung an sich bereits ein politisches Statement ist.

Verhältnisse, die sich nicht rechnen wollen

Besonders delikat wird die Angelegenheit dort, wo Zahlen in direkte Nachbarschaft geraten. 32.500 Euro für Feuerwehrjugend und Katastrophenhilfsdienst – ein Betrag, der fast rührend bescheiden wirkt, wenn man ihn neben die 79.000 Euro legt, die der Verein zur Förderung gendersensibler Bubenarbeit erhält. Man möchte hier nicht gegeneinander aufrechnen, wird aber geradezu eingeladen dazu, denn die Förderpraxis selbst betreibt dieses Rechnen ungeniert. Chinesische Pensionisten feiern mit 2.000 Euro, iranische Senioren ebenfalls – kleine Beträge, gewiss, aber symbolisch aufgeladen wie diplomatische Miniaturen. Es ist, als würde die Stadt sagen: Wir sehen euch alle, und wir geben euch allen ein bisschen, nur nicht unbedingt denen, die gerade mit Sirenen durch die Nacht fahren.

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Die große Zahl und ihr kleiner Schrecken

937 Millionen Euro an Förderungen in einem Jahr – eine Zahl, die sich dem Vorstellungsvermögen entzieht und gerade deshalb beruhigend wirken soll. Mehr als 715.000 Empfänger, Vereine, Organisationen oder Einzelpersonen werden bedacht, als handele es sich um eine urbane Version der Speisung der Fünftausend, nur eben mit Excel-Tabellen statt Brotlaiben. In dieser schieren Masse löst sich jede einzelne Entscheidung auf, wird zur statistischen Fußnote, zum unvermeidlichen Kollateraleffekt einer Politik, die nicht mehr fragt, ob etwas sinnvoll ist, sondern nur noch, ob es förderfähig formuliert wurde. Die Verwaltung wird zur Maschine, die Anträge verdaut und Geld ausspuckt, während draußen die Debatte über Einsparungen tobt wie ein schlecht synchronisiertes Hörspiel.

Globales Engagement, lokal bezahlt

Am augenfälligsten wird die Absurdität dort, wo die Stadt geografisch weit ausholt. Eine Schulbäckerei im Kongo, Bienenzucht in Burkina Faso, Ausbildung inhaftierter Jugendlicher in Bhutan – Projekte, die zweifellos edel klingen und moralisch schwer angreifbar sind, gerade deshalb aber eine besondere Reibung erzeugen. Denn während daheim von Verzicht gesprochen wird, finanziert man andernorts Hoffnung, Ausbildung und Honig. 30.866,97 Euro für Bienenzucht, ein Betrag mit zwei Dezimalstellen, der suggeriert, hier sei bis auf den letzten Cent gerechnet worden, obwohl die Grundsatzfrage längst unter dem Tisch liegt: Warum hier, warum jetzt, warum ausgerechnet von einer Stadt, die sich gleichzeitig in Sparappellen übt? Die Antwort bleibt diffus, irgendwo zwischen internationaler Verantwortung, politischer Symbolik und dem tief sitzenden Wunsch, gut zu sein, selbst wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann.

Moral als Haushaltsposition

Vielleicht liegt das eigentliche Problem nicht in den einzelnen Projekten, sondern in der Logik dahinter. Moral wird zur Haushaltsposition, Solidarität zur Budgetzeile, und das schlechte Gewissen gegenüber der Welt lässt sich offenbar leichter finanzieren als der gute Zustand der eigenen Infrastruktur. Die Schulbäckerei im Kongo backt Brot, während in Wien über Schließtage und Gebühren diskutiert wird; die Imkerinnen in Burkina Faso lernen ein Handwerk, das zuvor kaum existierte, während man sich fragt, welches Handwerk hierzulande demnächst aus Spargründen verschwindet. Die Ironie ist nicht böse, sie ist leise, fast höflich, und gerade deshalb so wirksam.

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Der Charme des gut Gemeinten

Am Ende bleibt ein schaler, aber auch komischer Nachgeschmack. Denn all diese Förderungen sind gut gemeint, und nichts ist satirisch ergiebiger als das gut Gemeinte, wenn es sich von der Realität abkoppelt. Die Stadt wird zur großzügigen Tante, die selbst knapp bei Kasse ist, aber nicht aufhören kann, Geschenke zu verteilen, weil Großzügigkeit längst Teil ihrer Identität geworden ist. Und so entsteht ein Zustand, in dem das Sparen gepredigt wird wie eine Tugend, während das Verteilen praktiziert wird wie ein Reflex. Man kann darüber den Kopf schütteln oder müde lächeln – oder beides zugleich. Denn vielleicht ist das die eigentliche Pointe: Dass sich eine Stadt in ihren Förderlisten selbst parodiert, ohne es zu merken, und damit unbeabsichtigt eines der besten satirischen Essays schreibt, die man derzeit lesen kann – nur eben verteilt auf hunderte Seiten Verwaltungsprosa.

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