Europa – dieser poetisch überladene, geographisch unverschämt ausgedehnte, historisch traumatisierte Patchwork-Teppich aus widerspenstigen Nationen – war schon immer ein Kontinent und niemals ein gemütliches Verwaltungszentrum, in dem Beamte mit schimmernden Excel-Tabellen den Lauf der Geschichte dirigieren könnten. Dass manche Institutionen es dennoch versuchen, grenzt an jenes Feingefühl, mit dem ein Gänseküken versucht, einen Jet zu fliegen: niedlich, aber vollkommen sinnlos. Europa hat seine Existenz lange vor Brüssel begonnen und wird sie wahrscheinlich lange nach dem letzten ausgedruckten PDF-Dokument fortsetzen, das im verstaubten Aktenschrank einer europäischen Behörde langsam vor sich hin gilbt.
Doch dazwischen liegt ein faszinierendes Intermezzo: das Bestreben, aus einem Kontinent eine polit-administrative Ordnungsmaschine zu formen, die gleichermaßen Orientierung stiften wie auch die Illusion erzeugen soll, es gäbe irgendwo einen zentralen Schalter, an dem Europa eingeschaltet werden könnte. Ein Kontinent allerdings lässt sich nicht einschalten – höchstens verschalten.
Die demokratische Luft im EU-Raum – dünner als in den Alpen
Wenn man die Europäische Union betritt – nicht physisch natürlich, sondern mental, institutionell, konzeptionell –, fühlt man sich mitunter wie ein Höhenbergsteiger: Es fehlt an Sauerstoff. Genauer gesagt: an demokratischem. Denn der Europäische Rat und die Europäische Kommission schweben in einer Höhe, in der man schon fast einen Pressluftanzug bräuchte, um überhaupt Einfluss zu erlangen. Die Mitglieder des Rates werden entsandt wie mittelalterliche Gesandte, und die Kommission wird bestellt wie eine erlesene, aber doch etwas einseitige Menüwahl in einem Restaurant, in dem die Kellner mehr Macht haben als die Gäste. Von Direktwahl weit und breit keine Spur, stattdessen ein institutionelles Ökosystem, das sich selbst genügt und dabei den Charme eines sehr höflichen, aber auch sehr bestimmten Oberkellners verströmt, der einem ungefragt den Wein nachschenkt.
Der demokratische Anteil in diesem System ist wie die Spur Vanille im billigen Pudding – man kann behaupten, sie sei da, aber ob man sie wirklich schmeckt, steht auf einem anderen Blatt. Das gewählte EU-Parlament darf reden, sogar arbeiten, manchmal auch stampfen – aber in einem politischen Konstrukt, das so tut, als sei Mitsprache ein optionales Zusatzpaket, wird aus demokratischem Ehrgeiz schnell dekorative Staffage. Ein Parlament, das nicht einmal die volle Kontrolle über die Gesetzesinitiative hat, ist etwa so mächtig wie ein Chor, der zwar laut mitsingen darf, aber niemals den Text bestimmen.
Das Parlament – gewählt, geschmückt und entkernt
Man könnte das Europäische Parlament als funkelnde demokratische Vitrine betrachten: gut sichtbar, bunt, repräsentativ – eine Art institutioneller Weihnachtsbaum. Der Unterschied zum echten Baum besteht lediglich darin, dass hier die Kugeln sprechen dürfen, solange sie nicht erwarten, dass jemand auf ihre Vorschläge hört. Während nationale Parlamente sich in zähen Debatten verlieren, die immerhin Einfluss auf die Gesetzgebung haben, darf das EU-Parlament zwar petzen, protestieren und Papier produzieren, doch der eigentliche Motor der Gesetzgebung liegt woanders – sicher verstaut, fern jeder direkten Wahl, gut gepolstert gegen unbotmäßige Einmischungen der Bevölkerung.
Es ist eine merkwürdige Konstruktion: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen wählen, aber ihre Wahlgewinner sitzen in einem Gremium, dessen Macht weniger ist als die Summe seiner Stühle. Man könnte sagen, das Parlament sei ein demokratisches Feigenblatt. Ein Feigenblatt allerdings, das mit viel Leidenschaft seine eigene Bedeutung beschwört, während hinter ihm Institutionen werkeln, die keinerlei Bedarf haben, sich mit der öffentlichen Meinung abzustimmen. Wenn Demokratie ein Menü ist, dann ist das Parlament hier bestenfalls die Petersilie am Tellerrand.
Ironische Stabilität oder stabiler Irrsinn?
Manchmal hat man den Eindruck, die EU funktioniere vor allem aufgrund ihrer dysfunktionalen Struktur. Eine Art politische Quantenmechanik: Je weniger demokratisch legitimiert die handelnden Organe sind, desto stabiler scheinen sie ihre Macht zu entfalten. Wo kein Wahlvolk mit kritischen Fragen droht, da gedeihen Kompromisse, die ansonsten sofort an der Realität zerschellen würden. Und so entsteht eine Art zentraleuropäische Wunderwelt, in der Politik eher administriert als gestaltet wird – so steril wie ein frisch gekachelter Laborraum und ebenso emotional anregend.
Doch vielleicht ist es genau diese skurrile Konstruktion, die Europa davor bewahrt, sich selbst in seine Einzelteile zu zerlegen. Demokratie, so sagen manche, sei kompliziert; die EU scheint zu antworten: „Dann lassen wir’s eben.“ Und so arrangiert man sich, arbeitet, verwaltet, entscheidet – und hofft, dass niemand bemerkt, wie wenig Mitsprache die Menschen haben, die angeblich der Souverän sein sollen.
Fazit – undemokratisch
Was bleibt? Ein europäisches Projekt, das sich gern kosmopolitisch gibt, aber in seinem Innersten seltsam technokratisch-schwerfällig ist. Eine Union, deren Institutionen zwar funktionieren – manchmal sogar erstaunlich gut –, aber deren Legitimation auf so wackligem Fundament steht, dass jeder Politologe beim Gedanken daran nervös mit seinem Stift klopft. Ein Parlament, das gewählt wird, aber kaum direkten Einfluss hat. Ein Rat und eine Kommission, die nicht gewählt werden, aber Entscheidungen treffen, die Millionen betreffen.
Kurz: ein Konstrukt, das demokratisch aussieht, ohne es in der politischen Mechanik wirklich zu sein.
Und so bleibt das Fazit unweigerlich: undemokratisch – allerdings mit jener satirischen Grandezza, die Europa so oft auszeichnet. Ein Kontinent, der sich weigert, in eine Verwaltungsform gegossen zu werden, und gleichzeitig eine Verwaltungsstruktur, die vorgibt, einen Kontinent demokratisch zu repräsentieren. Ein paradoxes Kunstwerk, das nur deshalb nicht kollabiert, weil alle Beteiligten gelernt haben, mit einem Lächeln darüber hinwegzusehen.