Die große linke Selbstverzwergung: Ein Requiem in Rot

Über die Infantilität einer Partei

Es gehört zu den zuverlässigsten Naturgesetzen der österreichischen Politik, dass eine Partei, sobald sie sich ernsthaft anschickt, über Außenpolitik zu sprechen, sich in jenem intellektuellen Raum wiederfindet, der irgendwo zwischen Parteitagsfolklore und sozialromantischem Rollenspiel schimmert. Doch die SPÖ hat es geschafft, diese Disziplin zu perfektionieren und zugleich zu pervertieren – eine Quadratur des Kreises, die fast schon bewundernswert wäre, würde sie nicht im Ergebnis aussehen wie ein schlecht gelaunter Sketch aus einer politischen Kabarettsendung, die seit Jahren keine neuen Autoren mehr findet.
Der jüngste Geniestreich: Die völkerrechtliche Anerkennung eines Palästinenserstaates – ganz ohne zu bestimmen, welche politische Entität man da eigentlich hofiert. Ein Akt symbolischer Außenpolitik, dessen intellektueller Tiefgang ungefähr jenem entspricht, den man beim Spontankauf eines roten Nelken-Broschürleins am Infostand erreicht. Und selbst das nur, wenn die Verkäuferin zufällig Politikwissenschaft studiert hat.

Der Staat als Fantasieprodukt der Parteistrategen

Es ist ein bemerkenswerter Mut zur Leere, mit dem der Parteivorstand sich darüber hinwegsetzt, dass Staatlichkeit – Überraschung! – nach wie vor aus Bevölkerung, Staatsgebiet und effektiver Herrschaft besteht. Die Drei-Elemente-Lehre, eine Art „Staatsrecht für Anfänger“, wird dabei offensichtlich als optionaler Lesestoff betrachtet, so wie der Waschzettel einer neuen Winterjacke oder die Packungsbeilage von Aspirin: Kann man lesen, muss man aber nicht, es funktioniert auch so.
Bloß tut es das eben nicht.
Denn ein Gebilde, dessen letzter allgemein anerkannter demokratischer Urnengang im Jahr 2006 stattfand und das seither von einer Miliz kontrolliert wird, deren politisches Programm aus einer Mischung aus Totalitarismus, Misogynie und prämodernen Blut-und-Boden-Phantasien besteht, ist nicht einfach ein Staat, nur weil sich europäische Linke dabei besonders moralisch fühlen.
Ein Staat ist nicht die Summe seiner Pressekonferenzen, und Legitimität entsteht nicht dadurch, dass man sie in einem düsteren Sitzungszimmer der Löwelstraße beschließt.

Von Realpolitik und anderen ausgestorbenen Spezies

Wer internationale Anerkennung verteilt wie Gratis-Kugelschreiber am Erstwählerstand, verwechselt Realpolitik mit Wünsch-dir-was. Die Welt ist jedoch kein Safe Space für moralpädagogische Signalpolitik, und Außenpolitik besteht leider aus etwas mehr als einer Mischung aus Betroffenheitsmimik und korrekt gewickeltem Palästinenser-Tuch.
Realpolitik bedeutet Zwänge. Komplexität. Konsequenzen!
Und genau diese drei Dinge stehen traditionell nicht im Verdacht, im innersten Herzen sozialdemokratischer Beschlusslogik beheimatet zu sein.
Vielleicht wäre es auch deshalb an der Zeit, die romantisierende Projektion durch eine nüchterne Betrachtung zu ersetzen. Oder, böser gesagt: erst denken – dann Papier.

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Das alte Gift im neuen Gewand

Doch über all diesem außenpolitischen Dilettantismus lauert etwas Tieferes, Düsteres, Unangenehmes. Ein intellektuelles Erbe, das man in den progressiven Kreisen so gerne übersieht wie den Schimmel hinter einer Wand, die man ohnehin bald neu streichen wollte.
Der Antisemitismus der Linken.

Nicht jener dumpf martialische, der in der Imagination immer noch Springerstiefel trägt und das HJ-Liederbuch unterm Bett versteckt, sondern jener salonfähige, akademisch veredelte, mit moralischem Zeigefinger präsentierte Antisemitismus, der sich selbst für das Gegenteil hält.
Ein Antisemitismus, der sich heute „Antizionismus“ nennt – und damit glaubt, automatisch entlastet zu sein, wie ein Kettenraucher, der erklärt, seine Schachtel täglich sei bloß „Atemtraining“.
Und es lohnt sich tatsächlich, an die Wurzeln zu erinnern.
Marx’ Schrift Zur Judenfrage ist ein Dokument, das man schwerlich anders lesen kann als mit Schaudern. Der angebliche Prophet der Befreiung zeigt sich dort als Autor, der Formulierungen gebraucht, die man – ohne Quellenangabe – mühelos in Pamphleten des 20. Jahrhunderts verorten könnte, deren Autoren man heute in jeder historischen Rückschau mit Gummihandschuhen anfasst.
Die Reduktion des Judentums auf Geld, Schacher, Eigennutz ¹. Die Behauptung eines „antisocialen Elements“. Die Entmenschlichung.
Hannah Arendt bezeichnete diese Schrift als ein „klassisches Werk“ des linken Antisemitismus – und es ist bemerkenswert, wie wenig sich dieser Grundton in manchen linken Milieus verändert hat, auch wenn die Sprache nun in Gendersternchen und Empowerment-Vokabular gehüllt daherkommt.

Palituch, Latte und der moralische Abgrund

Heute sitzen sie also da – die moralisch überhöhten Antizionisten, die sich selbst für die letzten Aufrechten halten. Mit dem Palästinensertuch schwingt man die historische Verantwortung, mit dem Bio-Latte die intellektuelle Überlegenheit, und irgendwo dazwischen schwillt eine moralische Grandezza an, die jede nüchterne Analyse sofort erstickt.
Man sieht förmlich die Verachtung im Blick, wenn man es wagt, ihnen zu erklären, dass Israel vielleicht doch ein wenig komplexer ist als das Klischee eines kolonialen Unholds, der aus purer Laune das Weltgeschehen traktiert.
Und während die wahren Neonazis heute irgendwo in trostlosen Kellern vegetieren, haben sich die neuen Mainstream-Antisemiten längst in den Kulturzentren und Parteigliederungen eingerichtet.
Sie nennen sich Antirassisten – und finden ausgerechnet am jüdischen Staat einen Gegenstand moralischer Obsession, der seltsam exakt die jahrhundertealten Projektionen wiederholt, die man eigentlich überwunden glaubte.

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Epilog eines politischen Abschieds

Vielleicht ist es diese Mischung aus außenpolitischer Infantilität und ideologischer Blindheit, die das Fass zum Überlaufen bringt.
Vielleicht ist es die Unfähigkeit der Partei, zwischen moralischer Pose und analytischer Vernunft zu unterscheiden.
Vielleicht ist es aber auch einfach die Erkenntnis, dass man eine Partei nicht retten kann, die sich selbst bereits als moralisches Kunstprojekt versteht, statt als politische Kraft.
Wie auch immer – es ist der Sargnagel. Der letzte. Der endgültige.
Ruhe sanft, alte Sozialdemokratie.
Es hätte so schön sein können.

¹ „Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ Die Passagen von Marx über Juden lesen sich zuweilen wie Originaltexte von Nazis. Das Judentum sei „ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element“. In der jüdischen Religion liege „die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck„. Selbst „das Weib wird verschachert„.

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