Friedensangst – Die neue Panik der Prosperität

Es gibt Wörter, die sich heimlich in die Sprache schleichen, wie Katzen durch eine angelehnte Terrassentür: ungebeten, aber sofort Herr im Haus. „Friedensangst“ ist eines dieser Wörter. Ein hübsches Neologismus-Früchtchen, das gleichzeitig duftet und stinkt – süßlich in seiner Hoffnung, modrig in seiner Bedeutung. Man möchte es fast streicheln, dieses paradox aufpoppende Sprachwesen, bis man merkt, dass es mit leicht fettigen Fingern vom Parkett gekommen ist, aus einer jener Börsenhöhlen, in denen die Luft aus Angst, Kaffee und Krawattenstaub besteht. Ein Wort wie ein nachlässig verklebtes Pflaster: Man schaut hin, obwohl man es lieber lassen würde.

Wenn der Frieden zur Störung wird

Es sind sonderbare Zeiten, wie sie sonst nur Historiker erfinden, wenn sie mit ihren Studierenden Eindruck schinden wollen: Zeiten, in denen die Kanonen nicht mehr das Zittern verursachen – sondern ihr Verstummen. Es ist, als hätten wir kollektiv vergessen, dass Normalität eigentlich der Ausgangszustand der Welt sein sollte und nicht die Ausnahme. Dass Ruhe nicht verdächtig ist und Frieden keine geopolitische Unregelmäßigkeit, die auf ökonomische Gefahren hindeutet. Doch genau das scheint die Börsenlogik unserer Gegenwart zu fordern: Sie verlangt Unruhe wie andere Leute glutenfreie Snacks. Ein bisschen Knall, ein bisschen Knallgas, und schon fühlen sich die Kurse wohl. Das Schlachtfeld als Wärmflasche. Der Waffenstillstand als Kälteeinbruch.

Da steht also Rheinmetall, dieser neue Liebling der Investoren, plötzlich im Gegenwind – nicht, weil die Geschäfte schlecht laufen, sondern weil die Welt womöglich ein klein wenig weniger brennt. Die Aussicht auf Waffenruhe drückt die Kurse. Ein US-Friedensplan reicht aus, um ein milliardenschweres Beben auszulösen. Anleger kratzen sich nervös am Krawattenknoten und fragen sich: „Was, wenn die da draußen ernst machen mit der Deeskalation?“ Es ist beinahe rührend – wie ein Junkie, der erschrickt, weil jemand ihm versehentlich eine Woche Urlaub schenkt.

Das Börsenmonster erwacht: Ein Gefühl wie ein Börsen-Crash im Pyjama

So entsteht unser neues Lieblingsungeheuer: Friedensangst. Ein Begriff, der klingt, als sei er von einem hyperventilierenden Statistiker erfunden worden, der zu lange auf tickenden Charts gestarrt hat. Die Märkte reagieren inzwischen auf Frieden wie Vampire auf Vitamin D. Ein zaghafter Waffenstillstand – und schon schmilzt die Performance dahin, leise zischend, wie Butter auf einer heißen Rüstung.

TIP:  Schwerter zu Pflugmessern

Es ist die Antithese dessen, was in der Schule noch gelehrt wurde: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Heute müsste man hinzufügen: „… denn sonst bricht der DAX ein.“ Fortschritt bedeutet offenbar, dass moralische Paradoxien inzwischen als Kapitalmarktindikatoren herhalten. Eine Emotionslandschaft, die eher an eine neurotische Komödie erinnert als an globale Ökonomie.

Anlegerlogik: Das große Zucken der Zivilisation

Früher fragte man in finsteren Momenten: „Was, wenn sie schießen?“ Heute flüstert man nervös: „Was, wenn sie damit aufhören?“ Eine Frage, die den gesamten intellektuellen Spagat offenbart, den wir auf diesem wackeligen Zeitstrahl der Moderne vollführen. Wir haben uns so sehr an Dauerkrise gewöhnt, dass ihr Ausbleiben wie eine existenzielle Unannehmlichkeit wirkt.

Vielleicht ist die Friedensangst also nicht nur ein Wort, sondern ein Symptom. Ein leises Nagen an der globalen Psyche, die zu lange auf ständiges Donnergrollen konditioniert wurde. Die Börsen zittern beim Klang der Stille. Investoren bekommen Panikattacken, wenn irgendwo ein Verhandlungstisch aufgebaut wird. Und während die Analysten hektisch ihre Excel-Modelle massieren, versucht der Rest der Welt, sich daran zu erinnern, wie eigentlich Alltag ohne Alarmstufe Rot aussieht.

Und nun?

Vielleicht sollten wir Friedensangst nicht nur belächeln – obwohl sie geradezu darum bettelt –, sondern als unfreiwilligen Spiegel unserer Zeit betrachten. Ein groteskes Kaleidoskop der Prioritäten, das zeigt, wie tief die Märkte in die Seelenlandschaft eingewandert sind. Und vielleicht, nur vielleicht, ist dieses neue Wort ein Anfang: Ein schief grinsendes, zynisch funkelndes Signal dafür, dass wir dringend neu sortieren müssen, was wirklich als Katastrophe zu gelten hat.

Denn wenn der Frieden Angst macht und der Krieg Sicherheit verspricht, ist es nicht die Börse, die falsch tickt. Es ist die Welt. Oder besser: das, was wir aus ihr gemacht haben.

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