Der Generalísimo als nachträglicher Zimmergenosse

Fünfzig Jahre nach dem Ableben eines Mannes, der sich selbst für eine Art unbeweglichen Polarstern der spanischen Geschichte hielt, ist es höchste Zeit, den muffigen Schrank zu öffnen, in dem sein Geist sich noch immer heimlich einnistet. Francisco Franco – jener General, der mit der emotionalen Bandbreite eines schlecht erzogenen Dudelsacks regierte – ist längst tot, gewiss, aber seine Nachwirkungen rieseln weiterhin wie ein feiner Staub in die Ritzen der Gegenwart. Man wischt und wischt, und doch glitzert hier und dort noch ein Rest jener trockenen, autoritären Glorie, die einst mit Blechmusik und Vaterlandspathos ein ganzes Land in den Würgegriff nahm. Man könnte meinen, fünf Jahrzehnte seien genug, um die Reste des Regimes in eine Fußnote der Geschichte zu kehren. Doch wie jeder weiß, halten sich die Fußnoten der Geschichte oft hartnäckiger als die Haupttexte – und schreien, wenn man sie ignoriert, überraschend laut nach Aufmerksamkeit.

Die unbequeme Frage: Was bleibt von einem Regime, das niemand mochte, aber viele brauchten?

Es ist immer wieder verblüffend, wie sich Diktaturen über ihre eigentliche Lebensdauer hinaus behaupten, indem sie sich mit einer Mischung aus Schweigen, Nostalgie und bürokratischer Beharrlichkeit in die Gesellschaft einnisten. Wer glaubt, eine Diktatur werde mit dem Tod ihres Diktators aus der Luft gelöscht, irrt, und zwar auf jene naive Weise, wie man irrt, wenn man denkt, Schimmel verschwinde, indem man einfach das Fenster öffnet. Franco herrschte nicht nur über Spanien, er präparierte es – wie ein pedantischer Taxidermist eine Eule. Und nun steht dieses präparierte Tier noch immer im Wohnzimmer der spanischen Politik, mal mehr, mal weniger sichtbar, aber unübersehbar, sobald jemand das Licht schräg einschaltet.
Wer sich heute vor das Werk dieses Mannes stellt, der findet nicht nur Ruinen und Legenden, sondern auch ein Volk, das sich in einer merkwürdigen Mischung aus Erleichterung, Verdruss und bleibender Reibung eingerichtet hat. Denn Diktaturen hinterlassen Widersprüche wie unbeglichene Rechnungen: Die einen bezahlen still weiter, die anderen behaupten, sie seien niemals bestellt gewesen.

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Der lange Schatten: Wenn Vergangenheit nicht vergeht, sondern sich neu frisiert

Natürlich war Spanien in den vergangenen fünfzig Jahren nicht untätig. Man hat die Demokratie installiert, die Wirtschaft aufpoliert, Touristen in Strömen einmarschieren lassen und den ehemaligen Diktator schließlich aus seinem Mausoleum herauskomplimentiert, als sei er ein störrischer Mieter ohne gültigen Vertrag. Doch wie das so ist: Ein Land kann noch so modern wirken, wenn die Schattenwürfe der Vergangenheit länger sind als ein andalusischer Sommermittag.
Spanien lebt heute in einer Art politischem Nebel aus rückwirkender Entrüstung und nostalgischer Amnesie. Man streitet sich darüber, ob es besser sei, die Geschichte auszugraben oder lieber still weiter über sie hinwegzuspazieren. Es ist ein Streit, der in ganz Europa erkennbar ist, aber in Spanien jene eigentümliche Schärfe entfaltet, die entsteht, wenn man über etwas sprechen will, das man nicht beim Namen nennen möchte – aus Angst, es könne wieder anfangen zu atmen.

Die Ironie des Gedenkens: Wenn Erinnerung zum höflichen Smalltalk wird

Es wäre zu einfach, Franco lediglich als historischen Unfallschaden abzutun. Der Mann war kein Missgeschick, sondern ein System. Und Systeme haben die Angewohnheit, sich nicht einfach aufzulösen, sondern sich in Folklore, Rituale und in eine gewisse kulturelle Muskelspannung einzuschreiben. So steht man fünfzig Jahre später vor einem merkwürdigen Schauspiel: Da wird an die Opfer erinnert, und parallel führen manche politische Gruppierungen die Art von patriotischen Verrenkungen auf, die so aussehen, als wolle man dem Geist des Generalísimo zumindest ein kleines, diskretes Augenzwinkern schenken.
Erinnerungskultur wird dabei zu einer Art höflichem Smalltalk: Man sagt, was man sagen muss, man verschweigt, was unangenehm wäre, und hofft, dass niemand plötzlich beschließt, wirklich ernsthaft zuzuhören. Denn wer ernsthaft zuhört, könnte unweigerlich feststellen, dass die Vergangenheit nicht einfach vorbei ist, sondern höchstens etwas schläfrig.

Spanien heute: Eine Republik im Wartestand

Die vielleicht größte Ironie der postfranquistischen Epoche ist die Tatsache, dass Spanien sich wie eine Republik gebärdet, aber eine Monarchie pflegt – und dass die Monarchie sich wiederum nur mit Mühe der Rolle entzieht, das höfliche Feigenblatt der Transition zu sein. Man weiß nicht recht, was man sein will, also ist man alles gleichzeitig: modern und traditionalistisch, demokratisch und zäh nostalgisch, weltoffen und doch in manchen Momenten provinziell auf eine Weise, die Franco vermutlich stolz gemacht hätte.
Im Grunde genommen lebt Spanien bis heute im Modus des „demnächst“. Demnächst klären wir das mit der Verfassung. Demnächst reden wir über die Wunden des Bürgerkriegs. Demnächst lösen wir die katalanische Frage. Demnächst tragen wir die letzten Reste des Regimes endgültig zu Grabe. Demnächst wird alles gut.
Demnächst ist ein schönes Wort: Es verschiebt die Zukunft in eine Erreichbarkeit, die sich niemals materialisiert.

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Der Schluss: Der tote General, der noch immer schmunzelt

Man stelle sich vor: Ein Land, das fünfzig Jahre nach dem Tod eines Mannes immer noch mit dessen politischen Hinterlassenschaften ringt, ist wie ein Haushalt, in dem der Teppich zwar erneuert wurde, aber der Geruch des alten noch immer in den Wänden hängt. Franco selbst würde das vermutlich gefallen. Er liebte Ordnung, Kontrolle und das Gefühl, im Gedächtnis eines Landes eine Art eiserner Hüftgurt zu sein.
Doch fünfzig Jahre später darf man – und muss man – über ihn lachen. Nicht, um die Opfer zu verhöhnen, sondern um dem Mann die Macht zu nehmen, die er nie wieder haben soll. Lachen ist eine Form der Entwaffnung. Und vielleicht ist es genau dieser augenzwinkernde Spott, der Spanien fehlt, um endgültig über die lange Dämmerung des Franquismus hinwegzutreten.
Denn am Ende gilt: Diktatoren sterben. Ihre Systeme vergehen langsam. Ihr Mythos aber verschwindet erst dann, wenn man sich traut, ihn mit literarischer Genauigkeit und satirischem Vergnügen zu sezieren. Fünfzig Jahre danach – höchste Zeit.

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