Die Nebelwand der Wahrnehmung

Es heißt ja gern, Satire sei die Kunst, die Wirklichkeit ein wenig zu überzeichnen, um sie sichtbar zu machen. Doch in Zeiten, in denen Politiker sich öffentlich benehmen wie schlecht programmierte Slapstick-Algorithmen, Influencer sich für die Avantgarde der Kultur halten, weil sie ein neues Proteinpulver entdeckt haben, und das globale Meinungsklima an die Luftqualität eines Raucherabteils von 1974 erinnert, hat die Satire ein kleines Problem: Die Realität ist ihr davongelaufen. Und zwar kichernd, lallend und mit einem leicht torkelnden Gang, als hätte sie vorher an einer „Alles-muss-raus!“-Promilleprobe teilgenommen.
So stellt sich heute zwangsläufig die Frage: Wenn wir lachen – lachen wir dann eigentlich über Satire oder über Promille? Oder ist das ohnehin dasselbe und die Unterschiede nur noch sprachhistorische Artefakte, ähnlich wie der feine Unterschied zwischen „Reform“ und „Sparmaßnahme“, zwischen „Innovation“ und „Wir haben einfach den Praktikanten rangelassen“, oder zwischen „Demokratie“ und „Demokratie (Abo-Modell)“?

Die große Verwischung: Wenn das Absurde zur Grundausstattung gehört

Die moderne Öffentlichkeit verfügt über eine bemerkenswerte Fähigkeit, Absurditäten nicht nur zu tolerieren, sondern direkt in ihren Alltag zu integrieren. Was früher die Aufgabe von Satirikern war – das Herausarbeiten der grotesken Nebenschauplätze der Zivilisation – übernehmen heute Krisen, Pressesprecher und ein globales Arsenal an PR-Agenturen, die unermüdlich daran arbeiten, jede Form von Kommunikation so hohl wie möglich erscheinen zu lassen.
Da wird dann etwa ein soziales Netzwerk verkauft wie ein esoterischer Wunderratgeber, der angeblich die Welt verbessert, aber im Grunde nur eine digitale Kneipe ist, in der ständig jemand ohne Hemd am Tresen steht und „Freiheit!“ schreit. Selbstverständlich nennen wir das dann „Diskurs“, und die Menschen, die laut genug schreien, werden als „Stimmen der Basis“ gefeiert, wie früher die Dorfältesten – nur mit schlechteren Argumenten und besserem WLAN.

Die Satire käme hier gern dazwischen und würde sagen: „Moment, das ist doch mein Job!“ Doch sie wird schlicht übertönt.
Ab einem gewissen Punkt stellt sich die Frage, ob wir noch Satire konsumieren oder nur noch das Grundrauschen einer Gesellschaft, die permanent wirkt, als wäre sie auf dem Heimweg von einem sehr, sehr langen Abend.

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Promille-Level: Gesellschaftlich akzeptiert oder nur gut kaschiert?

In den klassischen Zeiten – man erinnert sich nostalgisch an das Zeitalter, als man noch wusste, was ein Faxgerät ist – konnte man noch klar unterscheiden: Satire war schriftlich, alkoholisiert waren die Leute in der Kneipe. Heute ist beides fusioniert, quasi ein großes literarisch-spirituoses Gesamtkunstwerk.
Schaust du in die Kommentarspalten, wirkt es, als hätte jemand eine Gruppe mittelmäßig betrunkener Onkel auf einer Familienfeier gebeten, über „Gender“, „Klima“ oder „Steuern“ zu sprechen – und zwar gleichzeitig, mit maximalem Sendungsbewusstsein und minimalem Faktengehalt.
Und weil das nicht genug ist, bricht gelegentlich jemand im Tonfall eines Autors für Titanic, Eulenspiegel oder Die PARTEI in den Dialog ein – nur um festzustellen, dass niemand merkt, dass es Satire ist. Die Grenze zum Besäufnis bleibt fließend.

Satire am Limit: Wenn der Zynismus erschöpft wirkt

Manchmal gewinnt man beim Lesen aktueller Satiren den Eindruck, die Texte selbst hätten einen Kater. Sie beginnen mit einem gewissen Elan, versuchen noch ein paar spitze Beobachtungen über den Zustand der Gesellschaft einzuflechten, stolpern jedoch irgendwann in einen resignierten Grundton, der klingt wie jemand, der auf einer Party feststellt, dass die letzten fünf Gespräche ausschließlich aus politischen Memes, Kryptowährungstipps und Beschwerden über Bahnverspätungen bestanden.
Das Paradoxe: Die Satire verliert gerade dann ihren Biss, wenn die Realität ihn schärfer hat als sie selbst. Was soll man auch sagen, wenn sich Nachrichtenmeldungen lesen wie schlechte Witze? Wenn eine Debatte über wirtschaftliche Weichenstellungen genauso geführt wird wie eine Kneipendiskussion über die Frage, wer als Nächstes einen Schnaps ausgibt?
Da bleibt der Satire nur, sich auf den Zynismus zurückzuziehen – und dort ein wenig ironisch mit den Schultern zu zucken. Doch selbst dieser Zynismus wirkt mittlerweile erschöpft, wie ein altgedienter Kabarettist, der nach 40 Jahren feststellt, dass sein schärfster Witz von einem zufällig vorbeifahrenden Verkehrsminister versehentlich überboten wurde.

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Der Blick in den Spiegel: Sind die Promille vielleicht… wir?

Satire funktioniert nur, wenn es ein Publikum gibt, das über sich selbst lachen kann – also über seine Fehler, seine Blindheiten, seine Marotten. Die moderne Gesellschaft hingegen bevorzugt eine andere Art der Selbstreflexion: Die Art, die eher an eine Spiegelung in einer funhouseartigen, leicht beschlagenen Bar-Toilette erinnert.
Wir wollen kritisch sein, aber bitte ohne Konsequenzen. Wir wollen humorvoll sein, aber bitte ohne Selbstironie. Wir wollen zynisch sein, aber gleichzeitig moralisch unantastbar wirken – eine ungewöhnliche Gleichung, die nur aufgeht, wenn man intellektuell mindestens leicht beschwipst ist.

Vielleicht ist die Wahrheit also banal: Der Promillepegel, den wir in Debatten, Medien und Gesprächen riechen, stammt gar nicht von Getränken. Vielleicht ist er ein geistiger Promillepegel – verursacht durch permanente Überinformation, permanente Empörung, permanenten Lärm.
Ein gedankliches Schwindelgefühl, das wir mit Humor kaschieren wollen.
Und die Satire? Die darf immer noch mitspielen. Aber sie hat es schwer gegen ein Publikum, das selbst schon taumelt.

Schluss: Der letzte Schluck Realität

Also: Satire oder Promille?
Die Antwort lautet vermutlich: Ja.
Denn beides ist längst miteinander verschmolzen zu einer Art gesellschaftlichem Dauerzustand, einer literarischen Happy Hour, die scheinbar nie endet. Wir lachen, aber wir wissen nicht immer warum. Wir regen uns auf, aber wir wissen nicht immer worüber. Und wir fordern Klarheit, aber wir verwechseln sie schnell mit Lautstärke.
Das einzig Tröstliche: Die Satire ist zäh. Sie überlebt alles. Auch Zustände, in denen die Wirklichkeit so betrunken wirkt, dass selbst ein nüchterner Gedanke Wurzeln schlagen könnte.
Und vielleicht, ganz vielleicht, hebt die Satire am Ende doch wieder ihr Glas, lächelt schief und sagt:
„Auf euch. Ihr macht es mir leicht – und schwer zugleich.“

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