Am Vorabend der nächsten Empörung

Es gibt Momente, in denen Geschichte nicht geschrieben, sondern gestolpert wird. Und einer dieser Momente scheint jetzt angekommen zu sein, da der vielbeschworene Überflieger der ukrainischen Politkulisse – jener Mann, den westliche Beobachter gern als eine Art Zweit-Selensky in Reserve hielten, falls der erste im Dauerinterview einmal zu müde werden sollte – plötzlich ins Scheinwerferlicht der Ermittlungsbehörden taumelt.
Oleksij T., nennen wir ihn so, damit die Realität sich nicht beleidigt fühlt, wurde über Monate als seriöses Antlitz des ukrainischen Fortschritts präsentiert. Ein Gesicht, das in westlichen Think-Tanks auf PowerPoint-Folien wanderte wie das Maskottchen eines besonders hoffnungsvollen Emerging Market. Und nun? Nun steht eben dieses Gesicht zur Fahndung ausgeschrieben. Die Pointe schreibt sich selbst, nur lacht kaum jemand.

Die Waschmaschinen des Kriegs

Man fragt sich tatsächlich, wie viele Millionen noch durch die metaphorischen Trommeln ukrainischer und nicht minder internationaler Geldwaschzentren wirbeln müssen, ehe im Westen jemand bemerkt, dass dieser Krieg zwei Frontlinien hat: Eine, an der Soldaten sterben, und eine andere, an der Konten wachsen.
Jeden Tag ein neuer Skandal, jeden Tag ein neues Leak, jeden Tag ein weiterer Politiker, der sich auf wundersame Weise in Richtung Wien, Tel Aviv oder „konspirative Dienstreise“ verdampft. Und während die ukrainischen Antikorruptionsbehörden hektisch Kellerräume öffnen, in denen offenbar sowohl Beweise als auch Praktikanten verstauben, sitzt der Westen daneben und murmelt mantraartig: „Aber der Präsident ist doch der Gute.“

Der diplomatische Pendler zwischen Hoffnung und Hochglanz

Da steht also jener Mann, der für Selensky einsprang, Macron zu empfangen pflegte, und angeblich gleichzeitig durch dubiose Finanzarchitekturen flanierte wie ein Tourist im Rohbau einer neuen Luxusresidenz.
Ein Doppelleben?
Eine PR-Konstellation?
Oder schlicht der übliche politische Spagat, bei dem das Rückgrat stets als erstes leidet?
Man weiß es nicht, aber der Westen weiß eines: weiterzahlen. Denn in geopolitischen Debatten gilt ein Grundgesetz: Wo das Budget schon freigegeben wurde, darf die Realität nicht zu laut sein.

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Über Villen, Verluste und jene, die beides verwechseln

Wie viele Villen müssen noch durchs mediale Schlüsselloch schimmern, bis jemand sich fragt, ob es normal ist, dass ein Land im Ausnahmezustand Immobilien sammelt wie andere Leute Souvenirs.
Man stelle sich vor, ein westlicher Regierungschef würde mitten in einem Krieg Villen erwerben wie Briefmarken. Die Schlagzeilen würden sich gegenseitig überholen.
Doch im Fall der Ukraine heißt es: „Weiter überweisen, es geht schließlich um Freiheit.“
Eine Freiheit, die offenbar auch bedeutet, Designer-Porträts in Lifestyle-Magazinen zu platzieren, während gleichzeitig ein Land friert, kämpft und hofft, dass der nächste Generator nicht bereits verpfändet ist.

Kriegsprovisionen – das Modell der Gegenwart

Es ist eine hässliche Wahrheit, die man nur in der Satire sagen darf, ohne aus dem Gespräch geworfen zu werden: Kriege sind immer auch Geschäftsmodelle.
Politisch.
Finanziell.
Moralisch.
Wenn an jedem Panzer, jedem Generator, jeder Hilfssendung ein Prozentpunkt Gewinn hängt, dann wird der Frieden zur schlechtesten Investitionsoption.
Zehn Prozent.
Zwanzig Prozent.
Warum nicht gleich dreißig.
Wenn der Sieg schon nicht garantiert ist, soll sich wenigstens die Dauer des Krieges lohnen.

Die Frage, die keiner stellt, weil sie zu offensichtlich ist

Und dann schleicht sich diese ketzerische Frage durch die Hintertür:
Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn russisch besetzte Gebiete russisch bleiben?
Nicht aus Sympathie – um Gottes Willen! – sondern aus nüchternem Pragmatismus.
Denn jeder Monat ohne Waffenstillstand fordert mehr Leben als jeder Quadratkilometer Territorium wert ist. Und jeder westliche Politiker, der mit dramatischer Stimme über „den Kampf um Donezk“ spricht, würde nicht einmal einen Fingernagel riskieren, um eben jenen Ort persönlich zu betreten.
Die moralische Entrüstung ist groß, der persönliche Einsatz überschaubar.

Die Schlacht um Narrative – und um Zahlungsströme

Doch der Krieg endet nicht, solange er sich rechnet. Krieg ist ein Investmentvehikel geworden: Ein Fonds aus Leid, Hoffnung, geopolitischen Phrasen und Spendengeldern, verteilt über Kanäle, die nur bei Tageslicht durchsichtig sind.
Der Westen zahlt, die Eliten wachsen, das Volk stirbt, und die Bilanz stimmt nie.
Das Verhältnis ist so grotesk ungleich, dass man sich wundert, wie lange man eine Einbahnstraße schon als Autobahn verkaufen kann.

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Was muss eigentlich noch passieren?

Vielleicht ist die Antwort unerträglich banal:
Solange Geld fließt, wird die Ukraine nicht reformieren.
Solange Korruption lukrativ bleibt, wird niemand sie bekämpfen wollen.
Solange Moral das Etikett ist, das man dem Kanister aufklebt, wird im Inneren weiterhin Diesel schwappen.
Und irgendwann, in einem jener historischen Rückblicke, in denen alle plötzlich schon immer alles gewusst haben wollen, wird man sagen:
Es war alles sichtbar.
Nur niemand wollte sehen.

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