Angst-Politik

Es ist eine der bizarrsten Ironien unserer Zeit, dass wir uns ausgerechnet in einer Ära, die sich selbst als „aufgeklärt“, „rational“ und „wissenschaftlich informiert“ bezeichnet, kollektiv der Angst als politischem Steuerungsinstrument verschrieben haben. Angst, dieses uralte Gefühl aus der Zeit, als der Säbelzahntiger noch kein Meme war, sondern ein tatsächlicher Grund, schneller zu laufen, wird heute fein destilliert, verpackt, etikettiert und im politischen Einzelhandel feilgeboten. Man hat sie normiert, standardisiert, CO₂-kompensiert, moralisch aufgeladen und zu einem gesellschaftsfähigen Getränk gemacht, das morgens in Talkshows serviert, mittags in Social-Media-Posts nachgegossen und abends im Plenarsaal feierlich erhoben wird.
Früher hieß es, man brauche Mut, um Politik zu machen. Heute braucht man nur noch Angst – und das gute Gewissen, sie im Namen des Guten zu verbreiten.

Die neue Liturgie des Schreckens

Es ist erstaunlich, mit welcher Choreographie die moderne Angstpolitik funktioniert: Die Apokalypse ist nicht länger ein theologisches Schreckgespenst, sondern ein verwaltetes Programm mit Nachhaltigkeitszertifikat. Früher las man Offenbarungen, heute IPCC-Berichte; früher drohte der Höllenpfuhl, heute der Meeresspiegelanstieg. Der Untergang hat seine PR-Agentur gewechselt, das Prinzip bleibt dasselbe: Fürchte dich und handle moralisch korrekt – oder sei verdammt.
Und wie bei jeder guten Religion gilt: Wer zweifelt, sündigt. Wer Fragen stellt, gefährdet das Heil. Wer differenziert, ist bereits ein Ketzer. Die Angst braucht keine Argumente, sie braucht nur Autorität – am besten in Gestalt eines Experten mit Diagramm. Man glaubt ihm nicht, weil man ihn versteht, sondern weil man ihn nicht versteht. Und in dieser Unverständlichkeit liegt ihre Macht.

Die Rückkehr der Moral – oder: Der neue Totalitarismus der Tugend

Das 21. Jahrhundert hat den Totalitarismus neu erfunden – mit veganem Anstrich und recyceltem Gewissen. Niemand wird mehr verhaftet, weil er anders denkt; man wird nur moralisch exekutiert. Der Pranger ist digital, die Guillotine algorithmisch.
Man kann heute nicht mehr einfach ein Steak essen oder einen Flug buchen, ohne sich in die metaphysische Hölle der moralischen Selbstprüfung zu begeben. Der Einkauf im Supermarkt ist ein Sakrament, der Lebensstil ein Bekenntnis, der Fleischkonsum ein Geständnis.
Das Schlimmste: Wir genießen es. Wir baden in dieser moralischen Selbstbespiegelung, weil sie uns das gute Gefühl gibt, wenigstens auf der richtigen Seite der Apokalypse zu stehen. Wer CO₂ spart, darf sich für erleuchtet halten, und wer den SUV-Fahrer beschimpft, fühlt sich ein bisschen wie Jeanne d’Arc mit Twitter-Account.
Dass Moral, sobald sie kollektiviert wird, stets totalitär zu werden droht, ist eine alte Erkenntnis. Aber alte Erkenntnisse sind heute wie Plastiktüten: verpönt, verboten und doch irgendwie unverzichtbar.

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Scham als Waffe der Sanftmütigen

Das 20. Jahrhundert hatte seine Diktaturen der Gewalt, das 21. seine Diktaturen der Scham.
Es ist ein feiner, beinahe eleganter Mechanismus: Man zwingt niemanden mehr, man beschämt ihn einfach. Man nennt das dann „Sensibilisierung“ oder „Bewusstseinsbildung“. Der moralisch Erleuchtete bekehrt nicht, er entblößt. Er zeigt, dass der andere falsch lebt, falsch denkt, falsch fühlt – und das mit der süßen Genugtuung der eigenen Tugend.
Die Corona-Zeit war das große Feldexperiment dieser Methode. Der Maskenlose wurde zum Sündenfall in Person, der Ungeimpfte zur wandelnden Versuchung des Bösen. Kinder sollten Angst haben, ihre Großeltern zu töten – als moralpädagogische Maßnahme, versteht sich. Und während man sie damit psychologisch verstümmelte, nannte man es „Verantwortung“.
Man hat Angst institutionalisiert – nicht, um zu schützen, sondern um zu lenken. Angst ist die sanfte Peitsche, die nicht schlägt, sondern beschämt.

Die Demokratie im Korsett der Tugend

Demokratie ist, oder war, das System der Zumutungen: der Zumutung, dass der andere eine andere Meinung haben darf.
Doch im Zeitalter der Angst-Politik hat die Demokratie sich in eine moralische Reha begeben. Sie ist geschrumpft, veganisiert, etikettiert – ein zartes, hypermoralisches Pflänzchen, das ständig gegossen werden muss mit dem Wasser der Empörung.
Der Kompromiss, diese unspektakuläre Kunst der Zivilisation, ist plötzlich ein Verrat. Denn wer das Richtige weiß, darf nicht verhandeln. Der Klimaretter kann keine Kompromisse mit dem Klimazerstörer schließen, der Pandemiebekämpfer keine mit dem „Leugner“. Man kann mit dem Bösen nicht koalieren, man kann es nur canceln.
Die moralische Politik kennt keine Mehrheit, sie kennt nur Mission. Und jede Mission endet dort, wo die Demokratie anfängt, Fragen zu stellen.

Die Angstindustrie

Angst ist heute kein Gefühl mehr, sondern ein Wirtschaftszweig. Es gibt kaum ein Produkt, das nicht durch sie beworben wird, kaum eine Partei, die ohne sie auskommt.
Das Geschäftsmodell ist einfach: Zuerst wird ein apokalyptisches Szenario entworfen – das Klima, das Virus, der Populismus, der algorithmische Untergang der Zivilisation. Dann liefert man das Beruhigungsmittel gleich mit: das richtige Verhalten, das richtige Denken, die richtige Partei.
Die Angst bindet, sie diszipliniert, sie verkauft. Sie ist die effizienteste Form der Loyalitätserzeugung in einer Gesellschaft, die den Glauben an Gott verloren, aber den Glauben an Katastrophen behalten hat. Der Mensch ist eben ein spirituelles Wesen: Wenn er schon keinen Himmel mehr hat, will er wenigstens eine Apokalypse, an die er glauben kann.

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Epilog: Der Triumph der Furchtsamen

Die Angstpolitik ist keine Ausnahme, sie ist der neue Normalzustand. Sie ist die moralische Seuche, die sich als Hygiene tarnt. Und das Tragische – oder Satirische – daran: Wir wollen es so. Wir lieben unsere Angst, weil sie uns Bedeutung verleiht.
Wer Angst hat, fühlt sich ernst genommen. Wer Angst verbreitet, fühlt sich wichtig. Und wer Angst in moralische Forderungen übersetzt, wird zum Heiligen der Gegenwart.
Vielleicht ist das die letzte Ironie dieser Epoche: Dass ausgerechnet die moralisch Hochbegabten, die sich für mutig halten, am meisten von Angst getrieben sind.
Der neue Held unserer Zeit ist nicht der Furchtlose, sondern der Furchtsame mit Haltung. Und so ziehen wir weiter, maskiert, moralisch und hysterisch – ins Zeitalter der gutgemeinten Panik.

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