Es gibt in Brüssel eine alte Regel, unausgesprochen, aber omnipräsent: Wenn du die Bürokratie nicht mehr kontrollieren kannst, dann baue eine neue darüber. So oder so ähnlich muss es sich zugetragen haben, als Ursula von der Leyen – bekanntlich die einzige Frau Europas, die es schafft, gleichzeitig Kanzlerin zu wirken, Mutter Europas zu spielen und die Aura einer unantastbaren Verwaltungspriesterin auszustrahlen – beschloss, dass sie jetzt auch ihren eigenen Geheimdienst braucht. Warum nicht? Schließlich hat jeder Staatschef mit einem halbwegs intakten Ego irgendwann diesen Wunsch.
Doch halt: Die Europäische Kommission ist kein Staat, sie ist nicht gewählt, sie ist kein völkerrechtlich legitimiertes Organ. Und trotzdem – oder gerade deswegen – zieht sie in Erwägung, sich die Instrumente eines Staates zuzulegen: Kontrolle, Überwachung, Information, Macht. Eine Art Schattenstaat ohne Volk, eine Verwaltung, die endlich das tut, was sie schon immer wollte – aber bisher nicht durfte.
Die sanfte Geburt eines stillen Leviathans
Offiziell, so heißt es, geht es um Sicherheit. Sicherheit, dieses Zauberwort unserer Epoche, mit dem man vom Kinderbonus bis zum Drohnenkrieg alles rechtfertigen kann. Die russische Invasion, Trumps Unzuverlässigkeit, Cyberangriffe, Fake News – kurz: das große Grauen der multipolaren Welt – dienen als Geburtshelfer einer neuen europäischen Institution. Einer, die im stillen Halbdunkel des Kommissionsgebäudes entstehen soll, ohne parlamentarisches Nicken, ohne demokratische Rückversicherung.
Man stelle sich das einmal vor: ein Geheimdienst, der nicht geheim genannt werden darf, weil er offiziell gar nicht existiert, aber natürlich trotzdem operiert. Innerhalb des Generalsekretariats der Kommission, dort, wo sonst Fußnoten verwaltet und Richtlinien über die Länge von Bananen beschlossen werden. Und bald vielleicht: Lageanalysen über unzuverlässige Regierungen, störrische Journalisten und Bürger, die „Desinformation“ verbreiten – also schlichtweg anderer Meinung sind.
Demokratische Kontrolle? Ein Relikt der analogen Zeit. Wenn Algorithmen und Experten entscheiden, braucht man keine Wähler mehr.
Der europäische Zentraldienst für Wahrheiten
Man könnte sagen, es sei nur konsequent. Nach dem Digital Services Act, der die Informationsflüsse der Bürger diszipliniert, und dem Green Deal, der ihre Heizungen kontrolliert, folgt nun also der Information Deal: Die Wahrheit gehört Brüssel. Alles andere ist russische Propaganda, chinesische Einflussnahme oder – im schlimmsten Fall – nationale Eigenständigkeit.
Die Idee, Beamte aus den nationalen Geheimdiensten in den neuen europäischen zu entsenden, wirkt fast rührend: ein Kindergarten der Spione, die sich gegenseitig belauern, um am Ende gemeinsam herauszufinden, dass keiner dem anderen trauen darf. Man darf gespannt sein, ob französische Analysten tatsächlich ihre SIGINT-Daten mit einem slowenischen EU-Beamten teilen wollen, der am Nachmittag noch an einer Verordnung zur Kaffeetemperatur arbeitet.
Aber vielleicht ist genau das der Plan: so viel Bürokratie über die Spionage zu legen, dass am Ende keiner mehr merkt, wer wen ausspioniert – und warum.
INTCEN und das Prinzip der institutionellen Eifersucht
Natürlich existiert schon längst ein EU-Geheimdienst: INTCEN. Der allerdings darf sich offiziell nicht so nennen. Er analysiert, sammelt, wertet aus, ohne Einblick, ohne Mandat – aber immerhin mit einem Hauch von diplomatischer Legitimation. Nun aber kommt die Kommissionspräsidentin mit ihrem eigenen Apparat daher, sozusagen ein Geheimdienst der zweiten Generation, das iSpy 2.0.
Die Beamten des bestehenden Dienstes sind empört – und das zu Recht. Schließlich geht es hier nicht nur um Informationen, sondern um etwas viel Kostbareres: Zuständigkeiten. In Brüssel ist die Zuständigkeit die Währung der Macht. Wer etwas „koordinieren“ darf, ist der König; wer „unterstützt“, ist der Lakai. Und Ursula von der Leyen ist nicht angetreten, um zu unterstützen.
Der Spion, der mich kontrollierte
Es wirkt wie eine Fußnote aus Orwells Nachlass, dass eine Institution ohne demokratische Wurzeln sich nun anschickt, einen Nachrichtendienst zu gründen. Nicht einmal als Karikatur ist das leicht zu übertreffen. Wenn Macht in Demokratien normalerweise durch Wahlen, Parlamente und Gerichte begrenzt wird, dann schafft die EU-Kommission die zivilisatorische Innovation des 21. Jahrhunderts: Macht ohne Feedbackschleife.
Was kann da schon schiefgehen? Schließlich wurde noch jede Macht, die sich selbst kontrollieren durfte, zur Wohltäterin der Menschheit. Die Geschichtsbücher sind voll von derartigen Erfolgsmodellen – nur liest sie keiner mehr, seit Geschichtsschreibung unter „Desinformationsverdacht“ steht.
Fazit: Der sanfte Putsch im Namen der Vernunft
Vielleicht ist das alles gar kein böser Plan, sondern nur Ausdruck einer hypertrophen Vernunftbürokratie, die glaubt, die Welt ließe sich durch Formulare, Verordnungen und Datenbanken befrieden. Vielleicht will Ursula von der Leyen tatsächlich nur das Beste – das Problem ist nur: Das Beste hat in Europa die Angewohnheit, sich irgendwann selbst zu verschlingen.
Ein Geheimdienst, der sich keiner demokratischen Kontrolle beugt, ist kein Sicherheitsinstrument – er ist die stille Vorstufe einer technokratischen Selbstermächtigung. Eine Verwaltung, die Spione beschäftigt, um Informationen über ihre eigenen Bürger und Mitgliedsstaaten zu „koordinieren“, ist keine Verwaltung mehr. Sie ist – höflich gesagt – ein Experiment, das sich als Verwaltungsakt tarnt.
Und während Europa in seine nächste Krise schlafwandelt, zwischen Bürokratie und Sicherheitswahn, bleibt nur eine tröstliche Erkenntnis: Wenn die EU-Kommission eines Tages alles weiß, wird sie endlich verstehen, warum niemand sie gewählt hat.