Bitte, wie unfähig kann man sein?

Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob das politische System, in dem man lebt, tatsächlich ein Ergebnis menschlicher Vernunft ist oder ob hier eine außerirdische Lebensform experimentiert, die einmal sehen wollte, wie lange eine Zivilisation überlebt, wenn man ihre Entscheidungsprozesse auf die kognitive Leistungsfähigkeit einer überreifen Banane reduziert. Der jüngste Auftritt von Finanzstaatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl liefert dafür ein Exponat von musealer Qualität. Auf die Frage, wie hoch das Budgetdefizit durch die steigende Neuverschuldung der Bundesländer ausfallen werde, antwortet sie mit dem souveränen „Das wissen wir noch nicht, uns fehlen Detailinformationen.“ Übersetzt: Wir haben keine Ahnung, aber wir wollen trotzdem weiterregieren. Eine bemerkenswerte Strategie – man stelle sich einen Piloten vor, der während des Fluges verkündet, er habe keine Ahnung, wie viel Treibstoff noch im Tank sei, aber man solle sich keine Sorgen machen, er werde „die Lage laufend beobachten“.

Die Kunst des Nichtwissens – eine österreichische Meisterdisziplin

Dass in Österreich politische Verantwortung nicht mit Wissen, sondern mit rhetorischer Gewichtung verwechselt wird, ist keine Neuigkeit. Doch die konsequente Selbstentwaffnung der eigenen Kompetenz hat in den letzten Jahren eine beinahe ästhetische Vollendung erreicht. Die Staatssekretärin steht dabei sinnbildlich für ein System, das sich mit Inbrunst der Informationsvermeidung verschrieben hat. Detailinformationen? Das klingt gefährlich konkret. Da müsste man ja Zahlen haben, und Zahlen sind bekanntlich das Kryptonit des politischen Schönredens. Zahlen lassen sich nicht mit einem charmanten Lächeln übertünchen oder in eine Pressekonferenz hineinlächeln. Nein, sie stehen einfach da, stur, sachlich, und sagen: So ist es. Und genau das kann man natürlich nicht brauchen, wenn man gerade dabei ist, das Staatsbudget als eine Art Wunschzettel an den Nikolaus zu gestalten.

Das Prinzip Hoffnung als Regierungsprogramm

Man könnte fast meinen, die gesamte Haushaltsplanung der Republik folge dem Prinzip „Wird scho wern.“ Diese Haltung ist tief im österreichischen Gen verankert, irgendwo zwischen Heurigenbank und Warteschlange am Magistrat. Nur dass sie im Fall der Finanzpolitik weniger charmant wirkt. Wenn die Staatssekretärin sagt, sie könne die Höhe des Defizits „noch nicht einordnen“, dann ist das in etwa so beruhigend, als würde der Chirurg vor der Operation erklären, er wisse zwar, wo ungefähr die Leber sei, wolle aber lieber noch „ein paar Detailinformationen“ abwarten, bevor er zu schneiden beginne.

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Und wenn dann als Nachsatz noch kommt, man wolle „ein weiteres Sparpaket nicht ausschließen“, dann weiß man: Das Publikum darf sich auf die übliche Inszenierung freuen. Es wird wieder gespart, aber selbstverständlich nie dort, wo es wirklich etwas bringt. Stattdessen trifft es jene, die ohnehin schon in der Soziallotterie den Trostpreis gezogen haben. Immerhin: Es gibt ein Ritual, einen vertrauten Ablauf. Ein bisschen Panik, ein bisschen Betroffenheit, ein bisschen moralische Entrüstung – und am Ende wieder das gleiche Defizit, nur mit einer anderen Exceltabelle.

Die große österreichische Budget-Operette

Man sollte vielleicht akzeptieren, dass die Finanzpolitik hierzulande längst den Charakter einer Daueroperette angenommen hat. Die handelnden Personen sind keine Minister und Staatssekretäre mehr, sondern Figuren aus einem grotesken Stück, das zwischen „Yes Minister“ und Karl Kraus’ Letzten Tagen der Menschheit oszilliert. Sie sprechen in ritualisierten Phrasen, sie singen das hohe Lied der Verantwortung, während sie gleichzeitig den Taktstock der Ahnungslosigkeit schwingen. Und das Publikum? Es applaudiert müde, weil es weiß: Beim nächsten Akt wird alles wieder so sein wie zuvor.

Dass man in einem derart geführten Staat sein Eintrittsgeld zurückverlangen möchte, ist keine bloße Polemik – es ist ein legitimes Kundenrecht. Schließlich bezahlt man Eintritt, Monat für Monat, in Form von Steuern, Gebühren, Abgaben, und was bekommt man dafür? Eine Inszenierung, die selbst das Provinztheater von Hintertupfing ablehnen würde, weil das Drehbuch zu absurd ist.

Das Drama der Verantwortung – oder: Niemand ist zuständig

Der eigentliche Witz – und hier wird’s fast schon tragikomisch – liegt in der strukturellen Verweigerung von Verantwortung. Wenn etwas schiefläuft, ist nie jemand schuld, sondern immer „das System“, „die Rahmenbedingungen“, „die globale Lage“. Ein fast metaphysischer Schuldbegriff, der so flexibel ist, dass man ihn problemlos über jedes politische Desaster stülpen kann. Gleichzeitig beansprucht aber jeder, Teil dieses Systems zu sein – solange es um Privilegien, Posten und Pensionsansprüche geht.

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Eibinger-Miedl ist also nicht etwa eine Ausnahme, sondern eine Symptomträgerin. Eine Politikerin, die im Nebel stochert, weil der Nebel politisch gewollt ist. Denn klare Sicht bedeutet klare Verantwortung, und das wäre ja geradezu unösterreichisch.

Fazit: Die Republik als Selbstparodie

Am Ende bleibt der Eindruck eines Staates, der nicht mehr verwaltet, sondern sich selbst aufführt – mit all dem Pathos, dem Selbstmitleid und der grotesken Selbstüberschätzung, die man von einer spätimpressionistischen Operette erwartet. Wenn die Finanzstaatssekretärin also sagt, sie könne das Defizit noch nicht einschätzen, dann ist das nicht Unfähigkeit, sondern die konsequente Fortführung einer politischen Ästhetik, die das Nichtwissen zur Tugend erhoben hat.

Vielleicht sollte man wirklich das Eintrittsgeld zurückverlangen. Oder wenigstens Popcorn reichen, wenn der nächste Budgetgipfel zur Aufführung kommt. Denn eines steht fest: Diese Republik mag keine Zahlen können – aber sie versteht etwas von Unterhaltung.

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