oder: Wenn die Sprache schwanger wird
Man hätte meinen können, die BBC habe sich diesmal in einem geopolitischen Konflikt verheddert, eine diplomatische Krise ausgelöst oder versehentlich den nächsten Premierminister vor laufender Kamera beleidigt. Doch nein – die Krise trägt ein semantisches Kleid, aus dem die Nähte knarzen. Eine Nachrichtensprecherin, Martine Croxall, hat es gewagt, das Wort „Menschen“ zu korrigieren. Genauer gesagt: „schwangere Menschen“ zu „Frauen“. Ein winziges, fast zärtlich gesprochenes „Frauen“, kaum mehr als ein Hauch im Studiohall, und doch war es, als hätte sie mit einem Flammenwerfer die Richtlinien zur redaktionellen Neutralität in Brand gesetzt.
Denn in der modernen Medienlandschaft gilt: Worte sind keine Werkzeuge mehr, sondern Sprengkörper mit Timer. Das Falsche zu sagen – oder das Richtige zur falschen Zeit – kann nicht nur Karrieren gefährden, sondern Weltbilder zertrümmern. Und so sitzt nun eine BBC-Kommission über dem Fall, als ginge es um den Verrat an der Krone selbst.
Die Tyrannei der Neutralität
Neutralität, das neue Götzenbild des öffentlichen Rundfunks, duldet keine Emotion, keine Haltung, keinen Hauch von Menschlichkeit. Der Nachrichtensprecher soll heute sein wie der Wetterbericht: kühl, wolkenlos, bar jeder Meinung. Man darf zwar über Erdbeben, Kriege und politische Katastrophen berichten – aber wehe, man lässt durchblicken, dass man das Erdbeben womöglich bedauert.
So liest sich die Regel: „Selbst unbeabsichtigte Wertungen sind unzulässig.“ Welch herrliche Absurdität! Der Mensch als Sendewesen, von der Emotion abgetrennt wie eine Nachricht vom Abspann. Wer noch wagt, sich in der Grammatik heimisch zu fühlen, begeht bereits den ersten Verstoß. Denn die Grammatik, so lernt man heute, ist politisch – und zwar so sehr, dass ein Genuswechsel schon als programmatische Sabotage gilt.
Croxalls winzige Korrektur – ausgerechnet „schwangere Menschen“ zu „Frauen“ – ist damit weniger ein sprachlicher Reflex als ein kulturelles Vergehen. Sie hat, so könnte man sagen, die Sprache beim falschen Pronomen erwischt.
Der Aufstand der Silben
Früher, in den staubigen Zeiten vor Twitter, wäre eine solche Bemerkung kaum aufgefallen. Heute jedoch sind Worte vernetzt, bewaffnet, mit moralischen Zeigefingern versehen. Jede Silbe trägt eine Agenda, jeder Ausdruck einen Hashtag. Und so stehen sich zwei Sprachlager unversöhnlich gegenüber: Hier die Verteidiger der biologischen Genauigkeit, dort die Priester des Inklusivismus.
Die einen rufen: „Nur Frauen können schwanger werden!“
Die anderen: „Auch Menschen ohne weibliche Identität!“
Und die BBC, gefangen zwischen diesen Fronten, zieht sich auf das rettende Plateau der Regelwerke zurück. Man kennt das: Wenn die Wirklichkeit zu kompliziert wird, hilft nur noch Bürokratie.
Dass Sprache einst ein Ort des Denkens war, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Heute ist sie ein Verwaltungsakt, eine Matrix aus Soll- und Ist-Zuständen, die penibel überprüft werden. Der Nachrichtensprecher gleicht einem Zollbeamten im syntaktischen Niemandsland.
Die heilige Angst vor der Meinung
Es ist eine eigentümliche Zeit, in der wir leben: Noch nie war der öffentliche Diskurs so empfindlich und gleichzeitig so laut. Wir sind umgeben von moralischen Seismographen, die bei jedem semantischen Mikrobeben Alarm schlagen.
Die Ironie liegt auf der Hand – oder besser: sie liegt darnieder, erschöpft von zu viel Kontext. Denn die große Sorge um „Unparteilichkeit“ hat sich längst selbst zur Haltung verkehrt. Neutralität ist die Ideologie derer geworden, die sich keiner schuldig machen wollen – und gerade darin die größte Schuld auf sich laden: die der Gleichgültigkeit.
Dass Croxall also sagte, was viele spontan gedacht hätten, ist ihr größter Fehler. Sie hat nicht gegen Transmenschen gesprochen, sondern für Klarheit. Und Klarheit ist im Zeitalter des Diskurses gefährlicher als jede Parteilichkeit.
Wenn Wörter zu Waffen werden
Die BBC hat nun also ein Problem, das in seiner Lächerlichkeit beinahe tragisch wirkt: Eine Frau, die das Wort „Frau“ benutzt hat. Man stelle sich vor, Shakespeare säße daneben und müsste diesem Drama einen Titel geben – „Viel Lärm um eine Silbe“.
Man könnte lachen, wenn es nicht zugleich so tieftraurig wäre. Denn was hier verhandelt wird, ist mehr als ein Sprachstreit: Es ist die Entfremdung von der Wirklichkeit. Wenn Worte nicht mehr bezeichnen dürfen, was sie seit Jahrhunderten bezeichneten, weil jemand irgendwo Anstoß nehmen könnte, dann ist Sprache kein Werkzeug der Verständigung mehr, sondern ein Minenfeld.
Und mitten darin die Journalisten, die einst Hüter des Wortes waren und nun zu Priestern der Sprachneutralität erzogen werden. Ihr Evangelium: Sag nichts, was gedeutet werden kann. Ihre Bußpredigt: Entschuldige dich für das, was du nicht gesagt hast.
Der letzte Akt: Sprachlosigkeit
Vielleicht ist das der wahre Endpunkt dieser Entwicklung: eine Welt, in der niemand mehr etwas sagt, aus Angst, das Falsche zu sagen. Eine Welt, in der Nachrichten von Maschinen gesprochen werden – schließlich sind sie die Einzigen, die wirklich neutral sein können.
Bis dahin bleibt uns das Schauspiel der Empörung. Die BBC prüft, der Twitter-Mob tobt, und irgendwo sitzt Martine Croxall, die für einen Sekundenbruchteil vergaß, dass in unserer Zeit selbst das Offensichtliche verboten ist.
Man wird sagen: „Sie hätte wissen müssen, dass man heute nicht mehr einfach ‚Frau‘ sagen darf.“
Man wird flüstern: „Es war ja nur eine Kleinigkeit.“
Und man wird vergessen, dass Sprache, wenn sie nicht mehr frei atmen darf, irgendwann erstickt – ganz neutral, versteht sich.