Ein Land zwischen Vergangenheit und Postmoderne
Es gibt Sätze, die wie Granaten durch die gläsernen Hallen der nationalen Selbstvergewisserung krachen, und dann gibt es jene, die leise wie ein Windstoß über die ewigen Reihen weißer Steine eines Soldatenfriedhofs fegen und doch im Inneren der kollektiven Erinnerung alles ins Wanken bringen. Alec Penstone, 100 Jahre alt, Veteran der Royal Navy, Zeuge der alliierten Invasion in der Normandie, hat genau so einen Satz gesprochen. „Das Opfer war das Ergebnis, das wir jetzt haben, nicht wert.“ Ein Satz, der gleichzeitig erschüttert und irritiert, zynisch klingt, aber augenzwinkernd, als hätte er die bitterste Ironie des Lebens im Taschenmesser seines Wortes verborgen.
Penstones Worte sind kein bloßer Auswurf der Nostalgie; sie sind die stille Anklage eines Mannes, der die Hölle der Kriege gesehen hat, nur um ein Land wiederzufinden, das sich in den Glaskäfigen der Political Correctness und den labyrinthischen Gängen der sozialen Medien verirrt hat. Ein Land, das, so scheint es, die Größe seiner eigenen Geschichte vergessen hat, während es gleichzeitig jeden seiner Einwohner dazu anhält, sich für alles und jeden permanent zu entschuldigen. Ein Land, das die Erinnerung an Opfer hochhält, aber gleichzeitig die Fähigkeit verloren hat, für etwas Größeres als den eigenen kleinen Bildschirm zu kämpfen.
Vom D-Day zur digitalen Verzweiflung
Vor meinem inneren Auge, sagt Penstone, sehe ich die Reihen um Reihen weißer Steine, die für all die Hunderten seiner Freunde stehen, die ihr Leben gaben. Ein Bild, das man nicht einfach in einen Tweet packen kann. Und doch, während Millionen in der britischen Frühsonne den Remembrance Sunday feiern, scheint das Land zu flüstern: „Vergesst die Opfer, denkt lieber an das nächste virale Meme.“ Der Veteran spricht von einem Land, das in seiner Meinungssucht, seiner Angst vor jeder Form von Dissens und seiner flüchtigen Aufmerksamkeit für die Geschichte zerfällt. Gesetze gegen Hassreden, Polizisten, die Menschen wegen Online-Kommentaren besuchen – all dies wirkt wie ein absurdes Theaterstück, in dem Freiheit und Kontrolle, Vergangenheit und Gegenwart miteinander tanzen, ohne jemals den Takt zu finden.
Die Kritik Penstones an der gesellschaftlichen Transformation des Vereinigten Königreichs ist dabei nicht nur nostalgisch. Sie ist ein Schrei nach Substanz, nach einem Land, das mehr ist als ein Kaleidoskop kultureller und demografischer Umbrüche, das mehr ist als eine Serie aus Twitter-Kommentaren, TikTok-Tänzen und euphemistisch verpackter Gleichschaltung. „Für was all das?“ scheint er zu fragen, während man fast den Geschmack des Salzwassers der Normandie auf den Lippen spürt.
Wenn Kritik transatlantisch wird
Bemerkenswert ist, dass Penstone nicht allein ist. Auf der anderen Seite des Atlantiks äußerte 2024 der amerikanische Veteran des II. Welkriegs, Ronald „Rondo“ Scharfe ähnliche Sorgen. Auch er fühlte sich „wie ein Fremder in seinem eigenen Land“ – ein Statement, das wie ein Echo von Penstones Worten durch die transatlantische Luft hallt. Washington, so Scharfe, ist mehr mit Hollywood beschäftigt als mit echten Problemen. Die politische Bühne wird zur Filmkulisse, während die Bürger, Veteranen und stille Zeugen der Geschichte auf der Tribüne sitzen, irritiert, fast schon resigniert, mit Popcorn in der Hand und der Frage auf den Lippen: „War es das alles wert?“
Es ist ein Bild, das den globalen Trend skizziert: Gesellschaften, die in endlosen Selbstbildern und performativen Moralgesten gefangen sind, während die Substanz des Gemeinsamen, das, wofür Generationen geopfert haben, langsam im Nebel der modernen Zerstreuung verschwindet. Die Ironie ist dabei kaum zu übersehen: Die Länder, die einst den Freiheitsbegriff in die Welt trugen, scheinen nun in der Obsession mit digitaler Reinheit, politischer Korrektheit und dauernder Selbstinszenierung ihre eigene Geschichte zu verkennen.
Zwischen Zynismus und Augenzwinkern
Doch Penstone lacht. Oder besser: er lächelt bitter, und dieses Lächeln trägt die Schwere eines Jahrhunderts. Es ist ein Lächeln, das sowohl spöttisch als auch resigniert, sowohl zynisch als auch weise ist – die Art von Lächeln, das man nur am Ende eines langen, gelebten Jahrhunderts tragen kann, wenn man gesehen hat, wie das Menschliche, das Wichtige, das Historische, manchmal auf die absurdeste Weise erodiert. Sein Satz, die Pointe seiner bitteren Satire: „Nicht wert.“ Kurz. Klar. Schmerzhaft. Und doch mit einem Augenzwinkern, das sagt: „Seht ihr nicht, wie lächerlich wir uns machen?“
Vielleicht ist genau darin die Hoffnung verborgen: Dass wir, wenn wir das Augenzwinkern eines Veteranen verstehen, wieder anfangen, die Dinge ernst zu nehmen, die es wirklich wert sind. Nicht nur den nächsten Tweet, das nächste Gesetz, die nächste moralische Kampagne. Sondern die Substanz unserer Kultur, die Erinnerung an Opfer, die nicht vergessen werden darf, weil sie sonst – und das ist der tiefere Humor, der in all dem steckt – wirklich vergeblich gewesen wäre.