Über Europas Klimaretter, Deutschlands Erlöserkomplex und den merkwürdigen Trost, wenigstens moralisch recht zu haben, wenn schon nichts mehr funktioniert.
I. Der letzte Ritter des grünen Zeitalters
Es war einmal ein Kontinent, der klein, alt und leicht erschöpft war, aber sich selbst für das Gewissen der Welt hielt. Während anderswo die Maschinen surrten, die Hochöfen loderten und die Förderpumpen rhythmisch im Takt der globalen Nachfrage pochten, saß Europa im moralischen Schneidersitz auf seiner Vergangenheit und schwor: Nie wieder CO₂!
Lediglich sechs Prozent der weltweiten Emissionen gingen auf das Konto der EU-Staaten — aber diese sechs Prozent wurden zu einem Schibboleth, zu einem Beweis ihrer moralischen Überlegenheit. Wenn die Welt unterging, so sollte sie wenigstens wissen: Wir waren die Guten. Die USA, jener ewige Freund mit der emotionalen Stabilität einer Achterbahn, war längst aus dem Pariser Abkommen ausgetreten und wusch ihre Hände in texanischem Öl. China hingegen hatte sich mit lässiger Grandezza als „Entwicklungsland“ deklariert — und erhielt dafür einen Freifahrtschein, der in der Geschichte der diplomatischen Selbstironie wohl unübertroffen bleibt.
Während also der Westen verschämt CO₂-Zähler installierte, schraubte China Solarzellen auf die Dächer seiner Kohlekraftwerke – eine Maßnahme, die sowohl den Statistiken als auch dem Gewissen diente. Und irgendwo in Brüssel nickten Kommissare feierlich und sagten: „Seht, wir inspirieren die Welt!“ – ohne zu bemerken, dass die Welt längst andere Prioritäten hatte.
II. Die Spendenritter von Belem
In Belem, irgendwo zwischen Amazonasfeuchte und politischem Pathos, trat Kanzler Merz ans Rednerpult. Seine Rede dauerte fünf Minuten – eine geradezu asketische Dauer für einen Mann, der in Deutschland sonst 90 Minuten braucht, um über „Entlastungspakete“ zu sprechen, die niemand versteht.
Doch in diesen fünf Minuten versprach er entweder 500 Millionen oder eine Milliarde Euro – es war nicht so genau zu rekonstruieren, denn das Rauschen des Tropenwaldes übertönte die Präzision.
Es war eine Geste: Deutschland, das Land, das keine funktionsfähigen Flughäfen, aber unerschütterliche Prinzipien baut, wollte der Welt erneut zeigen, dass Moral auch eine Währung ist – selbst wenn man sie mit geliehenem Geld bezahlt. Großbritannien hingegen, sonst nicht um Pose verlegen, hatte längst den Geldhahn zugedreht. Kanada zündete neue Ölbohrungen an, Australien grinste und grillte, und Japan nickte höflich – während es heimlich seine Atomkraftwerke wieder hochfuhr.
Nur Europa hielt die Fackel der Askese hoch. Ein Leuchtturm im Sturm – allerdings einer, dessen Strom aus Windkraft kam und daher nur bei Beaufort 6 funktionierte.
III. Deutschland, der ökologische Messias
„Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein“, verkündet Bojanowski – und man spürt zwischen den Zeilen ein leichtes Schaudern, als hätte ein Land beschlossen, kollektiv zu fasten, bis die Welt endlich ihre Sünden bereut.
Primus unter den Industrieländern! – Das klingt wie ein Orden, den man kurz vor der Beerdigung erhält.
Ein selbstzerstörerischer Plan, sagt Bojanowski. Denn die Emissionsrechte, die Deutschland nicht nutzt, werden in anderen EU-Ländern verbraten. Es ist das alte Prinzip des Ablasshandels, modernisiert für den Emissionsmarkt. Man kauft sich frei von Sünde, während der Nachbar weiter sündigt – nur dass diesmal die Hostie aus Bürokratie besteht.
Das Klimaschutzgesetz, vom Bundesverfassungsgericht zementiert, ist Deutschlands neue Heilige Schrift. Und wehe dem, der daran zweifelt: Denn wer heute nach einem Restbudget von 6,7 Gigatonnen fragt, gilt schon als Ketzer.
Bis Anfang der 2030er Jahre, so rechnen die Propheten, wird dieses Budget verbraucht sein. Dann drohen Strafen, Stilllegungen, Freiheitsbeschränkungen – eine apokalyptische Vision, die in ihrer bürokratischen Nüchternheit beinahe poetisch wirkt.
Deutschland, das Land der Dichter und Denker, wird also zum Land der Drossler und Denunzianten.
IV. Die große Illusion vom grünen Morgen
Das schwedische Umweltinstitut hat nüchtern festgestellt, was alle wissen, aber niemand aussprechen darf: Der weltweite Ölverbrauch und die Gasförderung werden bis 2050 weiter zunehmen. Die Realität, diese unhöfliche Besucherin, klopft an die Tür – und Deutschland zieht die Vorhänge zu, um sie nicht sehen zu müssen.
Denn hierzulande soll dann nur noch Wind und Sonne zählen, jene zwei Energieträger, die sich weigern, nach menschlichen Bedürfnissen zu funktionieren. Windflaute? Pech gehabt. Sonnenuntergang? Kerzen an!
Der Fortschritt, so scheint es, hat eine romantische Rückentwicklung vollzogen – von der Dampfmaschine zur Wetterabhängigkeit.
Bojanowski bringt es auf den Punkt: „Jetzt rächt sich Deutschlands selbstgefällige Energiepolitik, die sichere Energieversorgung abriss, bevor eine neue aufgebaut wurde.“
Es ist, als hätte man die Brücke hinter sich abgebrannt, um den Rückweg zu versperren – und dann festgestellt, dass man auf der falschen Seite des Flusses steht.
Zu spät für Deutschland, seine klimafreundlichen Atomkraftwerke hat es abgeschaltet – im Namen einer Moral, die so rein war, dass sie selbst vor der Logik zurückschreckte.
V. Epilog: Das gute Gewissen als letzte Ressource
Vielleicht wird man eines Tages auf diese Epoche zurückblicken wie auf eine historische Komödie, die zu tragisch war, um wirklich lustig zu sein. Europa, der alte Kontinent, opferte Wohlstand, Industrie, und Selbstachtung – alles im Namen einer Rettung, die ohne ihn gar nicht stattfand.
Während anderswo das Öl weiter floss, die Reaktoren brummten und der Wohlstand wuchs, diskutierte man hierzulande über „Sektorzielverfehlung“ und „Klimaneutralitätsfahrpläne“.
Und wenn dann das Licht ausging – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – tröstete man sich mit einem letzten Satz:
„Aber moralisch waren wir im Recht.“
Und vielleicht ist das ja der wahre europäische Beitrag zur Weltgeschichte:
Nicht, sie zu verändern – sondern sie mit Stil zu untergehen.