Der ewige Moralweltmeister im Ruhestand

Altbundespräsidenten sind eine ganz eigene zoologische Kategorie. Weder Fisch noch Fleisch, weder aktiv noch wirklich pensioniert, dafür aber stets im Habitat des öffentlich Bekümmerten unterwegs. Sie leben vom Nachhall ihrer früheren Bedeutung – wie der Mond vom Licht der Sonne, die sich längst anderen Sternen zugewandt hat. Und so geschieht es, dass, wenn die Welt brennt, ein Alt-Bundespräsident sich bemüßigt fühlt, aus seiner staatsmännischen Gruft zu steigen, um den Leuten zu erklären, was sie zu denken haben. Diesmal also: Heinz Fischer, jener stets in weinrotem Samt der Verbindlichkeit gewandete Gentleman der österreichischen Politprosa, meint, Österreich solle Palästina anerkennen.
Man könnte nun meinen, das sei ein freundlicher Gedanke – wie Blumen auf einem Friedhof. Nur dass in diesem Fall niemand so recht weiß, wo der Friedhof liegt, wer die Toten sind und ob überhaupt jemand begraben werden will. Doch das Detail hat noch nie jemanden davon abgehalten, moralisch Position zu beziehen. Vor allem nicht jene, die nichts mehr zu verlieren haben außer ihrer Medienpräsenz.

II. Die Anerkennung als Ersatzhandlung

Anerkennen ist das neue Beten. Früher faltete man die Hände, heute unterzeichnet man Resolutionen. Es hat denselben Effekt – aber man fühlt sich moderner dabei.
Die Anerkennung Palästinas – so wie sie aus dem bequemen Wiener Elfenbeinturm gefordert wird – erinnert an einen Nachbarschaftsstreit, bei dem einer ruft: „Ich erkenne jetzt offiziell an, dass deine Einfahrt dir gehört!“ – während der andere noch gar kein Auto, kein Haus und keine Einfahrt besitzt.
Ein Staat ohne funktionierende Regierung, ohne gesichertes Territorium, ohne durchsetzbares Gewaltmonopol – das ist kein Staat, sondern eine diplomatische Fata Morgana, ein kartographisches Phantom mit Flagge und Hymne, aber ohne Boden unter den Füßen. Und wer so etwas anerkennt, der erkennt nicht an, der phantasiert.
Man könnte ebensogut ein Grundstück auf dem Mars kaufen – auch dort hat man schöne Aussicht, aber keine Nachbarn. Nur dass auf dem Mars wenigstens niemand schießt.

TIP:  Es haben noch nie die Guten zensiert

III. Das österreichische Weltgewissen

Österreich liebt es, Weltpolitik zu spielen. Man ist neutral, also glaubt man, moralisch überlegen zu sein – eine Art globaler Schweiz mit Schmäh. Dabei hat Neutralität in Wien längst die Form einer Selbstgerechtigkeit angenommen, die jedes politische Thema in ein Bühnenstück verwandelt, in dem Österreich die Hauptrolle als „besonnene Stimme der Vernunft“ spielt.
Heinz Fischer verkörpert diese Tradition perfekt: freundlich, gescheit, staatsmännisch – und so unerschütterlich unkontrovers, dass man ihn notfalls auch als Taufpaten einer UNO-Resolution aufstellen könnte.
Doch gerade diese österreichische Art der Milde, dieses ewige „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“, gebiert jene absurden Momente, in denen man glaubt, Weltpolitik könne durch gutgemeinte Symbolhandlungen ersetzt werden. Die Palästina-Anerkennung wird so zum Beichtstuhl des Westens, ein Ort, an dem man sein schlechtes Gewissen ablegt, weil man nicht den Mut hat, sich wirklich einzumischen.

IV. Der moralische Reflex und seine Erschöpfung

In Europa herrscht ein sonderbarer Reflex: Sobald irgendwo jemand ruft „Unterdrückung!“, klappen die Mikrofone auf, und die Altpräsidenten kriechen aus ihren Memoiren hervor. Es ist wie eine Art politischer Frühjahrsputz – man entfernt den Staub der eigenen Bedeutungslosigkeit durch einen moralischen Appell.
Doch hinter all der Empörung lauert oft nichts als intellektuelle Bequemlichkeit.
Wer Palästina anerkennen will, ohne vorher die Grundfrage zu beantworten, wer oder was Palästina überhaupt ist, handelt nicht politisch, sondern rituell. Man spendet Beifall in einer Oper, deren Handlung man nicht verstanden hat, einfach weil die Musik ergreifend klingt.
Und während man das tut, sterben Menschen, Grenzen verschieben sich, Realitäten verhärten sich – aber wenigstens hat man auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden. Zumindest bis zur nächsten Schlagzeile.

V. Das Schweigen als höchste Form der Diplomatie

Schweigen – welch altmodische Tugend in einer Zeit, in der jeder Gedanke sofort ins Mikrofon gesprochen wird, bevor er im Kopf überhaupt fertig gedacht ist.
Fischer hätte, mit etwas Glück, die Chance gehabt, das Schweigen zur Kunstform zu erheben. Ein kurzer Kommentar wie: „Ich enthalte mich“ – und schon wäre er der weiseste aller Altpräsidenten gewesen.
Denn Schweigen ist, richtig eingesetzt, nicht Feigheit, sondern Respekt vor der Komplexität. Wer schweigt, erkennt an, dass die Welt nicht auf moralische Schwarzweißbilder zu reduzieren ist. Wer redet, ohne zu denken, produziert Lärm – und Lärm ist die Lieblingssprache des modernen Idealismus.

TIP:  Man kann seinen Pass wegwerfen ...

VI. Schlussakkord eines moralischen Theaters

Die Forderung nach Anerkennung Palästinas durch Österreich ist kein politischer Akt – sie ist Symbolpolitik als Selbsttherapie.
Ein Altpräsident, der so spricht, wirkt wie ein pensionierter Lehrer, der den Schülern von heute erklärt, wie man richtig rebelliert – sanft, gesittet und bitte mit Anstand.
Doch die Welt ist kein Hörsaal, und die Konflikte des Nahen Ostens lösen sich nicht durch akademische Deklamationen.
In Wahrheit wäre es ehrlicher, zu sagen: „Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, was gerecht wäre, was praktikabel, was überhaupt möglich.“ Aber das wäre zu viel Bescheidenheit für eine Zeit, die lieber Statements als Einsichten produziert.
So bleibt am Ende nur das altbekannte Ritual: Man ruft nach Anerkennung, um nicht über Realität reden zu müssen. Und irgendwo in Wien nickt ein ehemaliger Bundespräsident zufrieden – weil er glaubt, dass Worte allein die Welt verändern können.

Vielleicht tun sie das sogar.
Aber dann nur in der Literatur.

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