Esst nicht bei Juden!

Vorspeise: Empörung als All-you-can-eat-Buffet

Manchmal scheint es, als gäbe es in Deutschland kein größeres Nationalgericht als die Empörung. Kaum steht irgendwo ein Teller Hummus auf einem Berliner Tresen, erhebt sich ein Sturm aus moralischem Wohlgefallen. Mitten im Gaza-Krieg, so raunen die selbsternannten Tugendpatrouillen auf X und in den Kommentarspalten, will ein israelischer Starkoch ein Restaurant eröffnen. Skandal! Ein Affront gegen den Hunger der Welt! Man fragt sich, ob sich dieselben Stimmen je für die Zwangsarbeit in asiatischen Textilfabriken interessieren, während sie im neuen Seidenblouson am Laptop hocken und in empörtem Tremolo ihre Tweets absetzen.

Der Vorwurf lautet: Während Palästinenser hungern, darf ein Israeli kein Pita-Brot verkaufen. Dass Berlin voller syrischer, libanesischer, türkischer Restaurants ist, die selbstverständlich weiter Döner, Falafel und Baklava kredenzen, interessiert nicht. Es geht nicht um Logik, es geht um Haltung. Haltung nämlich, die sich am leichtesten aus der Ferne einnehmen lässt – dort, wo man sich nicht die Finger an tatsächlichen politischen Lösungen verbrennt.

Hauptgang: Die deutsche Sehnsucht nach der reinen Moral

Deutschland liebt seine moralischen Diäten. Nie schmeckt das Essen so gut, wie wenn man sich vorher die Speisekarte der eigenen Gewissensreinheit auswendig vorgesagt hat. Der Jude als Gastronom – welch herrliches Projektionsfeld! Hier lässt sich der postkoloniale Diskurs mit der nie ganz verdauten Schuldgeschichte zu einem neuen, aufregenden Smoothie mixen: ein Schuss Antiimperialismus, ein Spritzer Opferkonkurrenz, dazu ein ordentlicher Löffel Selbstabsolution.

Dass Eyal Shani als Koch vermutlich nichts anderes will, als Auberginen im Ofen zu rösten, ist nebensächlich. Für die moralische Veredelung der Debatte taugt er allemal besser als ein namenloser Gastronom. Wer braucht schon politische Analysen, wenn man ein Gesicht hat, das man mit der immer gleichen Anklage garnieren kann? Das Gericht der öffentlichen Meinung ist schnell zubereitet, billig und reichlich: Es serviert den alten Antisemitismus als „kritisches Bewusstsein“ und nennt das Ganze „Solidarität“.

Zwischengang: Die ZEIT als Küchenchef der Heuchelei

Und hier tritt die ZEIT auf den Plan – jenes ehrwürdige Blatt, das sich selbst gern als Leuchtturm der Aufklärung inszeniert. Kaum war der empörungsaffine Tweet veröffentlicht, der den israelischen Koch in eine moralische Mitschuld am Hunger in Gaza stellte, wurde er auch schon wieder gelöscht. Erst die Schlagzeile, dann der Rückzug – wie ein Restaurant, das verdorbenes Fleisch serviert und nach den ersten Lebensmittelvergiftungen hektisch die Speisekarte austauscht.

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Dieses Manöver ist kein Akt von Verantwortungsbewusstsein, sondern ein Paradebeispiel für verantwortungslosen Journalismus: erst die kalkulierte Provokation, dann die feige Flucht vor der eigenen Courage. Wer einen antisemitisch codierten Tweet absetzt, ihn anschließend kommentarlos entfernt und auf stille Vergessenheit hofft, beweist nicht Sensibilität, sondern Zynismus. Man bedient das Ressentiment, um Klicks zu generieren – und zieht sich dann zurück, als hätte man nur versehentlich ein scharfes Gewürz ins Essen gestreut.

Das Ergebnis? Ein medialer Bumerang. Durch das Löschen wird der Text nicht etwa unsichtbar, sondern doppelt wirksam. Der Screenshot ersetzt das Original, und plötzlich ist die Frage nicht mehr: „Warum schreibt ihr so etwas?“, sondern: „Vertuscht ihr Antisemitismus?“ Genau darin liegt die eigentliche Geschmacklosigkeit: Die ZEIT, die sonst lautstark jede Form von Hass anprangert, schafft selbst die Schlagzeile, vor der sie später feierlich warnt.

Dessert: Der bittere Nachgeschmack der Doppelmoral

Die Farce liegt offen zutage. Ein Israeli will ein Restaurant eröffnen – und plötzlich wird er zum geopolitischen Akteur, dessen Pita für den Hunger in Gaza verantwortlich gemacht wird. Man stelle sich vor, wir würden denselben Maßstab anlegen, wenn ein syrischer Koch in Berlin ein Lokal eröffnet, während in Idlib Bomben fallen. Oder ein russischer Bäcker während des Krieges in der Ukraine. Aber dort fehlt der uralte Resonanzboden, der Antisemitismus heißt.

Die Pointe ist so alt wie abgenutzt: Ausgerechnet in Deutschland, wo man sich gern als Musterland der Vergangenheitsbewältigung präsentiert, ist der jüdische Wirt wieder Projektionsfläche für globale Krisen. Es ist die Neuauflage eines uralten Rezepts: Man nehme die reale Not anderer, rühre eine Prise israelischer Schuld hinein und serviere das Ganze als moralisch einwandfreies Entrée. Dass Antisemitismus dabei nicht nur durch die Hintertür, sondern durch die breite Flügeltür hereinspaziert, wird mit einem freundlichen Nicken ignoriert – bis er sich, wie bei der ZEIT, plötzlich ungebeten auf der Startseite wiederfindet.V

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Verdauungsschluss: Ein Appell ans Geschmacksempfinden

Was also tun? Ganz einfach: Geht essen. Überwindet den Reflex, den Koch für den Krieg verantwortlich zu machen. Erkennt den Unterschied zwischen einer Regierung und einem Gastronomen, zwischen einem Staat und einem Menschen, der Auberginen liebt. Boykott ist keine Moral, sondern Faulheit, getarnt als Prinzip.

Und Medien, die sich als moralische Instanz verstehen, sollten lernen, dass Antisemitismus nicht weniger giftig wird, wenn man ihn nachträglich löscht. Verantwortlicher Journalismus heißt, solche Texte gar nicht erst zu veröffentlichen – und nicht, den Dreck nach dem Dessert hastig unter den Teppich zu kehren.

Wer in Berlin Eyal Shanis Restaurant meidet, weil irgendwo Bomben fallen, isst nicht politisch, sondern heuchlerisch. Die Pointe dieser Farce liegt nicht auf dem Teller, sondern im Spiegel. Und der zeigt: Wir alle sind hungrig – nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach der süßen, billigen Sättigung, die nur moralische Überheblichkeit verschaffen kann.

Also: Esst bei Juden. Esst bei Arabern. Esst bei wem ihr wollt. Aber vor allem – esst eure eigenen Vorurteile auf, bevor ihr euch anmaßt, anderen das Brot aus der Hand zu schlagen.

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