Zwei Apostel im Wirtschaftsnebel

Wenn der deutsche Geist sich anschickt, seine eigenen Totengräber mit Orden auszuzeichnen, dann tauchen aus den Nebeln der Talkshows stets dieselben Silhouetten auf: Marcel Fratscher und Patrick Graichen. Zwei Namen wie zwei klingende Münzen – dieselbe Währung, nur unterschiedliche Prägung. Der eine flötet in den Kathedralen der Ökonomie von sozialer Gerechtigkeit und Investitionslust, als ließe sich die Welt durch Konjunkturprogramme in einen Kindergarten aus Wattebäuschen verwandeln; der andere zimmert als Energiewender der Nation an jenem windschiefen Experimentierbau, der sich Stromnetz nennt, während draußen die letzte Grundlast verglimmt. Sie lächeln milde, dozieren wohltemperiert, sprechen von „Transformation“ und „Resilienz“, Begriffe, die so geschmeidig klingen, dass man beinahe vergisst, dass hinter ihnen nichts anderes steckt als die frohe Botschaft des permanenten Mangels – freilich „nachhaltig“ verpackt. Zwei Männer, zwei Institute, ein Ziel: den deutschen Untergang als Masterplan zu verkaufen, so seriös, dass selbst der Bundesadler auf dem Reichstag die Schwingen hängen lässt.

Das große Boomer-Paradox

Doch wer hat sie hervorgebracht, diese neuen Hohepriester der grün schimmernden Schrumpfungsreligion? Hier betritt eine Generation die Bühne, die man lange für den Triumph des Pragmatismus hielt: die Boomer. Jene geburtenstarken Jahrgänge, die nach dem Krieg den Schutt beiseiteräumten, dann aber mit geradezu gieriger Lust jedes neue Sofa des Wirtschaftswunders ausprobierten. Es waren sie, die die Wiedervereinigung nicht nur bejubelten, sondern auch bezahlten – mit Steuern, Solidaritätszuschlägen und einer Geduld, die man heute fast für stoisch halten könnte, wäre sie nicht so bequem gewesen. Denn während sie brav Überstunden schoben, um den Osten zu sanieren, wuchsen in den Hörsälen der Republik jene Geisteskinder heran, die nun in Talkshows als „Experten“ auftreten und mit der Autorität eines selbstgezogenen Bonsais den Wald der deutschen Vernunft stutzen. Fratscher und Graichen verdanken ihre akademischen Meriten genau jenen Steuergroschen, die die Boomer in treuherziger Staatsfrömmigkeit ablieferten – in der Annahme, sie finanzierten damit die Zukunft, nicht ihre eigene Demontage.

TIP:  Ein rotes Märchen

Von der Butterseite zur Brötchenkruste

Es liegt eine ironische Poesie darin, dass ausgerechnet jene Generation, die sich stets auf der Butterseite des Lebens wähnte, nun in der mageren Gegenwart das Brötchen ohne Belag serviert bekommt. Die Boomer wollten Fortschritt, aber bitte mit Eigenheim und drei Urlaubsreisen im Jahr; sie wollten Gerechtigkeit, aber ohne radikale Experimente; sie wünschten sich kluge Köpfe in den Universitäten, die dereinst das Land lenken, aber bloß nicht in die eigene Rente hineinpfuschen. Nun sehen sie zu, wie ihre gelehrten Ziehkinder den Kapitalismus als Klimasünde denunzieren und die Grundlastkraftwerke in museale Ausstellungsstücke verwandeln. Das ist der tragikomische Kern der Boomertragödie: Sie zahlten den Preis für eine Zukunft, die ihnen nun erklärt, dass ihre Vergangenheit ein Fehler war.

Talkshow-Feuerwerke und die Kunst des gepflegten Untergangs

Dass Fratscher und Graichen ihre Thesen in sonntäglichen Fernsehpanoramen ausbreiten, gehört zum Ritual der Gegenwart. Fratscher, stets sanft wie ein öffentlich-rechtlicher Wetterbericht, beschwört den Staat als allheilendes Dauerinfusionsgerät, während Graichen mit dem stoischen Lächeln eines Thermodynamikers erklärt, dass es zwar „Herausforderungen“ gebe, aber keine Alternative zum grünen Holzweg. Der Untergang, so die leise Botschaft, soll uns nicht erschrecken, sondern erziehen. Deutschland wird nicht fallen – es wird „transformiert“, was ungefähr so beruhigend klingt, wie wenn der Zahnarzt vor dem Bohren von einer „kurzen Maßnahme“ spricht.

Der Schlussakkord: Eine Generation erntet, was sie säte

Und so stehen wir nun da, mitten in einer Republik, die sich selbst für moralisch überlegen hält, während sie wirtschaftlich den Rückwärtsgang einlegt. Die Boomer, die einst mit Fleiß und Steuerkraft den Grundstein für Fratschers Studien und Graichens Energieträume legten, sitzen heute in Eigenheimen, die demnächst von Wärmepumpen bevormundet werden, und wundern sich über Strompreise, die sie selbst mitfinanziert haben. Vielleicht ist das die eigentliche Pointe dieser deutschen Tragikomödie: dass der Untergang nicht von äußeren Feinden kommt, sondern aus den Hörsälen und Thinktanks, die wir selbst so großzügig alimentierten. Fratscher und Graichen sind nicht die Ursache, sondern das Symptom. Die Boomer aber – ach, ihr guten Menschen mit euren Sparbüchern und eurer Pflichtmoral – ihr habt die Rechnung längst bezahlt, noch bevor ihr die Quittung lesen konntet.

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