
… und was neben den Twin Towers von den USA noch so in Schutt und Asche gelegt wurde
Vierundzwanzig Jahre sind vergangen, seit die Bilder des brennenden World Trade Centers um den Globus flimmerten und in die kollektive Retina gebrannt wurden. Ein Ereignis, das sich in die Menschheitsgeschichte einfügte wie ein rostiger Nagel ins Herz einer Holzpuppe: hässlich, schmerzhaft, aber schwer wieder herauszuziehen, weil zu viele Fäden daran hängen. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, bleibt nicht nur die Erinnerung an zwei Türme aus Glas und Stahl, sondern auch an die große Abrissbirne, die die USA danach über den Rest der Welt schwangen. Denn während New York trauerte, entdeckte Washington seine Leidenschaft fürs globale Renovieren – allerdings weniger mit Bauhelm und Zollstock, sondern eher mit Napalm, Drohnen und der moralischen Brechstange.
Der „War on Terror“ – oder wie man mit Benzin Feuer löscht
Die Selbstinszenierung war spektakulär: Der „Krieg gegen den Terror“ wurde ausgerufen, als sei er ein neues Netflix-Format, nur mit höheren Einschaltquoten und schlechterem Drehbuch. Afghanistan durfte die Pilotfolge spielen – ein Land, das ohnehin seit Jahrzehnten im Dauerchaos lag, wurde endgültig zum Testlabor für Demokratie-Export per Luftschlag. Bald darauf folgte das Spin-off im Irak: ein Abenteuer, das offiziell von Massenvernichtungswaffen handelte, in Wirklichkeit aber nur von Massenvernichtung.
Die Liste der Folgen liest sich wie die Staffeln einer endlosen Serie, die niemand mehr wirklich sehen will, die aber trotzdem Jahr für Jahr verlängert wird: Drohnenkriege im Jemen, Libyen als CIA-gestütztes Improvisationstheater, Syrien als epischer Dauercliffhanger. Jedes Mal hieß es: „Diesmal machen wir es besser.“ Und jedes Mal verwandelte sich ein Land mehr in eine postapokalyptische Landschaft, in der George W. Bush als unfreiwilliger Setdesigner und Barack Obama als unfreiwilliger Intendant fungierten.
Demokratieexport – mit der Verpackung „Made in USA“ und ohne Bedienungsanleitung
Die USA verkauften ihre Feldzüge stets als großzügiges Geschenk: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte – alles hübsch glänzend verpackt. Nur dass beim Auspacken meist herauskam, dass die Batterie fehlte, die Gebrauchsanweisung unlesbar war und das Produkt innerhalb weniger Tage kaputtging. Die exportierte Demokratie funktionierte in Bagdad so zuverlässig wie ein Toaster im Swimmingpool, und in Kabul stellte sich heraus, dass die frisch installierte Regierung eher die Stabilität einer Ikea-Kommode nach feuchtfröhlichem Aufbauabend besaß.
Die Ironie: Während man in Washington die Freiheitsstatue polierte, verbrannte man an anderen Orten die Freiheitsideale im Wüstensand. So wurden die USA zum paradoxen Schreiner: Sie bauten „nationale Strukturen“ – und rissen sie im gleichen Atemzug wieder ein.
Homeland Security – Sicherheit durch Dauerparanoia
Doch nicht nur ferne Länder wurden in Schutt und Asche gelegt. Auch das eigene Land wurde radikal umgebaut – oder besser: umüberwacht. Unter dem Deckmantel der Sicherheit verwandelten sich die Vereinigten Staaten in ein gigantisches Panoptikum. Jeder Bürger wurde potenziell zum Terroristen, jede E-Mail zum staatsgefährdenden Pamphlet, jedes Telefonat zur Beichte an die NSA.
Der Patriot Act war das legislative Äquivalent zu einem Presslufthammer im Porzellanladen der Grundrechte. Er zertrümmerte nicht nur Privatsphäre und Bürgerfreiheit, sondern schuf eine Kultur des Dauerverdachts: Ein Nachbar mit arabischem Nachnamen war plötzlich verdächtiger als ein Hedgefonds-Manager mit Milliardenverlusten. „Freedom isn’t free“, hieß es – was in der Praxis bedeutete, dass Freiheit abgeschafft werden musste, um sie zu schützen.
Die verbrannte Glaubwürdigkeit
Man könnte meinen, dass das Schlimmste die materiellen Verwüstungen waren: zerbombte Städte, ruinierte Infrastrukturen, Millionen Tote und Flüchtlinge. Doch mindestens ebenso gründlich legten die USA ihre eigene moralische Autorität in Schutt und Asche. Aus dem Land, das einst die Freiheitsglocke läutete, wurde eine Macht, die mit waterboarding feierte und Guantánamo als Ferienlager für den Rechtsstaat betrieb.
Die Welt lernte: Menschenrechte sind dehnbar, solange sie nicht auf amerikanischem Boden verletzt werden. Und Völkerrecht ist vor allem dann verbindlich, wenn es die anderen betrifft. So entstand ein Zynismus, der bis heute in internationalen Beziehungen wirkt: Warum sollte man den Mahnungen Washingtons glauben, wenn sie selbst die Regeln wie Servietten behandeln, die man nach dem Essen zerknüllt und in die Ecke wirft?
Fazit: Der große amerikanische Abrissunternehmer
Vierundzwanzig Jahre nach 9/11 bleibt das Bild eines Landes, das nicht nur zwei Türme verlor, sondern auch den moralischen Boden, auf dem es stand. Die USA verstanden sich als Architekten einer neuen Weltordnung, entpuppten sich aber als Abrissunternehmer, die ganze Regionen in Schutt legten und dabei ihr eigenes Fundament gleich mit.
Heute stehen wir vor dem Trümmerfeld einer Epoche, die im Namen der Sicherheit geführt wurde, aber vor allem Unsicherheit schuf. Vor den rauchenden Ruinen von Kabul, Bagdad und Aleppo kann man nur noch zynisch lächeln: Vielleicht war der „War on Terror“ weniger ein Krieg gegen den Terror als vielmehr eine Bewerbung des Terrors zum Dauergast in unseren Gesellschaften.
Das ironische Ende dieser Tragikomödie: Während die USA auf den Rest der Welt einprügelten, fraßen sie sich selbst von innen auf – ein Imperium, das seine Türme verlor und nun langsam, Stein für Stein, seine Glaubwürdigkeit gleich mit.