Kauft nicht bei Juden 2025

Die Wiederkehr der Parolen im Maßanzug der Diplomatie am Vorabend von 9/11

„Europa kämpft“ – mit diesen erhabenen Worten hat Ursula von der Leyen ihre jüngste Rede zur Lage der Union eröffnet. Es klingt nach Pathos, nach einer kontinentweiten Schlacht um Freiheit, Menschenrechte, Werte, kurz: nach der üblichen Predigt aus dem sakralisierten Baukasten europäischer Sonntagsreden. Doch was steckt diesmal dahinter? Kein Klimapaket, kein Lieferkettengesetz, kein Gender-Manifest. Nein: Es ist der wohlklingende Euphemismus für die Ankündigung, dass man Zahlungen an Israel stoppt. Dass man, um es auf die simpelste Formel zu bringen, das alte „Kauft nicht bei Juden!“ nicht mehr auf der brüllenden Straße grölt, sondern mit seidenweichen PowerPoint-Folien im Brüsseler Konferenzsaal präsentiert.

Wie elegant, wie wohlerzogen, wie unendlich perfide! Die europäischen Kommissare, die sich sonst bei jeder Gelegenheit mit Kerzen in der Hand vor Holocaust-Mahnmälern drapieren, zeigen, dass man Geschichte nicht vergisst, sondern sie kreativ weiterschreibt. Nur eben zeitgemäß: Keine Schaufensterscheiben werden eingeschlagen, keine SA-Stiefel marschieren durch die Straßen – heute reicht es, Forschungsprogramme zu kappen, Budgets einzufrieren und im Tonfall der moralischen Empörung zu verkünden, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Europa 2025: Der Antisemitismus trägt Armani und hat ein Digitalministerium.

Die chirurgische Präzision der europäischen Doppelmoral

Während man Israel mit dem erhobenen Zeigefinger belehrt, erinnert man sich plötzlich: War da nicht mal etwas? Ach ja, der 11. September, zwei Türme, Rauch, Asche. Ein „Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts“, der dazu diente, den ersten und einzigen NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 auszurufen. Nicht etwa, weil die USA kurz vor der Auflösung standen – das Imperium war weit davon entfernt. Aber es war die perfekte Gelegenheit, um im Namen von Freiheit und Demokratie ganze Staaten in Schutt und Asche zu legen. Afghanistan, Irak, Libyen: Allesamt Paradebeispiele für westliche „Stabilisierungspolitik“, deren Erfolg sich in Millionen Toten, zerbombten Städten und einer Flüchtlingskrise bemisst, die Europa bis heute verdaut wie eine schlechte Muschel im Hochsommer.

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Doch damals war keine Rede von „Zahlungsstopp“ oder „Suspendierung der Partnerschaft“. Im Gegenteil: Milliardenprogramme, Koalitionen der Willigen (aufgewärmt 2025 gegen Rußland), Solidaritätsadressen – die Druckerpresse der NATO lief heiß. Wenn Washington rief, sprangen die Europäer. Und wenn Israel ruft? Nun ja, da muss man erstmal „prüfen“, da braucht man einen „Mechanismus“, da wird differenziert, diskutiert, deklamiert – bis am Ende wieder herauskommt, was immer herauskommt: Israel ist das Problem, Europa ist die Moral.

Moralische Hygiene im Wellness-Spa der Politik

Die EU liebt es, sich als moralische Instanz aufzuspielen. Sie sieht sich als die letzte Bastion humanistischer Werte, als Apothekerin einer globalen Ethik, die streng portioniert in homöopathischen Dosen verabreicht wird – je nachdem, welcher Patient gerade auf der Couch liegt. Russland? Sanktionen, Isolation, Empörung. China? Kritische Dialoge, aber bitte nicht zu kritisch, man will ja weiter Handys bauen lassen. Israel? Nun, da kommt die große europäische Leidenschaft zum Vorschein: das Projektive Schuldmanagement.

Man kann dem jüdischen Staat alles anlasten – und zugleich so tun, als sei man der einzige Verteidiger der Menschenrechte. Praktisch: Man reinigt die eigene historische Schuld mit der Seife der Gegenwartspolitik. Und während man Israel an den Pranger stellt, vergisst man geflissentlich die eigenen Leichen im Keller. Millionen Tote durch westliche Kriege? Kollateralschäden. Flüchtlingslager im Mittelmeer? Tragische Einzelfälle. Israelische Forschungsprojekte im Bereich Biomedizin? Untragbar!

Der schiefe Spiegel der Geschichte

Der Zynismus wird besonders greifbar, wenn man bedenkt, dass all dies am Vorabend des 11. September verkündet wurde – jenes Datums, das wie ein Fanal in der kollektiven Erinnerung glüht. Man hätte fast meinen können, es sei Absicht: Als wollte man der Welt beweisen, dass man es in Brüssel endlich geschafft hat, die eigene Vergangenheit und die eigene Gegenwart in einem Akt von grotesker Ironie zu vereinen. Während man der Opfer von damals gedenkt, bereitet man den nächsten symbolischen Angriff vor – diesmal nicht mit Flugzeugen, sondern mit Paragraphen.

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„Nie wieder!“, rief man einst, und es klang wie ein Schwur. Heute heißt es: „Nie wieder ohne Ausnahmeklausel!“ Die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, sie variiert, moduliert, findet neue Ausdrucksformen. Sie marschiert nicht, sie tagt. Sie schreit nicht, sie flüstert in Kommissionsdeutsch. Sie prügelt nicht, sie sperrt Fördergelder. Und genau das ist die bittere, satirische Pointe: Man kann Antisemitismus so modernisieren, dass er aussieht wie verantwortungsvolle Politik.

Fazit: Die Kunst des bequemen Widerstands

Europa 2025 – wir sind aufgeklärt, wir sind zivilisiert, wir sind moralisch hypermodern. Aber wenn es darauf ankommt, fallen wir zurück in die Muster, die wir zu überwinden glaubten. „Kauft nicht bei Juden“ hieß es damals; „Kooperiert nicht mit Israel“ heißt es heute. Dazwischen liegen 90 Jahre, ein Weltkrieg, sechs Millionen Tote – und doch kaum ein Lernprozess.

Vielleicht ist genau das die Tragik: Dass Satire kaum noch nötig ist, weil die Realität längst satirischer ist, als es jede Feder, jede Bühne, jede Polemik jemals sein könnte. Europa, dieser alte Kontinent, ringt nicht mit seiner Moral – er inszeniert sie. Und während er Israel auf die Anklagebank setzt, spielt er den Richter über sich selbst. Urteil: schuldig. Strafe: Symbolpolitik. Applaus im Plenum.

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