Die Medien und die Kunst des Krieges

 – oder: Lernen wir wirklich?

Man könnte fast meinen, deutsche Leitmedien betreiben einen subtilen Langzeitversuch in Psychologie und Patriotismus: Erst lehrt der Spiegel 2006 die Deutschen, dass Töten eine Fähigkeit sei, die man lernen müsse – als handle es sich um eine Art neuer Rechenunterricht – und knapp zwei Dekaden später fragt der Stern seine Leserschaft, ob sie denn für Deutschland kämpfen würden. Wobei der feinsinnige, moralisch aufgeladene Unterton der Fragestellung schon verrät, dass die Redaktion wohl kaum an der Front um Mitgefühl für das Leben interessiert ist. Die korrekte Frage wäre nicht „Kämpfen Sie?“, sondern „Fallen Sie?“ – und genau diese Differenz entblößt das wahre Substrat der medialen Rhetorik: Es geht nie um Heldentum oder Bürgersinn, sondern um die Normalisierung der Bereitschaft zum Opfer, möglichst elegant in die Gesellschaft eingebettet, mit der Selbstverständlichkeit eines Sonntagsbratens serviert. Ironischer Zufall? Wohl kaum. Wer die Kontinuitäten deutscher Mediengeschichte mit der Geduld eines Historikers, aber dem Zynismus eines Satirikers betrachtet, erkennt Muster, die auf einen scharfsinnigen, wenngleich morbiden Fortsetzungsroman hinauslaufen.

Schatten der Gründer – eine Lektion in historischer Ambivalenz

Der Zufall verliert seine Unschuld, wenn man auf die Biografien der Gründerväter blickt. Henri Nannen, der spätere Gründer des Stern, war während der NS-Zeit Teil des berüchtigten „Unternehmens Südstern“, einer SS-Einheit, die auf Befehl Hitlers Feindpropaganda gegen die heranrückenden Amerikaner herstellte. Diese Art „journalistischer Ausbildung“ kann man getrost als Einstieg in die feine Schule der instrumentellen Moral bezeichnen: Hier lernt man, dass Worte nicht informieren, sondern manipulieren – und dass Propaganda als patriotischer Akt verpackt werden kann. Dass Nannen später die Hitler-Tagebücher abdruckte, wirkt beinahe wie eine Pointe, die man sich im Hof der Geschichte erzählt: Der gleiche Mann, der einst zur ideologischen Kriegsmaschinerie gehörte, kuratiert nun die makabren Erinnerungen des Regimes, und die Leserschaft applaudiert oder ignoriert mit der gleichen stoischen Gelassenheit, mit der sie heute Fragen nach Kampfbereitschaft beantwortet.

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Rudolf Augstein, der Gründer des Spiegel, war Offizier an der Ostfront – ein Detail, das mancher Biografie-Glosse mehr Spannung verleiht als jedem Kriegsroman. Auch hier: Der Mann, der Jahrzehnte später den investigativen Journalismus wie eine moralische Waffe führte, sammelte praktische Erfahrung in der tödlichen Kunst des Krieges. Die Kontinuität zwischen Fronterfahrung und redaktioneller Machtausübung ist bemerkenswert. Sie wirft Fragen auf, die selbst die naivsten Medienkritiker erröten lassen: Ist es Zufall, dass aus ehemaligen Frontsoldaten Meinungsführer werden, die nun über die Pflichten ihrer Leserschaft gegenüber der Nation dozieren? Oder handelt es sich vielmehr um ein subtil inszeniertes Ritual, bei dem historische Gewalttätigkeit in intellektuelle Autorität transformiert wird?

Die Frage nach dem Kämpfen – ein rhetorisches Manöver

Wenn der Stern nun fragt: „Würden Sie für Deutschland kämpfen?“, dann geschieht dies nicht ohne poetische, zynische Absicht. Medien, die selbst aus Kämpfern hervorgegangen sind, wissen um die Macht der Suggestion. Die Frage operiert auf mehreren Ebenen: Sie prüft Loyalität, erzeugt moralische Spannung, und sie formt zugleich die Vorstellung von Pflicht und Heldentum in der Bevölkerung. Dass die Formulierung „fallen für Deutschland“ viel präziser, aber auch unbequem wäre, zeigt die Absicht hinter der Glätte: Man soll kämpfen, aber man soll nicht sterben – oder besser: Man soll den Tod anderer akzeptieren, während man selbst bequem am Kaffeetisch sitzt. Das ist eine Perfidie der Sprache, die nur jene vollständig verstehen, die den langen Atem der Mediengeschichte kennen und erkennen, wie leicht historische Biografien, Propaganda und moralische Appelle ineinanderfließen.

Zynismus als Linse der Analyse

Betrachtet man das alles mit zynischem Humor, erkennt man ein wiederkehrendes Motiv: Medien fungieren nicht nur als Vermittler von Informationen, sondern als Architekten psychologischer Bereitschaft. Sie lehren Töten, ohne die Hand zu schmutzig zu machen, sie fordern Kampfbereitschaft, ohne selbst Fronten zu betreten. Die Gründergeneration liefert eine makabre Legitimation: Wer selbst die Kriegserfahrung kennt, darf anderen moralische Pflichten auferlegen – oder besser gesagt, darf sie dazu erziehen, zu kämpfen und zu fallen, während die Gründer längst auf den sicheren Tribünen der Geschichte sitzen. Satire muss hier unweigerlich lachen: Es ist der zynische Charme der Kontinuität, dass genau jene Medien, deren Gründer Teil der Kriegsmaschinerie waren, heute das Ideal des patriotischen Opfers unter dem Deckmantel von Journalismus propagieren.

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Fazit: Die unsichtbare Treppe der moralischen Autorität

Es bleibt die bittere Erkenntnis: Die Medien bilden seit Generationen eine Treppe, auf der historische Erfahrung, moralische Autorität und rhetorische Macht wie eine unsichtbare Struktur ineinandergreifen. Von Nannen über Augstein bis zu den heutigen Redaktionen ist die Kontinuität der Idee bemerkenswert: Man darf und muss lehren, was man selbst einst erlebt hat, sei es der Krieg, die Propaganda oder die subtilen Mechanismen der Macht. Der Leser sitzt unten, zwischen Fragezeichen und moralischen Imperativen, und versteht vielleicht erst beim dritten Blick, dass die Treppe nicht zufällig gebaut ist: Sie führt von der persönlichen Erfahrung der Gründer direkt in die Köpfe einer Nation, und wer oben steht, wischt den Staub der Geschichte so, dass er niemandem schadet – außer der kollektiven Selbsttäuschung. Ironie, Zynismus und Satire sind die einzigen Besen, mit denen man diese Treppe sichtbar fegen kann.

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