
Proömium: Vom Kalender als Spiegel göttlicher Launen
O Ihr Leser, deren Augen sich noch nicht verblendet haben vom blendenden Schein der neuen Bildschirme, die den Geist zerstreuen wie ehedem das Gauklerpack auf Jahrmärkten: Merket auf! Denn der Monat September, welcher den Sommer mit einer welkenden Hand zu Grabe trägt und den Herbst mit melancholischer Kälte gebiert, hat sich nicht begnüget, bloß das Obst von den Bäumen zu schütteln, sondern er hat auch der Welt dergestaltige Tage beschert, daß sie gleich einer Brandmarkung ewiglich ins Gedächtnis gebrannt sind.
So war es am eilften Tage des Septembers im Jahre 2001 nach Christi Geburt, da die Himmelsschiffe, welche man Aeroplana heißet, in feuriger Gewalt die stolzen Türme von Neu-Amsterdam (welches die Barbaren New York nennen) zerstörten; und wiederum am zwölfften Tage desselben Monats, doch um vieles Jahrhunderte zuvor, da die osmanische Macht vor Wien zurückgestoßen ward durch polnische Reuter mit Flügeln von Federwerk und durch die hochfahrenden Gebete katholischer Altäre.
Vom modernen Babel: Ein Schauspiel des Untergangs
O 11. September! Welch ein Schauspiel ward da geboten! Nicht in den dumpfen Chroniken zu lesen, sondern live, wie der Pöbel es zu sagen beliebet, übertragen in jedes Haus, in jede Stube, in jede glotzende Pupille. Gleich einer neuen Sintfluth ergoß sich das Bild über die Erde, und jedermann ward zum Propheten, zum Richter, zum Kommentator.
Die Thore des Geldes, die Twin Towers, stürzten ein; nicht bloß Mauerwerk und Glas, sondern Symbol, Idol, Tempel der Moderne. Und wie sie fielen, da jauchzten die Apologeten des Zorns und heulten die Verteidiger des Westens: „Unsere Welt, unser Reich, unser Glaube sind angegriffen!“ – als hätten sie selbst nie Bomben über andere Völker ausgeschüttet, als sei ihre Hand rein und unblutig wie die einer Jungfrau im Nonnenkloster.
Doch siehe: der Jammer ward bald zur Waffe. Aus Asche ward Kriegsrhetorik, aus Tränen ward Öl für den Motor der Kanonen. Afghanistan, Irak und wer sich sonst noch fand – sie alle mußten bezahlen für jenes Schauspiel, das vor den Augen der Welt zum neuen Mythos gerann.
Vom wienerischen Drama: Triumph in Federrüstung
Doch lasset uns nicht vergessen die Begebenheit des 12. Septembers anno 1683. Da rüsteten die Osmanen, mit Sichel und Halbmond, vor den Mauern Wiens, als wollten sie das Herz Europas durchstoßen. Doch der Himmel, immer parteiisch, schickte Jan Sobieski, König von Polen, dessen Reuter, geschmückt mit seltsamen Flügeln aus Federn, die Sonne verdunkelten wie ein Sturm der Vögel.
Sie stürzten die Belagerer, und siehe, das Abendland ward gerettet – so sagten die Prediger, so sangen die Chronisten. Daß es in Wahrheit um Herrschaft, Beute und territoriale Eitelkeiten ging, das verschwieg man tunlichst; denn die Geschichte liebt es, sich im Gewande des Heiligen zu zeigen, auch wenn ihr Leib nach Schweiß und Blut stinkt.
Von der Wiederholung des Immergleichen
So nehmet Ihr beide Tage zusammen, den eilften und den zwölfften, und Ihr werdet erkennen: Es ist derselbe Tanz, derselbe Chor, nur in anderen Kostümen. Einmal der Türke, ein andermal der Terrorist; einmal das Kreuz, ein andermal das Pentagon. Immer aber das nämliche Lied: „Wir sind die Guten, sie sind die Bösen; wir die Zivilisation, sie die Barbarei.“
Und also ist die Weltgeschichte nichts denn ein müßiger Spielball im Theater des Menschen, der niemals Neues dichten kann, sondern die alte Leier ewiglich fortklimpert, bis selbst der Tod gähnend zuschaut.
Epilog: Ein satyrischer Wink
So bleibt uns nichts als der Trost des Zynischen: daß vielleicht dereinst, an einem künftigen Septembertage, wiederum ein Spektakel geboren werde – sei es durch fallende Türme, durch explodierende Maschinen, oder, wer weiß, durch den Zusammenbruch eines digitalen Babels, dessen Priester heute „Influencer“ und „Algorithmen“ heißen.
Dann wird man abermals predigen von Kampf der Welten, von Licht wider Finsterniß, und abermals wird die Wahrheit im Rauch verschwinden wie ein Schaf im Maul des Wolfs.
O September, du Narr im Kalender! Mögest du doch einmal einen Tag hervorbringen, der nicht mit Blut, sondern mit Gelächter endigt – obgleich, wie ich den Menschen kenne, selbst dann einer käme, der die Pointen zu seinem Kriege machte.