Die letzte Parabel vom Verschwinden der Sprache

Sprache als letzte Bastion des Menschlichen

Man könnte sagen: Sprache war das große Kunststück der Evolution. Sie hat uns aus der Höhle geführt, hat Mythen geboren, Philosophie, Poesie, sogar die idiotische Bürokratie. Ohne Sprache kein Denken, ohne Denken kein Mensch – höchstens ein besonders ehrgeiziger Affe mit Daumen.

Doch genau das wird nun rückgängig gemacht. Schritt für Schritt amputieren wir uns selbst das Werkzeug, das uns einmal die Welt erschloss. Erst verkürzen wir die Sätze, dann die Wörter, dann die Buchstaben. Schließlich bleibt nur noch das Emoji: ein digitales Grunzen, hübsch koloriert.

Der Homo sapiens, das „weise Wesen“, reduziert sich freiwillig wieder auf das, was er immer war: ein Laut, ein Schrei, ein Zeichen – nur diesmal in High Definition.

Der UNO-Beschluss als Endzeit-Symbol

Die Abschaffung des Kommas war mehr als eine Kuriosität, sie war ein Weltgericht. Mit dem Komma fiel nicht nur ein Satzzeichen, sondern die Möglichkeit, Gedanken zu gliedern. Ohne Komma keine Unterscheidung, ohne Unterscheidung keine Logik, ohne Logik keine Wahrheit.

Und so gleitet die Menschheit in eine sanfte, klebrige Dämmerung, in der alles gleich gültig ist – und alles gleichgültig. Wenn es keine Trennung mehr gibt, gibt es auch keinen Unterschied. Und wenn es keinen Unterschied mehr gibt, dann gibt es auch keinen Streit. Harmonie durch totale Bedeutungslosigkeit – ein paradiesischer Zustand, wenn man bereit ist, sein Gehirn an der Garderobe abzugeben.

Die letzte Philosophie: Vom Sein zum Smiley

Philosophie war einmal die Suche nach Wahrheit, nach dem Grund des Seins, nach der Frage, warum überhaupt etwas existiert und nicht vielmehr nichts. Heute reicht ein lachender Smiley. Er ersetzt Argument, Begründung, ja sogar Erkenntnis.

„Warum gibt es die Welt?“ – 😂

„Was ist das Gute?“ – ❤️

„Was ist der Sinn?“ – 🔥

Die Philosophie endet im Piktogramm, und das Piktogramm fragt nicht mehr, es fühlt nur. Die Menschheit ist zurück im Urschleim, diesmal nicht im Ozean, sondern im digitalen Datenmeer.

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Der stille Untergang des Denkens

Und doch, irgendwo im Hintergrund, lauert eine unheimliche Stille. Denn wenn alles gesagt werden kann mit einem Emoji, dann kann auch nichts mehr gesagt werden. Das Wort, das früher Licht in die Finsternis brachte, ist erloschen.

Wir werden nicht von Tyrannen unterdrückt, nicht von Maschinen versklavt, nicht von Aliens kolonisiert. Wir haben uns selbst ausgelöscht, indem wir uns von der Last des Denkens befreit haben. Keine Katastrophe, kein Weltkrieg, kein Meteorit. Nur ein schleichender, lächelnder Untergang, begleitet von einem letzten, absurden „😂“.

Epilog: Der letzte Ketzer

Vielleicht bleibt am Ende ein einziger Mensch zurück. Er sitzt in einer verlassenen Bibliothek, zwischen vergilbten Büchern, die niemand mehr lesen kann. Er nimmt einen Bleistift, zieht ein Komma zwischen zwei Wörter, als wäre es eine geheime Beschwörung.

In diesem winzigen Strich liegt alles: Widerstand, Erinnerung, Hoffnung. Ein Komma gegen die Kollektivretardierung™, ein Stachel im Fleisch der großen Gleichmacherei.

Vielleicht wird niemand sein Komma jemals verstehen. Aber vielleicht, nur vielleicht, wird es irgendwann jemand finden – und begreifen, dass wir einmal mehr waren als nur gelbe Gesichter auf einem Bildschirm.

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