
Ein kleiner Zoo der geistigen Zoologie
Der Mensch – dieses auf zwei Beinen wackelnde Tier mit überentwickelter Phantasie – ist nicht nur der Erfinder des Toasters, der Dampfmaschine und der Instagram-Filter, sondern auch der erfolgreichste Produzent geistiger Luftschlösser. Und wie bei allen Schlössern: die meisten haben weder Fundament noch Dach, dafür aber eine erstaunlich stabile Einbildungskraft als Zement. Es gibt drei besonders beliebte Abteilungen in diesem Zoo der schiefen Gedankengebäude: die Flacherdler (Spezies Homo Teppichensis), die Verschwörungsgläubigen (Homo Aluhutensis) und die Anhänger der großen Wüstenreligionen (Homo Sandkastensis). Alle drei eint dieselbe Leidenschaft: Behauptungen ohne Beweise zu verkünden – und wehe, man fragt nach Beweisen, dann wird man wahlweise als Schaf, Ketzer oder CIA-Agent beschimpft.
Die Flacherdler – Kartographen des Irrsinns
Es gibt in unserer modernen Welt Leute, die ernsthaft glauben, die Erde sei eine Scheibe. Eine Scheibe! Als hätten wir das Weltall mit einem überdimensionalen Pizzaschneider zugeschnitten. Diese Menschen blicken auf das Meer, sehen den Horizont – und denken sich: „Aha! Da hört’s auf!“ Vielleicht stellen sie sich am Ende des Atlantiks sogar ein Schild vor: „Vorsicht, Abgrund! Hier runterfallen nur für Fortgeschrittene.“
Das Schöne an der Flacherde-Idee ist, dass sie eine Art IKEA-Weltbild liefert: einfach, praktisch, ohne unnötige Rundungen. Kein kompliziertes Weltall, keine störende Gravitation – stattdessen eine Platte, von Eiswänden eingefasst, quasi ein kosmisches Tischchen mit Rand. Und wer das in Zweifel zieht, der hat sich von der NASA verhexen lassen, dieser finsteren Bastelgruppe, die seit Jahrzehnten Milliarden Dollar verbrennt, nur um schlechte Photoshop-Montagen von Kugeln zu veröffentlichen.
Die Verschwörungstheoretiker – Märchenerzähler mit YouTube-Kanal
Wenn die Flacherdler wenigstens noch einen gewissen handwerklichen Charme besitzen, so wirken Verschwörungsgläubige wie eine Mischung aus Sherlock Holmes und Märchenonkel, nur ohne Deduktion, aber mit WLAN. Für sie ist alles, wirklich alles, inszeniert: der 11. September, die Mondlandung, Impfstoffe, selbst die Tauben (ja, die Tauben! „Government Drones“, wie mancher behauptet).
Ihre Denkweise funktioniert wie ein Schweizer Taschenmesser – nur dass man sich bei jeder Benutzung in den Finger schneidet. Denn egal, was man präsentiert, es ist immer Teil des Plans. Keine Beweise? Natürlich nicht, gerade das ist der Beweis. Klare Beweise? Manipuliert. Offizielle Dementis? Ha! Wer’s glaubt, ist schon im System gefangen. Diese Logik ist so wasserdicht, dass man darin ertrinken muss.
Der typische Verschwörungstheoretiker lebt in einer Welt, in der er der einzige Durchblicker ist – ein einsamer Held mit Internetanschluss, der sich gegen das „Mainstream-Narrativ“ stemmt, während er in Wahrheit nur das „Nebensstream-Geschwätz“ mit Copy & Paste verbreitet. Aber immerhin: Er schläft besser, weil er weiß, dass er recht hat. Und falls nicht, war das natürlich auch Teil der Verschwörung.
Wüstenreligionen – Märchen im XXL-Sandkasten
Die Flacherdler haben ihre Platte, die Verschwörer ihr Netz – und die Wüstenreligionen? Nun, sie haben das Alleinstellungsmerkmal, aus trockenen Oasenphantasien Weltreiche gezimmert zu haben. Da stapft ein Hirte, Prophet oder sonstiger Wanderredner durch die Hitze, halluziniert im besten Fall ein brennendes Gebüsch oder eine Engelserscheinung, und schwupps: Jahrtausende später bekriegen sich Millionen im Namen dieses Einfalls.
Die Besonderheit dieser Religionen ist ihre enorme Recyclingfähigkeit. Man kann dieselben alten Geschichten immer wieder erzählen, mit minimaler Variation: mal ist es ein Messias, mal ein Prophet, mal gleich drei davon. Und das Publikum applaudiert seit über zweitausend Jahren! Es ist das langlebigste Theaterstück der Welt, allerdings eines, das im Gegensatz zu „Hamlet“ ungern kritisch hinterfragt wird.
Dabei beruhen diese Systeme auf einer simplen Formel: „Ich habe eine Eingebung gehabt, und wenn du mir nicht glaubst, bist du verloren.“ Mit solch einer Argumentation könnte man heute bestenfalls bei einer Castingshow scheitern – damals reichte es, um Imperien zu gründen.
Hitchens Rasiermesser – die Schere gegen den Unsinn
Und hier tritt unser aller Freund Christopher Hitchens mit seinem Rasiermesser auf: „Was ohne Nachweis behauptet werden kann, kann auch ohne Nachweis verworfen werden.“ Das klingt banal, ist aber so tödlich für diese Absurditäten wie ein Laserstrahl für ein Butterbrot. Plötzlich zerfallen die großen Weltbilder zu dem, was sie sind: rhetorische Seifenblasen, die schon beim leisesten Argument platzen.
Man könnte meinen, so ein Werkzeug würde sofort überall eingesetzt. Doch nein – viel zu scharf, zu unbequem, zu ehrlich! Wer will schon auf die Vorstellung verzichten, dass irgendwo ein großer Plan existiert, dass man selbst Teil einer auserwählten Elite ist oder dass ein allwissender Wüstengott über die Stromrechnung wacht? Es ist eben bequemer, die Rasierklinge zu ignorieren und weiter in den Bart der Selbsttäuschung zu murmeln.
Fazit: Bitte lachen, nicht glauben
Am Ende dieses grotesken Panoptikums bleibt nur eines übrig: herzhaftes Lachen. Lachen über die kosmische Tischplatte, auf der angeblich Pinguine die Eiswände bewachen. Lachen über die Verschwörer, die glauben, Bill Gates habe nichts Besseres zu tun, als jedem Bürger heimlich Mikrochips in den Arm zu drücken. Lachen über die Wüstenpropheten, die sich als Pressesprecher der Ewigkeit aufspielen, obwohl sie nicht einmal den Wetterbericht hätten vorhersagen können.
Die Absurditäten sind so reichlich, dass wir gar nicht nach neuen Komödien suchen müssten – sie laufen längst täglich vor unseren Augen. Und vielleicht ist das der Trost: Wer Hitchens Rasiermesser benutzt, schneidet sich nicht den Spaß am Leben ab, sondern nur die Dummheit. Und die wächst bekanntlich schneller nach als Wüstengras nach einem Sandsturm.