Die Kufiya als politisches Accessoire

… auf deutschen Schultern

Es ist ein Phänomen, das die unendlichen Weiten der urbanen Hipsterzonen ebenso heimsucht wie die schummrigen Ecken der alternativen Szene: die Kufiya, jenes schwarz-weiße oder rot-weße Schachbrettmuster, das in den Straßen Ramallahs, Amman und Beirut als alltägliches Kleidungsstück tragend von Identität, Widerstand und Geschichte zeugt, findet plötzlich seinen Weg auf deutsche Schultern. Genauer gesagt: auf die Schultern der deutschen Antifa, jener Subkultur, die sich gern in moralischer Unfehlbarkeit sonnt, während sie ironisch den nächsten veganen Döner verspeist. Hier trifft politische Symbolik auf modische Geste, Ideologie auf Instagram-Filter, Widerstand auf die unbarmherzige Logik der Ästhetik. Die Kufiya, vormals ein unprätentiöses palästinensisches Accessoire, wird in der Berliner Neustadt, im Leipziger Connewitz oder im Münchener Gärtnerplatzviertel zur Flagge des kulturellen Goodwills, zum hippen Talisman des globalen Protests – zumindest bis zur nächsten Coffee-to-go-Latte.

Der Akt der Aneignung: heroisch oder heroisch-komisch?

Hier beginnt das eigentliche Kabinettstück der kulturellen Ironie: Die Antifa-Träger der Kufiya glauben, dass durch das bloße Umhängen des Tuchs – möglichst lässig über die Schulter, niemals zu eng, um die eigene Coolness nicht zu kompromittieren – eine Art solidarischer Brückenschlag entsteht. Solidarität durch Textil, sozusagen. Dass die historische, politische und geopolitische Dimension dieser arabischen Ikone dabei im besten Fall zur dekorativen Folie eines Selfies verkommt, wird entweder übersehen oder in den Schatten des kollektiven Aktivismus gezwungen. Es ist, als würde man eine rote Fahne bei Karneval tragen: „Seht her, ich bin politisch!“, ruft das Tuch, während die Krawatte des Büroangestellten oder das Hoodie-Logo der Techfirma als stillschweigender Zeuge des modischen Missverständnisses fungieren. Heroisch? Naja. Heroisch-komisch? Mit Sicherheit.

Ironie als Währung: Die kapitalistische Unterwanderung des Widerstands

Denn man darf die Ironie nicht vergessen. Sie ist das Schmiermittel, das die Kufiya vom politischen Symbol zur urbanen Waffe der Selbstinszenierung transformiert. Wer die Kufiya trägt, signalisiert: „Ich weiß, was Sache ist. Ich bin global informiert. Ich bin moralisch überlegen.“ Gleichzeitig ignoriert man die Tatsache, dass der globale Markt die Kufiya längst als Massenware adaptiert hat, billig produziert in Bangladesch oder China, verkauft in Berliner Boutiquen neben Batik-Shirts und veganen Lippenstiften. Ironie wird hier zur Währung, die Aneignung zur performativen Geste, und der Widerstand zur ästhetischen Strategie. Man möchte lachen, man möchte weinen, man möchte die ganze Szene fotografisch dokumentieren und auf Instagram posten – um der Ironie den verdienten Applaus zu spenden.

TIP:  WOKE.exposed

Die paradoxale Ethik der Schuldlosigkeit

Doch das Ganze wäre zu einfach, wäre es nicht auch zutiefst paradox. Die Antifa, die sich der gerechten Sache verschreibt, moralisch unantastbar, kulturell hyperkritisch, findet sich plötzlich in einem Dilemma wieder: Trägt man die Kufiya aus Solidarität, oder aus modischem Kalkül? Ist man dadurch Unterstützer der palästinensischen Sache, oder lediglich ein hipper Tourist im eigenen Land? Jede Bewegung, die sich in der Schuldlosigkeit suhlt, steht hier vor einer ethischen Kippe. Und natürlich – wie es sich für deutsche Gründlichkeit gehört – wird dieses moralische Problem in langen, analytischen Facebook-Threads ausgehandelt, bis die Diskussion genauso zerrieben ist wie das Baumwollgewebe der echten Kufiyas in den Souks von Ramallah.

Schlussakkord: Ein Tuch, viele Perspektiven

Am Ende bleibt die Kufiya ein Tuch – und doch so viel mehr: ein Symbol, ein Modeaccessoire, ein Projektionsfeld für urbanen Aktivismus und moralische Selbstvergewisserung. Sie hängt da, leicht zerknittert, über der Schulter eines Berliner Aktivisten, und trägt dabei die ganze Last der Weltgeschichte, der globalen Ungerechtigkeit und der ironischen Selbstinszenierung auf einmal. Ob die Träger nun wütend werden, wenn man ihnen die Aneignung vorwirft, oder ob sie sich ins stille Kichern retten, ist egal. Denn das Tuch selbst bleibt unbeeindruckt. Es ist nur Baumwolle, bedruckt mit einem Muster, das Geschichten erzählt, die manche lesen, andere nur tragen – und wieder andere in satirischer Bewunderung beobachten, während sie ein Glas Fair-Trade-Latte halten.

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