Dunja Hayali und die Suche nach der „inneren (Un)sicherheit“

Die Moderatorin als Missionarin

Es gibt Menschen, die scheinen auf dieser Welt mit einer ganz besonderen Berufung zu wandeln: Sie fühlen sich nicht bloß als Journalisten, sondern als Retter der Republik, als Gurus der Moral, als Flankenschutz für all jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Land ununterbrochen zu „sensibilisieren“. Dunja Hayali gehört zweifellos in diese Kategorie. Die 51-Jährige, deren Fernsehkarriere so glänzt wie eine frisch polierte Pressestelle, begibt sich also neuerdings auf eine Expedition in die Gefilde der „inneren (Un)sicherheit“. Natürlich mit ZDF-Mikrofon, Sicherheitsweste aus Empathie und dem festen Vorsatz, dem Publikum zu erklären, dass die Realität keine Realität, sondern bloß ein Missverständnis ist.

Dass sie dafür, wie bereits an anderer Stelle kolportiert, neben ihren journalistischen Tätigkeiten auch als Moderationsdienstleisterin für die Bundesregierung tätig war, könnte man selbstverständlich als „Interessenkonflikt“ bezeichnen. Doch das wäre zu kleingeistig. In einer Medienlandschaft, in der Regierungsnähe zum Ehrenzeichen erklärt wurde, gehört so etwas zur Tugend. Wer von Staatsgeldern lebt, der beißt nicht die Hand, die ihn füttert – er reicht ihr die Serviette.

Bremen, die Quattro-Streife und die heilige Relativierung

Die Reportage führt Hayali unter anderem zum Bremer Hauptbahnhof, einem Ort, an dem Realität üblicherweise in Polizeiberichten und nicht in Imagebroschüren vorkommt. Dort trifft sie auf die „Quattro-Streife“, jene Allianz aus Polizei, Ordnungsamt, Sozialarbeitern und irgendjemandem, der vermutlich nur dabei ist, um nicht ganz nutzlos zu wirken. Sie trifft auch auf Therapeutinnen, die mit traumatisierten Migranten arbeiten, und auf Forscher, die herausgefunden haben, dass nicht etwa Straftaten, sondern Social-Media-Algorithmen das eigentliche Problem seien: Facebook, TikTok und Instagram machen den Bürgern Angst, nicht etwa die Messerattacke in der Nebenstraße.

Hayalis Film gerät so zu einem 45-minütigen Lehrstück der Relativierungskunst, einer Art Agitprop-Ballett im öffentlich-rechtlichen Biedermeierstil: Alles, was passiert, passiert aus Gründen, und diese Gründe sind stets nachvollziehbar. Das Messer in der Brust? Ein Produkt unglücklicher Umstände. Das Trauma? Primär bei den Tätern. Der Bürger, der sich unwohl fühlt? Opfer des Algorithmus, nicht des Angreifers. Man fragt sich beinahe: Wann präsentiert das ZDF den ersten Dokumentarfilm, der erklärt, dass Schwerverbrechen in Wahrheit nur eine missverstandene Form der kulturellen Bereicherung sind?

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Austauschstudent versus Messerstecher

Natürlich darf auch die groteske Vergleichslogik nicht fehlen, die in diesem Diskurs längst Standard ist. Während sich das Land an Fällen von schwerer Gewalt abarbeitet, während Schlagzeilen von Messereien und Überfällen die Schlagzeilen dominieren, erklärt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit Grabesernst, dass auch der Junggesellenabschied eine „Gefahr im öffentlichen Raum“ darstelle. Mit derselben Gravität, mit der man andernorts einen Terroranschlag seziert, sinniert man hier über betrunkene Deutsche in bunten Kostümen.

So reiht sich der australische Austauschstudent bei Louis Klamroth, der angeblich den öffentlichen Frieden gefährdet, nahtlos ein neben Dunja Hayalis „Messerstecher Uwe“ – ein fiktiver Bösewicht aus dem Reich der rhetorischen Gleichmacherei. Wer beide Gefahren für gleichrangig erklärt, zeigt nicht Mut zur Differenzierung, sondern schlicht den Verlust der Maßstäbe.

Von Sigmaringen bis Völklingen – die Realität als lästiger Betriebsunfall

Doch Hayali ist nicht allein. Georg Restle vom WDR liefert die gleichen Kunststücke: Ausgerechnet Sigmaringen, wo ein Asylbewerber kürzlich eine Frau krankenhausreif prügelte, stilisierte er zum Hort der Sicherheit. Dass dies ungefähr so plausibel ist wie die Behauptung, der Berliner Hauptbahnhof sei ein Wellness-Resort, stört keinen. Das mediale Narrativ hat die Kraft, blutige Tatsachen zu übertünchen – wie eine Schicht Dispersionsfarbe auf bröckelndem Beton.

Währenddessen berichten Polizeimeldungen nüchtern von immer neuen Opfern: Messerangriffe in Berlin, Überfälle in Dortmund, Hinrichtungen wie im Fall des Völklinger Polizistenmords. Es sind die nüchternen Daten, die im Kontrast zur schillernden Beruhigungsrhetorik stehen: Zahlen, Tatorte, Nationalitäten. In den Polizeistatistiken liest man nüchterne Überrepräsentationen – dort, wo ARD und ZDF lieber von „individuellen Einzelschicksalen“ sprechen.

„Where is the structure?“ – Lektionen aus Dresden

Die vielleicht bitterste Pointe liefert ein junger Amerikaner in Dresden, der nach einem brutalen Angriff blutüberströmt fragt: „Where is the structure? Where is the law?“. Ein Fremder muss aussprechen, was hiesige Journalistinnen nicht einmal zu denken wagen: Dass ein Land, das seine Gesetze nicht durchsetzt, die Axt an seine eigene Glaubwürdigkeit legt.

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Währenddessen wird einer der syrischen Täter noch am selben Tag wieder freigelassen – vermutlich in der Hoffnung, dass ihn kein Algorithmus zu sehr verunsichert. Und während die Opfer Traumata davontragen, sorgen sich Hayali und Konsorten um die Traumata der Täter. Es ist, als ob die Moral dieses Landes völlig aus den Fugen geraten wäre: Opfer sind Dekoration, Täter sind Patienten, und Journalisten sind deren Pressesprecher.

Nachspiel: Die innere Unsicherheit der Bürger

Und so bleibt am Ende dieses Films nicht Erkenntnis, sondern Beklemmung. Die Beklemmung, dass ein Land sich in einem kollektiven Selbstbetrug eingerichtet hat, der mit journalistischer „Neutralität“ verwechselt wird. Die Beklemmung, dass Bürger mit ihren Sorgen alleingelassen werden, während Talkshow-Studios zu moralischen Hochämtern mutieren. Die Beklemmung, dass man schon als „rechts“ gilt, wenn man Polizeistatistiken liest.

Die innere Unsicherheit, die Hayali sucht, liegt längst offen zutage: Sie ist nicht im Algorithmus, sondern im Alltag. Sie sitzt im Zug, der nachts durch menschenleere Bahnhöfe rollt. Sie steht am Bahnsteig neben jemandem, der mit dem Messer spielt. Sie fragt nicht nach einer ARD-Dokumentation – sondern nach dem Gesetz.

Doch beim ZDF hat man die Antwort längst parat: „Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.“

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