Die Entrüstungs-Diktatur der christlich geprägten Sensation

Man stelle sich das einmal bildlich vor: Ein katholischer Pfarrer, der – sagen wir – eine Goldmünze aus dem Klingelbeutel entwendet oder vielleicht ein bisschen zu großzügig mit der Kollekte jongliert, und plötzlich mutiert die westliche Presselandschaft zu einer Art moralischem Atomkraftwerk, das seine Reaktoren der Entrüstung auf volle Kapazität hochfährt. Sondersendungen schießen wie Raketen aus den Studios, Talkshow-Gastgeber verwandeln sich in inquisitorische Hochrichter, Experten publizieren fatale Gutachten über systemischen Missbrauch, und die Bevölkerung – dieses hochgradig sensibilisierte Wesen – stürzt sich mit der fanatischen Begeisterung eines Bienenstocks auf jede winzige moralische Unregelmäßigkeit. Jede Geste, jeder Blick, jede Predigerhand wird unter die Lupe genommen, bis selbst das Flattern einer Kirchenmaus als Indiz für ein Versagen der Menschheit gilt.

Und dann – nur dann – tritt die Realität auf, wie ein ungebetener Clown auf einem Gala-Dinner, und zeigt uns, dass all diese moralische Hysterie nichts weiter als ein grotesker Zirkus ist: Eine türkische Staatsmoschee in Wien, deren Imame Spendengelder, gesammelt für Gebete, Pilgerfahrten und würdige Beerdigungen, über Jahre hinweg auf Escort-Damen, Orgien und – man muss es tatsächlich buchstabieren – „Entspannung für Prüfer“ verschleudern, und die Welt? Schweigt. Schweigt so tief, so konsequent, dass man glauben könnte, Schweigen sei das neue Gebot Gottes selbst, und wir hätten uns kollektiv dafür entschieden, es zu verehren.

Toleranz™ – Die Kunst des moralischen Blindfluges

Versuchen Sie sich nun, mit minimalem Gehirnschmalz, Folgendes vorzustellen: dieselbe Sause in einer christlichen Kirche. Fünf Jahre, und schon nach wenigen Wochen würde die öffentliche Empörung eskalieren, Talkshows würden explodieren, Zeitungen in Flammen aufgehen, Rücktrittsforderungen würden über Europa hinweg wie ein Sturm fegen, und der Papst würde höchstpersönlich eine Sonderkommission ins Leben rufen, um jeden Atemzug des Pfarrers zu dokumentieren – von der Kniebeuge beim Vaterunser bis zur Handbewegung beim Kelch. Alles wäre auf einem Silbertablett serviert, um unsere moralische Selbstüberhöhung im Dauerlichtschein der Entrüstung zu baden.

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Und hier? Nichts. Nur Toleranz™, das elegante Schweigen einer Gesellschaft, die selektiv ihre Moral appliziert wie ein Michelin-Stern-Koch sein Salz – großzügig, wo es schmeckt, und eisern ignorierend, wo es stinkt. Kein Artikel, kein Kommentar, kein schales ironisches Lächeln. Fast könnte man applaudieren, wäre da nicht dieser bittere Geschmack von Ungerechtigkeit, der sich wie saurer Rotwein auf der Zunge festsetzt.

Schweigen als ultimative Blasphemie

Der wahre Skandal ist nicht die bestellte Escort-Dame, nicht die orgiastische Ausschweifung, nicht die „Entspannung für Prüfer“ – der wahre Skandal ist, dass wir Empörung längst als Theaterstück begreifen, eine exquisite Performance, die nur dann aufgeführt wird, wenn sie uns ins bequeme, vertraute Schema passt, moralisch kalkulierbar, politisch ungefährlich, kulturell erwartbar. Alles, was aus diesem Raster fällt – die hässlichen, die unangenehmen Realitäten – verschwindet einfach, als hätte es nie existiert.

Und während wir uns also selbst als moralische Wächter feiern, während wir die „richtigen“ Skandale zerlegen und unsere eigene Tugend auf Podeste stellen, verpufft das echte Drama in einem Meer aus Schweigen, und das Einzige, was bleibt, ist die ekelhafte, glatte, absurde Erkenntnis: Wir sind nicht gerecht, wir sind nicht kritisch, wir sind nicht witzig – wir sind eine Gesellschaft, die nur dort moralisch aufblüht, wo es ihr gefällt, während sie die Realität, die unbequem, andersartig und unerwartet ist, wie ein unbequemes Möbelstück in die Ecke stellt und betet, dass niemand hinsieht.

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