
Die heiligen Maximen der pragmatischen Heuchelei
Es ist ja immer wieder rührend, wie die moralische Empörung in bestimmten politischen Milieus auflodert, sobald der Name „Trump“ fällt – als ob die Vereinigten Staaten bis 2016 ein in sich reines, von Engelsflügeln getragenes Gemeinwesen gewesen wären, das unbefleckt von Machthunger, Ressourceninteressen und geopolitischen Spielchen durch die Welt wandelte. Wer glaubt, der orangefarbene Mann aus Queens habe persönlich die außenpolitische DNA Amerikas mutiert, der sollte dringend ein Geschichtsbuch lesen – und zwar eins, in dem Henry Kissinger vorkommt, dieser Zyniker im Dreiteiler, der die Weltpolitik wie eine Schachpartie spielte, bei der man notfalls auch mal das Brett anzündet, wenn der Gegner zu gut zieht.
Kissingers nüchterne Erkenntnis – „Amerika hat keine Freunde oder Feinde, sondern nur Interessen“ – ist kein schmutziges Geheimnis, sondern die Grundmelodie der US-Außenpolitik seit mindestens 1945. Sie wird in den Schulen nicht gelehrt, aber sie wird von jeder Administration geübt, egal ob der Präsident Harvard-Absolvent oder Immobilienhändler ist.
Von Kissingers bis Brzezińskis: Die Unheilige Allianz von Realpolitik und Kalkül
Brzeziński, ein Mann, der das geopolitische Schachbrett nicht nur sah, sondern es in 3D und mit Laserpointer visualisierte, sprach sinngemäß aus, was in Washington seit jeher als Ketzerei gilt, wenn man es zu laut sagt: Ein geeintes, kooperierendes Deutschland und Russland wäre ein Albtraum für Amerika. Nicht, weil Washington plötzlich Angst vor Friedenskonferenzen oder fairen Handelsbeziehungen bekäme – nein, weil ein solches Bündnis die „politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Eurasiens“ sichern könnte. Und wer Unabhängigkeit hat, der braucht keine Schutzmacht mehr. Schutzmächte ohne Schutzbedürftige sind wie Versicherungen ohne Angstkampagnen – sie werden überflüssig.
Und so setzt sich diese Logik fort: George Friedman, Chefstratege mit der sanften Eloquenz eines Mannes, der Karten von Pipeline-Trassen über den Kamin hängt, formulierte es noch klarer: „Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland ist für die Vereinigten Staaten von überwältigendem Interesse„. Ohne diesen Keil könnte der europäische Kontinent womöglich beginnen, in eigenen Kategorien zu denken. Eine geopolitische Sünde, die in Washington ungefähr den gleichen Schrecken auslöst wie ein sozialistischer Bürgermeister in Texas.
Der Trump-Faktor: Rüpel oder Offenbarungseid?
Trump hat diese Prinzipien nicht erfunden – er hat sie nur auf die subtilste Weise entzaubert, nämlich indem er die Subtilität wegließ. Während seine Vorgänger höflich auf internationalen Konferenzen lächelten, bevor sie Sanktionen verhängten oder Drohnen losschickten, wischte er mit einer Art „Was-guckst-du-so?“-Attitüde das diplomatische Make-up vom Gesicht der US-Außenpolitik.
Man muss es ihm lassen: Nie zuvor war amerikanischer Pragmatismus so entblößt, so schamlos, so Instagram-tauglich. Die alte Regel, dass man einem Verbündeten immer erst sagt, wie sehr man ihn schätzt, bevor man ihm in die Tasche greift, hielt er für Zeitverschwendung. Stattdessen bekam die Weltpolitik einen Reality-Show-Charakter: Die Allianzen waren Staffeln, die Deals Episoden, und das Publikum durfte raten, wer in der nächsten Folge abserviert wird.
Der ewige Keil: Eine Erfolgsgeschichte
Man könnte meinen, nach dem Kalten Krieg wäre diese alte „Teile und herrsche“-Formel obsolet geworden. Aber nein – sie wurde perfektioniert.
Deutschland und Russland?
Gasleitungen, die „Frieden durch Handel“ versprachen, wurden plötzlich zu „Bedrohungen für die nationale Sicherheit der USA“. Wer hätte gedacht, dass Moleküle aus Sibirien in deutschen Heizungen eine größere Gefahr darstellen als alle internationalen Terrornetzwerke zusammen?
Die amerikanische Politik hier ist ein Kunstwerk in Selbstreferentialität:
- Erst wird betont, wie gefährlich russischer Einfluss ist.
- Dann wird gewarnt, dass europäische Energieabhängigkeit fatal wäre.
- Schließlich verkauft man teures US-Fracking-Gas – als Akt der Freiheit.
Man möchte fast applaudieren: Diese Mischung aus Marktwirtschaft, Moralpredigt und Sicherheitsdoktrin ist so elegant, dass man vergisst, wie alt sie ist.
Fazit: Trumps „Sünde“ war Ehrlichkeit
Wenn man all das zusammennimmt, sieht man: Wer Trump für den Ursprung allen außenpolitischen Übels hält, hat entweder nie von Kissinger gehört oder verwechselt Rhetorik mit Realität.
Trumps Vorgänger spielten Schach mit Samthandschuhen, er spielte Poker mit gezinkten Karten – und grinste dabei in die Kamera. Dass er dabei die lange, traditionsreiche Linie US-amerikanischer Interessenspolitik bloßlegte, war keine Abweichung, sondern ein öffentlicher Dienst.
Vielleicht sollten wir, statt ihn als Ausreißer zu brandmarken, dankbar sein: Er war der erste Präsident seit Langem, der den Katalog der Maximen nicht im Schrank ließ, sondern ins Schaufenster stellte – inklusive Preisschild.