
Am Beckenrand der Realität
Es beginnt, wie es immer beginnt: mit der wohlig lauwarmen Illusion, Deutschland sei eine große, tolerante Sprudelbadewanne, in der jeder Platz findet, wenn er nur die Badehaube der „Weltoffenheit“ aufsetzt. Man stelle sich vor: die Sonne brennt, die Wiese knistert vor Picknickdecken, Kinder plätschern im Nichtschwimmerbereich, und irgendwo, zwischen Wasserball und Luftmatratze, vollzieht sich der politisch korrekte Traum – Menschen aller Hautfarben, Religionen und Badekleidungsstile nebeneinander im Chlorwasser, vereint im heiligen Auftrag der Integration.
So jedenfalls im Kopf der Kulturstaatssekretärin, die seit ihrer letzten Freibadvisite vermutlich noch „Take on Me“ auf Kassette hörte.
Doch die Wirklichkeit ist leider ein weniger poetischer Ort. Sie riecht nach Sonnenmilch, kalten Pommes und der latenten Angst, dass gleich wieder jemand „versehentlich“ an Körperregionen gerät, die in den Bäderordnungen bislang noch nicht gesondert als Sperrgebiet ausgewiesen sind. Dabei ist das neue Sommerphänomen längst eine Mischung aus „Sex and the City“ und „Tatort“, nur ohne die Dialogqualität von beidem. Die Schlagzeilen sprechen von Übergriffen – das PR-Department des guten Geschmacks allerdings nennt es „Missverständnisse im interkulturellen Miteinander“.
Die Täter-Opfer-Umkehr – jetzt als Plakat zum Mitnehmen
Damit niemand auf die Idee kommt, das Problem beim Namen zu nennen, gibt es nun jene herrlich grotesken Plakatkampagnen. Sie zeigen eine mollige, mittelalte Deutsche, die – laut Zeichnung – einem jungen, charmant-gebrechlichen Migranten mit Holzbein an die Badehose geht. Darunter der Claim: „Respekt kennt keine Herkunft.“
Es ist der bildgewordene Versuch, die Realität durch eine Karikatur zu erschlagen – allerdings mit einem Gummihammer, der beim Aufprall nur ein müdes „Boing“ von sich gibt.
Die Botschaft ist klar: Nicht die dokumentierten Übergriffe männlicher Gruppen auf weibliche Badegäste sind das Problem, sondern die vermeintlich pauschalisierende Unterstellung, sie könnten von einer bestimmten Klientel ausgehen. Deshalb also: Täter-Opfer-Umkehr. Die moralische Versicherungspolice für alle, die glauben, man könne sexuelle Belästigung einfach wegplakatieren, wenn man nur die Rollen ausreichend absurd vertauscht.
Von der Frittenbude zur Wertebude
Die alten Freibäder hatten etwas Ehrliches: Man ging rein, sprang ins Wasser, holte sich eine Sonnenbrand-Erinnerung und am Ende eine Portion fetttriefender Pommes Rot-Weiß, die jede moralische Debatte im Keim erstickte.
Heute gibt es statt der „Pommes Schranke“ die „RespektPommes“(-Kampagne) – vermutlich vegan, fair gehandelt und so geschmacklos, dass man beim Kauen Zeit hat, über seinen kulturellen Bias nachzudenken.
Zwischen den Liegestühlen verteilt ein Integrationsbeauftragter Flyer, in denen man lernt, dass „Körperkontakt im Schwimmbad nicht immer willkommen“ ist – als hätte diese Erkenntnis vorher im Land der FKK-Kultur noch einer schriftlichen Bestätigung bedurft.
Wenn der Bademeister zur Polizei wird
Früher stand am Beckenrand der Bademeister: ein rotgebräunter Halbgott in Adiletten, dessen Trillerpfeife allein schon für Ordnung sorgte.
Heute patrouillieren stattdessen Polizeitrupps durchs Freibad, schwer bepackt wie für einen Einsatz am Hamburger G20-Gipfel.
Das hat weniger mit „Sicherheit“ zu tun als mit der stillen Kapitulation vor der Erkenntnis, dass moralische Appelle eben keine Schwimmflügel sind – sie tragen nicht.
Und während die Ordnungshüter mit Sonnenbrille und Funkgerät am Planschbecken stehen, fragt man sich: Wann ist der Moment gekommen, an dem das Freibad endgültig vom Ort des Sommerspaßes zum soziologischen Sicherheitslabor verkommt?
Chlorwasser, Schamgrenzen und die neue Sommerromantik
Es ist eine bittere Pointe: In einer Gesellschaft, die jeden Flirt an der Kaffeemaschine mit Compliance-Richtlinien ummantelt, muss man plötzlich in Schwimmbädern Plakate aufhängen, um Fremden zu erklären, dass „Nein“ nicht in allen Kulturen ein besonders verspieltes „Vielleicht“ bedeutet.
Die öffentliche Debatte darüber bleibt verhalten, wie das vorsichtige Planschen im Nichtschwimmerbecken – zu groß ist die Angst, als xenophob zu gelten.
Und so badet man weiter im warmen Becken der Relativierungen, bis die Temperatur des öffentlichen Diskurses nur noch zwischen lauwarm und abgestanden schwankt.
Epilog mit Badehaube
Vielleicht ist es ja so: Multikulti ist kein olympisches Becken, in dem jeder im selben Tempo schwimmt. Es ist eher ein plantschender, unübersichtlicher Haufen Menschen, deren Regeln nicht immer kompatibel sind – und die Vorstellung, man könne alles mit einem freundlichen Plakat regeln, ist in etwa so naiv wie die Hoffnung, ein Holzbein schwimme von allein.
Bis dahin bleibt das Freibad eben, was es geworden ist: ein Spiegel der Gesellschaft, nur mit schlechterer Akustik, mehr Sonnenmilch und einer leisen Ahnung, dass das Wasser längst trüb ist – nicht nur vom Chlor.